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Beiträge zur Geschichte  









Fortsetzung 8

Marlis Meergans, Eberhard Noll

Die Pariser Kommune

Die Wahlen zur Kommune

Seit dem 19. März waren die Wahlen für den "Kommunalrat von Paris" angekündigt, der abgekürzt "Rat der Kommune" und schließlich "Kommune" heißen sollte. In jedem Wahlbezirk sollten die Wahlen auf der Grundlage der Listenabstimmung durchgeführt werden. Die Zahl der Rate war auf 90 festgelegt, so daß auf jeweils 20.000 Einwohner ein Ratsmitglied kam. Entgegen der Hoffnung aller der Kommune feindlich gesinnten Kräfte, verliefen die Wahlen völlig ruhig. Eventuellen Störversuchen wurde vorgebeugt, indem das Zentralkomitee vor jeder Bürgermeisterei 30 Nationalgardisten postierte, ohne daß diese die Stimmabgabe oder das Auszählen der Stimmzettel beeinträchtigten. Entgegen den Aussagen der Versailler Depesche war die Wahlbeteiligung ziemlich hoch. Von 485.569 eingetragenen Wählern hatten 229.167 Bürger gewählt.

"Die streng legalistischen Historiker und die Statistiker, die lediglich mit leeren Zahlen operieren, versäumten und versäumen nicht, die beträchtliche Differenz zwischen den beiden Zahlen hervorzuheben. Sie verschweigen jedoch, daß die Wählerliste Anfang 1870 in einem normalen, von tätigem Leben ausgefüllten Paris aufgestellt worden war, aus dem infolge des Krieges und der drohenden Belagerung später viele Menschen flohen. So hatten sich beispielsweise an den Wahlen vom 3. November 1870 nur 322.000 Menschen beteiligt, dennoch war die Gültigkeit dieser Wahlen von der Regierung der Nationalen Verteidigung bestätigt worden." (38)

Krieg, Not und Elend hatten nach dem 3. November zahlreiche Opfer unter der Pariser Bevölkerung gefordert. Die Fluchtwelle nach dem Waffenstillstand mit Preußen und die nach dem 18. März nach Versailles emigrierten Beamten, Angestellten und andere dezimierten die vor dem 3. Nov. festgelegte Zahl der Wahlberechtigten. Mindestens 80.000 hatten Paris verlassen. In Versailles sprach man sogar von 100.000!

In den Arbeitervierteln war die Wahlbeteiligung wesentlich größer als in den Vierteln der Bourgeoisie. Vom 27. bis 28. März wurden die Stimmen ausgezählt. Dabei gab es folgende Ergebnisse:

Der Rat der Kommune setzte sich wie folgt zusammen:

Die soziale Zusammensetzung:

    25 Arbeit = 51,8 %

    7 Angestellte = 4,8 %

    30 Angehörige der Intelligenz = 38,2 %

    3 Offiziere = 2,4 %

    7 unbekannte Berufe = 7,2 %

Die politische Situation im Rat der Kommune:

Die Mehrheit

radikale Demokraten, kleinbürgerliche Neojakobiner und Blanquisten; davon:

    13 Vertreter des ZK der Nationalgarde

    7 Mitglieder der blanquistischen Gruppierung

    9 Vertreter der radikalen Presse

    21 Vertreter aus den demokratischen Klubs

Die Minderheit

rechte Proudhonisten und linke Proudhonisten; davon:

15 gewählte Mitglieder aus der gemäßigten und bourgeoisen Partei (die sich jedoch bald von der Kommune abwandten)

17 Mitglieder der Internationalen­Arbeiterassoziation (13 andere saßen in den Kommissionen)

Von etwa 30 Mitgliedern der IAA im Rat der Kommune waren nur wenige Marxisten.

Obwohl am 16. April Nachwahlen gehalten wurden, änderte sich kaum etwas an dieser Zusammensetzung.

Der aus den Wahlen hervorgegangene Rat der Kommune vereinigte die exekutive und legislative Gewalt in sich. Zur Lösung der Staatsaufgaben setzte man 10 Kommissionen ein, die als kollektiv geleitete Ministerien fungierten. Sie wurden von Mitgliedern des Rates oder gewählten Personen geleitet. Natürlich hatte der Rat der Kommune niemals für sich in Anspruch genommen Interessenvertreter des gesamten Französischen Volkes zu sein; jedoch kamen durch die militärische Auseinandersetzung mit der Versailler Nationalversammlung neben der kommunalen Verantwortung Aufgaben auf nationaler Ebene hinzu.

Am 28. März wurde die Liste der gewählten Ratsmitglieder vor dem Rathaus bekanntgegeben. 200.000 Pariser Bürger lauschten Ranviers Norten, der unter den Klangen der Marseillaise erklärte: "Im Namen des Volkes, die Kommune ist proklamiert!" (39)

Nachdem die Liste der Ratsmitglieder verlesen war, faßte das Zentralkomitee in einem Rechenschaftsbericht die bisherigen Resultate seines Kampfes zusammen:

"Bei der Erfüllung unserer Aufgaben durch Euren bewundernswerten Patriotismus und Eure Klugheit unterstützt, haben wir gewaltlos, aber ohne Schwäche unser Mandat erfüllt. (...) Die heute Gewählten werden Eure Freiheit mit allein Nachdruck sichern.( ... ) Schließt Euch also vertrauensvoll um Eure Kommune zusammen, erleichtert ihr die Arbeit, indem Ihr Euch den unerläßlichen Reformen verschreibt, und so werdet Ihr sicher das nächste Ziel erreichen: die Weltrepublik!" (40)

Gleichzeitig legte das Zentralkomitee durch Boursier seine Vollmachten nieder:

"Gewählte Bürger von Paris! Das Zentralkomitee legt Jetzt seine revolutionäre Gewalt in Ihre Hände. Wir beschränken uns fortan auf die in unseren Statuten festgelegten Befugnisse. Das Zentralkomitee darf sich nicht in die Handlungen der Kommune einmischen, die die einzige ordentliche Regierung darstellt. Es wird dazu beitragen, daß sie respektiert wird und sich darauf beschränken die Nationalgarde zu reorganisieren." (41)






Anmerkungen:



38 "Die Pariser Kommune von 1871" Berlin 1971, S. 107
39 ebenda S. 110
40 ebenda
41 ebenda



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