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Beiträge zur Geschichte  









Fortsetzung 11

Marlis Meergans, Eberhard Noll

Die Pariser Kommune

Der Kampf um Paris

"Die Armee ist dem Volk nur in zwei Punkten deutlich überlegen Sie verfügt über Chassepot­Gewehre und Organisation. Der Vorteil der letzteren ist gewaltig, unwiderstehlich. Glücklicherweise jedoch kann man ihn von ihr übernehmen, und in diesem Falle neigt sich die Waage zugunsten der Aufständischen ..." (66)

Der Kommune, beschäftigt mit der Befestigung der neuen gesellschaftlichen Verhältnisse, fehlte es schließlich an einer klaren Einschätzung des Verhaltens der Versailler Nationalversammlung. Statt durch eine ­ wie W.I. Lenin schrieb ­ verzweifelt kühne unumstößliche Offensive, d.h. durch einen Marsch auf Versailles, diese gesellschaftlichen Verhältnisse ein für allemal zu festigen ( nach dem 18. März), schienen sie Zu glauben das neue System ohne militärischen Konflikt verwirklichen zu können. Doch ein Gegenschlag der Versailler war unausbleiblich.

Am 19. März hatte Thiers nur mit viel Mühe 12.000 völlig erschöpfte und demoralisierte Soldaten um sich zusammenziehen können, die zudem noch dicht davor standen zur Nationalgarde überzulaufen. Es galt also in erster Linie für Thiers Zeit zu gewinnen, und Zeit ließ man der Nationalversammlung wahrlich genug. Vorerst begnügte man sich in Versailles damit Paris von der Außenwelt abzuschirmen; d.h. keine Nachrichten in die Provinz durchdringen zu lassen. Sie fälschten sogar das "Journal Officiel", das offizielle Organ der Kommune, und verteilten es neben anderen Lügen­ und Hetzpamphleten in der Provinz. Und während man Spione nach Paris schickte, mit der Aufgabe die öffentlichen Dienste und das Militär zu desorganisieren, begann man in Versailles allmählich mit der Reorganisation des Militärs. Thiers konnte dabei auf die reaktionär gesinnte Landbevölkerung zurückgreifen. Ende März waren die Truppen der Versailler bereits 65.000 Mann stark; noch immer viel zu wenig, um an einen Angriff auf Paris zu denken. Noch immer hätte die Kommune, die von den Vorgängen in Versailles informiert war, der Reaktion durch einen Angriff auf Versailles ein Ende bereiten können.

Nach den Waffenstillstandsbedingungen durften in der Umgebung von Paris nicht mehr als 40.000 Mann stationiert sein; um aber den ersten Verstoß nachträglich billigen zu lassen und die Truppenstärke weiter ausbauen zu können, verbündete man sich mit den Feinden von Gestern. Die preußische Regierung war bereitwilliger als vermutet wurde, nicht zuletzt deshalb, da die Kommune begann, dem Proletariat auf der anderen Seite des Rheins ein "gefährliches Beispiel" zu geben. Ohne Schwierigkeiten gelangte Thier zu einem Abkommen am 8. April, das die Rückkehr von Kriegsgefangenen erleichterte und es gestattete die Starke der Versailler Truppen zunächst auf 80.000, dann auf 110.000 und schließlich auf 170.000 Mann zu erhöhen. Dies alles geschah unter einer Bedingung die Seitens der Preußen gestellt Kurie: Die Friedensverhandlungen zu beschleunigen, um den Annexionswünschen Preußens nachzukommen. Innerhalb von 5 Tagen erhielt Bismarck in Frankfurt seinen Frieden um den er in Brüssel einen Monat geschachert hatte. Am 28. Juli würdigte Jules Favre das "Verständnis" der Preußen mit folgenden Worten:

"Preußen hat in uns immer den Eindruck erweckt, als vertraue es unser Regierung, als wünsche es, daß sie siegreich aus dem Aufstand hervorgeht ... Es wußte, daß nur durch Kredit möglich sein würde, die notwendigen Gelder für die Erfüllung des Vertrages bereitzustellen , und daß dieser Kredit unmöglich zu bekommen wäre, wenn die Kommune siegen würde." <(67)

Als Thiers gegen Ende März die Stunde des "notwendigen Aderlasses" nahen fühlt erklärt er am 1. April vor der Nationalversammlung:

"In Versailles entsteht eine der schönsten Armeen, die Frankreich je besessen hat. Die guten Bürger können sich also beruhigen und auf das Ende eines Kampfes hoffen, der schmerzlich, aber kurz sein wird.''< (68)

Bevor es jedoch zur militärischen Konfrontation kommen sollte, setzte Thiers das ein, was später einmal als "fünfte Kolonne" bezeichnet werden sollte. Ein ganzes Bataillon wurde nach Paris eingeschleust, mit der Aufgabe Abtrünnige zu werben und die Dienststellen zu desorganisieren.

Den gut ausgerüsteten Truppenverbänden Versailles, deren Verluste immer wieder durch neue Rückkehrer ersetzt werden konnten und die alle Vorzüge einer echten Berufsarmee aufwies, konnte die Kommune im wesentlichen die Nationalgardisten entgegenstellen. Nach dem 18. März war diese 194.291 Mann stark. 80.449 aktive­ und 113.842 ansässige Nationalgardisten. Aber auch Ausländer unterstützen die Kommune; unter ihnen Belgier, Italiener, Polen, Russen und Ungarn. Allein 1725 Ausländer, die an der Seite der Kommune gekämpft hatten, wurden nach der Unterwerfung von den Versaillern verhaftet. Die Zahl der Frauen, die auf der Seite der Kommune gekämpft haben, ist schwer einzuschätzen; ihre Verluste sind jedoch ungeheuer groß gewesen. In den letzten Tagen der Kommune wurden viele Barrikaden ausschließlich von Frauen verteidigt. Der Schriftsteller Elie Reclus schrieb am 5. Mai:

"Je heißer die Schlacht zwischen Paris und Versailles entbrennt, desto zahlreicher werden die Frauen, die an ihr teilnehmen. Nicht wenige von ihnen ergriffen das Gewehr ihres gefallenen Mannes, Bruders oder Geliebten. Die Mehrzahl der Marketenderinnen weiß bei Gelegenheit auch zu schießen. Verschiedene Mädchen haben Männerkleidung angelegt und kämpften an vorderster Front..." <(69)

Etwas ausführlichen geht ein Mitarbeiter der kommunefreundlichen Zeitung "Le Droit" auf diese völlig neue Erscheinung ein:

"Im Verlauf der Gefechte von Neuilly wurden auch mehrere Frauen getötet oder verwundet. Man sah eine Marketenderin, die, am Kopf getroffen, wieder zu ihrem Kampfplatz zurück eilte, sobald sie verbunden war. Auch in den Reihen des 61. Bataillons kämpfte eine energische Frau. Sie tötete mehrere Gendarmen und Polizisten. Auf dem Plateau von Chatillon blieb eine Marketenderin bei einer Gruppe von Nationalgardisten und lud und schoß ihr Gewehr ab und Iud es pausenlos aufs neue und zog sich schließlich fast als letzte zurück und feuerte selbst dabei noch weiter." <(70)

Der überstürzte Rückzug Thiers hatte der Kommune, beträchtliches Material in die Hände fallen. lassen:

    400.000 Gewehre

    1.740 Kanonen und zugehörige Munition

Von diesen 1.740 Kanonen wurden jedoch in der ganzen Zeit der Auseinandersetzung mit Versailles nur 320 eingesetzt. Ein Teil des Kriegsmaterials ging entweder durch Sabotage oder Vergeudung verloren. Auf einer Sitzung der Kommune. am 6. Mai wurde das festgestellt, was für den gesamten Verlauf der militärischen Auseinandersetzung mit Versailles charakteristisch war:

"Wir haben viele Kanonen, viel Munition, viele Artilleristen; was fehlt ist eine gute Organisation."

Angesichts ständiger militärischer Angriffe der Versailler rückte die Verteidigung der Kommune anfang April in den Vordergrund des Geschehens. Nach dem 7. April wurde Paris fortwährend vom Kugelhagel der Versailler Kanonen bombardiert. Marx schrieb dazu:

"... und zwar von denselben Leuten, die das Bombardement derselben Stadt durch die Preußen als eine Heiligtumschändung gebrandmarkt hatten.'' <(71)

Bereits am 2. April nahmen die Truppen Thiers einen Überraschungsangriff gegen Paris, das sich in Sicherheit wähnte, die Festung von Courbevoie ein und zogen sich nach Einnahme der Festung wieder zurück. Die Pariser Nationalgardisten unter der Führung von Duval waren begreiflicherweise nicht der Meinung eine derartige Aggression hinnehmen zu müssen und beschlossen die Gegenoffensive einzuleiten und Versailles am 3. April anzugreifen. Man beging jedoch den Fehler, den Rat der Kommune nicht davon zu unterrichten.

Als eine der drei Kolonnen das Fort von Mont Valérien passierte, dessen Neutralität sicher zu sein schien, eröffnete die Artillerie in Unkenntnis der Lage das Feuer auf die eigenen Truppen, so daß ein Teil der Kolonnen gezwungen war den Vormarsch auf Versailles vorerst abzublasen, während der andere Teil bis auf sechs Kilometer nach Versailles vorstieß; der sich dann unter dem Druck des zahlenmäßig, überlegenen Gegners wieder zurückziehen mußte. Diese offene Niederlage, abgesehen vom unheilvollen Eingreifen des Fort du Mont Valérien, war eine Operation mit zahlenmäßig zu schwachen Kräften.

Sie gibt aber ein symptomatisches Bild vom Zustand und Grad der Organisiertheit der Nationalgarde, die kurz vor der großen militärischen Auseinandersetzung mit Versailles stand. Vom 4.-11. April trat eine Pause in die Kampfhandlungen ein. Versailles versuchte währenddessen Paris weiter einzuschüchtern. So wurden in Versailles 10 der gefangenen Nationalgardisten, unter ihnen Duval, an die Wand gestellt und ohne jedes Urteil erschossen. Die Kommune protestierte gegen die Erschießung der Gefangenen und verabschiedete am 5. April das Dekret über die Geiseln. in Art.1 heißt es:

"Jede des Einverständnisses mit Versailles verdächtige Person wird unverzüglich unter Anklage gestellt und gefangengesetzt."< (72)

Art. 5 lautete: "Jede Hinrichtung eines Kriegsgefangenen oder eines Anhängers der regulären Regierung der Kommune von Paris wird auf der Stelle die Hinrichtung der dreifachen Zahl von Geiseln zur Folge haben.'' (73)

Gleichzeitig ließ die Kommune den Erzbischof von Paris sowie etliche andere Geistliche in Haft nehmen. Daraufhin richtete der Erzbischof aus seiner Zelle einer: Brief an Thiers, in dem er sich unter anderem darüber beklagte das die Soldaten Thiers gefangene und verwundete Nationalgardisten erschossen hatte, und forderte Thiers auf diesen Greueltaten ein Ende zu setzen. Die Kommune sorgte nicht nur für die sofortige Beförderung des Schreibens, darüberhinaus erklärte sie ihre ausdrücklich Bereitschaft sämtliche in ihrer Hand befindlichen Geiseln gegen einen einzigen in Versailles befindlichen Gefangenen auszutauschen. Dieser Gefangene war Blanqui.

Wiederum durch die Vermittlung des Erzbischofs wurde Thiers von diesem Angebot in Kenntnis gesetzt. Am 12. April richtete also der Erzbischof seinen zweiten Brief an Thiers und unterrichtete ihn von dem Vorschlag der Kommune.

Unglücklicherweise jedoch hatte Thiers an dem Gefangenenaustausch überhaupt kein Interesse, da er einerseits ­ nicht ohne Grund ­ befürchtete, daß Blanqui den Versaillern überaus gefährlich werden könnte, sobald er frei sei, und andererseits dürfte Thiers sich ernsthaft überlegt haben, ob nicht, wie Marx es ausdrückte, "der Erzbischof seinen Zwecken am besten dienen würde als Leiche".

Der Erzbischof war den Versaillern schon lange ein Dorn im Auge gewesen und hier bot es sich nun für Thiers an, ihn nicht nur ein für allemal los und "seiner einträglichen Pfründe habhaft zu werden" (Marx), sondern obendrein noch zu einem Märtyrer zu kommen. Um aber sein Gesicht nicht völlig zu verlieren, bediente er sich eines Tricks. Er ignorierte den Vorschlag der Kommune und tat so, als hätte er den zweiten Brief des Erzbischofs nie erhalten, und beantwortete nur den ersten Brief, diesen aber dafür um so salbungsvoller. Wohlweislich datierte er den Brief nicht.Monseigneur!

Ich habe den Brief erhalten, welchen mir der Herr Pfarrer vom Montmatre ihrerseits zugestellt hat, und ich beeile mich, ihnen mit der Aufrichtigkeit zu. antworten, welcher ich immer treu bleiben werde. Die Tatsachen, auf die sie meine Aufmerksamkeit hinlenken, sind vollständig falsch, und ich bin wahrhaft erstaunt, daß so ein erleuchteter Prälat wie Sie, Monseigneur, auch nur einen Augenblick glauben konnten, daß ihnen irgendwelche Wahrheit zugrunde läge. Niemals hat die Armee die gehässigen Verbrechen begangen, die ihr Männer zur Last legen, die entweder freiwillige Verleumder oder irregeleitet sind durch die Lügen, in deren Mitte man sie leben läßt. Niemals haben unsere Soldaten Gefangene erschossen oder Verwundete auf dem Schlachtfeld hingemordet...

Ich weise daher, Monseigneur, die Verleumdungen, von welchen man zu Ihnen gesprochen, zurück; ich bekräftige, daß unsere Soldaten niemals die Gefangenen erschossen haben, daß alle Opfer dieses schrecklichen Bürgerkrieges in der Hitze des Kampfes gefallen sind, daß unsere Soldaten nach wie vor von jenen Prinzipien der Humanität inspiriert sind, die uns alle beseelen und die allein den Überzeugungen und Gesinnungen der frei gewählten Regierung, die ich zu repräsentieren die Ehre habe, würdig sind.( ... ) Empfangen Sie, Monseigneur, den Ausdruck meiner Achtung und des Schmerzes, den ich empfinde, Sie als Opfer jenes scheußlichen Systems der Geiseln zu sehen, welches von der Schreckensherrschaft übernommen wurde und das, wie es scheint, nun wieder zu uns zurückkehren soll.Der Präsident des Ministerrates, A. Thiers" (74)

Der hier erwähnte "Pfarrer von Montmatre", der Thiers den zweiten Brief überbrachte, blieb in Versailles, obwohl er den Kommunarden und vor allem dem Erzbischof zuvor versichert hatte, wieder nach Paris zurückzukehren.Die Hauptoffensive der Versailler begann am 11. April, einen Monat nach ihrer Vertreibung aus Paris. Versailles war inzwischen auf dem Höhepunkt seiner militärischen Macht angelangt und besetzte nun strategisch wichtige Punkte um Paris. Dieser plötzlichen Entfaltung militärischer Macht hatte die Kommune nicht viel entgegenzusetzen. Die Kommune hatte nicht viel Zeit gehabt, um aus der Nationalgarde eine schlagkräftige Bürgerkriegsarmee zu machen, die dem militärisch besser ausgebildetem Heer der Versailler ebenbürtig war. Die kriegstechnisch erfahrenen Offiziere standen unter dem Kommando Thiers.

Die 200 Bataillone der Nationalgarde waren nur bedingt einsatzfähig. Eine wirkungsvolle Organisierung der Verteidigung von Paris scheiterte letztlich auch an dem Zwiespalt der im Rat der Kommune vertretenen politischen Gruppierungen. Allein schon die kommentarlose Aufzählung des waffentechnischen Potentials, das die Nationalgarde zwar in ihrer Hand hatte, jedoch nicht wirkungsvoll oder gar nicht einzusetzen verstand, sagt fast alles über die Qualität ihrer obersten militärischen Führung. Paris war eingekesselt, einerseits von den es belagernden preußischen Truppen und andererseits von den mit Preußen paktierenden Versaillern. Die Kommune wandte sich in diesem Stadium an die Provinz und rief zu Widerstand gegen die Unterdrücker auf.




Anmerkungen:

66 Blanqui, 1868 zitiert in "Die großen 72 Tage" /Jean Villain
67 "Die Pariser Kommune von 1871" Berlin 1971, S. 185
69 "Die großen 72 Tage" Jean Villain, Berlin 1971, S. 291
70 ebenda
71 Karl Marx, Marx/Engels Werke, Bd.17 S. 620
72 "Die Pariser Kommune 1871" Berlin 1971, S. 194
73 "Die Pariser Kommune 1871", Berlin 1971, 3.19474 "Die großen 72 Tage", S. 284



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