Start

Beiträge zur Geschichte  









Holzschnitt

Fortsetzung 12

Marlis Meergans, Eberhard Noll

Die Pariser Kommune

Die Provinzaufstände


Da Paris durch die eiserne Umklammerung weitgehend von den revolutionären Erhebungen in der Provinz und in den großen Städten isoliert war, bestand eine dringende Notwendigkeit darin, den Kontakt zu diesen Erhebungen herzustellen um die geballte militärische Kraft Versailles von Paris abzuwenden. In den großen Städten waren zur fast gleichen Zeit wie in Paris Kommunen ausgerufen worden. In Lyon am 22. März, in Marseille und Toulouse am 23. ,in Narbonne und Saint Etienne am 24., in Le Creusot am 26. Lind schließlich in Limoges am 4. April. Aber auch in den ländlichen Gebieten entfaltete sich der Widerstand. Dieser Widerstand und alle revolutionären Erhebungen in den Städten wurden immer wieder gewaltsam von den Versaillern erstickt. Die Kommune von Lyon konnte sich 3 Tage halten, Marseille 12 Tage, Toulouse 4 Tage, Narbonne 8, Le Creusot 2 und Limoges einen Tag. Auch in den großen Städten war zu beobachten, daß die Aufstände isoliert waren. Als Thiers am 11. April seine große Offensive gegen Paris begann war die Provinz bereits im Blut der Aufständischen erstickt. Doch immer wieder rief Paris zum Widerstand gegen Versailles auf. In diesem Zusammenhang steht auch eine Flugschrift, in der es unter anderem hieß:

"An die Arbeiter auf dem Lande! Bruder man betrügt Dich. Unsere Interessen sind dieselben. Das, was ich fordere, willst auch Du. Die Befreiung, die ich verlange, ist auch die Deine.( ... ) Was kommt es darauf an, ob die Bedrücker Großgrundbesitzer oder Industrieunternehmer heißen? Bei Dir wie bei uns ist der Tag lang und bringt nicht einmal soviel, wie die leiblichen Bedürfnisse verlangen.(...) Paris wünscht schließlich, hör' gut zu, Landarbeiter, armer Tagelöhner, Kleiner Besitzer, den der Wucher auffrißt, Halbpächter und Pächter, Ihr alle, die ihr sät, erntet und Euren Schweiß vergißt, damit der Hauptteil Eurer Güter jemandem zufalle, der gar nichts tut ­ Paris will zu guter Letzt den Bauern den Boden, dem Arbeiter das Werkzeug. (...) Den Krieg, den Paris jetzt führt, ist ein Krieg gegen den Wucher, gegen die Lüge,und gegen die Faulheit. Man sagt Euch: Die Pariser, die Sozialisten, wollen alles aufteilen. Nun Ihr guten Leute, seht Ihr nicht, wer das zu Euch sagt? Sind nicht diejenigen die Enteigner und Teiler, die nichts tun und von der Arbeit anderer leben? (...) Was auch kommen mag, merkt Euch diese Worte ­ denn es wird solange Revolutionen in der Welt geben, so lange nicht die Losung gilt: Die Erde dem Bauern, das Werkzeug dem Arbeiter, die Arbeit für alle.

Die Arbeiter von Paris " (75)

Ähnliche Aufrufe, Wie der "An die großen Städte" (aux grandes villes), folgten. Am 6. April beschloß die Kommune eine Delegation nach Marseille zu entsenden, deren Aufständische sich 12 Tage gehalten hatten, aber es war bereits zu spät. Obwohl die Aufstände in den Provinzen keine militärische Bedeutung hatten, so zeigten sie doch, daß die Pariser Kommune trotz ihrer, Isolierung von den Unterdrückten im übrigen Frankreich begrüßt wurde. Noch heute stellen die bürgerlichen Historiker die Pariser Ereignisse des Jahres 1871 als einen Auswuchs in der Geschichte Frankreichs dar; und um die Sache abzurunden, vergessen sie dabei geflissentlicherweise die Aufstände in den Provinzen.

Am 25. April nahmen 53 Batterien der Versailler die Beschießung des Forts von Issy auf, so daß am 1. Mai die Truppen der Versailler bis auf 300 Meter an das Fort herangerückt waren. In diesen 6 Tagen hatten nicht weniger als 293 Belagerungsgeschütze das Fort unter Beschuß genommen, wobei jedes ca. 400 Granaten abgeschossen hatte. Man kann sich das Ausmaß der Zerstörung vorstellen, dennoch beantwortete der Kommandant der Festung eine Kapitulationsaufforderung mit folgenden Worten:

"Mein lieber Kamerad, wenn Sie noch einmal so unverschämte Aufforderungen schicken, wie sie in Ihrem gestrigen Brief enthalten waren, werde ich den Überbringer nach Kriegsbrauch erschießen lassen.

Ihr ergebener Kamerad Rossel" (76)

Die Ausmaße dieses ungleichen Kampfes schildert ein Soldat der Festung in seinen Tagebuchnotizen:

"6. Mai. ­ Die Battery von Fleury schickt uns regelmäßig alle fünf Minuten ihre sechs Schüsse. ­ Man bringt soeben eine Marketenderin in die Ambulanz, die eine Kugel in die linke Weiche erhalten hat. Seit vier Tagen sind drei Frauen hier, die in den stärksten Kugelregen gehen, um die Verwundeter. fortzuschaffen. Jene wird sterben und hat uns ihre zwei Kinder anempfohlen. ­ Keine Lebensmittel mehr. Wir essen nur noch Pferdefleisch. ­ Abends: Der Wall ist nicht mehr zu halten.

7. Mai. ­ Wir erhalten bis zu zehn Granaten in der Minute. Die Wälle sind völlig entblößt. Alle Geschütze bis auf zwei oder drei sind außer Gefecht gesetzt. ­ Die Versailler haben sich fast bis zu uns herangearbeitet. ­ Wir haben weitere dreißig Tote. ­ Wir sind an dem Punkt eingeschlossen zu werden ..." (77)

Am 9. Mai fiel das Fort nach einem 15­tägigen Dauerbombardement. Nach der Einnahme des Fort von Issy stießen die Versailler gegen das Bois de Boulogne und den Pont­du­Jour vor, nachdem schon am 8. Mai 70 Geschütze das Feuer auf die letztere Stellung eröffnet hatten. Am 13. Mai fiel das Fort Vauvres. Zur selben Zeit da vor den Toren von Paris gekämpft wurde, beschossen die Versailler die Stadt mit großem Aufwand. Vom 4. April bis zum 21. Mai trafen viermal soviel Granaten Paris, als während der ganzen viermonatigen Belagerung von Paris durch die Preußen. Was Thiers wiederum nicht daran hinderte nach allen Seiten zu versichern, daß nichts ihm ferner liegen würde, als Paris zu bombardieren. Vor einer Delegation von Provinzbürgermeistern erklärte er beispielsweise: "Die Behauptung, daß wir auf Paris schießen lassen, ist falsch, absolut falsch. In Wahrheit sind es die Kommunarden, die dieses ungeheure Artilleriegedröhn veranstalten, um glauben zu machen, daß sie in der Lage waren Schlachten zu liefern... " (78)

Das Ende der Kommune (Die Blutwoche)

Am 17. Mai drangen die Versailler weiter nach Paris vor. Fünf Stadtteile lagen unter den Beschüssen ihrer Kanonen; und am 18. Mai überrumpeln die Versailler Truppen in Cachan die Streitkräfte der Kommune dadurch, daß sie mit dem Ruf: 'Es lebe die Kommune' auf sie zugingen. Freitag, der 19. Mai: Versailles beschießt mit nicht weniger als 300 Geschützen die Wälle am Bois de Boulogne. 75 Einschläge pro Minute schießen die Stellungen sturmreif. Es war aber kein Kanonendonner, der die Agonie der Kommune einleitete ­ lediglich ein Bettlaken wurde geschwenkt:

"Von einem kleinen Finanzbeamten und Amateurspion namens Ducatel, der am Nachmittag des 21. Mai, eine Feuerpause nutzend, aufs Geratewohl in der Nähe der Porte de Saint­Cloud herumgestrolcht war und dabei, soweit das Auge reichte, nicht eine Menschenseele der Föderierten in den Stellungen entdeckt hatte."(79)

"Er kletterte auf die Bastion 64" schreibt Lissagaray, "schwenkte ein weißes Tuch und rief den Soldaten in den Laufgräben zu: 'Nur herein es ist niemand da!' ­ Ein Marineoffizier (Der Versailler) erschien, befragte Ducatel, überschritt die Reste der Zugbrücke und Überzeugte sich, daß die Basteien und die benachbarten Häuser völlig verlassen waren. Der Offizier kehrte sogleich in den Laufgraben zurück und telegrafierte die Nachricht an die nächsten Generäle. Die Breschbatterien stellten ihr Feuer ein. Die Soldaten aus den benachbarten Laufgräben drangen in kleinen Abteilungen in den Stadtgürtel ein." (80)

Es war der Verrat vom 21. Mai, der es den Versailler Truppen ermöglichte in die Stadt einzudringen. Vorerst konnten zwar die Versailler aufgehalten werden, aber ihr Vorstoß war von entscheidender Bedeutung. Am 23. Mai 1871 begann mit dem Kampf um Montmatre eines der dunkelsten Kapitel der Geschichte der Kommune.

Mac Mahon, General der versailler Truppen, gelang mit einer Truppenstärke von zwei Armeekorps der Durchbruch durch weitere Stellungen der Kommune. Unter dem Hagel des Artilleriefeuers fiel Barrikade um Barrikade. Ein großer Teil. von Paris fiel in die Hände der Versailler. Am 24. Mai erschien die letzte Nummer des "Journal Officiel"; in einem Aufruf der Kommune hieß es:

"Der Feind ist nicht dank seiner Stärke, sondern mit Hilfe von Verrätern in die Stadt eingedrungen. Der Mut und die Energie der Pariser werden ihn zurückschlagen (...) Alle auf die Barrikaden! Läutet Sturm, laßt alle Glocken dröhnen und alle Kanonen donnern, solange auch nur noch ein einziger Feind in der Stadt ist!

Dieser Krieg ist furchtbar, denn der Feind kennt kein Erbarmen. (...) Der vollständige Sieg ist die einzige Aussicht auf Rettung, die dieser erbarmungslose Feind uns laßt. Erringen wir den Sieg durch Einigkeit und Opferbereitschaft! Möge Paris heute seine Pflicht tun! Morgen wird ganz Frankreich ihm nacheifern!" (81)

Am Abend des 25. Mai war der von der Kommune noch beherrschte Teil der Stadt weiter zusammengeschrumpft. Der Kommune blieben noch der 19. und der 20. Bezirk und vom 11. und 13. ungefähr die Hälfte.

Währenddessen wurde das Massaker der Versailler fortgesetzt. Gefangene Nationalgardisten wurden erschossen aber auch Zivilisten. Thiers feierte in den Vorstädten die Blutrache. Von Versailles aus waren die Kämpfe mit bloßem Auge zu sehen und vor der Szenerie einer brennenden Stadt feierte die Bourgeoisie bereits ihr Siegesfest.

Am 26. Mai verlor der Widerstand der Kommune immer mehr an Organisiertheit. Die meisten Ratsmitglieder der Kommune standen selbst auf den Barrikaden.

"Die hemmungslose Mordgier der Versailler brachte die Zeitung "Le Siécle" dazu, an diesem Tage zu schreiben: 'Es ist ein tobsüchtiger Wahnsinn. Man macht keinen Unterschied mehr zwischen dem Schuldigen und Unschuldigen. In aller Augen lauert der Verdacht. Die Denunziationen nehmen überhand. Das Leben der Bürger hängt nur noch an einem Haar. Wegen eines Ja oder wegen eines Neins kann man festgenommen und erschossen werden.' " ( 82)

(Gemeint sind hier die Zustände in den von Versailles besetzten Teilen von Paris)

Am selben Tag "wurden Gefangene der Kommune aus dem Roquett-Gefängnis nach der Rue Haxo gebracht. Es handelte sich um 50 Geiseln, deren Geleit durch die Straßen des 20. Bezirks die Empörung der Bevölkerung erregte. In dieser Atmosphäre wurden sie, übrigens ohne ausdrücklichen Befehl, erschossen, aber wie sollte man kein Verständnis für die Wut der Pariser haben, die genau wußten, daß die Gefangenen Kommunarden von den Versaillern systematisch ermordet wurden." (83)

Das Operationsgebiet der zum Zurückweichen gezwungenen Föderierten wurde immer winziger. Auf dem Friedhof Père­Lachaise lieferten die Soldaten der Kommune ihr letztes Gefecht. Nachdem das Tor des Friedhofes zusammengebrochen war, ging der Kampf auf den Gräbern und in den Grabgewölben weiter.

In der Stellung des 20. Bezirks nahmen Ferré, Varlin, Ranvier und Jourde, die ihrem Mandat als Abgeordnete der Kommune bis zuletzt die Treue hielten, an den letzten Kämpfen teil. Sie waren durch die unablässigen Kämpfe erschöpft und hatten keine Hoffnung mehr. Was aber blieb ihnen übrig als bis zuletzt zu kämpfen? Die Blutgier der Versailler äußerte sich in einer Weise, daß die Londoner "Times" vom 27. Mai schrieb. "Die Partei der Ordnung (gemeint sind die Versailler), deren Feigheit die Hauptursache des Krieges war, zeichnet sich jetzt durch ihre Blutgier aus. Überall werden die Häuser nach Aufständischen durchsucht, und viele von denen, die sie finden, werden erschossen." (84)

Am 28. Mai um 8 Uhr morgens besetzten die Versailler das Rathaus des 20. Bezirks. Um 10 Uhr gab es nur noch schwachen Widerstand. An einigen Barrikaden im 11. Bezirk wurde noch immer gekämpft. Paris erlebte den letzten Kampf auf der letzten Barrikade. Lissagaray hat ihn mit bewegenden Worten geschildert: "Um 10 Uhr haben die Föderierten beinahe keine Kanone mehr und sind von zwei Dritteln der Armee eingeschlossen. Sie verzagen trotzdem nicht.

(...) Die Versailler Artillerie beschießt sie, bis die Föderierten ihre Munition verbraucht haben. Als die letzte Patrone verschossen ist, stürzen sie sich, mit Kugeln überschüttet, in die Bajonette, von denen sie umzingelt sind. (...) Die letzte Barrikade der Maitage ist in der Rue Ramponneau, die eine Viertelstunde lang von einem einzigen Föderierten verteidigt wird.(...) Um 11. Uhr war alles aus." (85)

Am 28. Mai verkündete Mac Mahon den ersten Tagesbefehl für das besiegte Paris. "Die Armee Frankreichs hat euch gerettet, Paris ist befreit. Um 4 Uhr haben unsere Soldaten die letzten noch von den Aufständischen besetzten Stellungen genommen. Heute ist der Kampf beendet. Ordnung, Arbeit und Sicherheit werden wiederkehren." (86)

Varlin, Mitglied des Rates der Kommune, wurde von einem Geistlichen erkannt und denunziert. Er wurde von den Versaillern erschossen, doch zuvor wurde sein Haupt so grauenhaft zu einer Fleischmasse zerstümmelt, daß die Augen aus den Höhlen hingen. Paris schwamm im Blut der Kommunarden. Die Verbrechen der Versailler wurden von der Reaktion sogar als Heldentaten, gefeiert.

"Le Figaro", der schon damals so reaktionär war wie heute, schrieb an jenem 28. Mai: "Was ist ein Republikaner? Ein wildes Tier. Wer ein anständiger Mensch ist, schlägt zu, um das demokratische Ungeziefer auszurotten." (87)

Am 25. Mai 1871 - der Endkampf der Kommunarden hatte gerade begonnen - schleuderte August Bebel der reaktionären Mehrheit des Reichstages die flammenden Worte entgegen:
"Meine Herren, ... seien Sie fest überzeugt, das ganze europäische Proletariat und alles, was noch ein Gefühl für Freiheit und Unabhängigkeit in der Brust trägt, sieht auf Paris ..., und wenn auch im Augenblick Paris unterdrückt ist, dann erinnere ich Sie daran, daß der Kampf in Paris nur ein kleines Vorpostengefecht ist, daß die Hauptsache in Europa uns noch bevorsteht und daß, ehe wenige Jahrzehnte vergehen, der Schlachtruf des Pariser Proletariats, 'Krieg den Palästen, Friede den Hütten, Tod der Not und dem Müßiggange!' der Schlachtruf des gesamten europäischen Proletariats werden wird."

Das "Journal des Débats" stellte zynisch fest: "Unsere Armee hat ihre Niederlagen durch einen unschätzbaren Sieg gerächt " (88)

In Paris nahm die Blutorgie der Versailler einen Umfang an, den sogar die regierungsfreundlichen Zeitungen nicht verhehlen konnten. Am 30. Mai meldete die Zeitung "Le Siécle":

"Alle Angeklagten werden einem summarischen Verhör unterworfen. Dann verkündet der Vorsitzende das Urteil. Wird der Schuldige als Normalfall eingestuft, bringt man ihn nach Satory. Wird er dagegen als Sonderfall betrachtet, führt man ihn in einen Nebenraum, in dem er vor seiner Erschießung ein paar Worte mit dem Geistlichen wechseln darf." (89)

Am selben Tage schrieb die Zeitung "La Liberté": "Die Kriegsgerichte arbeiten in Paris an verschiedenen Stellen mit unerhörter Aktivität. In der Lobau­Kaserne und in der Militärschule krachen ständig die Salven der Exekutionskommandos. So rechnet man mit den Elenden ab, die offen am Kampf teilgenommen haben." (90)

Am darauffolgenden Tage, dem 31. Mai, schrieb Emile Zola in der Zeitung "Le Sémaphore": "Ich habe einen Spaziergang durch Paris machen können.(...) ich will ihnen nur von den Leichenhaufen erzählen, die man unter den Brücken aufgeschichtet hat. Nein, niemals werde ich vergessen, wie entsetzlich sich mir das Herz zusammenkrampfte beim Anblick dieser Haufen blutigen Menschenfleisches, die man einfach auf die Treidelpfade geworfen hat. Die Köpfe und Gliedmaßen liegen in grausigem Durcheinander. Aus den Haufen schauen krampfhaft verzerrte Gesichter hervor(...) Es gibt Tote, die aussehen, als ob man sie in zwei Teile zerschnitten habe; Andere wieder scheinen vier Beine und vier Arme zu haben." (91)

Die Bluttaten der Versailler erregten aber auch im Ausland starke Empörung. Selbst die bürgerlichen Blätter der ausländischen Presse konnten die Wahrheit nicht verheimlichen. "L'Indépendance belge", 27. Mai: "Im Jardin du Luxembourg, im Park Monceau, am Turm St. Jacque hatte man riesige Gruben ausgehoben und mit ungelöschtem Kalk gefüllt. Dorthin wurden die Aufständischen, Männer wie Frauen, geführt, (...) Das Exekutionskommando feuerte, eine Rauchwolke stieg empor (...) Die Grube und der Kalk taten sich auf und schlossen sich wieder Über ihrer Beute." (92)

"Times", 26 . Mai: "Viele Frauen und kleine Kinder sind im Luxembourg erschossen worden." (93)

Evening Standard": "Man wird wohl kaum genau erfahren können, wie viele Menschen bei der noch immer andauernden Schlächterei ums Leben gekommen sind; denn die Gefangenen, die man erschießt, werden durch das Los bestimmt und dann kreuz und quer in eigens zu diesem Zweck ausgehobene Gruben geworfen." (94)

"Reuter", 28. Mai: "In den Kasernen beim Stadthaus sind gestern während des ganzen Nachmittags die Verteidiger der Kommune erschossen worden. Nach jeder Salve fuhren geschlossene Krankenwagen heran, in die die Leichen hineingeworfen wurden." (95)

"Le Francais": "An der Börse haben heute die meisten Exekutionen stattgefunden. (...) Wer sich wehren wollte, wurde an die Gittertore gebunden." (96)

"Le Siécle'', 27. Mai: "Unsere Soldaten geben kein Pardon mehr. Erbarmungslos werden alle niedergemacht, die ihnen in die Hände fallen. Man kann sich vorstellen, wie viele Tote es dabei gibt." (97)

Einen der bösartigsten Henker der Kommune war General Gallifet, den Bismarck aus der Gefangenschaft ließ, um ihn am Kampf gegen die verhaßte Kommune teilnehmen zu lassen. Gallifet Kriterium dafür, wer zu erschießen sei, war einfach: "Der Kerl da sieht intelligent aus, legt ihn um!'' (98)

Über eines seiner Verbrechen berichten elf Augenzeugen: "Ein Zug von Gefangenen war auf dem Wege vom Boulevard Malesherbes nach Versailles. Am Schloß von La Muette wurde er angehalten, und Gallifet wählte 83 Männer und 3 Frauen aus, die an der Böschung erschossen wurden. Nach dieser Heldentat erklärte uns der General: 'Ich heiße Gallifet. Eure Pariser Zeitungen haben mich mit Dreck beworfen. Dafür räche ich mich jetzt,' Dann wurde der Rest des Zuges nach Versailles geführt. Unterwegs wurden drei Frauen und zwei Männer, die vor Erschöpfung nicht mehr laufen konnten, von den Polizisten niedergestochen, die den Zug begleiteten." (99)

Noch Anfang Juni kam es zu wahllosen Exekutionen auf dem Friedhof Père­Lachaise. Camille Pelletan, ein Zeitgenosse der Kommune, schrieb in seinem Buch "Die Maiwoche": "Das Massaker vom Mai muß besonders erwähnt werden. Es gibt nichts Ähnliches in unserer ganzen Geschichte. " (100)

Pelletan vergleicht die Zahl der in der Blutwoche Ermordeten mit der Zahl der Toten, die die Französische Revolution von 1789 gefordert hat, und kommt zu den Schluß: "Auf welche Zahl kommen wir? Auf höchstens 12.000 für die ganze Revolution in ganz Frankreich (1789). Das ist wenig mehr als ein Drittel der Zahl derjenigen, die allein in der Maiwoche in Paris ums Leben gekommen sind! Und es sind noch 5.000 weniger als die 17.000 Opfer, die die Mörder selbst zugegeben haben!" (101)

Statistik des Terrors der Maiwoche

    30.000 Menschen wurden ermordet

    40.000 wurden eingekerkert oder zu Zwangsarbeit verurteilt

Die wichtigsten Berufsgruppen der vom Kriegsgericht verurteilten Kommunarden

    2.901 Schriftsteller
    2.683 Tischler
    2.664 Schlosser, Mechaniker
    2.233 Maurer
    1.938 Schuster, Lederarbeiter
    1.265 Angestellte
    1.049 Steinmetzen, Bildhauer
    1.022 Maler, Tapetenarbeiter
    925 Buchbinder, Druckereiarbeiter
    884 Schneider, Hutmacher
    206 Schneiderinnen
    690 Goldarbeiter, Vergolder
    608 Klempner, Gießereiarbeiter
    179 Uhrmacher.
    106 Lehrer (102)

Gambetta, der Wortführer der nach 1871 tonangebenden "neuen bürgerlichen Gesellschaftsschichten", behauptete nach der Zerschlagung der Kommune mit aller Entschiedenheit: "Es gibt keine soziale Frage!''(103) Und auch Flaubert glaubte: "Was den Sozialismus betrifft, so ist er für lange Zeit gestorben." (104)

Alle täuschten sich. Durch die Feder Eugène Pottiers, der, in Paris versteckt, im Juni 1871 die "Internationale" schrieb und komponierte, antwortete ihnen die Geschichte:


Man hat sie an die Wand gestellt

und tausendmal erschossen

und brüllend zog die Unterwelt

ihr Banner durch die Gossen.

der Henker hob es aus dem Kot.

und schrie. das ist die Sühne!

doch trotz Verbot,

sie ist nicht tot,

sie lebt noch: die Kommune!







Anmerkungen:

75 F. Krause "Pariser Commune" Frankfurt a/M 1971, S. 67
76 "Die Großen 72 Tage", Berlin 1971, S. 291
77 ebenda S. 294
78 ebenda
79 ebenda S. 301
80 Prosper Lissagaray, "Die Pariser Commune" ed. suhrk., S. 293
81 Jaques Duclos, "Himmelsstürmer", Berlin 1963, S. 217
82 ebenda S. 217
83 ebenda S. 224
84 ebenda S. 226­227
85 Prosper Lissagaray/ "Geschichte der Commune von 1871", ed. suhrk. S. 385
86 Jacques Duelos/"Himmelsstürmer" Berlin 1963, S. 228
87 ebenda
88 ebenda S. 229
89 ebenda
90 ebenda
91 ebenda S. 230
92 ebenda S. 234
93 ebenda
94 ebenda
95 ebenda
96 ebenda S. 235
97 ebenda
98 ebenda
99 ebenda S. 238
100 ebenda
101 ebenda
102 Geschichte 8 (DDR Geschichtsbuch) Berlin 1971
103 Die Pariser Kommune 1871, Berlin 1971, S. 244
104 ebenda












 

GLASNOST, Berlin 1992 - 2019