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Marlis Meergans, Eberhard NollDie Pariser KommuneDie 72 Tage der Pariser Kommune.
VorgeschichteDie Pariser Kommune war das Ergebnis der verschärften Klassenkämpfe zwischen Bourgeoisie und aufstrebenden Proletariat; sie ist zu sehen als Konsequenz der revolutionären Vergangenheit Frankreichs seit 1789 und im besonderen der Jahre 1830 bis 1870. "Liest man einen Bericht über die Kommune" so meinte der Kommunarde Vaillant, "der beim 18. März (1871; die Red.) beginnt, so hat man den Eindruck einer spontanen und folglich unverständlichen Entstehung von mehr oder weniger genauen Fakten. Die Geschichte der Kommune wird erst verständlich durch die Geschichte der Ereignisse, die ihr vorausgegangen sind und sie hervorgebracht haben."(1) Vom 27. bis 29. Juli 1830 stürzte das aufsteigende Bürgertum und die junge französische Arbeiterschaft, das durch den Wiener Kongress erneut an die Macht gelangten bourbonischen Königshaus und den feudalen Adel. Damit war vor allem der französischen Großbourgeoisie der Weg zur politischen Macht (die ökonomische hatte sie bereits) in Frankreich geebnet, deren Oberhaupt nun der Bürgerkönig Louis Philippe wurde. " Nach der Julirevolution, als der liberale Bankier Laffitte seinen Compère (Helfershelfer; die Red.) , im Triumph auf das Hotel de Ville (Rathaus von Paris; die Red.) geleitete, ließ er das Wort fallen: 'von nun an werden die Bankiers herrschen!' "(2) Die Julirevolution stellte den Sieg der Finanzbourgeoisie über die Großgrundbesitzer dar. Die Finanzleute und Bankiers, wie Laffitte und Pèrier, Humann und Rothschild, beherrschten von nun an den Staat, nachdem sie zum Teil schon vor ihrer Machtübernahme sich mit dem Adel vermählt hatten und somit buchstäblich die Macht im Staat als Mitgift übernommen hatten. In den folgenden Jahren bis 1848 schloß die Finanzbourgeoisie ein Bündnis mit den Eisenbahnkönigen und übernahm zum Teil selbst großen Eisenbahnbesitz. "Keine Gesellschaft kann eine Aristokratie entbehren", erklärte der Großindustrielle Jaubert im Jahre 1836, "jede Regierung braucht eine. Wollen sie wissen, welche die der Juliregierung ist, es ist die der Großindustriellen; sie sind der Lehnsadel der neuen Dynastie". (3) Die französische Industrie entwickelte sich überaus rasch und verdrängte mehr und mehr die manuelle Arbeit. Diese Entwicklung des Kapitalismus führte gleichzeitig zu einer ungeheuren Ausbeutung des Proletariats. Die grassierende Arbeitslosigkeit in den Städten fiel zusammen mit deren Überbevölkerung. Die Arbeitsbedingungen, unter denen bis zu 16 Stunden am Tage auch Frauen und Kinder zu Hungerslöhnen arbeiten müßten, waren katastrophal. Die Unzufriedenheit der Arbeiterklasse führte schließlich zu Unruhen, die in den Lyoner Aufständen der Jahre 1831 und 34 gipfelten. Sie standen unter der Parole, "Arbeitend leben oder kämpfend sterben !"(4) "Es liegt kein Grund vor", gestand sogar das großbürgerliche 'Journal des Débats' angesichts des offenen Ausbruch der gesellschaftlichen Widersprüche, "die Dinge zu verhehlen. ( ... ) Der Lyoner Aufstand hat ein wichtiges Geheimnis aufgedeckt: Den Kampf innerhalb der ,Gesellschaft zwischen der Klasse der Besitzenden und der Klasse der Besitzlosen. .." (5) Aber auch auf dem Land charakterisierte die Not die Lage der Bauern. Es gab ungefähr 3.750.000 Bauern, die durchschnittlich 5 Hektar besaßen, 350.000 die jeweils 35 Hektar besaßen und schließlich 100.000 Großgrundbesitzer, die das Los der kleinen Bauern unerträglich machten. (Abgaben an den Staat und die Großgrundbesitzer sowie Wucher- und Hypothekenzinsen). Trotz der Not war der Großteil der Landbevölkerung, wie sich auch später zeigen sollte, reaktionär gesinnt. Der Grund hierfür ist einerseits in der völligen Abgeschlossenheit der französischen Landbevölkerung vom öffentlichen Leben zu sehen. Andererseits ist die Bauernschaft die Ereignisse der französischen Revolution von 1789 und dem Aufkommen einer neuen revolutionären Klasse - dem Proletariat - in den politischen Hintergrund gerückt. Müde vom Revolutionswirrwar der Jahrhundertwende hatte es sich mit seinem Schicksal abgefunden und war jeder revolutionären Bewegung feindlich gesinnt. In den Städten trug die Not der Arbeiterklasse zu seiner Bewußtseinswerdung und Organisiertheit bei. Einer ihrer theoretischen Führer war der Schlosser Pierre Moreau, der in seiner Schrift "Die Reform der Mißstände des Gesellschaftsvereinswesens und die Verbesserung der Lage der Arbeiter" die Gründung von Gewerkschaften als Interessenvertreter des Proletariats forderte. Trotz ihres Verbots entstanden einige geheime Gesellschaften in Frankreich. August Blanqui (auf den wir im weiteren Verlauf noch zu sprechen kommen) war der Führer der bedeutensten dieser Gesellschaften (der "Gesellschaft der Jahreszeiten"). Unruhen nagten denn auch an den Wurzeln der Monarchie und die ersten Anzeichen einer drohenden Revolution wurden bereits 1846/47 sichtbar. Die europäische Krise des Jahres 1847 schließlich ebnete dieser neuen Revolution den weg. "Seht ihr denn nicht", warnte der Abgeordnete Tocqueville in einer Sitzung am 22. Januar 1848 die französischen Machthaber, "daß in der Arbeiterklasse die politischen Leidenschaften sozial geworden sind? Merkt ihr denn nicht, daß sich in ihre Köpfe nach und nach Ideen einschleichen, die zwar nicht gegen dieses oder jenes Gesetz, dieses oder jenes Ministerium gerichtet sind, die aber doch darauf hinauslaufen, die ganze Gesellschaft über den Haufen zu werfen ... Früher oder später werden diese Ideen eine fürchterliche Revolution herbeiführen... Wir schlafen auf einem Vulkan. " (6) Nur wenig später entlud sich dieser Vulkan, als am 24. Februar 1848 die 2. Französische Republik Louis Philippe vom Thron fegte und die Monarchie zerschlug. Auch diesmal stand die französische Arbeiterschaft an der Spitze der revolutionären Bewegung und wieder sollte sie an der politischen Macht nicht teilhaben; wenn auch anfangs sich die republikanische Bourgeoisie liberal gab und vorübergehende Zugeständnisse machte. So wurden "Nationale Werkstätten" eingerichtet und eine ständig tagende Arbeiterkommission gebildet. Als jedoch die Arbeitervertreter aus dieser von der Nationalversammlung ernannten Exekutivkommission faktisch ausgeschlossen und die endgültige Auflösung der "Nationalen Werkstätten'' beschlossen wurden, erhob sich das Pariser Proletariat am 21 Juni 1848 erneut. Es kämpfte für seine politischen Rechte, für eine demokratische und soziale Republik. Der bürgerliche General Cavaignac und der monarchistisch ausgerichtete Thiers erstickten die Erhebung der Arbeiter in einem Meer von Blut. Am 26. Juni 1848 telegrafierte Cavaignac um 14 Uhr frohlockend: "Der Vorort Saint-Antoine, letztes Widerstandsnest, ist genommen. Die Aufständischen sind niedergerungen, Der Kampf ist beendet. Die Ordnung hat über die Anarchie triumphiert. Es lebe die Republik." (7) Auf der Seite der bürgerlichen Republik "stand die Finanzaristokratie, die industrielle Bourgeoisie, der Mittelstand, die Kleinbürger, die Armee, das als Mobilgarde organisierte Lumpenproletariat(8), die geistigen Kapazitäten, die Pfaffen und die Landbevölkerung. " (9) Doch die Herrschaft der bürgerlichen Republikaner währte nicht lange und zerbrach schließlich unter dem Ansturm der royalistischen Kräfte. Die Wahl Louis Bonaparte zum Präsidenten von Frankreich am 10. Dezember 1848 war bereits ein Erfolg der antirepublikanischen Kräfte. "Napoleon der kleine", wie ihn Victor Hugo spöttisch nannte besetzte zunächst alle zur Verfügung stehenden politischen Ämter mit eingeschworenen Monarchisten. Im Mai 1850 drängte er sogar die Nationalversammlung zu einer Änderung des Wahlgesetzes zu seinen Gunsten. Das Parlament trat mehr und mehr in den politischen Hintergrund und wurde schließlich am 2. Dezember 1851 ganz aufgelöst. Genau ein Jahr später ließ er sich durch "Volksabstimmung", zum Kaiser der Franzosen proklamieren. Von nun an wurde Frankreich durch das Regime (10) der bonapartistischen Diktatur beherrscht. Napoleon III. vertrat die reaktionärsten Schichten der französischen Großbourgeoisie. Seine Macht stützte sich weitgehend auf die Armee, auf den mächtigen Polizeiapparat und auf eine starke staatliche Bürokratie. Unter seiner Herrschaft verschärften sich die Klassengegensätze in Frankreich. Die Verschärfung der Klassengegensätze unter Napoleon III.Gegen Ende der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts erschütterten Frankreich gewaltige Massenstreiks. Die Kapitalisten, die sich noch nie zuvor einer derartigen Kampfansage gegenübergesehen hatten, gerieten in Panik und forderten von Napoleon III. den Einsatz militärischer Gewalt. Napoleon, der hierin nicht zu Unrecht eine Gefahr für seinen ohnehin schon wackligen Thron sah, ließ sich nicht lange bitten. 13 Tote kamen auf sein Konto, als im Juni 1869 eine Armee-Einheit das Feuer auf die streikenden Arbeiter von Ricamarie eröffnete. Nur vier Monate später gab es erneut 14 Tote in Aubain. Dutzende solcher blutigen Zusammenstöße in fast allen übrigen Industriegebieten Frankreichs kennzeichneten die Verschärfung der Klassenkämpfe. Eines der spektakulärsten Ereignisse begann am 19. Januar 1870 in Le Creasot, der Hochburg des französischen Krupp, des Stahlkochers, Kanonengießers und Präsidenten des kaiserlichen Corps Législatif, Eugene Schneider. Streikende Arbeiter forderten neben höheren Löhnen auch eine Altersversorgung. Der Streik endete mit der Aussperrung von mehr als hundert Arbeiterführern, die größtenteils der eben erst entstandenen Ortssektion der Internationale(11) angehörten. Die industrielle Revolution hatte aus dem einstigen Agrarland Frankreich eine Industrienation gemacht. Zwischen 1830 und 1848 erweiterte sich das nationale Eisenbahnnetz von 38 auf 1832 km, stieg die Kohlenförderung von 1.800.000 t auf 4.200.000 t und die Eisenproduktion von 148.000 t auf 362.000 t; wuchs der Wert der Industrieausfuhr von 455.000.000 Francs auf 830.000.000 Francs. Den Preis für diesen in einzelnen Wirtschaftszweigen explosionsartigen Aufschwung bezahlte Frankreichs Proletariat mit Hunger und Elend. Zwischen 1825 und 1848 kam es zu 1251 gerichtlichen Verfahren gegen Arbeiter wegen Streikbeteiligung: Dabei wurden 7248 Arbeiter verurteilt. Noch hektischer als bis 1848 expandierte die Wirtschaft nach dem Staatsstreich vom Dezember 1851, der Louis Bonaparte die Stufen zum Kaisertron frei schoß und der Bourgeoisie (besser den berühmt-berüchtigten "deux cent familles"(12),) die Reichtümer brachte, die sie noch heute kontrollieren. Allein von 1851 bis 1858 vergrößerte sich das Eisenbahnnetz um das Doppelte und von 1851 bis 1869 die Kohlenförderung und der Außenhandel sogar um das Dreifache. Einige Ergebisse der industriellen Revolution:
Das Paris des Jahres 1860 zählte 416.000 Arbeiter, die zu Hungerlöhnen 14 bis 16 Stunden am Tag arbeiteten. Das Proletariat hatte aber nicht nur zahlenmäßig zugenommen. Streiks und Demonstrationen hatten der Bourgeoisie das fürchten gelehrt, deren Folge hysterische Reaktionen waren. So ließ der damalige Präfekt von Paris, Baron Haussmann, riesige Bezirke der winkligen Altstadt, die in der Hauptsache von den ärmeren Schichten bewohnt wurden, kurzerhand niederreißen. Im Zentrum fielen mehr als 20.000 Häuser der Spitzhacke zum Opfer. Auf dem dadurch frei gewordenen Gelände entstanden die großen Boulevards. Sie wurden jedoch nicht aus verkehrstechnischen Gründen so großzügig angelegt, vielmehr dachte Haussmann beim Einebnen der unübersichtlichen Altstadt an freies Schußfeld für Geschütze, da man mit weiteren Volksaufständen rechnete. Außerdem wurden die neuen Pariser Straßen auf Napoleons ausdrücklichen Geheiß mit Schotter bedeckt, um so dem Volk das Aufheben von Pflastersteinen und den Bau von Barrikaden zu erschweren. Zum Aufheben von Pflastersteinen hätte die Arbeiterklasse in jenen Jahren Grund genug gehabt, begann sie doch immer deutlicher zu spüren wie sich die Bourgeoisie auf ihre Kosten unendlich bereicherte. So stieg der Lohn eines Bergarbeiters zwischen 1852 und 1870 lediglich um 3 %, die Dividenden der Gesellschaften, für die sie arbeiteten, dagegen um 300 %. Den geringfügigen Lohnerhöhungen standen zudem ständig steigende Lebenshaltungskosten gegenüber. Die neuen Mieten in Haussmanns neuer City zwangen die Arbeiter allmählich in die Slums der Vorstädte zu ziehen. Diese Vertreibung des Proletariats aus dem Zentrum hatte aber auch unabsichtliche Folgen: Die neuen Bezirke am Stadtrand, in die es gedrängt wurde, entwickelten sich sehr rasch zu jenen revolutionären Hochburgen der Arbeiterbewegung Paris', die sie heute noch sind. "Der sogenannte rote Gürtel von Paris ist eine Schöpfung derer, die einst die Revolution ein für allemal aus der Stadt verbannt wissen wollten." (14) Anmerkungen1 Zitiert nach. M. Dommanget, Edouard Vaillant,
Paris 1956 S. 395 Fortsetzung 2 |
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