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Eine kleine Auswahl der Kritik:

Beschlußdemokratie, Versammlungskommunismus und ein Bad im vereisten Grunewaldsee - Bericht einer Gruppe aus der KHG

Für die Partei des Proletariats an der Uni - Selbstbefragung eines umerzogenen Intellektuellen

Der Parteibeamte

Frühe Unordnung und spätes Leid - Ein Antiautoritärer aus der Provinz wird "Parteikader"

Vorwort

Nach dem Scheitern der kurzatmigen APO-Strategien entsprang aus der revolutionären Ungeduld der Studentenbewegung die trügerische Hoffnung, eine revolutionäre Arbeiterbewegung sozusagen von außen entfachen zu können. Der Avantgarde Anspruch der APO, der sich immerhin noch an der Mobilisierung von konkreten Interessen gemessen hatte versteinerte im Augenblick seines Scheiterns zu den Stellvertreter-Ritualen der "marxistisch-leninistischen" Vorhutparteien (oder K-Gruppen, wie sie in der Linken abgekürzt tituliert werden).

Die meisten derjenigen Genossinnen und Genossen, die am Ende der Studentenbewegung in die neuen Parteien und Zirkel geströmt sind, haben heute diesen Organisationen den Rücken gekehrt. Die anfängliche Euphorie, nun endlich "das todsichere Rezept" zur Gesellschaftsveränderung gefunden zu haben, erwies sich als frommer Wunsch und der hektische Aufbruch der vielen endete oft im Katzenjammer der einzelnen. Wer nach zwei, drei, vier oder auch sieben Jahren politischer Tätigkeit "absprang", hatte nicht selten mit massiven psychischen Konflikten, persönlicher Ratlosigkeit, Resignation und Zweifel über Sinn und Zweck politischer Arbeit überhaupt zu kämpfen.

Doch ganz im Gegensatz zum propagandistischen Getöse der K-Gruppen drangen die Erfahrungen der ehemaligen Mitglieder nicht an die Öffentlichkeit, waren nicht Bestandteil des politischen Lernprozesses innerhalb der Linken.

Ganz im Gegenteil: Durch das Erlebnis, mit seiner ganzen Existenz in eine politische Sackgasse geraten zu sein, fühlten sich viele als Opfer einer Vergangenheit, die sie verdrängten wie der Oberlehrer den Unterleib: darüber spricht man nicht - höchstens am Biertisch und dann in Zoten.

Mit diesem Buch wollen wir solch doppelbödige Sprachlosigkeit durchbrechen. Unsere Auseinandersetzung mit den K-Gruppen hat aber nichts zu tun mit der ritualisierten Form irgendeiner "Linien"-Kritik: dies wäre vergeblich Liebesmüh angesichts der schon vorliegenden Kritiken dieser Art und der fortwährenden und kaum mehr registrierbaren Linienkorrekturen und politischen Wendungen der betreffenden Sekten.

Unsere Absicht ist auch nicht Denunziation - denn unsere Vergangenheit, die ein Stück von uns selbst ist, überwinden wir nicht mit Weißwäschermethoden oder Dreckschleuderei. Damit ist weder denen geholfen, die sich in diesen Sekten noch immer mit denselben Problemen herumschlagen, die auch wir am eigenen Leib und im eigenen Kopf erlebt haben. Noch denen, die inzwischen jede politische Orientierung verloren haben.

Wir wollen mit unseren Beiträgen über unsere politische Vergangenheit aus subjektiver Sicht berichten, über das, was wir waren, wie wir es geworden sind und was zu kritisieren wir auch heute für wichtig halten. Unsere Vergangenheitsbewältigung ist nicht unser Privatproblem, sondern Teil der Kritik an jenem falschen Poltikverständnis, das auch heute noch in der Linken mächtig ist: Nicht nur, weil die K-Gruppen aus ihren Fehlern nichts gelernt haben, sondern vor allein, weil die gesellschaftlichen Grundlagen weiterbestehen, die solche Politikauffassung fördern. Der Kampf gegen Sektiererei, Stellvertretermentalität, Diskriminierung von Frauen, Schwulen u. a., Mißachtung konkreter Bedürfnisse usw. wird auch weiterhin eine aktuelle politische Aufgabe der Linken bleiben.

Konkreter Anlaß für dieses Buch waren Tonbandaufzeichnungen von Gesprächen, die Freunde des Verlages mit einem ehemaligen "Kader-Gymnasiasten" geführt hatten. Nachdem Kontakte mit anderen ehemaligen Mitgliedern von K-Gruppen aufgenommen waren, entstand eine Arbeitsgruppe von Autoren und Verlagsmitgliedern, die dieses Buch und die individuellen Beiträge inhaltlich und formal (Erfahrungsbericht, Interviews usw.) konzipiert und auch gemeinsam diskutiert, bearbeitet und zusammengestellt haben.

Das Interview mit dem Kader-Schüler steht auch am Anfang dieses Bandes, weg aus ihm beängstigend deutlich wird, wie tief Persönliche Erfahrungen in solchen Organisationen auch nach der Trennung fortwirken und das Handeln, Denken und Empfinden der ehemaligen Mitglieder bestimmen. In krasser Form macht dieses Interview deutlich, wie verhängnisvoll die Linke vor ihren schlichtesten Ansprüchen versagt, wenn sie nicht einmal versucht, diese "psychischen Kosten" der ML-Bewegung sichtbar zu machen und die daraus entstehenden Probleme wenigstens ansatzweise zu bewältigen.

Was uns an diesem Beispiel deutlich wurde, war Teil eines Lernprozesses während des gesamten Projekts. Erst durch unsere gemeinsame Arbeit wurde uns klar, daß wir seit unserem Absprung aus diesen Politischen Organisationen ungeheuer viel aus unserem Bewußtsein verdrängt haben, was wir erst jetzt richtig wahrnehmen und problematisieren können.

Auch stellten wir uns immer wieder die Frage, ob das, was wir zu berichten haben, nicht durch unser heutiges politisches Verständnis überlagert wird. Vieles von dem, was wir im Rahmen der K-Gruppen gemacht haben, erscheint uns heute selbst als fremd und unverständlich. Daß wir uns inmitten einer so kunstvoll wie künstlich aufgebauten Organisationswelt eingerichtet hatten, und daß diese Kunstwelt uns nicht nur eine illusionäre Wahrnehmung der "Außenwelt" - der gesellschaftlichen Realität - vermittelt, sondern uns auch eine ebenso künstliche Identität übergestülpt hat: dies haben wir erst heute voll begriffen.

Der Ausbruch aus der "Welt" der K-Gruppen war also zugleich ein mühsamer Prozeß von Identitätszerstörung und Identitätsfindung, der in unserem eigenen Bewußtsein viele Brüche und Verzerrungen hinterlassen hat, der aber vor allem ein befreiender Lernprozeß war, bei dem viel überflüssiges Gerümpel auf der Strecke blieb.

Wir haben jedenfalls die Erfahrung gemacht, daß wir erst über einen kritischen Nachvollzug unserer eigenen Entwicklung herausfinden konnten, was für ein verstümmeltes und realitätsfernes Verständnis von Politik wir entwickelt und praktiziert haben. Diese Erkenntnis hat es uns ermöglicht, nach und trotz unserer Vergangenheit wieder politisch aktiv zu werden. Vielleicht helfen unsere Erfahrungen anderen.

Daß sich die in diesem Buch zusammengefaßten Berichte weitgehend auf die KPD und ihre Unterorganisationen bzw. auf den KBW beziehen, ist mehr oder weniger zufällig. Wir sind ziemlich sicher, daß wir mit diesen Erfahrungsberichten (die fast alle aus umfangreicheren Manuskripten und Interviews herausdestilliert wurden) ein Bild vermitteln, das für das ganze Spektrum dieser Organisationen gültig ist. Auch sollte man die in den einzelnen Beiträgen beschriebenen Momente politischen Realitätsverlustes, die die subjektiven und objektiven Bedingungen sektiererischer Politik am konkreten Beispiel verdeutlichen, keinesfalls nur auf die verschiedenen K-Gruppen verrechnen. Wir zumindest entdecken ähnliche Züge auch noch bei unserer heutigen Tätigkeit außerhalb der K-Gruppen. Die Überwindung von Sektierertum bleibt in einer gesellschaftlich noch immer relativ isolierten Linken eine permanente Aufgabe.

Wir sind übereingekommen, unsere Beiträge als anonymes Antorenkollektiv zu veröffentlichen. Um die Identifizierung von Personen zu verhindern, wurden bestimmte Details bewußt unscharf gehalten oder verändert. Man kann allerdings davon ausgehen, daß die Spitzel der politischen Polizei ohnehin weit besser über interne Vorgänge in den K-Gruppen Bescheid wissen als deren einfache Mitglieder.

Unsere Autorenhonorare stellen wir für politische Zwecke, insbesondere dem Aktionskomitee gegen Berufsverbote an der FU Berlin zur Verfügung.

Berlin, Juli 1977

Quelle: anonym: Wir warn die stärkste der Partein..., S. 5, Rotbuch Verlag Berlin 1977




 




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