Start  

quellen 

  

  Politik   

 


Plenarprotokoll 14/142

Deutscher Bundestag Stenographischer Bericht

142. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 17. Januar 2001

I n h a l t :

Präsident Wolfgang Thierse: Liebe Kolleginnen und Kollegen!
... Ich rufe zunächst die dringliche Frage des Abgeordneten von Klaeden auf.

    Ist der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer, während seiner militanten Tätigkeit dem inzwischen verurteilten Topterroristen Ilich Ramirez Sanchez, genannt Carlos, der Schakal, begegnet, wie Carlos behauptet (vergleiche Interview mit Carlos in der "Welt" vom 16. Januar 2001)?

Bitte schön, Herr Minister.

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Präsident, gestatten Sie mir, dass ich zu Beginn eine etwas ausführlichere Antwort gebe, da alle Fragen in einem Sachzusammenhang stehen. Danach werde ich die einzelnen Fragen im Detail beantworten. Herr Abgeordneter von Klaeden: ein definitives Nein. Ich möchte, da dies eine Situation ist, in der fast täglich neue, absurde Vorwürfe erhoben wer den, hinzufügen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

- Ich komme gleich darauf zu sprechen. Wenn Sie ein Interesse an Unterrichtung haben, dann hören Sie sich das an. Alles andere können wir nachher in der Aktuellen Stunde debattieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD
- Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist ein Ton!
Wir sind nicht in Frankfurt auf der Straße!)

Ich habe weder Waffenlager eingerichtet noch unterhalten, noch Waffen transportiert, noch wurden mit meiner Kenntnis irgendwelche Waffen mit meinem Auto transportiert. Das weiß die Union übrigens seit 1985, als ich zum ersten Mal Umweltminister wurde. Damals wurde Franz Josef Jung, der Ihnen mittlerweile geläufig ist, nach Karlsruhe zur Akteneinsicht bei der Bundesanwaltschaft geschickt. Er war über alles unterrichtet. Dennoch wurde ich von Ihnen in jedem Wahlkampf zum Karry-Mörder erklärt, wider besseres Wissen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD
- Michael Glos [CDU/CSU]: Wer schreit, hat Unrecht!)

Auch habe ich weder in meiner Wohnung noch in anderen Wohnungen mit Daniel Cohn-Bendit Waffen, egal von wem, oder Sprengstoff verborgen. Wir hatten - in diesem Zusammenhang habe ich das klipp und klar zu sagen - auch nicht die Funktion von Herbergsvätern für Terroristen, egal welcher Gruppe sie zugehörig waren. - Dies sind alles klare und eindeutige Aussagen. Ich habe niemals Molotowcocktails geworfen und ich habe auch nicht dazu aufgerufen, Molotowcocktails zu werfen. Auch dies ist eine klare Aussage. Was ich getan habe, will ich Ihnen auch klipp und klar sagen. Ich war militant, ich habe mit Steinen geworfen,

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! - Zurufe von der SPD,
an die CDU/CSU gerichtet: Heuchler! - Schwarzgeld gesammelt!)

ich war in Prügeleien mit Polizeibeamten verwickelt.

(Zurufe von der SPD und der CDU/CSU -
Glocke des Präsidenten)

Ich wurde geprügelt, aber ich habe auch Polizeibeamte geschlagen. Das habe ich jetzt nicht zum ersten Mal gesagt und dazu stehe ich. Ich stehe zu meiner Verantwortung. Das heißt aber noch lange nicht, dass ich das jetzt rechtfertige.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich habe bereits 1977 erkannt, dass der Weg der Gewalt, und sei es nur der limitierten Gewalt mit Prügeln gegen Polizeibeamte und mit Steinewerfen, falsch ist, ein Weg, der auch in seinen moralisch guten Motiven ins Gegenteil verkehrt wird, der die eigenen Gesichtszüge verzerrt. Ich war damals kein Demokrat, sondern Revolutionär, aber mit dem Freiheitsanspruch, dass der - -

(Widerspruch bei der CDU/CSU - Michael Glos [CDU/CSU]:
Freiheit gegen Willy Brandt!)

- Machen Sie nur so weiter! Ich will Ihnen meine Position klipp und klar erläutern. Darauf haben Sie einen Anspruch. Ich habe damals - das ist für mich die eigentliche Trennung - erkannt, wie Gewalt die eigenen Gesichtszüge verzerrt, selbst wenn man meint, diese Gewalt aus guten Gründen einsetzen zu können. Das war für mich die entscheidende Erfahrung, die dazu geführt hat, dass ich mich abgewandt habe, innerlich und auch in den politischen Konsequenzen. Ich habe damals Unrecht getan und ich habe mich dafür bei allen, die davon betroffen waren, zu entschuldigen. Dies habe ich getan und tue es heute wieder.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD)

Ich stehe seitdem für einen Lebensweg, der auch die Integration jener Teile der Bevölkerung bedeutete, die damals jung waren. Ich rede hier nicht von Jugendsünden. Das haben andere getan. Ich war damals bereits im Erwachsenenalter. Ich stehe seitdem für eine Politik, die nicht nur Gewaltfreiheit propagiert und durch setzt, sondern die vor allen Dingen auch die Hineinentwicklung in die demokratische Grundordnung beinhaltet. Ich weiß, was dieses bedeutet; denn im Gegensatz zu all den Gerechten musste ich mich erst dort hineinentwickeln, und zwar aus Gründen, die ich in dieser Antwort nicht darstellen will. Aber ich habe mich wirklich aus Überzeugung zum Demokraten gewandelt. Dies entspricht meinem politischen Lebensweg und dem Weg meiner Partei.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Meine Partei hat es nicht nötig, sich, von wem auch immer, zur Gewalt freiheit aufrufen zu lassen. Denn der Schritt zu den Grünen war für mich ganz entscheidend auch durch das Bekenntnis zur Demokratie und zur Gewaltfreiheit bedingt.

(Zurufe von der F.D.P.)

Was ich in den letzten Tagen erlebe - Herr Präsident, das möchte ich hier nochmals klipp und klar ansprechen -, ist, dass mit viel Geld versucht wird, Leute dazu zu veranlassen, aus nichts als ihrer Erinnerung heraus nach über 20 Jahren Behauptungen aufzustellen, nach Möglichkeit diese dann durch eine eidesstattliche Versicherung zu untermauern und mich in die Situation zu bringen, dass ich mich dazu verhalten und etwas dazu sagen soll. Es wird also gefragt: Was hast du vor 25 Jahren bei dieser und jener Diskussion gesagt? Ich verstehe ja Ihre politische Interessenlage. Aber versuchen Sie selbst einmal, ob es Ihnen gelingt, sich auch nur an wichtige Diskussionen zu erinnern und zu sagen, was Sie wo vor 22 oder 25 Jahren gesagt haben.

(Unruhe bei der CDU/CSU - Jörg Tauss [SPD]:
Schäuble und Frau Baumeister können das!)

Es wäre für mich ein Wunder, wenn Sie das könnten. Ich habe in den letzten 14 Tagen versucht, mich an Einzelheiten aus dieser Zeit zu erinnern. Dabei habe ich mein Gedächtnis bis an die Grenze der Erinnerungsfähigkeit gefordert. Herr Präsident, ich möchte noch folgenden Punkt ausführen dürfen. Mir liegt mittlerweile ein Briefwechsel vor, der zeigt, wie man mit viel Geld die Sache angeht. Einem Zeugen, der Entlastendes aussagte, wurden 16 000 DM angeboten. Es wurde ihm gesagt: Denk noch einmal nach! Wenn du nicht den passenden Täter und den passenden Tathergang schilderst, dann wird das nichts mit dem Geld.

(Zuruf von der CDU/CSU: Von wem ist der Brief? -
Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Diese Erkenntnisse liegen mir vor.

(Zurufe von der CDU/CSU - Walter Hirche [F.D.P.]:
Das sind die alten Methoden!)

- Das sind nicht die alten Methoden. Für solche Informationen wurden über 1 Million DM verlangt. Ich er wähne diese Tatsache nur, damit Sie die Aussagen richtig einordnen können. Herr von Klaeden, ich habe damit Ihre Frage und alle anderen mich betreffenden Fragen klipp und klar für das Protokoll beantwortet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich bitte um Verständnis, dass der Minister, wie er es angekündigt hat, etwas ausführlicher auf die erste Frage ein gegangen ist. Ich denke, dies ist nach der Vorgeschichte verständlich. Ich bitte aber darum, dass die Beantwortung der weiteren Fragen in kürzerer Form er folgt.

Wollen Sie eine Zusatzfrage stellen, Kollege von Klaeden?

    Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Herr Präsident, vielleicht ist es für die Öffentlichkeit interessant, zu erfahren, dass diese weitschweifige Apologie des Herrn Außenministers auf eine Frage erfolgte, die lediglich zum Inhalt hat, ob er - wie es in der "Welt" und in einigen anderen internationalen Zeitungen zu lesen war -

(Zurufe von der SPD: Oh!)

    dem Terroristen Carlos begegnet ist.

(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Frau Kollegin, wir bestimmen immer noch selber, was uns interessiert.

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

    Da Sie, Herr Minister, erklärt haben, Sie hätten sich 1977 vom Terrorismus und seiner ideologischen Unterstützung abgewandt, darf ich Sie fragen:

(Peter Dreßen [SPD]: Das ist falsch, was Sie sagen!)

    Ist das Zitat richtig, das in dem Buch von Christian Schmidt "Wir sind die Wahnsinnigen" zu finden ist? Demnach haben Sie noch 1978 in der Zeitschrift "Pflasterstrand" nach der Ermordung von Generalbundesanwalt Buback, des Bankies Ponto und Hanns-Martin Schleyers durch die RAF Folgendes erklärt - ich zitiere -: Bei den drei hohen Herren mag in mir keine rechte Trauer aufkommen, das sag ich ganz offen, für mich. Wenn Sie dieses Zitat dementieren sollten, dann möchte ich Sie jetzt schon fragen, warum Sie gegen diese Behauptung keine juristischen Schritte eingeleitet haben; denn dieses Buch werden Sie sicherlich gelesen haben.

Präsident Wolfgang Thierse: Herr Minister.

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Ich will Ihnen gerne auf diese Frage antworten. Die Behauptung, ich hätte mich 1977 von dem Terrorismus und seiner ideologischen Unterstützung losgesagt, ist schlicht falsch.

(Peter Dreßen [SPD]: Einfach was unterstellt!)

Ich musste mich von dem Terrorismus und seiner ideologischen Unterstützung nicht lossagen. Wenn Sie nicht nur ein parteipolitisches Interesse an dieser Sache haben - das ist aber durchaus legitim -, sondern für meine Situation etwas Verständnis aufbringen, dann ist dieser Aspekt wichtig: Wir, Daniel Cohn-Bendit und ich, waren damals die entschiedensten Gegner des Wegs in den Terrorismus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir waren diejenigen, die andere daran gehindert haben, in den revolutionären Untergrund zu gehen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

- Ich merke, dass Sie kein Interesse an einer Aufklärung haben.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]:
Wir haben ein großes Interesse, Herr Minister!)

Ich muss Ihnen sagen, dass Sie dieses Zitat aus dem Zusammenhang gerissen haben. Bei der Debatte 1978 ging es um eine grundsätzlich andere Orientierung, die auf den Rückzug abstellte. Sie haben das Zitat völlig aus dem Zusammenhang gerissen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt das Zitat?)

Für mich waren die schockierendsten Erfahrungen nach Entebbe die Ermordung von Hanns-Martin Schleyer und die Sprache in dem damaligen so genannten Kommando-Kommunique, das den Mord dargestellt hat. Das war für mich die völlige Verkehrung. Es war die Sprache der Unmenschen, die kalte, zynische Sprache der Nazis. Das war meine damalige Position. Diese habe ich an verschiedenen Stellen artikuliert und klar zum Ausdruck gebracht. Insofern kann ich nur sagen: Sie versuchen hier ein Zerrbild des damaligen Joschka Fischer darzustellen,

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

das nichts mit dem zu tun hat, wie ich damals gedacht habe.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse: Eine zweite Zusatzfrage des Kollegen von Klaeden.

    Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Herr Minister, ich will Sie noch einmal fragen: Erstens. Stimmt dieses Zitat oder stimmt es nicht? Zweitens. Darf ich Sie um die Erläuterung des Zusammenhangs bitten, in dem dieses Zitat einen Sinn macht?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Es tut mir Leid, Herr Kollege von Klaeden, ich müsste dieses Zitat im Zusammenhang des ganzen Artikels sehen.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]:
Sie sprechen von einem Zusammenhang, aus dem das Zitat gerissen ist!
Dann müssen Sie ihn doch kennen!)

- Entschuldigung, ich habe Ihnen meine Position erläutert und ich bin gerne be reit, gemeinsam mit Ihnen den ganzen Artikel durchzugehen. Dann unterhalten wir uns noch einmal.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Präsident Wolfgang Thierse: Wir kommen zur dringlichen Frage 2 der Kollegin Sylvia Bonitz:

    Wie erklärt der Bundesminister des Auswärtigen und Vizekanzler, Joseph Fischer, seine Äußerung im Prozess "Ich habe gesagt: "Geht weg von den Bomben (...) greift wieder zu den Steinen" vor dem Hintergrund seiner Interviews im "Spiegel" vom 8. Januar 2001 und im "Stern" vom 4. Januar 2001, in denen er zumindest den Eindruck erweckt hat, nicht Anstifter zu Gewalttaten gewesen zu sein und selbst keine Waffen genutzt zu haben?

Bitte schön, Herr Minister.

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Frau Kollegin Bonitz, wie ich gehört habe, waren Sie gestern bei dem Prozess anwesend. Das zeigt ein großes Interesse an meiner Zeugenvernehmung.

(Susanne Kastner [SPD]: Du lieber Gott!
Alle, die was werden wollen!)

Bei der von Ihnen hier angeführten Äußerung handelt es sich nicht um eine Äußerung anlässlich meiner Zeugenaussage vom 16. Januar, sondern um ein Zitat aus einer Rede, die ich, Herr Kollege Klaeden, im Jahre 1976 gehalten habe und über das wir am 16. Januar gesprochen haben. In meiner Rede 1976 anlässlich des Pfingstkongresses auf dem Römerberg ging es um das genaue Gegenteil eines Aufrufs zur Gewalt. Es war der Appell an jene, die in den Untergrund gegangen waren oder abzugleiten drohten, die Waffen niederzulegen, mit dem Bomben aufzuhören und zurückzukeh ren. Es ging 1976 darum, diese noch zu erreichen und anzusprechen, mit die sem mörderischen Irrsinn Schluss zu machen. Diese Römerberg-Rede ist für jedermann in ihrer vollen Länge nach lesbar. Sie werden auch darin sicher den einen oder anderen Satz finden, bei dem Sie sagen können: "Aha!", aber dann wäre das völlig sinnentstellt. Das war 1976 und darauf habe ich mich bezogen.

Präsident Wolfgang Thierse: Bitte, Ihre Zusatzfrage, Frau Kollegin Bonitz.

    Sylvia Bonitz (CDU/CSU): Meine erste Zusatzfrage lautet: Wie erklären Sie sich, Herr Minister, dann den Widerspruch zu Ihrer gestrigen Prozessaus sage in Frankfurt? Gestern haben Sie gesagt, dass die Spontis damals niemals absichtlich Menschen verletzen oder gar töten wollten. Aber gleichzeitig haben Sie damals - durchaus in dem Kontext, der mir bekannt ist - zum Steinewerfen aufgerufen. Das Steinewerfen beinhaltet doch ein erhebliches Verletzungsrisiko, das, wie ich denke, auch Ihnen bekannt ist. Das heißt, dass Sie damit die Schädigung von Personen und auch von Sachen gebilligt oder zumindest in Kauf genommen, wenn nicht sogar dazu angestiftet ha ben, und zwar immerhin als "Comandante" - das ist der Begriff, der immer wieder auftaucht - der Putzgruppe, die in der Szene damals den Spitznamen "Proletarische Union für Terror und Zerstörung" hatte. Vielleicht können Sie in Ihrer Antwort freundlicherweise auch auf diese Namensgebung eingehen.

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Den Begriff "Proletarische Union für Terror und Zerstörung" höre ich jetzt zum ersten Mal.

(Lachen bei der CDU/CSU)

- Es tut mir Leid. Ich habe in den vergangenen Tagen manches zum ersten Mal gehört. Das ist interessant, weil der Begriff nicht "Proletarische Union für Terror und Zerstörung" war. Wer ein bisschen Südhessisch kann, weiß genau, woher der "Putz" kommt. Wenn Sie dann noch den italienischen Ursprung, nämlich "Casino", nehmen, dann haben Sie es. Allein "proletarische Union" ist eine spontiwidrige Vorstellung.

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Sie scheinen uns mit der ML zu verwechseln, Frau Kollegin. Im Übrigen sehe ich da überhaupt keinen Widerspruch. Ich will es einmal zugespitzt sagen: Hätte mein Aufruf "Legt die Waffen nieder, lasst das Bomben sein, nehmt die Steine wieder in die Hand" - der nicht nur in meinem Namen erfolgt ist, aber ich habe ihn gemacht und verantworte ihn - doch damals Erfolg gehabt! Wäre es damals, 1976, so gekommen, dann wäre uns viel mörderischer Irrsinn erspart geblieben. Dann wären viele, die ermordet wurden, noch am Leben. Deswegen sehe ich in meiner damaligen Haltung überhaupt keinen Wider spruch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse: Eine zweite Zusatzfrage der Kollegin Bonitz.

    Sylvia Bonitz (CDU/CSU): Gestatten Sie ganz kurz, dass ich erläutere, wer diesen Namen überhaupt verwandt hat: Es war Christian Schmidt in sei nem Buch "Wir sind die Wahnsinnigen". Dieser Begriff ist daneben immer wieder in Pressepublikationen aufgetreten.

(Zurufe von der SPD: Neue Bibel! - Pflichtlektüre!)

    - Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß nicht, warum Sie dieses Thema so aufregt und Sie so viele Zurufe machen. Wir wollen diesen Fragenkomplex sachlich abarbeiten.

(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

    Meine zweite Frage bezieht sich darauf, dass Sie unter dem Wort "Hinlangen" offensichtlich auch das Steinewerfen verstehen. Den Begriff "Hinlangen" verwenden Sie in einer im Grunde genommen banalisierenden Art und Weise. Im Terroristenprozess vor dem Frankfurter Landgericht und in verschiedenen Interviews haben Sie gesagt: "Wir haben auch kräftig hingelangt". Was heißt das eigentlich konkret? Was zählen Sie zu diesem "Hinlangen"? Das Schlagen von Personen, das Treten von Personen, das Werfen mit Steinen

(Jörg Tauss [SPD]: Geld kassieren!)

    oder vielleicht auch das Werfen von Brandsätzen? Wo ist die Grenze dieses Hinlangens? Ist es das Prügeln? Ich frage das auch in folgendem Zusammenhang: Welches Maß an Gewalt hielten Sie damals und auch heute in welchen Situationen für tolerabel?

(Dr. Peter Struck [SPD]: Jetzt ist aber bald genug!)

    Ich denke zum Beispiel daran, dass Sie noch in den 90er-Jahren anlässlich von Castor-Transporten Gewalt nicht abgelehnt haben.

(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Der Duden gibt Auskunft über das Wort "hinlangen"!)

Präsident Wolfgang Thierse: Frau Kollegin Bonitz, das ist eine ganze Serie von Fragen. Jetzt müssen Sie dem Herrn Minister die Chance geben zu antworten.

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Frau Kollegin Bonitz, ich habe in den 90er-Jahren anlässlich von Castor-Transporten nicht zu Gewalt aufgerufen. Ich erinnere mich sehr gut daran, dass das Gegenteil der Fall war. Damit ich nicht missverstanden werde: Wenn ich die Position des damaligen Joschka Fischer bezogen auf das Steinewerfen, wozu ich mich bekenne, benannt habe, dann nicht affirmativ-bestätigend, sondern unter dem Gesichts punkt, dass dies falsch war, dass es aus meiner Sicht eine enorme Gefahr be deutet, Gerechtigkeit und Recht, beginnend im Kopf, zu trennen. Ich will mein damaliges Vorgehen nicht rechtfertigen. Ich stehe dazu, weil es meine Ge schichte ist, aber nicht in dem Sinne: Das war toll.

- Das war Teil meiner Erfahrungen. Es gab damals ohne jeden Zweifel auch gewaltfreie Teile, zu denen ich nicht gehörte. In meiner Antwort zur ersten dringlichen Frage bin ich sehr präzise - mir wurde ja soeben vorgeworfen, dass ich weitschweifig war - auf alle anderen Punkte eingegangen. Ich habe dargelegt, was ich getan habe und was ich nicht getan habe. Ich habe mich mit Polizisten geprügelt. Ich wurde von ihnen ver prügelt und dann und wann habe auch ich einen Polizisten verprügelt. Aber ich habe nie auf am Boden Liegende getreten. - Wenn anderes behauptet wird, weise ich dies zurück. Wer mich kennt, weiß, dass ich das aus guten Gründen zurückweisen kann. - Das sollten Sie akzeptieren.

(Dirk Niebel [F.D.P.]: Das macht es nicht wesentlich besser!)

Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort zu einer Zusatzfrage erteile ich dem Kollegen Helmut Lippelt.

    Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, stimmen Sie mir darin zu, dass es für eine so große Fraktion wie die CDU/CSU, die hier sehr stark vertreten ist und deren Mitglieder die "FAZ" bekanntlich sehr gründlich lesen - hinter der "FAZ" stecken ja kluge Köpfe -, ein Armutszeugnis ist, dass sie sich mit Ihrem Verhältnis zur Gewalt beschäftigt, ohne die reichhaltige Dokumentation, die in der "FAZ" abgedruckt wurde und die Ihren grundsätzlichen Artikel von 1976, in dem Sie sich mit den damaligen Geschehnissen auseinander setzten, enthält - dieser Artikel liegt vor und ist nach lesbar; Sie haben sich auf ihn bezogen -, zur Kenntnis zu nehmen?

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie ist die Frage?)

    - Ich frage, ob der Minister Ihr Verhalten nicht auch für politisch sehr begründet, inhaltlich aber wirklich für ein Armutszeugnis hält. Es werden 16 Fragen gestellt, ohne die Dokumente der grundsätzlichen Auseinandersetzung des Außen ministers in seiner Jugend mit dem Problem der Gewalt zur Kenntnis zu nehmen. Ich meine die Artikel von 1976 und von 1978. Präsident Wolfgang Thierse: Herr Minister, Sie haben das Wort. Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Lippelt, als Beantwortung Ihrer Frage: Ich begreife dies nicht als einen Prozess der Wahrheitsfindung, sondern als eine völlig legitime politische Auseinandersetzung, und so findet sie auch hier statt.

(Dr. Peter Struck [SPD]:
So ist das nicht legitim! Das ist eine Schmutzkampagne!)

Präsident Wolfgang Thierse: Herr Kollege Hohmann, eine Zusatzfrage.

    Martin Hohmann (CDU/CSU): Herr Minister, Sie haben soeben zugestanden, dass Sie Steine geworfen haben. Können Sie ausschließen, dass Sie mit Ihren Steinwürfen Menschen getroffen und verletzt haben?

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Nach meinen Erkenntnissen ja.

    Martin Hohmann (CDU/CSU): Sie können also ausschließen, dass Sie Menschen bei den Steinwürfen getroffen und verletzt haben?

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Mir ist davon nichts bekannt. Es müsste mir bekannt sein, wenn ich es bejahen sollte.

    Martin Hohmann (CDU/CSU): Warum haben Sie denn dann die Steine geworfen?

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN)

    Haben Sie die einfach in die Luft geworfen?

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Wissen Sie, warum?
Damit er Ihre dämliche Frage nicht mit Ja beantworten muss!)

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Ich habe die Steine einfach in die Luft geworfen, ja.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD
sowie des Abg. Uwe Hiksch [PDS])

Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort zu einer weiteren Zusatzfrage erteile ich Herrn Kollegen Pflüger.

    Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Herr Bundesminister, ich möchte Sie fragen, wann Sie aufhören wollen, uns Gewalt gegen Polizisten, das Verprügeln von Polizis ten und das Treten nach Polizisten als Gegengewalt gegen Polizisten, die prügeln, darzustellen. Ich möchte Sie zweitens fragen: Wo beginnt für Sie eigentlich genau Terrorismus? Wo beginnt für Sie -

- (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie können gar nicht "zweitens" fragen!)

    - Dann stelle ich eine Zusatzfrage und warte, bis ich die nächste stellen kann.

Präsident Wolfgang Thierse: Herr Minister, bitte.

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Pflüger, ich bin permanent in der Situation, etwas erklären zu sollen, ohne es zu rechtfertigen. Aber ich muss es erklären, wenn wir über das damalige Verhalten sprechen. Das werden gerade Sie verstehen. Ich möchte jetzt nicht noch einmal die ganze Situation vor Ihren Augen entstehen lassen, was es bedeutet, wenn man selbst einmal Opfer eines Übermaßes an staatlicher Gewalt geworden ist.

(Zuruf von der F.D.P.: Wir haben das nie erfahren!)

- Entschuldigung, es mag sein, dass Sie das nie erfahren haben. Ich möchte jetzt nicht den ehemaligen Polizeipräsidenten von Frankfurt, Müller, der damals für uns eine - ich sage es nochmals - Hassfigur war - im Rückblick auch dies eine Verblendung -, zitieren. Ich könnte jetzt zitieren, wie er gegenüber AP die damalige Situation dargestellt hat. Nur geht es mir nicht darum, das zu rechtfertigen. Aus heutiger Sicht oder schon aus der Sicht nach 1977 war dies etwas, was wir nicht hätten tun sollen und tun dürfen. Insofern müssen Sie nicht annehmen, mich an diesem Punkt mit dem Nachgang von fast 30 Jahren noch auf den Pfad der Gewaltfreiheit bringen zu müssen. Ich meine, das hat mein bisheriges politisches Leben klargemacht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Herr Kollege Pflüger, wenn ich in Kommentaren seriöser Blätter lese, dass 1968 und der Frankfurter Häuserkampf, bei dem es um den Erhalt des Westends ging, mit der Noltedebatte oder gar mit dem Nationalsozialismus vergleichbar seien, muss ich Ihnen allerdings sagen: Hier scheinen die Proportionen völlig verloren gegangen zu sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Bei allem, was wir falsch gemacht haben, bei allem, wofür wir Verantwortung zu übernehmen haben, wofür wir uns zu entschuldigen haben und wovon wir uns zu trennen hatten, war es doch letztendlich eine Freiheitsrevolte mit Elementen totalitärer Gewalt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD
- Widerspruch bei der CDU/ CSU)

An diesem Punkt, Herr Kollege Pflüger, bin ich dann anderer Meinung. Es hatte totalitäre Elemente, es hatte gewalttätige Elemente, zu denen ich persönlich auch zu stehen habe; aber 1968 und das Folgende hat zu mehr Freiheit und nicht zu weniger Freiheit in diesem Lande geführt. Das ist meine Haltung bis heute

.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD
sowie des Abg. Uwe Hiksch [PDS])

Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Pflüger, ich erlaube Ihnen noch eine Zusatzfrage.

    Dr. Friedbert Pflüger (CDU/CSU): Herr Bundesminister, Sie haben eben gesagt, dass Sie sich vom Terrorismus nicht nur distanziert, sondern ihn immer bekämpft haben. Ich zweifle gar nicht daran, dass Sie Leute aufgefordert haben, nicht Terroristen zu werden. Herr Kollege Lippelt hat eben von der Dokumentation in der "FAZ" gesprochen. Dort wird folgende Äußerung von Joschka Fischer auf dem Pfingstkongress des Sozialistischen Büros aus dem Jahr 1976 zitiert: Gerade weil unsere Solidarität den Genossen im Untergrund gehört, weil wir uns so eng mit ihnen verbunden fühlen, fordern wir sie auf, Schluss zu machen, die Bom ben wegzulegen und die Steine wieder aufzunehmen. Aber wir können uns nicht einfach von der Stadtguerilla distanzieren, weil wir unter demselben Widerspruch lei den. War die Distanzierung vom Terrorismus eine grundsätzliche oder war sie nicht vielmehr eine taktische,

(Dr. Wolfgang Gerhardt [F.D.P.]: Eine waffentechnische!)

weil die revolutionäre Situation für den Terrorismus nicht reif gewesen ist?

(Widerspruch bei der SPD)

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Kollege Pflüger, ich will hier zu der Frage, ob eine revolutionäre Situation da gewesen ist, eine sehr ernste, nachdenkliche Antwort versuchen, auch wenn ich weiß, dass auch das wieder entsprechende Reaktionen mit sich bringen wird: Ja, Teile der neuen Linken damals haben eine revolutionäre - das heißt auch: eine gewalttätige, eine nicht demokratische - Politik nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Das war der eigentliche politische Fehler, den ich mir selbst vorwerfe. Das ist der eigent liche Kern. Als ich die Schriften etwa von Manès Sperber oder Solschenizyn Anfang der 70er-Jahre zum ersten Mal in den Händen hatte, habe ich sie sofort wieder weggelegt - ab Mitte der 70er-Jahre habe ich sie verschlungen -; das ist der eigentliche politische Vorwurf, den ich mir selbst mache, bis heute. Daraus ist das entstanden. Ich bin gerne bereit, darüber sehr ernsthaft zu diskutieren. Ich sage das hier in aller Offenheit. Aber was Sie ansprechen, ist etwas völlig ande res: Diese Rede ist sehr genau überlegt worden. Es war der Versuch, Leute daran zu hindern, in den Untergrund zu gehen, und es war der Versuch, die im Untergrund zu überzeugen. Dass sie teilweise darüber gelacht haben, ist das eine; dass andere darüber diskutiert haben, ob man Cohn-Bendit und Fischer nicht eliminieren muss, habe ich vor einer Woche erfahren.

(Zuruf von der F.D.P.)

- Nein, ich werde nicht zum Opfer. - Gerade in dieser Antwort habe ich versucht, klar zu machen, wo ich den Kernfehler sehe: in der Entscheidung - nicht nur meiner, sondern der politischen Entscheidung -, auf Gewalt zu setzen unter dem Signum der Revolution, gegen die entstehende Demokratie der Bundesrepublik Deutschland. Ich stelle mich zu dieser Verantwortung, weil das für mich bis heute den Kern des Problems ausmacht. Das hat nichts mit einer Rechtfertigung zu tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD
sowie des Abg. Uwe Hiksch [PDS])

Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort zu einer Zusatzfrage erteile ich Kollegin Antje Vollmer.

    Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, da ich - wie auch Sie - finde, dass der, der zu den 68ern gehörte, auch die Pflicht und die Verantwortung hatte, sich mit Terrorismus und dieser Form der Gewalt ausein ander zu setzen: Darf ich Sie daran erinnern, dass es aus unserer Fraktion her aus einen Versuch ge geben hat, den Terrorismus zu beenden - der im Übrigen erfolgreich war -, der darin bestand, den Dialog mit Terroristen zu führen? Auch ich persönlich habe viele Gespräche mit denen geführt und habe für diese Gespräche auch andere Personen aus unserer Fraktion angeboten. Es war so, dass den Terroristen zwei Namen am verhasstes ten waren, nämlich Dany Cohn-Bendit und Joschka Fischer, und zwar genau wegen dieser Absage während der Römerberg-Gespräche. Ist Ihnen das noch in Erinnerung? Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Mir ist das im Detail in Erinnerung. Ich hätte mir gewünscht, dass ähnlich wie in Italien die Bemühungen, diesen sinnlo sen, mörderischen Terrorismus, den wir noch zu Beginn unserer parteipoliti schen Existenzen als parlamentarische Fraktion mitbekommen haben, zu be enden, früher erfolgreich gewesen wären. Im Übrigen habe ich dazu aus meiner Sicht schon alles gesagt.

Präsident Wolfgang Thierse: Eine letzte Zusatzfrage zu dieser Frage, Herr Kollege von Klaeden.

    >Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Ich möchte die Frage der Kollegin Vollmer zum Anlass nehmen, zunächst einmal festzustellen, dass an meiner Aussage, Sie hätten dem Terrorismus eine Absage erteilt, wohl so viel nicht falsch gewesen sein kann, wenn, wie ich gerade gehört habe, das dazu geführt hat, dass Sie so verhasst gewesen seien. Weil die Initiative der Fraktion zur Bekämpfung des Terrorismus angesprochen worden ist, will ich Sie etwas fragen: Ihr Freund Daniel Cohn-Bendit hat gestern in n-tv gesagt, dass er den Terroristen Hans-Joachim Klein bei seiner Flucht und in seinem Versteck finanziell unterstützt hat. Ich frage Sie erstens, ob auch Sie eine solche oder andere Unterstützung geleistet haben, und zweitens: Wus sten Sie, dass Daniel Cohn-Bendit diese Unterstützung leis tet, und haben Sie von dem Aufenthaltsort Kleins gewusst?

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Ich habe gestern vor Gericht diesbezüglich - wie Ihnen Ihre dort anwesende Kollegin sicherlich berichtet hat - klar und eindeutig, ohne danach gefragt worden zu sein, Stellung genommen. Ich will dies aber auch für Sie hier tun: Nein, an mich wurde nicht herangetreten. Insofern habe ich auch nichts davon gewusst. Allerdings, wäre man an mich herangetreten - diese Frage haben Sie nicht gestellt, ich beantworte sie dennoch -, hätte ich ihm auch geholfen, aus der Terrorszene auszusteigen. Ich nehme an, Sie wissen, dass Dany Cohn-Bendit in Absprache mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz alles versucht hat, Herrn Klein dazu zu bringen, dass er sich stellt. Ihm werden schwerste Taten vorgeworfen. Dafür wird er ein Urteil bekommen, das er akzeptieren muss. Es ist aber etwas völlig anderes, sich dann von dem Menschen zu distanzieren, nicht von dem, was er getan hat, sondern von dem Menschen, der auch nach dem Urteil einen Anspruch auf Achtung seiner Menschlichkeit hat. Dies gilt vor allen Dingen dann, wenn es darum geht, dass er aussteigt. Von der damaligen Situation Ende der 70er-Jahre weiß ich: Dany Cohn-Bendit wurde teilweise physisch angegriffen. Der "Pflasterstrand", den Sie heute zitieren, wurde unter anderem wegen bestimmter Artikel direkt angegriffen. Dany Cohn-Bendit - ein politischer Freund, dem ich sehr viel verdanke, weil ich nicht weiß, wo ich, der junge Joschka Fischer, und viele andere in Frankfurt ohne ihn gelandet wären - hat weiß Gott unter anderem auch durch das, was er für Hans-Joachim Klein gemacht hat, viel dazu beigetragen, diesen mörderischen Irrsinn wirklich zu beenden. Dass er am Ende nicht erfolgreich war, ist eine Tragödie, die er mit sich selbst herumträgt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD
sowie des Abg. Uwe Hiksch [PDS])

Präsident Wolfgang Thierse: Wir kommen damit zur Frage 13 des Abgeordneten Volker Kauder:

    In welcher konkreten Art und Weise war der Bundesminister des Auswärtigen und Stellvertreter des Bundeskanzlers, Joseph Fischer, an der Vorbereitung und Ausführung einer militanten Demonstration am 10. Mai 1976 in Frankfurt am Main beteiligt, bei der ein gezielt geworfener Brandsatz den Polizeibeamten J. W. in seinem Einsatzfahrzeug am Rossmarkt entflammte, und trifft es zu, dass der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer, sich am Vorabend dieser "Schlacht" für den Einsatz von Brandsätzen ausgesprochen hat (vgl. "Der Spiegel" vom 8. Januar 2001)?

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Kauder, nein, ich habe damals weder ein Strategietreffen geleitet noch hatte ich die von Ihnen unterstellte Einstellung.

Präsident Wolfgang Thierse: Zusatzfrage.

    Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Außenminister, haben Sie an diesem Treffen am 9. Mai 1976, am Vorabend dieser Großdemonstration, bei der die Molotowcocktails geflogen sind, teilgenommen, wenn Sie jetzt schon behaupten, Sie hätten die Sitzung nicht geleitet?

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Aus meiner Erinnerung habe ich daran teilgenommen. Aber ich habe eine völlig andere Erinnerung an dieses Treffen, als das, was 1998 dargestellt wurde. Insofern muss ich das entschieden zurückweisen.

Präsident Wolfgang Thierse: Eine zweite Zusatzfrage.

    Volker Kauder (CDU/CSU): Ich habe nicht behauptet, dass Sie dabei waren. Ich habe auch nichts zum Inhalt gesagt.

(Joseph Fischer, Bundesminister: Oh, Herr Kauder!)

    Ich habe Sie in meiner Zusatzfrage nur gefragt, ob Sie an diesem Treffen teilgenommen haben,

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Das hat er gesagt!)

    in dem nach Auskünften von Teilnehmern über den Einsatz von Molotowcocktails gesprochen wurde. Aber nun zu meiner zweiten Zusatzfrage: Herr Außenminister, ist es richtig, dass in den 90er-Jahren in der Fraktion Bündnis 90/Grüne eine Gewaltdebatte im Zusammenhang mit Castortransporten geführt worden ist und dass Sie sich zu diesem Zeitpunkt grundsätzlich auch für den Einsatz von Gewalt in der Demokratie ausgesprochen haben?

(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
- Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Wer hat Ihnen das aufgeschrieben?)

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Kauder, man bekommt ja einiges mit. Wir sind eine offene Gesellschaft, ein offenes Parlament und offene Fraktionen. Dass sich die Informantin nicht traut, diese Frage im Angesicht ihrer ehemaligen Fraktions kollegen selbst zu stellen, sondern Sie vorschickt, finde ich traurig.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Zur Sache kann ich Ihnen nur sagen, dass ich es von der politischen Haltung her erbärmlich finde. Die Grünen haben der CDU/CSU keine Rechenschaft abzulegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Widerspruch bei der CDU/ CSU)

Ich muss Ihnen sagen, dass ich mich wirklich sehr zurückhalten muss.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Psychische Gewalt!)

Meine Damen und Herren von der Union, wir reden nicht über das, was ich mir aus meiner Vergangenheit in den 70er-Jahren zu Recht vorhalten lassen muss, sondern wir reden ganz offensichtlich über eine Information einer ehemaligen Kollegin, die Ihnen zugespielt wurde. Diese Information ist schlicht falsch. Die Kollegin hat wohl nicht den Mut, selbst zu fragen. Sie verdächtigen meine Fraktion, dass wir uns damals, als ich noch Fraktionsvorsitzender war, für Gewalt eingesetzt haben. Ich kann Ihnen dazu nur sagen: Das gilt weder für mich noch für meine Fraktion. Es ist erbärmlich, was Sie hier machen, Herr Kollege Kauder. Das ist doch das Allerletzte!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nd bei der SPD
- Abg. Volker Kauder [CDU/ CSU] meldet sich zu einer weiteren Zusatzfrage)

Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Kauder, nach der Geschäftsordnung hat jeder Fragesteller zwei Zusatzfragen, die Sie schon verbraucht haben.

    Volker Kauder (CDU/CSU): Herr Präsident -

Präsident Wolfgang Thierse: Herr Kauder, schildern Sie uns ganz kurz, warum Sie noch eine dritte Frage haben wollen

    Volker Kauder (CDU/CSU): Ich wollte nur sagen: Die Art und Weise, wie der Herr Außenminister versucht, nicht auf Fragen einzugehen, ist unerträglich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. -
Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Kauder, was Sie gemacht haben, ist außerhalb der Geschäftsordnung. Sie können in einer politischen Debatte jeden Kommentar abgeben, aber in der Fragestunde muss man sich an das Frage-und-Antwort-Spiel halten. Das heißt, der Antwortende hat das Recht, so zu antworten, wie er es für richtig hält. Sie können kommentieren, wo immer Sie wollen, aber nicht in einer neuen Frage.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Eine Zusatzfrage der Kollegin Bonitz.

    Sylvia Bonitz (CDU/CSU): Herr Minister, aus der Erregung bei Ihrer Ant wort schließe ich, dass Sie fürchten, Ihnen könnte heute ein immer noch nicht ganz differenziertes Verhältnis zur Gewalt unterstellt werden, wie es in Ihrem Amt erforderlich ist. Um dies zu verdeutlichen, werde ich dazu eine konkrete Frage stellen, die sich auf die jüngste Zeit bezieht. Es geht nicht nur um Vorgänge von vor 25 oder 30 Jahren. Ist es zutreffend, wie in der "Welt am Sonntag" vom vergan genen Wochenende zu lesen war, dass Sie noch 1998, und zwar in einem Inter view am 4. März 1998, Folgendes gesagt haben: Ich war nie gewaltfrei. Ich bin es heute noch nicht in mei nen Überzeugungen. Ich war nie gewaltfrei und in dieser Zeit schon gar nicht. Haben Sie dies so gesagt? Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Als Nächstes kommt sicherlich die Frage: Schlagen Sie Ihre Frau? Ich muss Ihnen sagen: Meine Position habe ich mehr als sehr klar erläutert. Ich habe gesagt: Für mich ist aufgrund meiner Erfahrung Gewalt verabscheuungswürdig.

(Dr. Irmgard Schwaetzer [F.D.P.]: Gewalt gegen Sachen oder Personen?)

- Gewalt im Allgemeinen. Die Differenzierung zwischen Sachen oder Personen ist mit mir nicht zu machen. Ich bin gegen Gewalt.

(Zuruf von der CDU/CSU: 1998!)

- Ich komme gleich auf 1998 zu sprechen. Ich bin aufgrund meiner Erfahrungen ein überzeugter Anhänger des staatlichen Gewaltmonopols geworden, weil ich erlebt habe, wohin nicht staatliche Gewalt führen kann und was es bei der eigenen Person bewirken kann. Ich komme jetzt auf das Jahr 1998 zu sprechen. Wenn nichts mehr hilft, kann ich allerdings Gewalt als allerletztes Mittel nicht ausschließen; denn sonst hätte ich doch zurücktreten müssen,

(Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)

bevor der Kosovo-Einsatz -

- (Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Staatsgewalt!)

- Ja, ich habe mich auf die Staatsgewalt bezogen. Sie können mir vieles un terstellen, aber doch nicht, dass ich 1998 gesagt habe: Eigentlich bin ich dafür, dass man ordentlich draufhauen sollte, wenn sich die Gelegenheit ergibt. Das mag bei der CDU/CSU die Sicht von Fischer sein. Aber das ist doch grotesk und das wissen Sie ganz genau.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Gerade bei Frau Merkel wundert mich das: Wir haben am 9. November doch zusammen demonstriert, wo es sehr eng wurde.

(Zuruf von der CDU/CSU: Nicht gehauen!)

- Nicht gehauen, sondern ganz im Gegenteil: aneinander gehangen!

(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse: Eine Zusatzfrage des Kollegen Hohmann.

    Martin Hohmann (CDU/CSU): Herr Minister, Sie haben eben gesagt, dass Sie an dem bewussten Treffen am 9. Mai,

(Peter Dreßen [SPD]: Welches Jahr?)

    bei dem es darum ging, ob Brandflaschen eingesetzt werden sollten oder nicht, zumindest dabei gewesen sind. Ich möchte konkret fragen: Haben Sie jemals Brandflaschen hergestellt oder waren Sie an der Herstellung von Brandflaschen beteiligt?

(Susanne Kastner [SPD]: Das ist ja so dumm! Solche dummen Fragen!)

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Ich verweise auf meine Antwort zu Frage 1. Ich habe das klar und definitiv verneint.

Präsident Wolfgang Thierse: Eine Zusatzfrage des Kollegen Wilhelm.

    Hans-Otto Wilhelm (Mainz) (CDU/CSU): Herr Minister, Christian Schmidt hat in seinem Buch zu der Frage Ihres Einsatzes an diesem Abend eine andere Darstellung als Sie gegeben. Er hat ausgeführt, dass Sie vehement für die - wie er formuliert - "Wunderwaffe" plädiert hätten. Nur einer kann Recht haben: er oder Sie. Wenn er Unrecht hat, warum sind Sie dann gegen die Behauptungen in seinem Buch nicht gerichtlich vorgegangen? Beabsichtigen Sie, vor dem Hin tergrund der aktuellen Diskussion dies noch zu tun?

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Ich bin auch nicht gerichtlich gegen die Behauptungen der hessischen CDU und anderer, ich wäre der Karry-Mörder, vorgegangen. Andere behaupten, ich wäre ein Polizeispitzel gewesen. Die Tatsache, dass ich nicht dem Haftrichter vorgeführt wurde, wird ja mitnichten als entlastend interpretiert. Es wurde gefragt: Warum wurde der nicht dem Haftrichter vorgeführt? Eine Antwort könnte sein, dass nichts Gewichtiges gegen mich vorlag. Der damals verantwortliche Polizeipräsident hat dies vor zwei Tagen genau so gesagt. Es wird behauptet, es fehlten Akten beim Staats schutz, und dabei wird sofort unterstellt, Fischers langer Arm hätte die Akten verschwinden lassen. Es wird behauptet, ich wäre ein Polizeispitzel gewesen, weil ich beim Staatsschutz in die Mangel genommen wurde und dann ausge packt hätte. Deswegen seien auch die Akten verschwunden. Ich habe das zum ersten Mal gehört und werde auch dagegen nicht vorgehen. Heute habe ich auf dem Wege hierher einen Anruf bekommen, in dem mir mitgeteilt wurde, dass behauptet wird, westliche Geheimdienste hätten noch Akten über mich, nach denen ich mit ihnen kooperiert hätte. Die nächste Stufe werden östliche Geheimdienste sein.

(Lachen bei der SPD)

Gegen all das werde ich nicht vorgehen, weil das Spiel völlig klar ist: Es werden Behauptungen aufgestellt, die sich auf Erinnerungen gründen. Herr Schmidt hat solche Behauptungen 1998 - also 22 Jahre nach den Vorfällen - zum ersten Mal formuliert. Es werden Behauptungen aus dem Gedächtnis aufgestellt und wir erleben doch gegenwärtig im Zusammenhang mit Herrn Schäuble und Frau Baumeister, was Behauptungen aus dem Gedächtnis bewirken. Soweit ich es mitbekomme, ist es doch in der hessischen CDU schwie rig, sich an die vergangenen Wochen oder Monate zu erinnern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Tun Sie doch nicht so, als ob das bei Ihnen eine Chorknaben- oder Chormädchenveranstaltung wäre. Wenn ich mir in diesem Zusammenhang die Ge dächtnislücken bzw. Gedächtnisleistungen ansehe, muss ich Ihnen sagen: Ich habe Ihnen hier klipp und klar Antwort gegeben. Im Übrigen können Sie im "Spiegel" schon wieder eine andere Version lesen. Jetzt werden Sie mich gleich wieder fragen: Haben Sie gesagt: "Sei es drum"? Ich werde also 25 Jahre danach gefragt, ob ich "Sei es drum" gesagt hätte.

Herr Wilhelm: Was haben Sie vor 5 Jahren auf einer CDU-Kreisversammlung gesagt? Es wird behauptet, ich hätte die Versammlung geleitet. Die meisten Sponti-Versammlungen wurden überhaupt nicht geleitet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD
sowie des Abg. Uwe Hiksch [PDS])

Es gibt über mich einen Artikel, den Sie gerne nachlesen können. Darin wird ausgeführt, dass ich, als ich 1983 zum ersten Mal in den Bundestag gewählt wurde, über das formelle Sitzungsgebaren kulturell schockiert war, weil ich das überhaupt nicht gewöhnt war. Es wird weitergehen und plötzlich behauptet werden: "Herr Carlos: Cohn-Bendit und Fischer waren unser Waffendepot." Was wird der nächste Vorwurf sein?

Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort zu einer Zusatzfrage erteile ich der Kollegin Vollmer.

    Dr. Antje Vollmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, Sie haben mir schon teilweise das Stichwort geliefert. Im Hinblick auf das besagte Treffen am 9. Mai möchte ich Sie fragen: Könnte es schlichtweg sein, dass die Kollegen von der CDU/CSU - das kann man milieu- und altersmäßig sehr gut verstehen - einfach keine Ahnung haben, wie ein Sponti-Treffen aussah,

(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN,
bei der SPD
sowie des Abg. Uwe Hiksch [PDS])

    dass sie sich ein Sponti-Treffen ungefähr wie eine Parteiversammlung mit Vorsitz, Tagesordnung, Wortführern und Beschlussfassung am Ende vorstellen? Präsident Wolfgang Thierse: Herr Minister. Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Frau Kollegin Vollmer, Sie haben ja weiß Gott erlebt, welche Schwierigkeiten ich in der Anfangs phase der Grünen mit dem formellen Sitzungsgebaren, der Geschäftsordnung, den Geschäftsordnungsanträgen, der Sitzungsleitung und Ähnlichem hatte.

(Zuruf: Das hat sich geändert!)

- Ja, auch das hat sich geändert. - Sie haben Recht: Mit solchen Dingen habe ich generell ein Problem. Das gebe ich ganz offen zu. Politisch und intentional ist der Sinn der Fragen nach meiner Vergangenheit klar. Das habe ich nicht zu kritisieren. Aber man kann die damalige Situation nicht wirklich bewerten, wenn man sie nicht konkret kennt.

(Walter Hirche [F.D.P.]: Haben wir auch gelesen!
- Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der F.D.P.)

- Darum geht es doch gar nicht. Ich habe hier nun weiß Gott klargemacht, ab wann es in meiner Position zur Gewalt einen Bruch gab, ich mich von der Ge walt distanziert habe. Wie oft soll ich es noch wiederholen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse: Zu einer Zusatzfrage erteile ich dem Kollegen Siemann das Wort.

    Werner Siemann (CDU/CSU): Herr Minister, Sie haben eingeräumt, militant gewesen zu sein und sich strafrechtlich relevant verhalten zu haben. Sie haben sich dafür entschuldigt und erwecken hier den Eindruck, dass es damit für Sie erledigt sei. Billigen Sie die gleichen Entlastungs- und Bagatellisierungsmöglichkeiten den Tätern zu, die sich, links- und rechtsextremistisch moti viert, heute genauso verhalten wie Sie damals?

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen:Ich muss zurückwei sen, dass ich hier irgendetwas bagatellisiert habe. Das muss ich klar sagen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Ich habe - Sie haben das angesprochen - es immer für verachtenswert gefunden - ich finde das bis heute so -, Schwächere zu schlagen und zu treten. Wir haben uns damals nicht gegen die Bewohnerinnen und Bewohner, die teilweise auf übelste Art und Weise malträtiert und traktiert wurden, gewandt. Wir haben damals versucht, Familien von so genannten Gastarbeitern und Arbeitsemigranten zu beschützen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU - Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Vor wem?)

- Oh ja! Das kann ich Ihnen sagen: zum Beispiel vor Trupps, die versuchten, Häuser auf illegale Art und Weise mieterfrei zu bekommen, weil sie im Sanierungsgebiet lagen und abgerissen werden sollten. Das rechtfertigt nicht - ich sage das ausdrücklich, damit ich gleich nicht wieder missverstanden werde - den Schritt zur Gewalt. Aber Sie müssen den Unterschied zwischen heute und damals sehen. Darauf lege ich sehr großen Wert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile der Kollegin Buntenbach das Wort zur letzten Zusatzfrage zu dieser Frage.

    Annelie Buntenbach (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Minister, halten Sie es nicht auch für ein trauriges Zeugnis von mangelnder Auseinandersetzung mit der neueren und neuesten Geschichte und der politischen Kultur, wenn man sich wie die CDU/CSU so sehr in liebgewonnene Ideologien verbissen hat, dass man trotz all der erschreckenden Bilder von rassistischer und rechtextremer Gewalt den Rechtsextremismus mit dem Linksextremismus gleichsetzt und jetzt die Lücke, die mangels aktueller Bilder von linksextremer Gewalt entstanden ist, mit einem historischen Rückgriff füllt, weil einem alte und falsche Ideologien wichtiger sind als die gesellschaftliche Realität, und teilen Sie die Auffassung, dass eine solche Gleichsetzung nicht nur sachlich völlig verfehlt ist, sondern allzu oft auch dem Zweck dient, sich aus der Verantwortung für die Bekämpfung des Rechtsextremismus zu stehlen?

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]:
"Linker Mord ist besser als rechter Mord!")

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Frau Kollegin Buntenbach, was den Zwischenruf "Linker Mord ist besser als rechter Mord" betrifft, so sehe ich im wiedervereinigten Deutschland einen Riesenfortschritt. Dieser besteht darin, dass das - hoffentlich - in unserer Geschichte, und zwar hauptsächlich die Linken und nicht die Rechten betreffend, nie wieder eine Rolle spielt. Ich denke, das ist einer der ganz großen Fortschritte. Dazu haben namhafte Christdemokraten - ich darf an Richard von Weizsäcker mit seiner Rede 1985, aber auch an Helmut Kohl mit seiner Europapolitik und andere erinnern - wesentlich beigetragen.

(Zurufe von der CDU/CSU: Heuchlerisch!)

Ich möchte an Sie appellieren, dass wir das Denken "Linker Mord ist besser als rechter Mord" oder "Rechter Mord ist besser als linker Mord"

(Unruhe bei der CDU/CSU)

- lassen Sie mich das einmal erläutern - lassen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will Ihnen auch an dieser Stelle noch einmal sagen: Das, was Linke in den 70er-Jahren getan haben, nämlich Menschen zu Schweinen zu erklären und zu meinen, sie ermorden zu dürfen, und dieses als revolutionäre Tat zu feiern, ist das Schlimmste, was sich die Linke, die damals zur Gewalt gegriffen hat, die terroristische Linke, vorzuwerfen hat. Ich verabscheue dies.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Aber genauso sollten wir das auch für rechts gelten lassen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn ich eine Konsequenz zu ziehen habe, dann ist es folgende - ich sage das nochmals -: Ich werde in bestimmten Situationen - nicht in rechtsstaatlichen Situationen, aber dort, wo Menschen unterdrückt werden und wo sie keine andere Alternative haben, als sich spontan zu wehren - immer auf der Seite der Unterdrückten stehen, die sich wehren. Ich habe dies schon gemeinsam mit CDU- und CSU-Abgeordneten erlebt: Als damals der Putsch in Moskau war, waren wir im Landtag gemeinsam froh, als die Putschisten gewaltsam niedergeschlagen wurden und Jelzin auf dem Panzer schließlich gesiegt hat. Aber jenseits der Fälle, in denen Gewalt als letztes Mittel für Freiheit und Leben eingesetzt wird, ist sie kein Mittel der Politik. Ich bitte Sie, dabei nicht wieder zwischen links und rechts zu unterscheiden; vielmehr muss die Konsequenz sein, dass dies ausgeschlossen ist

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
und der SPD)

und dass diejenigen, die die Mehrheit haben - ob es die Linken oder die Rech ten sind -, nie wieder so die Ohren verschließen sollten, wie das unter anderem Ende der 60er-Jahre historisch bedingt gegenüber der jüngeren Generation der Fall war. Auch das sollte man nicht tun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Präsident Wolfgang Thierse: Wir kommen damit zur Frage 14 des Kollegen Kauder:

    Wenn nein, hatte der Bundesminister des Auswärtigen, Joseph Fischer, positive Kenntnis - zum Beispiel durch seine Leitung des "Strategietreffens" am Vorabend der Demonstration -, dass andere Teilnehmer im Vorfeld Brandsätze hergestellt und zum gezielten Werfen auf Polizeibeamte aufgerufen haben? Bitte sehr, Herr Minister.

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeordneter Kauder, die Frage bezieht sich im Grunde genommen auf all das, was hier über Spontitreffen schon gesagt worden ist. Ich habe damals weder ein Strategie treffen geleitet noch hatte ich die von Ihnen unterstellten Erkenntnisse.

Präsident Wolfgang Thierse: Gibt es dazu Zusatzfragen? - Kollegin Lengsfeld, bitte.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Jetzt kommt die ganz Gerechte!
- Zurufe bei der SPD: Oh! - Gegenruf von der CDU/CSU:
Was seid ihr tolerant, das ist ja unglaublich!)

    Vera Lengsfeld (CDU/CSU): Herr Minister, möchten Sie erstens bitte zur Kenntnis nehmen, dass die Frage, die der Kollege Kauder vorhin gestellt hat, nicht mit mir abgestimmt war und dass ich auch nicht dahinter stand? Herr Minister, möchten Sie als Zweites zur Kenntnis nehmen,

(Anke Fuchs [Köln] [SPD]: Zusatzfrage!)

    dass ich mich, weil Sie bei meinem Parteiübertritt von den Grünen zur CDU sehr fair gewesen sind, was man nicht von allen Kollegen aus der grünen Partei, besonders den Thü ringern, sagen kann, nicht in der Öffentlichkeit gegen Sie äußern wollte? Ich möchte aber über den Sachverhalt sprechen, den ich in einer Fraktionsvorstandssitzung mitgeteilt hatte. War es nicht so, dass in einer Dis kussion der grünen Bundestagsfraktion anlässlich der Blockade der Castor transporte von mir und anderen Kollegen aus der Fraktion gefordert wurde, dass sich die grüne Fraktion von den gewaltsamen Vorgängen während des Castortransports distanziert, und war es nicht so, dass Sie als Fraktionsvorsit zender damals verhindert haben, dass dieser Antrag oder diese Bitte der Fraktionskollegen von der Fraktion übernommen worden ist?

(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!)

Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Gar nicht "Hört! Hört!" - es war nicht so!

(Zuruf von der CDU/CSU)

- Nicht "lebhafte Änderungen". - Ich sage Ihnen, Frau Kollegin Lengsfeld: Es war nicht so! Im Gegenteil, Sie werden öffentliche Äußerungen von mir in der damaligen Situation finden, die definitiv und klar besagen: friedlicher Protest - ja! Verkehrsblockaden, Transportgefährdungen etc. - nein! Das können Sie nachlesen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
- Zuruf von der CDU/CSU: Nein!)

- Sicherlich können Sie das nachlesen. Frau Kollegin Lengsfeld, ich muss ganz ehrlich sagen - seien Sie mir nicht böse -: Ich habe von dem, was ich vorhin gesagt habe, wirklich gar nichts wegzulassen. Ich bin heute um eine menschliche Enttäuschung reicher geworden. Das muss ich Ihnen sagen.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
und der SPD - Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Erst heute?)



Fortsetzung - Aktuelle Stunde


Quelle: Der Bundestag, 17.01.2001


 




©  GLASNOST, Berlin 1992 - 2019