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Hartmut Krauss
'Herrschaft' als zentraler Problemgegenstand
kritisch-emanzipatorischer Gesellschaftstheorie
Fortsetzung: Teil II
Mit dem sich zeitlich und räumlich
uneinheitlich vollziehenden Übergang von der
okkupationswirtschaftlichen Reproduktionsweise (Aneignung unmittelbar
gegebener Nahrungsquellen und Naturvorräte) der Jäger- und
Sammlergemeinschaften zur produktionswirtschaftlichen Herstellung von
Lebensmitteln durch Feldanbau und Viehzucht kam es zur allmählichen
Auflösung des urgesellschaftlich-egalitären
Vergesellschaftungszusammenhangs.
Das Kernereignis dieses Übergangsprozesses bildete die sog.
"neolithische (jungsteinzeitliche) Revolution",
d. h. die agrarische Umwälzung der Produktivkräfte,
vermittels derer die Diskrepanz zwischen dem Bevölkerungszuwachs
in den entwickelten Jäger- und Sammlergemeinschaften und der
diesbezüglich relativen Verknappung der unmittelbar gegebenen
Nahrungsgüter gelöst wurde. Voraussetzung hierfür war
der Übergang zur überwiegend sesshaften Lebensweise als
Basis für die Herausbildung kombinierter hauswirtschaftlicher
Produktionsformen in Gestalt von Ackerbau,
Viehzucht
und Handwerk.
Anhand der vorliegenden
Forschungsliteratur ist davon auszugehen, dass die Herausbildung
früher zwischenmenschlicher Herrschaftsverhältnisse das
langwierige und geographisch recht uneinheitlich in Erscheinung
tretende "synthetische" Resultat sich wechselseitig
verbindender und bestärkender Entwicklungsprozesse gewesen ist
und demzufolge einen multikausalen Charakter aufweist.
Im einzelnen sind hier in verallgemeinernder Perspektive wohl
folgende bedeutsame Prozessfaktoren hervorzuheben:
Die elementare Voraussetzung für
sozialökonomische Differenzierungsprozesse bis hin zur
Etablierung von Ausbeutungsbeziehungen ist die gesellschaftlich
gewachsene Möglichkeit/Fähigkeit zur kontinuierlichen
Erzeugung eines Mehrprodukts infolge gesteigerter
Arbeitsproduktivität. Die Grundlage hierfür bildete
ursprünglich die fest etablierte agrarische Produktionsweise
mit ihren Nahrungsüberschüssen und die dadurch möglich
gewordene Freisetzung von Arbeitskräften für andere
(handwerkliche, produktionsleitende, "deutende" etc.)
Tätigkeiten, so dass es zu einer sich tendenziell verfeinernden
Aufgliederung der gesellschaftlichen Gesamtarbeit in differenzierte
Handlungsprozesse kam. Neben der produktiven Verwendung der
Überschüsse als Vorräte für Notfälle oder
als Tauschmittel für Rohstoffe etc. wurde ein Teil unproduktiv
für kultisch-religiöse Zwecke verausgabt (Teile von Ernte
und Jagdbeute als Opfer; Bau von Kultstätten; Unterhalt von
Priestern etc.). "Die Überschüsse stellten jenen Teil
des gesellschaftlichen Gesamtprodukts dar, der als Ergebnis
gestiegener Arbeitsproduktivität die notwendige Konsumtion, den
Ersatzbedarf verbrauchter Produktionsmittel, die Anforderungen der
erweiterten Reproduktion und den Aufwand für Schutz und
Sicherheit überstieg. Sie dienten aber offenbar noch nicht der
individuellen Konsumtion nichtproduktiver Schichten als eines
weiteren wesentlichen Merkmals des Mehrprodukts. Ihnen wohnten
jedoch die Keime dessen inne, was aus ihnen schließlich in der
Zerfallsepoche der Urgesellschaft das Mehrprodukt werden ließ:
die Möglichkeit privater Aneignung der Ergebnisse der
gesellschaftlichen Mehrarbeit als ökonomische Grundlage für
die Entstehung des Privateigentums an Produktionsmitteln und damit
für die Ausbeutung von Menschen" (Grünert 1989, S.
204).
Die Etablierung einer
Vorratswirtschaft auf der Grundlage eines konstanten Mehrprodukts
hatte nun aber bereits folgende beachtenswerte Konsequenzen: Zum
einen förderte sie den kalkulatorischen Umgang mit den
überschüssigen Gütern, "da Vorräte,
Aufwendungen und Erträge miteinander verglichen und zueinander
in Beziehung gesetzt werden müssen" (Lambrecht u. a. 1998,
S. 213). Zum anderen konnte die einmal in Gang gekommene
Überschussproduktion "leicht in die Irrationalität
einer Surplusproduktion um ihrer selbst willen umschlagen"
(ebenda, S. 214). Besonders hervorzuheben ist aber die
Zentralisierung von Vorratshaltung in eigens geschaffenen
Einrichtungen (Tempel- und später Palastwirtschaften), die von
den einzelnen Haushalten - zunächst im gegenseitigen
Einvernehmen - mit Gütern beliefert wurden, Ländereien
erwarben und Arbeitsleistungen beanspruchten und so ein
eigenständiges Wirtschaftsvermögen sowie eine autonome
sozialökonomische 'Handlungs-Macht' darstellten.
Wenn auch zunächst aus einer gemeinschaftlichen Verständigung
erwachsen, handelte es sich hierbei doch im Kern um die Verlagerung
von sozialökonomischen (subsistenziellen)
Entscheidungskompetenzen von den einzelnen agrarischen
Produktionseinheiten/Haushalten zu den Akteuren der zentralen
Vorratswirtschaft, so dass sich sukzessive die Tendenz zur
Herausbildung herrschaftlicher Macht-Ohnmacht-Beziehungen auf der
Grundlage nach und nach monopolisierter Entscheidungsbefugnisse
durchsetzte. In diesen Kontext der Verselbständigung und
schließlichen 'Verherrschaftlichung' von übertragener
'Handlungs-Macht' gehörte auch die mit dem Übergang
zum Bewässerungsackerbau funktional notwendig gewordene
Ausdifferenzierung einer produktionsvorbereitenden, -koordinierenden
und -organisierenden Leitungsebene mit spezifischen
Handlungspositionen. Die Tätigkeit dieses von der unmittelbaren
Produktion freigestellten und mit spezieller 'Handlungs-Macht'
ausgestatteten Leitungspersonals entsprach anfänglich durchaus
den allgemeinen Lebens- und Reproduktionsinteressen der Gemeinschaft
und so stellte auch die aus dem gesellschaftlichen Mehrprodukt
entnommene Abgabe für die Leitungsmitglieder zunächst noch
kein Ausbeutungsverhältnis dar. "Sie wurde erst im Laufe
der Zeit in ein Ausbeutungsverhältnis umgeformt, wenn ein immer
größerer Teil der höher werdenden Abgaben nicht in
die gesellschaftliche Reproduktion floss, sondern der privaten
Konsumtion oder Akkumulation des Leiters und der mit ihm verbundenen
Personen zugeführt wurde" (Klengel 1976, S. 48).
Infolge der verbesserten Produktionsmethoden, der überwiegend
sesshaften Lebensweise, der Vorratswirtschaft und der veränderten
Ernährungsweise (z. B. Milchproduktion) ergaben sich
grundlegende Veränderungen im Bevölkerungswachstum sowie
der Altersstruktur:
"Die Zunahme der Rate der Geburten bzw. der heranwachsenden
Kinder, die Abnahme der Kindersterblichkeit und die Verlängerung
der durchschnittlichen Lebenserwartung der Erwachsenen führten
zu einem raschen Bevölkerungsanstieg in den drei
weltgeschichtlichen Zentren und ihrer Umgebung, im Vorderen Orient,
in Ostasien und in Mittelamerika" (Hermann 1983, S. 60). Aus
diesen demographischen Veränderungen resultierte wiederum eine
einschneidende strukturelle Transformation der Gemeinwesen. Zum einen
wandelten sich die matrilinearen gentilen Lokalgruppen zu patrilinear
gerichteten Gentilverbänden, zum anderen wurde die
gentil-blutsverwandtschaftliche Verfassung durch die
gentil-politische 'Stammesverfassung überformt. Da zudem
der Widerspruch zwischen den nunmehr vergrößerten
Sozialverbänden und den begrenzten Lebensquellen (verfügbarer
Boden, Größe und Anzahl der Tierherden, Zugang zu Wasser)
auf neuer Grundlage fortwirkte, ergaben sich vermehrt Konflikte
zwischen den Stämmen, die zunehmend auch kriegerisch ausgetragen
wurden,
so dass die stammesinterne Ausdifferenzierung dauerhafter
militärischer Organisationsformen an Bedeutung gewann.
Friedrich Engels hat diesen Differenzierungsvorgang folgendermaßen
umrissen: "Die Volksversammlung kommt auf, wo sie nicht schon
bestand. Heerführer, Rat, Volksversammlung bilden die Organe
der zu einer militärischen Demokratie fortentwickelten
Gentilgesellschaft. Militärisch - denn der Krieg und die
Organisation zum Krieg sind jetzt regelmäßige Funktionen
des Volkslebens geworden. Die Reichtümer der Nachbarn reizen die
Habgier von Völkern, bei denen Reichtumserwerb schon als einer
der ersten Lebenszwecke erscheint ... Der Krieg, früher nur
geführt zur Rache für Übergriffe oder zur Ausdehnung
des unzureichend gewordenen Gebiets, wird jetzt des bloßen
Raubs wegen geführt, wird stehender Erwerbszweig. Nicht umsonst
starren die dräuenden Mauern um die neu befestigten Städte:
In ihren Gräben gähnt das Grab der Gentilverfassung, und
ihre Türme ragen bereits hinein in die Zivilisation"
(Engels 1984/ MEW 21, S. 159f.).
Infolge der Zunahme kriegerischer Konflikte zwischen den Gemeinwesen
kam es zu einer selektiven Aufwertung des "Anführers"
bzw. des Leiters der militärischen Auseinandersetzungen und
seiner unmittelbaren Gefolgsleute. Zunächst nur zeitweilig
berufen, gelang es ihm, sein Amt permanent auszuüben, mit
Vorrechten (z. B. bezüglich der Beuteverteilung) auszustatten
und erblich zu machen. Zunächst nur zeitweilig übertragene
militärische Befehlsvollmacht führte so aufgrund der
Verstetigung kriegerischer Auseinandersetzungen zur Etablierung einer
abgehobenen Sonderstellung mit exklusiver Entscheidungs- und
Aneignungsgewalt. Dabei unterstützte die gewaltsame
Eroberung/Einverleibung fremder Gemeinwesen und die Unterjochung
ihrer Angehörigen das Streben des "Anführers",
"sich aus dem Verband einer Gemeinde zu lösen und als
übergeordnete Instanz in dieser neuen Einheit eine permanente
Funktion auszuüben.
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Von entscheidender Bedeutung für
die weitere Ausgestaltung der frühen zwischenmenschlichen
Herrschaftsverhältnisse war zum einen die "eliteninterne"
Durchsetzung der Dominanzposition des militärischen
Anführers/Staatsführers gegenüber der
Tempelaristokratie und der Priesterschaft sowie zum anderen die
damit möglich gewordene Monopolisierung der religiösen
Deutungs- und Interpretationsmacht.
Der zum absoluten Herrscher gewordene Anführer vermochte sich
nunmehr zugleich als Vertreter des Gesamtgemeinwesens gegenüber
der Gottheit/den Gottheiten und als Stellvertreter der Gottheit(en)
gegenüber dem Gemeinwesen in Szene zu setzen und erreichte auf
diese Weise die Aura einer höheren/zusammenfassenden Einheit.,
"die über allen diesen kleinen Gemeinwesen steht, als der
höhere Eigentümer oder als der einzige Eigentümer
erscheint, die wirklichen Gemeinden daher nur als erbliche Besitzer"
(Marx 1974/Grundrisse, S. 376). Ihm oblag damit auch die
'rechtmäßige'/religiös sanktionierte Verfügung
über das gesellschaftliche Mehrprodukt. Voraussetzung für
diese 'monopolistische' Herrschaftsausübung war die
Unterwerfung und anschließende funktionale Integration der
Priesterschaft in den despotischen Herrschaftsapparat. "Eine
Widerspiegelung hat diese Entwicklung in der Vorstellung der Götter
als Herrscher erfahren, die über niedere Gottheiten geboten.
Das Herrscherprinzip fand in die religiösen Vorstellungen
Eingang; ein Frevel gegenüber dem Herrscher war gleichbedeutend
mit einer Sünde wider die Götter und die von ihnen
geschaffene Weltordnung" (Grünert 1989; S. 232). Die für
den religiösen Glauben elementare metaphysische Seinsordnung
wird auf diese Weise gegenüber der
urgesellschaftlich-egalitären Mythologie umgedeutet in eine
göttlich bestimmte zentralistische Herrschaftsordnung mit
paradigmatischem Charakter für die 'weltliche Realität
und das menschliche Handeln in ihr: "Gottgefälligkeit"
und Unterwerfung unter die weltlichen Herrschaftsinstanzen werden
fortan zu einem "multisemantischen", in vielfältigen
Bedeutungszusammenhängen wie Bildern, Metaphern, mythologischen
Erzählungen, heiligen Texten etc. in Erscheinung tretenden
Kernnormativ religiöser Bedeutungssysteme
zusammengeschmolzen. Gleichzeitig erhält die Ausübung von
Herrschaftspraxis gerade auch in Form von Zerstörung und
offener Gewaltanwendung gegen Andere, Fremde, Nichtgläubige
etc. die Weihe des Göttlichen, mitunter sogar als bloße
Vollstreckung göttlicher Aufforderung. Besonders herzuheben ist
hier, dass die Monopolisierung der religiösen (Welt-)Deutungs-
und Interpretationsmacht nicht bloß einen "sekundären
Überbau" darstellt, sondern ein zentrales,
subjektprägendes Formierungs- und Reproduktionsmoment
zwischenmenschlicher Herrschaftsbeziehungen bildet, das tief in die
menschlichen Denk-, Erlebnis- und Verhaltensweisen bzw.
Habitusformen eingreift und diese herrschaftsfunktional umgestaltet.
Die Monopolisierung von
Deutungs- und Interpretationsmacht ist zwar eine notwendige und
äußerst wirkungsmächtige, aber noch keine
hinreichende Voraussetzung für eine dauerhafte
Bestandssicherung zwischenmenschlicher Herrschaftsverhältnisse.
Darüber hinaus bedarf es, neben der Aufrechterhaltung und
herrschaftlichen Überformung 'allgemeinwohlsichernder'
Einrichtungen, der Schaffung eines Ensembles von Institutionen zur
Kontrolle, Abschreckung und Niederhaltung der Beherrschten und
Unterworfenen. Im Einzelnen sind hier insbesondere anzuführen:
eine Zentralregierung als zusammenfassende und koordinierende
Befehlsgewalt, die tributeintreibende bzw. die Mehrwertabpressung
besorgende Beamtenschaft, stehendes Heer; Polizei, Gerichte,
Gefängnisse etc. Dabei ist davon auszugehen, dass mit der
Usurpation und Vererbung von öffentlichen Ämtern sowie der
Akkumulation ämterbezogener Reichtümer und Privilegien
(Sondereigentum, Tributforderungen, Vorrechte etc.) der Grundstein
gelegt ist sowohl für die Klassenspaltung als auch für
die Entstehung des Staates als Organ der herrschaftlichen
Reorganisation des Gemeinwesens. Angesichts dieses
menschheitsgeschichtlichen Entwicklungshintergrundes ist zutreffend
darauf hingewiesen worden, dass die Unterdrückung der nunmehr
dauerhaft unterworfenen und beherrschten Menschengruppen primär
nicht im Ausschluss von Luxuskonsum, 'relativer Armut' etc. besteht,
sondern vielmehr im Ausschluss von gesellschaftlicher
Realitätskontrolle und der darin implizierten Möglichkeit
zur bewussten Gestaltung/Veränderung der gemeinschaftlichen
Lebensverhältnisse. "Diese Fremdbestimmung schließt,
gemessen am gesellschaftlichen Stand, weitgehende individuelle
Entwicklungslosigkeit ein, die in dem Sinne gleichbedeutend mit
'Unmenschlichkeit' ist, als das Spezifikum menschlicher in Abhebung
von bloß organismischer Lebensaktivität, die individuelle
Teilhabe am kumulierten gesellschaftlichen Wissen und die bewusste
Mitgestaltung des gesellschaftlichen Prozesses, hier unterdrückt
und verstümmelt ist" (Holzkamp-Osterkamp1978, S. 286).
'Zwischenmenschliche Herrschaft' konkretisiert sich damit bei
näherer Betrachtung als Entsubjektivierung der Mehrheit durch
Enteignung gesellschaftlicher Verfügungsmöglichkeiten mit
dem Resultat der Akkumulation individueller
Entwicklungsvoraussetzungen auf Seiten der Herrschenden und der
Konzentration individueller Entwicklungsbehinderungen auf Seiten der
Beherrschten.
Mit der Erosion der
urgesellschaftlich-egalitären Gemeinschaftsbeziehungen, der
Herausbildung agrarischer Privateigentümer unterschiedlicher
Größenordnung und der bereits angesprochenen
Bedeutungszunahme militärischer Aktivitäten, kam es auch
zur herrschaftlichen Umstrukturierung der Familie als 'Grundeinheit'
und elementarer Bereich der gesellschaftlichen Lebensreproduktion.
Im Kern handelte es sich hierbei um die Transformation der relativ
egalitären Paarfamilie in die Hausvaterfamilie mit
patriarchalischer Verfügungsgewalt. Diese patriarchalische
Verfügungsgewalt, hervorgegangen aus der exklusiven Aneignung
intrafamilialer Handlungs- und Entscheidungsmacht, basierte auf der
Umsetzung der früheren Nutzungs- und späteren
Eigentumsrechte des männlichen Familienoberhauptes/Hausvaters
in eine Herrschaftsbeziehung gegenüber der Ehefrau, den
Nachkommen sowie den übrigen Mitgliedern der
hauswirtschaftlichen Lebensgemeinschaft. Der ökonomisch-politische
Entstehungskontext der patriarchalischen Familienbeziehungen ergab
sich dabei im Näheren aus der Korrelation folgender
Entwicklungskomponenten: a) der Verstärkung/Verdichtung
militärischer Konflikte; b) der gesellschaftliche Aufwertung
der kriegführenden Männer, c) der Vergabe von zusätzlichen
Bodenflächen und Nutzungs-/Eigentumsrechten an Männer für
besondere Kriegsdienste; sowie d) die Herausbildung
größerer/exponierter Wirtschaftsvermögen in Form
reicherer Familienhaushalte. Mit der Entstehung, Konsolidierung und
Vergrößerung privater, patriarchalisch kommandierter
Wirtschaftsvermögen entstand bzw. verstärkte sich dann
auch das Verlangen nach Sicherung väterlicher Erbfolge und nach
Garantie legitimer Erben. In diesem Entwicklungskontext schlugen die
bisherigen sozialen Geschlechterunterschiede um in einen
asymmetrisch-herrschaftsförmigen Geschlechtergegensatz. "Da
die Triebfeder, welche die Monogamie hervortrieb, die Mehrung von
Eigentum war und das Verlangen, es auf die Kinder zu übertragen
- auf die legitimen Erben, trat ... der neue Brauch auf:
Abschließung der Frauen" (Marx 1976b, S. 162). Diese
'Abschließung - symbolkräftig bezeugt im sog.
Keuschheitsgürtel oder aber in der 'Verschleierung' des
weiblichen Körpers - konzentriert sich in der Kontrolle der
weiblichen Sexualität ('Monogamisierung') sowie in der
weitgehenden Zurückdrängung der Frauen aus dem
öffentlichen Leben, was eine systematische Entrechtung
impliziert,
die sich u.a. in folgenden formellen und informellen Normen
ausdrückt: Schmähung sexueller Freizügigkeit der Frau
als Ausschweifung und Schande bis hin zu prophylaktischer
Genitalverstümmelung (bei gleichzeitiger Institutionalisierung
männlicher Polygamie); Anstößigkeit von weiblicher
Initiative bei der Gattenwahl und generell in der heterosexuellen
Kommunikation; der verbreitete Brauch der Zwangsverheiratung; die
Preisgabe des "Mädchennamens" bei der Eheschließung
als Demutssymbol gegenüber dem zukünftigen männlichen
Familienoberhaupt, "Schwiegertochter-Arbeit" als
spezifische Form der patriarchalisch-despotischen
Familienbeziehungen; generell die Behandlung von Frauen als Besitz
des Mannes;
Verdrängung von Frauen aus Priesterfunktionen; Verdammung
mutterrechtlich-naturreligiöser Praktiken ("Frauenmagie")
als Teufelswerk, Hexerei etc.
Unterhalb der hierarchisch
angeordneten Ebenen von "Gottvater", "König"
(Stellvertreter Gottes auf Erden) und herrschender/en Klasse/n
(Obrigkeit) bildete das hausväterliche Patriarchat die unterste,
sozialisatorisch äußerst wirkungsvolle Säule einer
religiös sanktionierten, traditionalistisch-autoritativen
Herrschaftsordnung, an der nicht gerüttelt werden durfte und die
auch heute noch - in Verbindung mit dem 'heiligen Vaterland' - das
kulturübergreifend herausragende Paradigma konservativer
Grundgesinnung darstellt.
Während die Existenz früher
Herrschaftssysteme anhand von archäologischem Fundmaterial,
Bauresten, Gräbern, bildhaften Darstellungen, Urkunden etc.
relativ 'dicht' dokumentiert werden kann, läßt sich die
konkrete Art und Weise der ursprünglichen Etablierung sozialer
Herrschaftsbeziehungen in dieser Form natürlich nicht
belegen. Dennoch ist m. E. begründet zu vermuten, dass der
Vorgang zwischenmenschlicher Herrschaftsgenese nicht nur in der nach
außen gerichteten Gestalt zwischenethnischer Eroberungskriege
mit dem Resultat anschließender Versklavung von Teilen der
Unterlegenen, sondern auch in seiner 'binnengesellschaftlichen'
Durchsetzungsvariante ein - je nach Umständen variierender -
räuberisch-gewaltsamer Prozess gewesen ist. Mit Blick auf sich
gegenwärtig vollziehende Bildungsprozesse reproduktionsfähiger
lokaler/regionaler Bandenkriminalität, wo es hierarchisch
strukturierten Gruppen von Kriminellen unter Ausschaltung,
Zurückdrängung oder Einbeziehung von 'Sicherheitsorganen'
gelingt, mit terroristisch-despotischen Strategien eine Raub- und
Schutzgeldökonomie zu konsolidieren,
ist davon auszugehen, dass die Entstehung zwischenmenschlicher
Herrschaftsbeziehungen da und dort einsetzte, wo es Einzelnen oder
Gruppen gelang, zunächst situativ angewandte 'Gewalt-Macht' zum
Zwecke der parasitären Bereicherung dauerhaft durchzusetzen.
Die allgemeine Möglichkeit zu Ausbildung dieses parasitären
Bereicherungsmotivs "auf Kosten anderer" konnte sich in dem
Maße entwickeln, wie durch Produktivitätssteigerung der
gesellschaftlichen Arbeit, wachsender und sich verstetigender
Arbeitsteilung, der Erwirtschaftung eines konstanten Mehrprodukts
sowie generell der 'Verdichtung' überindividueller
Tätigkeitszusammenhänge die unmittelbare Abhängigkeit
zwischen individueller und gesellschaftlicher Lebenssicherung
'zerriss' und sich beide Momente zunehmend gegeneinander
verselbständigten. In Anlehnung an Holzkamp (1983, S. 193) ist
hier von einer "Durchbrechung der Unmittelbarkeit des
Zusammenhangs zwischen der Schaffung von Lebensmitteln/-bedingungen
und deren Gebrauch/Nutzung durch das jeweils gleiche Individuum (zu)
sprechen." Die damit gegebene 'gesamtgesellschaftliche
Vermitteltheit' der individuellen Existenz impliziert folglich die
Möglichkeit, die objektive Entkoppelung zwischen der Schaffung
und Nutzung der 'gesellschaftlichen Lebensmittel' auf subjektiv
parasitäre Weise zu instrumentalisieren, d. h. ohne
Gegenleistung die von anderen erbrachten Arbeitsergebnisse
repressiv/gewaltsam anzueignen. Somit wäre die Erzeugung von
Herrschaftsstrukturen nicht zuletzt auch auf die Verknüpfung von
parasitären Bereicherungsabsichten mit der Fähigkeit zur
dauerhaften Durchsetzung und Anwendung von 'Gewalt-Macht'
zurückzuführen und damit die universell sichtbare
Durchdringung/Wesensverwandtschaft von Herrschaft, Gewalt und
Kriminalität fassbar geworden.
Fortsetzung - Teil III


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