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Einen Tag vor den Landtagswahlen in Niedersachsen (01.03.1998) veröffentlicht das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) eine Kritik an den vom Bundesfinanzministerium erstellten Finanzbericht, der die Enddaten für die Einführung des Euro enthält. Die Daten sollen geschönt sein. Das DIW sieht sich deshalb veranlaßt, eine Stellungnahme abzugeben. Schäuble und Waigel sind empört über den Bericht. Die Bundesmittel sollen dem Institut - so Waigel - gekürzt werden. Das DIW wiegelt ab, bleibt jedoch bei der Kritik. Im folgenden wird die Stellungnahme dokumentiert. Siehe auch Artikel in der Jungen Welt vom 02.03.1998 1998-02-28Stellungnahme des DIW zur Diskussion über das Finanzierungsdefizit des Staates im Jahre 1997Das Statistische Bundesamt hatte in einer Presseerklärung am 27. Februar mitgeteilt, das Staatsdefizit für das Jahr 1997 in der Abgrenzung des Europäischen Systems Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen belaufe sich auf 2,7 % in Relation zum Bruttoinlandsprodukt, läge also deutlich unter dem Referenzwert von 3 %, der im Vertrag von Maastricht für die Messung der Konvergenz vorgesehen ist. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hatte am Wochenende zum Ausdruck gebracht, daß es diese Ergebnisse teilweise nicht nachvollziehen kann. Das DIW hat sich dabei auf eigene Berechnungen im Rahmen der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung gestützt. Diese werden nach einem seit langer Zeit bewährten Verfahren auf der Basis vielfältiger, zum größten Teil vom Statistischen Bundesamt zur Verfügung gestellter Daten vorgenommen. Das DIW kam in seinen Analysen zu dem Ergebnis, daß das Staatsdefizit die 3 %-Marke überschritten habe. Die Feststellung des Statistischen Bundesamtes, daß es über eine "weitaus vollständigere statistische Grundlage" als das DIW verfüge, ist grundsätzlich richtig. In diesem Jahr sind nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes zudem besondere Anstrengungen unternommen worden, die Daten für die Defizitberechnung auf eine breitere Basis als üblich zu stellen. Gleichwohl beruhen die Berechnungen derzeit noch zu einem erheblichen Teil auf Schätzungen. Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, über generelle Probleme solcher Schätzungen informiert zu werden, zumal wenn es sich um eine "punktgenaue" Berechnung von Staatsdefiziten handelt. Dies hat das DIW, wie es sein satzungsgemäß festgelegter Auftrag ist, getan. Darüber hinaus: Wer eine strenge Prüfung der Defizitberechnungen in anderen Staaten fordert, muß auch die besonderen Bemühungen Deutschlands, das Defizitziel zu unterschreiten, kritisch würdigen. Das DIW distanziert sich von Vorwürfen einiger Gegner der Europäischen Währungsunion, das Statistische Bundesamt habe die Daten zur Defizitberechnung manipuliert. Das DIW hat sich immer für die Europäische Währungsunion ausgesprochen. Von Anfang an hat das Institut aber auch deutlich gesagt, daß die Stabilität des Euro nicht von einer wie genau auch immer berechneten Staatsdefizitquote des Jahres 1997 abhängt, sondern von einem geeigneten institutionellen Rahmenwerk. Seit vielen Jahren berechnet das DIW etwa vier Wochen vor dem Statistischen Bundesamt das neueste Quartal der vierteljährlichen volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als geschlossene Kreislaufrechnung. Dieses Verfahren ist inzwischen standardisiert und basiert auf den zuletzt vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Informationen. In diesem Rahmen wird auch das Staatskonto aktualisiert. Ausgewertet werden in diesem Zusammenhang insbesondere Finanz-, Steuer- und Sozialversicherungsstatistiken, die Ausgaben und Einnahmen der öffentlichen Haushalte und die Zahlungsbilanzstatistik. Dabei stehen für die Berechnung der Zeitreihen Daten von unterschiedlicher Aktualität zur Verfügung. In einigen Fällen müssen die Lücken durch Schätzungen gefüllt werden. Das Statistische Bundesamt hat vier Wochen später eine umfangreichere Datenbasis als das DIW. Allerdings ist auch zu diesem Zeitpunkt der Schätzanteil dies bezieht sich vor allem auf die fehlenden Angaben der Gemeinden noch relativ hoch. Dieses Mal standen indes z.B. Daten der Gemeinden und der Sondervermögen des Bundes rascher bereit. Dies hat u.a. im vierten Quartal zu Ergebnissen geführt, die alle in die gleiche Richtung gewirkt haben. siehe Staatskonto 1997 Die Differenzen zwischen den Schätzungen des DIW bei der Berechnung des Staatsdefizits und den veröffentlichen Daten des Statistischen Bundesamtes bestehen vor allem beim Staatsverbrauch, bei den laufenden Übertragungen sowie bei den Investitionsausgaben des Staates. Hingegen sind die Unterschiede bei den Einnahmen vergleichsweise gering (vgl. Tabelle). Die Unterschiede beim Staatsverbrauch liegen insbesondere bei den Ausgaben für militärische Beschaffungen und zivile Sachkäufe. Die Entwicklung der militärischen Beschaffungen weist im Jahresverlauf ein ganz untypisches Muster auf; im ersten Halbjahr sind die Ausgaben merklich ausgeweitet, im zweiten Halbjahr indes sehr stark gekürzt worden. Ähnliches gilt für die öffentlichen Investitionen. Sie sind im vierten Quartal in einem Ausmaß zurückgeführt worden, das aufgrund der Produktionsstatistik, der geleisteten Arbeitsstunden sowie der Haushaltsplanungen nicht erwartet werden konnte. Hinzu kamen überraschend hohe Grundstücksverkäufe des Bundeseisenbahnvermögens. Die Differenz bei den Übertragungen an die übrige Welt resultiert aus der Entwicklung im Dezember 1997 und Korrekturen gegenüber der Zahlungsbilanzstatistik für die Jahre 1995 und 1996. Nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes sanken die Geldleistungen der Krankenversicherungen im zweiten Halbjahr 1997 um mehr als ein Fünftel. Dieser Rückgang ausgehend von den im 4. Quartal 1996 bereits um 10 % gesunkenen Ausgaben war nicht vorhersehbar. Die vom DIW vorgelegte Berechnung für das öffentliche Defizit ist also als Referenzszenario für eine Entwicklung zu interpretieren, die unter normalen Umständen zu erwarten gewesen wäre. Die Umstände waren allerdings nicht normal. Offenbar wurden in den verschiedensten Bereichen besondere Anstrengungen unternommen, das Defizit unter die 3%-Marke zu drücken. Genau mit diesem Vorgehen ist aber das eigentliche Problem weiterhin ungelöst. Wenn den öffentlichen Defiziten eine Bedeutung für die Stabilität des Euro zukäme, wäre es selbstverständlich nicht die mit besonderen Maßnahmen im Referenzjahr gedrückte Relation zum Bruttoinlandsprodukt, die dafür zählte, sondern die mittelfristige Entwicklung. Dieser Sachverhalt ist üblicherweise gemeint, wenn von Nachhaltigkeit gesprochen wird. Ebensowenig wie im Falle Italiens das Drücken des Defizits durch eine Sondersteuer für nachhaltig gehalten wird, ist auch das Drücken des Defizits in Deutschland durch besondere Anstrengungen auf der Ausgabenseite kaum nachhaltig zu nennen. Vor allem wird das an den öffentlichen Investitionen augenfällig. Diese sind, ausweislich der Zahlen des Statistischen Bundesamtes, im gesamten vergangenen Jahr um fast 10 % gesunken, im vierten Quartal allein um 18 %. Nur bei einer vordergründigen, vorwiegend auf die zahlenmäßige Einhaltung der Kriterien bedachten Interpretation des Maastrichtvertrages wird man dies als Erfolg ansehen können. Längerfristig würde mit einer fortgesetzten Kürzung der öffentlichen Investitionen die Chance gefährdet, auf Dauer ein hohes Realeinkommen bei Preisstabilität zu erzielen. Ist diese Politik nur für kurze Zeit angelegt, darf sie von vornherein nicht als Basis für die Beurteilung der Solidität der Finanzpolitik herangezogen werden. Im Kern geht es also nicht darum, die Ergebnisse des Statistischen Bundesamtes in Frage zu stellen, sondern um den Vergleich des unter normalen Umständen zu erwartenden mit dem tatsächlich vorgelegten Ergebnis für das staatliche Defizit. Dieser Vergleich zeigt einerseits, daß der Staat auf der Ausgabenseite die kurzfristigen Gestaltungsmöglichkeiten weitgehend genutzt hat, und andererseits, wie fragwürdig die Debatte um 2,7 oder 3,0 % für die Währungsunion ist. Die Europäische Währungsunion wird bei dem gegebenen Stand der monetären Konvergenz, ganz unabhängig von Zehnteln beim Staatsdefizit, dann zum Erfolgsmodell, wenn sich alle wirtschaftlichen Akteure an die geschriebenen und ungeschriebenen Regeln eines einheitlichen Währungsraumes halten. Das betrifft die Geld- und Lohnpolitik in noch größerem Maße als die Finanzpolitik. In der politischen Auseinandersetzung über die Währungsunion, also über die Kriterien und die institutionellen Voraussetzungen, hat sich aber, wie die jüngste Diskussion zeigt, eine beträchtliche Schieflage herausgebildet. Die Frage des aktuellen Standes der Konvergenz eher nachrangiger Kriterien spielt eine überragende Rolle. Hingegen werden die Einhaltung des zentralen Kriteriums der Preisstabilität sowie die ordnungspolitisch entscheidende Frage nach geeigneten Regeln für eine funktionsfähige Währungsunion weitgehend verdrängt. So wird auch, ähnlich wie schon bei der deutsch-deutschen Währungsunion, die Tatsache nahezu ignoriert, daß in der Lohnpolitik von deutscher Seite massiv gegen die ungeschriebenen Gesetze eines Festkursblocks verstoßen wird. Die Erfahrungen in Deutschland zeigen aber gerade, daß hier viel gravierendere Fehlentscheidungen getroffen werden können als in der Finanzpolitik. Quelle: DIW |
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