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1992-12-10

Kommuniquè der Ministertagung des Verteidigungsplanungsausschusses

am 10. und 11. Dezember 1992 in Brüssel

1.

Der Verteidigungsplanungsausschuß der Nordatlantik-
vertrags-Organisation trat am 10. und 11. Dezember 1992
auf Ministerebene in Brüssel zusammen.


2.

Wir befinden uns in einer kritischen Zeit des Übergangs in
Europa. Unser Treffen hat auf den Entscheidungen aufgebaut,
die bei den NATO-Gipfeln in London und Rom, dem Treffen
in Maastricht und dem KSZE-Gipfel in Helsinki getroffen
wurden. Bei unserem jüngsten Treffen in Glencaglès haben
wir unsere tiefe Besorgnis über die Risiken für die europäische
Sicherheit und Stabilität zum Ausdruck gebracht, die aus der
Zunahme regionaler Konflikte auf Grund ethnischer Rivalitä-
ten und Gebietsstreitigkeiten entstehen. Das Bündnis steht zu
seiner Verpflichtung, seiner Rolle im Bestreben um eine fried-
liche Beilegung dieser Konflikte voll gerecht zu werden und
so den Verlusten an Menschenleben, dem Leid und der Zerstö-
rung ein Ende zu setzen.


3.

Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien ist das drängendste
Problem.  Wir unterstützen in vollem Umfang die Anstrengun-
gen der Vereinten Nationen, der KSZE und der Europäischen
Gemeinschaft, diesen tragischen Konflikt durch Verhandlun-
gen beizulegen und fordern alle Parteien auf, daran mitzuwir-
ken. Die Bündnispartner leisten substantielle aktive Beiträge
zu den friedenserhaltenden Anstrengungen der Vereinten
Nationen einschließlich der Überwachung der Waffenruhe
sowie der Beteiligung an und Schutz von humanitären Hilfs-
konvois.

In den letzten Wochen hat die NATO ihr Engagement ver-
stärkt: Sie stellt bedeutende Elemente für das Hauptquartier
der Schutztruppe der Vereinten Nationen in Bosnien-Herze-
gowina, führt Einsätze zur Luftraumüberwachung durch und
unternimmt - im Zusammenwirken mit der WEU - maritime
Aktionen zur Durchsetzung von Resolutionen des Sicherheits-
rats der Vereinten Nationen.  Die Allianz hat ihren Willen
klar bekundet, weitere Hilfsersuchen der Vereinten Nationen
positiv in Erwägung zu ziehen.


4.

Die NATO besitzt einzigartige Fähigkeiten, zu friedenserhal-
tenden Maßnahmen beizutragen.  Als Verteidigungsminister
haben wir eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Fähig-
keit der NATO, solche Maßnahmen auf Ersuchen der Verein-
ten Nationen oder der KSZE zu unterstützen.  Ein Bündnisbei-
trag zur Friedenserhaltung, entweder durch den Einsatz kollek-
tiver Mittel und Kräfte oder im Rahmen individueller nationa-
ler Beiträge zu friedenswahrenden Missionen, hat Auswirkun-
gen auf die NATO-Verteidigungsplanung.

Es wird daher wichtig sein, sicherzustellen, daß die einzelnen
nationalen Beiträge zu friedenserhaltenden Maßnahmen mit
den Verpflichtungen und Fähigkeiten zur kollektiven Vertei-
digung der Allianz im Einklang stehen.  In der Erkenntnis, daß
Entscheidungen zur Unterstützung friedenserhaltender Maß-
nahmen von Fall zu Fall und in Übereinstimmung mit den
Allianzverfahren zu treffen sein werden, müssen wir sicher-
stellen, daß die hierzu notwendigen Fähigkeiten dann verbes-
sert und verfügbar sind, wenn derartige Entscheidungen gefällt
werden.  Die militärischen Dienststellen der NATO haben
bereits damit begonnen, die erforderliche Grundlage für eine
mögliche zukünftige NATO-Unterstützung friedenswahrender
Maßnahmen zu erarbeiten.

Ergänzend dazu und in Übereinstimmung mit der politischen
Entscheidung des Rates in Oslo hinsichtlich der Unterstützung
friedenserhaltender Maßnahmen durch die Allianz haben wir
den Verteidigungsplanungsausschuß auf der Ebene der Stän-
digen Vertreter angewiesen, spezifische Maßnahmen, zum
Beispiel auf den Gebieten Führung, logistische Unterstützung,
Infrastruktur sowie Ausbildung und Übungen, auszuarbeiten,
um die Fähigkeiten der NATO zur Friedenserhaltung zu stär-
ken und um diese im Rahmen der Streitkräfteplanung weiter
verbessern zu können.  Wir sind zu dem Schluß gekommen,
daß die Unterstützung friedenserhaltender Maßnahmen der
Vereinten Nationen und der KSZE zu einem Teil des Auftra-
ges von NATO-Streitkräften und Hauptquartieren gemacht
werden sollte.  Wir sind der Ansicht, daß Planungen und
Vorbereitungen auf diesem Gebiet so weit wie möglich unter
enger Beteiligung aller Bündnispartner vorgenommen werden
sollten.


5.

Die Ausbreitung von Krisen und Konflikten in Europa hat
Dialog und Kooperation wichtiger denn je gemacht.  Vertei-
digungsbezogene Aktivitäten mit unseren Kooperationspart-
nem stellen einen wertvollen Beitrag zur Verbesserung des
sicherheitspolitischen Umfelds insgesamt dar.  Auf allen Ebe-
nen finden häufig Gespräche zwischen Beamten sowie Offi-
zieren des Bündnisses und unseren Kooperationspartnem statt.  
Hochrangig besetzte Seminare zu den Themen "Verteidigungspolitik, 
Führung und Organisation" sowie "Gliederung
und Struktur von militärischen Stäben und Streitkräften in
demokratischen Gesellschaften" sind mit Erfolg durchgeführt
worden.  Ein weiteres Seminar zu "Verteidigung und Umwelt"
wird Anfang nächsten Jahres in den Niederlanden stattfinden.  
Vertreter aus den meisten Ländern unserer Kooperationspart-
ner haben in NATO-Ausbildungsstätten an Sonderlehrgängen
teilgenommen.

Ein erheblicher Anteil unserer Anstrengungen auf dem Gebiet
der verteidigungsbezogenen Zusammenarbeit dient der geziel-
ten praktischen Fachberatung einzelner Kooperationspartner,
sowohl durch NATO-Teams als auch durch einzelne Bünd-
nispartner.  Wir werden alle diese Aktivitäten insbesondere auf
praktischem Gebiet weiterentwickeln, um unsere Zusammen-
arbeit zu intensivieren und unsere gemeinsame Sicherheit zu
erhöhen. Dies ist keine Einbahnstraße: Auch die Bündnispart-
ner profitieren von der Erfahrung, die durch den gegenwär-
tigen Austausch gewonnen wird.  Wir sehen weiteren Gesprä-
chen mit unseren Kooperationspartnern insbesondere zu
Fragen der Friedenserhaltung bei unserem nächsten Treffen im
neuen Jahr erwartungsvoll entgegen.


6.

Die Krise in Jugoslawien hat die Wichtigkeit effektiver
Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Institutionen
der neuen Sicherheitsarchitektur in Europa unterstrichen.  Die
Sicherheit Europas ist untrennbar mit der Nordamerikas ver-
bunden: Enge transatlantische Bindungen und die weitere
Präsenz amerikanischer Streitkräfte in Europa sind daher im
Interesse aller Bündnispartner und bleiben für die Sicherheit
des Bündnisses von vitaler Bedeutung.

Wie in Rom und Maastricht vereinbart, bleibt die NATO das
wesentliche Forum für Konsultationen unter den Verbündeten
und für die Vereinbarung von politischen Maßnahmen, die
sich auf die Sicherheits- und Verteidigungsverpflichtungen
ihrer Mitgliedstaaten nach dem Nordatlantikvertrag auswir-
ken. Die kollektive NATO-Verteidigung bleibt daher die
primäre Verantwortung der Kräfte, die der WEU zugeordnet
sind. Wir messen auch weiterhin der gegenseitigen Trans-
parenz und Komplementarität zwischen NATO und WEU
Bedeutung bei.

Wir begrüßten die Ergebnisse des WEU-Ministerrates in Rom
vom 20. November, der bestätigt hat, daß allen europäischen
Bündnispartnern die Möglichkeit eröffnet sei, als Vollnüt-
glieder, assoziierte Mitglieder oder Beobachter an allen Akti-
vitäten der WEU teilzuhaben. Damit wird der europäische
Pfeiler des Bündnisses gestärkt. Wir begrüßen ebenso die
Stärkung der WEU in der Organisation und ihrer operativen
Rolle, insbesondere die vor kurzem erfolgte Aufstellung der
WEU-Planungszelle in Brüssel. Wir sehen der bevorstehenden
Verlegung von WEU-Rat und Sekretariat nach Brüssel erwar-
tungsvoll entgegen. Dies ist ein weiterer Beitrag zu verbesser-
ter Zusammenarbeit zwischen NATO und WEU.


7.

Wir begrüßten die deutsch-französische Initiative, ein euro-
päisches Korps aufzustellen, das für Bündnisaufträge zur Ver-
fügung gestellt werden soll und damit einen bedeutenden
Beitrag zur Stärkung des europäischen Pfeilers der Allianz
leisten soll. SACEUR verhandelt zur Zeit mit den beiden
betreffenden Generalstabschefs über die Erstellung eines
Sonderabkommens, das die Einzelheiten der Verfügbarkeit
dieses Korps im Rahmen des Bündnisses festlegt.


8.

Der Anpassungsprozeß der Bündnisstrukturen an die neuen
sicherheitspolitischen Gegebenheiten dauert an.  Die Umglie-
derung der Streitkräfte- und Kommandostrukturen der NATO
hat gute Fortschritte gemacht.  Wir haben unsere Überprüfung
der NATO-Kommandostruktur auf der oberen Führungsebene
durch die Billigung der Einzelstrukturen für die Südregion
zum Abschluß gebracht. Wir haben festgestellt, daß die erfor-
derlichen Maßnahmen bereits erarbeitet worden sind,-um die
zeitgerechte Umsetzung der neuen Kommandostruktur des
Bündnisses zu gewährleisten. Wir haben außerdem ein Doku-
ment mit den überarbeiteten Richtlinien des Militärausschus-
ses für die Verteidigungsplanung zur Kenntnis genommen.


9.

Im Rahmen unserer Prüfung der nationalen Verteidigungs-
pläne für die Jahre 1993-1997 und darüber hinaus sind wir zu
der Schlußfolgerung gelangt, daß die Bereitstellung von Trup-
pen für die Krisenreaktionskräfte des Bündnisses insgesamt
zufriedenstellend ist. Wir begrüßten die Aufstellung des
Planungsstabes bei SHAPE und die kürzliche Aktivierung des
Korpsstabs für die schnellen Krisenreaktionskräfte im Alliier-
ten Kommandobereich Europa. Eine Reihe geplanter nationa-
ler Streitkräftereduzierungen wird sich jedoch auf den zukünf-
tigen Umfang und die Fähigkeiten der Hauptverteidigungs-
kräfte auswirken. Wir haben daher veranlaßt, die Auswirkun-
gen der sich verändernden Streitkräftestärken auf die neue
Struktur zu überprüfen.


10.

Obgleich der Druck auf die nationalen Verteidigungshaushalte
wächst und sich auf einige bestehende Modernisierungspläne
auswirken wird, haben wir festgestellt, daß der Gerätetransfer
im Zuge des KSE-Vertrags zu Verbesserungen in den Moder-
nisierungsprogrammen einiger Bündnispartner geführt hat.  
Wir befaßten uns mit einem Bericht über die Fähigkeiten des
Bündnisses zur logistischen Unterstützung und stellten insbe-
sondere geänderte Forderungen an Mobilität und Unterstüt-
zung durch die jeweilige Gastgebernation fest.  Wir waren uns
auch darin einig, die militärische Nutzung ziviler Ressourcen
anzuregen, um die Kostenwirksamkeit zu erhöhen.


11.

Die Vereinigten Staaten haben uns über den aktuellen Stand
der Gespräche mit der Russischen Föderation und anderen
Staaten über die Errichtung eines Globalen Schutzsystems
informiert.  Wir waren uns in der Auffassung einig, daß das
Bündnis die Beratungen über das Konzept für ein Globales
Schutzsystem im Zusammenhang mit einer Strategie der
Nichtverbreitung ballistischer Raketen fortführen sollte.


12.

Rüstungskooperation bleibt ein wichtiges Element der Sicher-
heit des Bündnisses.  Das Planungssystem der NATO für
konventionelle Rüstung eröffnet bedeutsaine Möglichkeiten,
ein größeres Maß an Zusammenarbeit zu erreichen.  Die stärke-
re Betonung multinationaler Streitkräfte fordert ebenfalls ein
höheres Maß an Standardisierung und Interoperabilität bei der
Ausrüstung.  Wir haben den Fortschritt begrüßt, den die Kon-
ferenz der Nationalen Rüstungsdirektoren erzielt hat, um
Grundsätze, Strukturen und Verfahren für die Rüstungskoope-
ration des Bündnisses zu reformieren und zu straffen und
sehen der zügigen Umsetzung dieser Verbesserungen entge-
gen.  Wir sind außerdem ermutigt durch den erreichten Fort-
schritt in der Entwicklung eines NATO-Verhaltenskodex für
den Rüstungshandel zwischen den Bündnispartnern, der alle
Mitgliedstaaten in die Lage versetzen sollte, ihre begrenzten
Haushaltsmittel bestmöglich zur Beschaffung von Wehr-
material zu nutzen.


13.

Das Infrastrukturprogramm ist ein besonders erfolgreiches
Kapitel in der Geschichte unserer Allianz.  Eine Anpassung des
Programms istjedoch erforderlich, um den Herausforderungen
im neuen sicherheitspolitischen Umfeld gewachsen zu sein,
wobei die wesentlichen Elemente des derzeit noch gültigen
Programms beibehalten werden.  Wir unterstützen die in dieser
Hinsicht eingeleiteten Arbeiten und sehen einem Bericht bei
unserer Frühjahrstagung im nächsten Jahr entgegen.  Wir
stimmten darin überein, daß zur Erfüllung bestehender
Verpflichtungen sowie zur Fortführung eines der neuen
Strategie des Bündnisses entsprechenden restrukturierten Pro-
gramms hinreichende Infrastrukturmittel bereitgestellt werden
müssen.


14.

Die Allianz wird auch in Zukunft eine herausragende Rolle bei
der Förderung und Festigung der Stabilität in Europa spielen.  
Auf Grund ihrer transatlantischen Dimension, ihrer Erfahrung
und ihrer einzigartigen militärischen Strukturen und Fähigkei-
ten befindet sich die NATO in einer guten Ausgangsposition,
um die Anstrengungen der Vereinten Nationen und der KSZE
bei der Eindämmung und Lösung eskalierender regionaler
Konflikte in Europa zu unterstützen.  Die laufende Anpassung
der Bündnisstrukturen an das neue sicherheitspolitische Um-
feld wird die Fähigkeiten der NATO in dieser Hinsicht weiter
verbessern. Die kollektive Verteidigung der Allianz ist die
wesentliche Grundlage für unsere eigene Sicherheit und für
einen entscheidenden Beitrag zur Festigung von Sicherheit
und Stabilität in ganz Europa.

Quelle: Bulletin Nr. 137 vom 16. Dezember 1992




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