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1994-07-12

Das Urteil laesst die Wahl:

Selbstbeschraenkung oder Grossmachtpolitik

Zum heutigen Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ueber den Einsatz der Bundeswehr ausserhalb des NATO-Gebietes erklaeren Ludger Volmer, Sprecher im Bundesvorstand von BUeNDNIS 90/DIE GRUeNEN, Helmut Lippelt und Angelika Beer, Mitglieder im Bundesvorstand von BUeNDNIS 90/DIE GRUeNEN:

Von nun an kann im deutschen Parlament wieder "ganz frei" ueber den
Kriegseinsatz deutscher Soldaten diskutiert und mit einfacher
Mehrheit entschieden werden. Die einschraenkende Wirkung des
Hinweises auf die Einordnung in ein "System kollektiver
Sicherheit" bleibt fragwuerdig. UNO-Kampfeinsaetze, weltweite NATO-
oder WEU-Operationen und wer weiss heute schon, was unter diesem
Etikett noch alles verstanden werden kann? Es sollte sich niemand
taeuschen: spaetestens seit dem Golfkrieg ist der politische
Unterschied zwischen einem Angriffs- und einem Verteidigungskrieg
- und sei es auch im internationalen Auftrag - mehr als unklar. So
darf also auch auf den Friedensvorbehalt des Grundgesetzes gegen
einen Angriffskrieg nicht allzuviel Hoffnung gesetzt werden.

Verfassungsrecht ist politisches Recht. Wollten die BegruenderInnen
des Grundgesetzes Lehren aus der leidvollen Erfahrung des von
Deutschland begonnenen 2. Weltkrieges ziehen und den Einsatz
deutscher Soldaten freiwillig beschraenken?
Gut vierzig Jahre lang gab es diesen Konsens zwischen fast allen
gesellschaftlichen Kraeften: Das Grundgesetz erlaubt den Einsatz
der Bundeswehr nur zu Verteidigungszwecken innerhalb des NATO-
Buendnisgebietes. Doch das Bundesverfassungsgericht (BVG) erklaert
dies nun zur kollektiven Selbstaeuschung einer vergangenen Epoche.
Was sich beim beruechtigten Alt-Maenner-Urteil zum . 218 schon
andeutete, wird immer offenkundiger. Die jahrelange
erzkonservative BVG-Besetzungspolitik der Kohlregierung zahlt sich
aus. Verfassungsrecht ist im Interpretationsfall das, was rechts
nuetzt.

BUeNDNIS 90/DIE GRUeNEN verstehen unter Souveraenitaet gerade auch die
Faehigkeit zur politischen Selbstbeschraenkung. Wir weisen die
konservative Propaganda zurueck, dass eine im Grundgesetz verankerte
militaerische Selbstbeschraenkung die Bundesrepublik an der
Wahrnehmung ihrer vollen Souveraenitaet hindere. Nicht alles, was
erlaubt ist, muss eine Regierung auch tun!
Wir werden fuer eine nun notwendige, entsprechend eindeutige,
interpretationsresistente Verfassungsaenderung kaempfen.

Die Regierung hat bereits eine Woche vor der Entscheidung des BVG
klar gemacht, wohin die Reise nun gehen soll: Die Zweiteilung der
Bundeswehr in eine Art militaerischen Arbeitsdienst und eine
professionelle "Schnelle Eingreiftruppe" fuer weltweite
Kriegseinsaetze stellt einen entscheidenden Schritt zur
militaerischen Grossmachtpolitik dar. Nach den geltenden
"Verteidigungspolitischen Richtlinien" zaehlt bereits die
"Einflussnahme auf die internationalen Institutionen und Prozesse
im Sinne unserer Wirtschaftskraft" zu den militaerisch zu
schuetzenden deutschen "Sicherheitsinteressen".
Die Wahl am 16. Oktober ist heute vom BVG auch in dieser Hinsicht
zu einer Richtungsentscheidung gemacht worden: Stolpert
Deutschland unter Kohls Fuehrung in eine Periode militaerischer
Abenteuer oder findet es die Kraft zur Friedensfaehigkeit durch
Selbstbeschraenkung.
Pressemitteilung des Bundesvorstandes, Bündnis90/Die Grünen, Nr.: 90/94 vom 12.07.1994


Anmerkung der GLASNOST-Redaktion:

Sh. u.a. die Rolle der Bündnis90/Die Grünen im Kosovo-Krieg 1999, in dem sich z.B. Angelika Beer, Ludger Volmer an maßgeblicher Stelle für den Kriegseinsatz der Bundeswehr im Kosovo einsetzten.






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