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1999-04-24

*Die NATO frißt Eure Kinder!*

Von Günther Schwarberg

Der Schriftsteller (72), der für die von der SS ermordeten Kinder vom Bullenhuser Damm eine Gedenkstätte schuf, lebt in Hamburg.

Am Ende des Jugoslawienkrieges waren 454.000 Deutsche und Italiener tot. Das war nach dem letzten deutschen Überfall auf Serbien, vor einem halben Jahrhundert. Wie viele werden es diesmal sein, wenn sie wirklich das große Morden beginnen, das sich hinter dem Wort »Boden- einsatz« versteckt? Werdet Ihr es Euch wirklich gefallen lassen, Ihr Eltern aus Chemnitz und Delmenhorst und Traunstein und Hannover, daß Ihr dann jeden Tag mit einem Brief rechnen müßt: »Der Herr Bundesver- teidigungsminister bedauert Ihnen mitteilen zu müssen, daß Ihr Sohn ...«?

Die NATO frißt Eure Kinder, und Ihr seht zu? Habt Ihr alles vergessen, was wir aus dem Krieg Hitlers gelernt haben: »Von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen!«

Immer waren es die anderen, die den Krieg herausgefordert haben, nie die Deutschen: russischer Despotismus im Ersten, Mißhandlung Volks- deutscher im Zweiten Weltkrieg. Jetzt ist es das »Schlachthaus« Ser- bien, sagt Scharping. Und Fischer stellt »das Recht der Ermordeten in den Massengräbern« über das Völkerrecht.

Ach, es geht überhaupt nicht um Serbien und Kosovo. Es geht darum, die NATO an die Stelle der UNO zur mächtigsten Macht der Welt zu machen, unter amerikanischem Kommando. Schon werden die nächsten Kriege geplant. Der amerikanische Rüstungsetat steigt um 50 Prozent, von 53 Milliarden auf 76 Milliarden Dollar. Dieses Geld wird in Waffen und irgendwann in Blut umgesetzt. Vielleicht am Golf, vielleicht in Nordkorea, vielleicht in Kuba.

Wie bei jedem Angriffskrieg verwandelt sich auch diesmal unser Land. Wir sollen nicht mehr länger »in Frieden und Freiheit« leben, son- dern, sagt Schröder, »in Verantwortung für Frieden und Freiheit«. Mit kleinen Wortänderungen wird alles auf den Kopf gestellt, das Recht der Macht angepaßt. Als existiere er nicht, der Paragraph 80 unseres Strafgesetzbuches: »Wer einen Angriffskrieg, an dem die Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines Krieges für die Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht unter zehn Jahren bestraft.«

Aber der Generalbundesanwalt wimmelt die Strafanzeige Hamburger Recht- sanwälte gegen Schröder und Scharpink ab: Bei der »von der NATO ge- führten Luftoperation« gehe es der Bundesrepublik "allein darum..., die Führung der Föderativen Republik Jugoslawien ... zu bewegen, von einer Unterdrückung der albanischen Volkspruppe im Kosovo abzulassen und zu einer friedlichen Politik zurückzukehren."

Das ist keine juristische Bewertung eines Straftatbestandes, das ist politisches Geseire. Niemand wird glauben, daß unter diesen Verhält- nissen der Generalbundesanwalt zur Verantwortung gezogen wird, obwohl jeder, der "Absichtlich oder wissentlich vereitelt, daß ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft wird, mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft" werden muß. Nein, im Gegenteil diskutieren rechtsaußen stehende Juristen wie Rupert Scholz offen, nun könne man die Bundes- wehr auch gegen politische Gefahren im Innern einsetzen. Das Grund- gesetz verbietet zwar jeden Einsatz »außer zur Verteidigung«. Aber man brauche statt »Einsatz« nur »Verwendung« zu sagen, dann ist alles erlaubt. Dann kann Deutschland wieder vom Militär beherrscht werden, wie 1848 Baden vom »Kartätschenprinzen«. Allerdings - die Macht sitzt heute nicht in Baden, sondern in Washington. Wer etwas anderes glaubt, lese nach, was Helmut Wieczorek, der Vorsitzende des Verteidigungsaus- schusses im Bundestag, über den Krieg gegen Serbien gesagt hat: »Deutschland ist bei aller Souveränität nur ein Anhängsel ohne eigene Entscheidungsgrundlagen.«

Jugoslawien ist der Testfall, die Vereinten Nationen auszuschalten, damit man ohne Einsprüche von Rußland, China und anderen wider- borstigen Ländern die Welt beherrschen kann. Jetzt tagt die NATO in Washington, um ihre Charta zu ändern. Nicht mehr die »territorialen Grenzen« der Mitgliedsländer sollen verteidigt werden, sondern ihre »Sicherheitsinteressen«. Und die liegen dort, wo ihre globalisierte Wirtschaft liegt: in der ganzen Welt.

Machen die Völker das mit? Das deutsche zum Beispiel, das sich schon einmal gewehrt hat: »Wir sind das Volk«? Oder wählt es sich eine neue Regierung, die aus der NATO austritt, die Bundeswehr auf Null bringt und das Bruttosozialprodukt nicht mehr verbombt, sondern für den Auf- bau eines wohlhabenden, demokratischen Rechtsstaates verwendet?



Quelle: Neues Deutschland, 24.4.1999, gepostet in: Newsgroups: cl.europa.balkan, Message-ID: 7FX7TAAPENB@1lange.link-goe.de


 




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