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1999-04-02

Neue Gruene Partei
Gen. Zdanova 28
11 000 Belgrad
Tel. 00381-11-444 86 45
Belgrad, 2. April 1999



Herrn
Joschka Fischer
Auszenminister der Bundesrepublik Deutschland



Sehr geehrter Herr Fischer,

die Zeit erlaubt es mir nicht, mit Ihnen ein Gespraech ueber die Ursachen des Schicksals der Menschen in Kosovo und Metochien zu beginnen, denn dazu mueszten wir aeszerst lange ueber die unehrenhaftesten Mechanismen der Zerschlagung Jugoslawiens reden, die fortgesetzt wird mit den gleichen Schablonen und den gleichen Mitwirkenden, den gleichen Ideologien und der gleichen, nicht wohlmeinenden Diplomatie, deren Ignoranz schon ein Verbrechen an sich geworden ist.

Ich fuerchte, dasz wir uns jetzt mit den Folgen der Unfaehigkeit der politischen Akteure in der Welt und in unserem Land konfrontiert sehen - einer Unfaehigkeit, die einem Verbrechen gleichkommt -, der Krise auf den Gebieten des ehemaligen Jugoslawien verantwortlich und rechtschaffen zu begegnen.

Wir fordern von Ihnen, sofort und bedingungslos den NATO-Wahnsinn zu stoppen und uns zu ermoeglichen, mit den Albanern von Kosovo und Metochien, mit denen wir seit Jahrhunderten zusammenleben, zu verhandeln. Sie draengen sowohl die Albaner als auch uns in die totale Katastrophe und verhindern, dasz wir uns wie Menschen begegnen und ueber das Schicksal unseres Landes und unserer Kinder auseinandersetzen koennen. Wir fordern ein dringendes Treffen mit Ihnen.

Zum Leid aller friedliebenden und wohlmeinenden Menschen in unserem Land, aber auch in der Welt, haben Sie sich in das diplomatische Team des Westens nicht als Vertreter eines avantgardistischen, nach vorne gerichteten Projekts eingereiht, das mit groeszten Recht und allen zivilisatorischen Moeglichkeiten den Frieden fuer Serben und Albaner haette bringen koennen. Warum das so ist, waere auch ein Gegenstand langer Diskussionen, fuer die wir jetzt keine Zeit haben. Ich moechte Ihnen nur folgendes sagen: Sie haben den grausamen Sarkasmus zugelassen, dasz die Aktion, die die Lebensgrundlagen eines Staates und seiner zahlreichen nationalen Gemeinschaften zerstoert, "Edler Engel" genannt wird, obwohl sie fuer 10 Millionen Buergerinnen und Buerger der Bundesrepublik Jugoslawien die Tuer zur Hoelle geoeffnet hat. Zu den Buergerinnen und Buergern zaehlen wir selbstverstaendlich auch die Albaner, Angehoerige eines stolzen und ehrenhaften Volkes, das ebensowenig wie wir die Moeglichkeit hatte, bessere Wege zu waehlen, als die, die uns von unklugen und kurzsichtigen Politikern aufgezwungen wurden.

Wir melden uns aus Belgrad, dessen Stadtrand von der NATO bombardiert wird, obwohl sich dort zahlreiche chemische Anlagen mit aeszerst gefaehrlichen Technologien befinden, darueber hinaus Treibstoff- und Chemielager sowie ein Atomkraftwerk. Allein die Bombardierungen Pancevos, wo ein riesiger petrochemischer Komplex untergebracht ist, die Bombardierungen Baricas, wo sich eine risikoreiche BOPAL-Technologie zur Herstellung chemischer Verbindungen befindet, sowie die Bombardierungen von Vinca mit seinem Atomkraftwerk und einem ungeheuer unsicheren Atommuell-Lager haben die reale Moeglichkeit einer voelligen Vernichtung der gesamten Bevoelkerung Belgrads und seiner Umgebung eroeffnet. Eine aehnliche Situation herrscht auch in anderen Staedten, wo Ziele ausgewaehlt wurden, die mit Technologien verbunden sind, deren Zerstoerung bereits jetzt eine oekologische Katastrophe ungeheurer Ausmasze zur Folge haben wird.

Das flaechendeckende NATO-Bombardement von Truppen, militaerischen Einrichtungen und schweren Waffen in ganz Serbien, aber auch und vor allem im Kosovo wird mit Hilfe von verbotenen panzerbrechenden Geschossen durchgefuehrt, die abgereichertes Uran enthalten, das zu einer radioaktiven Verseuchung ganzer Landstriche fuehrt und damit des dortigen Lebens, einschlieszlich Flora und Fauna. Das bedeutet eine fundamentale Bedrohung aller in Jugoslawien lebenden Menschen und Nationen.

Ungeachtet der Tatsache, dasz die NATO-Bombardierung bereits mehr als eintausend Zivilisten, darunter auch serbische Fluechtlinge aus der kroatischen Krajina, das Leben gekostet und mindestens noch einmal so viel Verletzte gefordert hat, soll nun das Zentrum Belgrads, genauer: verschiedene Regierungsgebaeude, der Generalstab der jugoslawischen Armee und das Innenministerium bombardiert werden. Was zurueckgehalten wird, ist die Information, dasz sich all diese Gebaeude buchstaeblich an den groeszten Krankenhauskomplex in Belgrad anlehnen: die Kinderklinik, das psychiatrische Krankenhaus, die Frauenklinik, die ontologische Klinik, zwei chirurgische Kliniken, das klinische Notfallzentrum, in dem sich jetzt schon zahlreiche Opfer des NATO-Bombardements befinden etc. Die erweiterte Liste der Ziele ist faktisch Teil einer umfangreichen und systematischen Zerstoerung unserer kulturellen und historischen Werte, beispielsweise manifestiert in dem Historischen Museum Serbiens, in dem sich Schaetze aus den vergangenen vier Jahrhunderten verbinden und das unmittelbar neben dem Generalstab gelegen ist. Und das Innenministeriums ist in der direkten Nachbarschaft des serbischen Fluechtlingskommissariats situiert.

Im Kosovo befinden sich Hunderte von jahrhundertealten Denkmaelern der geistigen Kultur des serbischen Volkes, ungschaetzbare Werte des Weltkulturguts, die einer realen Zerstoerungsgefahr ausgesetzt sind oder schon in Mitleidenschaft gezogen wurden. Hier befinden sich auch wertvolle Moscheen noch aus der Zeit, als die Osmanen den Balkan eroberten.

Die zerstoererischen Geschosse sind auch auf Richtstaetten des Zweiten Weltkriegs gefallen, so in Belgrad (Jajnica), wo 80.000 Serben, Juden und Roma von den Deutschen hingerichtet wurden, und in Kragujevac (Sumarica), wo mehrere tausend Serben erschossen wurden, darunter die Buben des Gymnasiums von Kragujevac, des ersten serbischen Gymnasiums ueberhaupt. Auf der in Novi Sad zerstoerten zivilen Bruecke ueber die Donau wurde 1941 von den Nazis ein Massaker an Juden veruebt, weshalb die Serben diese Bruecke zu einem historischen Denkmal erhoben haben.

Bombardiert wurden auch Objekte, die sich unmittelbar neben der Neuropsychiatrischen Universitaetsklinik befinden, in der traumatisierte Opfer aus den Kriegen in Kroatien und Bosnien-Herzegowina untergebracht sind, desweiteren Objekte neben Schulen, Kindergaerten, Krankenhaeusern und denkmalgeschuetzten Gebaeuden. Eine nur oberflaechliche Einsicht in die Ausmasze der Bombardierungen und die Auswahl der Ziele zeigt, dasz ihre Absicht nicht das Beenden des Leids oder der Versuch, eine humanitaere Katastrophe zu verhindern, ist, sondern die totale Vernichtung aller geistigen, oekonomischen und elementaren oekologischen Existenzgrundlagen nicht nur des serbischen Volkes, sondern auch aller anderen nationalen Gemeinschaften, die in unserem Land leben.

Welche Ausmasze der oekonomischen Verarmung der Bevoelkerung erwartet werden, verdeutlicht auch der Umstand, dasz sich Arbeiter aus mehreren Fabriken dazu entschlossen habe, ihre Fabrikanlagen als lebende Schutzschilde mit ihrer physischen Anwesenheit zu beschuetzen. Sie waren schon durch die Sanktionen an den Rand des wirtschaftlichen Elends gebracht worden. Die Zerstoerung der Maschinen in den Fabriken wuerde buchstaeblich ihr physisches Ende bedeuten.

Gar nicht zu sprechen davon, dasz die NATO-Intervention die Voraussetzungen fuer eine langanhaltende, gewalttaetige Abrechnung zwischen Serben und Albanern schafft, die nie wieder Frieden bringen und dazu fuehren wird, dasz Kosovo und Metochien aus Serbien ausgegliedert werden, auch wenn sie sein kulturelles und geistiges Fundament darstellen.

Und ebenfalls nicht zu sprechen von den Medienluegen, die der Eskalation des Krieges dienen und die es der Weltoeffentlichkeit unmoeglich machen, zu begreifen, dasz die Serben eine europaeische Nation mit groszen Werten sind und das Recht haben, mit ihren Vorstellungen gehoert zu werden, so wie alle anderen ex-jugoslawischen Nationen, denen man sehr aufmerksam zugehoert hat.

Ich fuerchte, dasz diese Angaben nicht ausreichen, von ihnen mit vollem Recht nicht nur eine unwiderrufliche Beendigung der NATO-Angriffe, sondern auch ihre Abdankung von der internationalen politischen Szene zu fordern.

Aber wir haben das volle moralische und politische Recht, eine solche Forderung an Sie zu stellen.

Jeder halbwegs ehrliche Beobachter der Gegebenheiten im ehemaligen Jugoslawien wird ohne Zoegern zugeben, dasz der Konflikt in Kosovo und Metochien, den Sie mit Ihren Aktionen als Aggression der Republik Serbien und der Bundesrepublik Jugoslawien auf die albanische Minderheit verhindern wollen, ein klassisches Werk eben der NATO-Mitgliedsstaaten ist. Der Konflikt in Kosovo und Metochien spielte sich ab und spielt sich ab als nicht erklaerter Krieg gegen unser Land, nicht seitens der Albaner, sondern von seiten der politischen Administrationen einiger Staaten der Allianz, die uns bombardiert.

In den Staaten, die die Angriffe anfuehren, wird inzwischen das strategische Interesse, nach Kosovo und Metochien eindringen und den Sueden Serbiens und der Bundesrepublik Jugoslawiens besetzen zu wollen, gar nicht mehr verhehlt. Diese Staaten entlarven selbst ihre aeszerst unzulaessigen Methoden, Konflikte niederer Intensitaet zu schueren, die dann moralisch und politisch aggressive Aktionen auszerhalb des UN-Systems und der bestehenden internationalen Ordnung legitimieren koennen.

Als Angehoerige einer Schwesterpartei haben wir Sie mit einer Vielzahl von ganz konkreten Einsichten und Argumenten mehrfach darauf hingewiesen, dasz der Krieg in Jugoslawien nach einem ganz praezisen Szenario gefuehrt wird, das zum groszen Teil auch in den Institutionen Ihres Staates geschrieben wurde und von Kreisen gesteuert wird, die zu Ihren staerksten politischen Gegners gehoeren. Schon der Zerfall Jugoslawiens war ihre moralische, politische, rechtliche und geistige Katastrophe, die jetzt auch die Ihre geworden ist. Dazu haben Sie kein Recht, denn Sie repraesentieren die internationale Bewegung der Gruenen, die Sie jetzt so wertlos gemacht haben.

Unsere Mitglieder haben schon 1990 alle gruenen Parteien weltweit, also auch Ihre, dazu eingeladen, an einer Zusammenkunft zum Thema "NATIONALISMUS, OeKOLOGIE, ZUKUNFT" teilzunehmen. Wir wollten unserer Oeffentlichkeit neue Wege eroeffnen und sie dazu ermutigen, in den empfindlichen Zeiten der Transition jene zu waehlen, die einen zivilisatorischen Fortschritt versprechen. Dabei haben wir Sie in der Einladung, die wir gemeinsam mit den Gruenen Bosnien-Herzegowinas verfaszten, vor den gefaehrlichen Wegen des Nationalismus in Jugoslawien gewarnt und Sie gebeten, Jugoslawien die Wege ziviler Gesellschaften vorzustellen.

Unsere Einladung wurde von keiner gruenen Partei angenommen, also auch von Ihrer nicht, obwohl hinter unserer Einladung konsequent das Friedensprogramm der internationalen Gruenenbewegung stand. Sie haben schon damals die Chance versaeumt, unserer Oeffentlichkeit die alternativen Werte der internationalen Gruenenbewegung vorzustellen und unser politisches Feld mit Anreizen zu bereichern, die - wenigstens damals - die neue Vision einer gerechteren Welt mit einer Chance, zu ueberleben, bedeutet haben.

Wir haben 1991 die letzte Begegnung der Gruenen aus dem ehemaligen Jugoslawien in Bonn initiiert und dabei darauf hingewiesen, dasz die europaeischen und insbesondere die deutschen Gruenen in die Politik, die Jugoslawien in blutige Teilungen und unangemssene Allianzen trieb, wichtige Korrektive hineintragen und auf die friedfertigen Potentiale einer multikulturellen Gesellschaft, wie sie das ehemalige Jugoslawien gewesen ist, verweisen sollten. Sie haben auf dieser Zusammenkunft die sezessionistischen Forderungen der offiziellen Strukturen Sloweniens und Kroatiens unterstuetzt, obwohl Sie die Vertreter der Gruenen Kroatiens gewarnt haben, damit den Neofaschismus zu unterstuetzen.

Die Zerschlagung Jugoslawiens ist leider ein blutiger Makel auf dem Antlitz Ihrer Gruenen geblieben, denn Sie wollten unsere ernsten Warnungen nicht hoeren, dasz Sie sich mit Ihrer Parteiname fuer die sezessionistischen Ziele, die sich auf revanchistische Positionen des Faschismus im Zeiten Weltkrieg gruendeten, zu Opfern der wundersamsten Manipulationen und Buendnisse bei der Zerschlagung einer multiethnischen Gemeinschaft machten.

Angehoerige unserer Partei haben 1992 zusammen mit Vertretern der Gruenen-Fraktion im Europaeischen Parlament die erste Friedens-Karawane ins Kosovo organisiert. Wir hegten den aufrichtigen Wunsch, die Moeglichkeit eines Dialogs und des Zusammenlebens als einzige Voraussetzungen fuer den Frieden zu demonstrieren. Die europaeischen Gruenen entsandten damals ihre Delegation, aber ihre Tendenz, allein die Sichtweise der albanischen Seite zu uebernehmen und die Schwierigkeiten zu ignorieren, denen die Serben in Kosovo und Metochien begegneten, war offensichtlich. Statt auf die Moeglichkeit eines friedfertigen Dialogs zu reagieren, haben sich die Gruenen aus Deutschland auf unwuerdige Intrigen eingelassen und die Organisatoren der Friedenskarawane desavouiert, nur weil diese darauf bestanden, beide Seiten zu hoeren. Sie haben uns nicht dabei geholfen, diesen Dialog im Interesse aller nationalen Gemeinschaften in Jugoslawien fortzufuehren.

Bald darauf haben die Gruenen im Europaeischen Parlament initiiert, dasz der Sacharow-Friedenspreis an Adem Demaci vergeben wird, einen der militantesten Fuehrer der albanischen politischen Szene in Kosovo und Metochien, und haben unter dem Druck der Manipulationen die Kontakte mit uns voellig marginalisiert, auch wenn wir von ganzem Herzen eine friedliche Loesung aller Unstimmigkeiten sowie einen gemeinsamen Staat wollten, der sich auf Prinzipien der Gleichberechtigung und Selbstverwaltung aller Buerger und nationalen Gemeinschaften gruendet.

Unsere Mitglieder sind auch Mitglieder des internationalen oekologischen Netzes INES, die die angesehensten Wissenschaftler versammelt sowie zahlreiche oekologische Institute und Friedensorganisationen. Wir haben im Rahmen dieser Initiative unsere Friedensposition deutlich dokumentiert.

Als aktive Mitglieder der "Deutsch-serbisch-kroatisch-muslimischen Friedensrunde" in Muenchen, die von der Stadt Muenchen fuer ihre Aktivitaeten ausgezeichnet wurde, haben wir unsere Moeglichkeiten der Planung einer gemeinsamen Zukunft ohne Ruecksicht auf die nationale und religioese Zugehoerigkeit klar beschrieben. Wir waren und sind der Ansicht, dasz unterschiedliche Religionen und Kulturen nicht die Ursache des Konflikts sein koennen, sondern dasz dies vielmehr die internationale Wirtschaftsordnung ist. Sie gruendet sich auf die Ungleichheit der Chancen aller Menschen, aller Nationen und aller Staaten, auf die Zerstoerung der Natur und aller menschlichen freiheitlichen und geistigen Brennpunkte.

Eine aehnliche Position haben wir auch in der Friedensbewegung der Muslime und Serben im suedserbischen Sandzschak vertreten. Wir konnten die dortigen Muslime und Serben mit internationalen Friedensorganisationen verbinden, unterstuetzten beide nationalen Gemeinschaften mit humanitaerer Hilfe, halfen ihnen, Friedensstrategien zu entwickeln und kaempften dabei zum x-ten Mal gegen boeswillige Interpretationen jener, die solche Initiativen stoerten. Die Unterzeichnerin dieser Zeilen erhielt fuer ihre Friedensarbeit den "Oktoberpreis" der Stadt Tutin im Sandzschak, einer Stadt, die zu 98 Prozent von Muslimen bewohnt wird. Obwohl wir Ihre Vertreter mit unserer Arbeit vertraut gemacht haben, erhielten wir aus den Reihen Ihrer Partei keinerlei Resonanz darauf.

Unsere Parteimitglieder haben Sie und Ihre Partei als eine internationale Avantgarde und ihren Regierungseintritt als einen wirklichen zivilisatorischen Fortschritt betrachtet. Fuer kurze Zeit glaubten wir, dasz es endlich ein Ende haben wuerde mit der Art und Weise, wie Ihr Land unsere Probleme bislang geloest hat, und dasz eben Sie auch uns helfen wuerden, all jene Ideale der internationalen Gruenenbewegung zu verwirklichen: die Identifizierung der wirklichen Krisenzentren, Pazifismus, Entmilitarisierung der Politik, gesellschaftliche Transparenz politischer Ziele und Entscheidungsmechanismen auf der Grundlage freiheitlicher und humanistischer Prinzipien. Diese Einsichten in die Ideale verdankten wir nicht zuletzt Petra Kelly und Gerd Bastian, aber auch dem Umstand, dasz die Unterzeichnerin dieser Zeilen Mitglied der Anti-AKW-Bewegung in Deutschland war und alle Appelle gegen Atomwaffen unterschrieben hat sowie beteiligt war an der Gruendung der Gruenen in Nuernberg. Auch auf diese Weise haben wir an der Entstehung neuer Ideen mitgewirkt, was wir bei vielen Treffen mit europaeischen Gruenen bewiesen haben, um dann schlieszlich von vielen Zusammenkuenften ausgeschlossen zu werden, weil uns zahlreiche Mitglieder der deutschen Gruenen nicht wohlgesinnt waren.

Das alles gibt und das Recht, offen und deutlich zu sagen: Heute sind wir Zeugen einer schrecklichen Wahrheit - Sie haben als Auszenminister der Bundesrepublik Deutschland, eines Landes, das durch Sie der Welt zeigen sollte, dasz die Avantgarde eine politische Realitaet ist, das Ansehen der Gruenen in der Welt verspielt; Sie haben den Zielen all jener Strukturen gedient, auf deren Kritik die internationale Gruenenbewegung gewachsen ist und Sie ins Parlament kamen.

Ihre Zustimmung zur militaerischen Intervention der NATO, die ein maechtiges Instrument jenes Establishments ist, das diesen Planeten an den Rand der Katastrophe gebracht hat, kennzeichnet das Ende des utopischen Potentials Ihrer Partei und hat sie auf einen kleinen politischen Kommissar reduziert, der gruene Stempel moralischer Annehmbarkeit von Aktionen verteilt.

Ich moechte Sie daran erinnern, dasz die Experten, die die neue Politik der USA und Ihres Landes planen, hartnaeckig die These vertreten haben, dasz die Friedensbewegung und die Gruenen in Deutschland das Haupthindernis fuer die staerkere Einbindung Deutschlands in die NATO-Strukturen darstellen. Bekannt ist Ihnen sicher auch die Strategie, die angewandt wurde, um das Friedensbewusztsein der deutschen Bundesbuerger als ein wahrhaftiges Fundament fuer Reformen in Europa zu schwaechen. Gerade Ihnen muszte man alle Argumente gegen militaerische Interventionen aus der Hand schlagen. Und das ist gelungen. Sie, Herr Fischer, verteidigen die Luegen einer maechtigen Propagandamaschinerie, die nach dem Kalten Krieg neue Aufgaben fuer die gleichen Machtzentren gefunden hat, die Ihre wichtigsten politischen Gegner gewesen sind. Sie beschaeftigen sich zutiefst moralisch mit den Folgen unserer Krise und unseres Elends, aber vermeiden in zutiefst unmoralischer Weise jegliche Auseinandersetzung ueber deren Ursachen. Der groeszte Erfolg, den Ihre ehemaligen Gegner verzeichnen koennen, ist Ihre Einbindung in die militaerische Intervention des NATO-Paktes.

Deshalb haben Sie aufgrund Ihres veraenderten politischen Standpunktes kein Recht, im Namen der Gruenen am Mechanismus der Gewalt teilzunehmen, der nicht nur diejenigen zu Opfern macht, die den Bombardierungen ausgesetzt sind, sondern auch die Albaner im Kosovo, deren politische Vertreter die NATO gerufen haben und die eben deshalb zu groszen Opfern werden.

Es ist ein unermeszlicher Zynismus, dasz die deutschen Gruenen die NATO, deren militante Grundlagen Sie sehr wohl kennen, als die Hueterin europaeischer Werte zu Hilfe rufen. Allein dieser Zynismus wuerde ausreichen, um die Gruenen dazu zu zwingen, aus der Regierungskoalition auszutreten und allen Ernstes ihre Prinzipien zu ueberpruefen, sofern sie nicht wuenschen, ein Schluesselfaktor in einem Prozesz zu werden, der die Welt in eine Katastrophe fuehrt.

Wir moechten Sie auch daran erinnern, dasz es uns als Serben nicht gestoert hat, dasz die Vorsitzende unseres Parteirats zur lebenslangen Ehrenvorsitzenden der Gruenen Partei Albaniens ernannt wurde. Das belegt nur, dasz eine Partei aus der Republik Serbien und der Bundesrepublik Jugoslawien keine Probleme damit hatte, in Kontakt zu treten mit ihrer Schwesterpartei in Albanien und ihre Bereitschaft an der Zusammenarbeit bei der Annaeherung der beiden Staaten zu erklaeren. Und die Freunde aus Albanien hat es auch nicht gestoert, dasz sie Serbin ist.

Aber Ihre Partei, die unsere politische Orientierung kannte, hat unser Angebot nie angenommen, dasz wir Serben und Albaner zusammen mit den europaeischen Gruenen vertrauensbildende Masznahmen unserer beider Staaten in die Wege leiten und in ihre Politik Elemente des Vertrauens tragen, die auf eine Verbesserung der politischen Atmosphaere hinwirken und den Raum fuer konstruktive zwischenstaatliche Beziehungen schaffen wuerden.

Sie haben mehr als fuenf Jahre geschwiegen und schweigen auch jetzt, wo Sie uns haetten fragen sollen, wie wir alle von Belgrad nach Tirana gehen koennen, um Auswege aus dieser Ausweglosigkeit zu finden. Sie haben uns sogar als Bekannte nicht gefragt, wie es uns jetzt geht, obwohl wir im Rahmen unserer Moeglichkeiten stets sehr gerne Gastgeber fuer die angesehenen Vertreter der deutschen Gruenen gewesen sind. Wenn schon nicht wegen irgendetwas anderem, dann zumindest wegen unserer Anstrengung der letzten zehn Jahre, den Zerfall unseres Landes, wenn wir ihn schon nicht aufhalten konnten, schmerzloser zu machen, haben wir es verdient, dasz Sie uns fragen, wie es uns nachts geht, wenn wir unsere Kinder in den Arm nehmen und die zerstoererischen Explosionen hoeren.

Es tut uns um jeden Menschen unendlich leid, der in diesem sinnlosen Krieg zum Opfer wird, und noch mehr tut es uns leid, weil wir alle besser zusammengelebt haben, als Sie es sich vorstellen koennen, und weil Sie dies aufgrund einer kardinalen Unkenntnis des Geschaefts mit Ihrem unverantworlichen Politikantentum verhindert haben.

Unsere Hochachtung werden Sie nur dann haben, wenn Sie zur internationalen Gruenen-Bewegung Ihren Beitrag leisten und als Auszenminister der Bundesrepublik Deutschland mutig Ihren Ruecktritt erklaeren.

Branka Jovanovic

Vorsitzende des Parteirats der Neuen Gruenen Partei
Ehrenvorsitzende der Oekologischen Partei Albaniens
branka_j@yahoo.com
branka_j@yutarget.com



Quelle: cl.gruppen.gruene, Message-ID: 7EPSrBE8auB@p142.ipn-b.comlink.apc.org


 




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