GLASNOST dokumentiert
1999-03-23
Brief von Milosevic an den britischen und französichen Außenmister Cook und Védrine,
die als Ko-Vorsitzende die Verhandlungen in Rambouillet und Paris leiteten
Meine Herren Minister, zu der Botschaft, die Sie mir übermittelt haben, möchte ich
Ihnen wie folgt antworten: Die Gespräche in Paris, die Sie als beendet bezeichnen,
haben gar nicht stattgefunden. Die Delegationen der Regierung der Republik Serbien
und der Repräsentanten der albanischen separatistischen und terroristischen
Bewegung haben nicht ein einziges Mal miteinander gesprochen.
Was das unterzeichnete »Abkommen« betrifft: In Paris wurden zwei Dokumente
unterzeichnet. Das eine Dokument haben die Repräsentanten aller im Kosovo
lebenden nationalen Gemeinschaften unterzeichnet, und diese repräsentieren das
Kosovo. Das andere Dokument haben die Repräsentanten der albanischen
separatistischen und terroristischen Bewegung unterzeichnet, und sie sind
selbstverständlich nicht die Repräsentanten des Kosovo. Doch dieses zweite
Dokument, das Sie als Abkommen von Rambouillet bezeichnen, ist kein Abkommen
von Rambouillet. Denn gerade diejenigen, die zu Verhandlungen gekommen waren,
haben weder in Rambouillet noch in Paris etwas Derartiges unterzeichnet. Zwischen
den beiden Parteien haben keine Gespräche stattgefunden, es gibt also kein
gemeinsames Dokument, das akzeptiert oder abgelehnt werden könnte. Im übrigen ist
der Text, den Sie als »Abkommen von Rambouillet« bezeichnen, schon vor den
Gesprächen in Rambouillet in der kosovo-albanischen Presse, und zwar in der Zeitung
Koha Ditore, veröffentlicht worden.
Belgrad ist tolerant, aber nicht dumm. Jemand anders hat die Dummheit begangen, ein
Dokument als das Resultat von erst noch zu führenden Gesprächen zu veröffentlichen.
Wir haben gewiß nichts dagegen, daß vor den Gesprächen ein Vorschlag für die
Diskussion vorbereitet wird. Aber wir wenden uns mit allem Nachdruck dagegen, daß
die Gespräche gar nicht stattfinden und daß dann von uns verlangt wird, etwas, das
eventuell ein Vorschlag für das Abkommen hätte sein können, als Abkommen zu
unterzeichnen; zumal da wir jene, mit denen wir uns hätten verständigen sollen, gar
nicht getroffen haben.(...)
Was Ihre Drohungen mit Militärschlägen der NATO betrifft, sollten Ihre Völker sich
dessen schämen, denn Sie schicken sich an, mit Gewalt gegen ein kleines europäisches
Volk nur deshalb vorzugehen, weil es sein Territorium vor dem Separatismus, seine
Bürger vor dem Terrorismus und seine geschichtliche Würde vor Schurken schützt,
die weder wissen, was Geschichte noch was Würde ist.
Sie sagen, daß die großangelegten Bewegungen unserer Sicherheitskräfte sehr
besorgniserregend sind. Wenn Sie damit meinen, daß sie besorgniserregend sind für
die Separatisten, die von Serbien und Jugoslawien einen Teil des Territoriums
losreißen wollen - für die soll es tatsächlich besorgniserregend sein. Wenn Sie dabei
an eventuelle Aggressoren außerhalb Jugoslawiens denken, so soll durchaus auch bei
denen Besorgnis erweckt werden.
Kann denn tatsächlich jemand, der normal ist, glauben, daß derjenige, den man
bedroht, nicht die Absicht kundtun wird, sich zu wehren?
Sie, meine Herren, sind Minister für auswärtige Angelegenheiten zweier europäischer
Länder, und als solche sind Sie hochrangige Diplomaten. In dieser Eigenschaft haben
Sie das Recht zu vermitteln, zu verhandeln, guten Willen zu zeigen, sich für den
Frieden in Europa und in der Welt und für bessere Beziehungen zwischen den Völkern
einzusetzen. Aber Sie haben nicht das Recht, anderen Ländern und ihren Bürgern zu
drohen, auch nicht dazu, Vorschriften über das Leben in diesen Ländern zu erlassen.
(...)
Slobodan Milosevic
Quelle: deutsche Fassung in: Junge Welt, 26.03.1999