Start  

quellen 

  

  Politik   

 


1999-04-13

Auschwitz-Überlebende schrieben an Bundesregierung

Auschwitz­Überlebende und Hinterbliebene von Holocaust­Opfern haben einen Brief an Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) sowie Außenminister Josef Fischer (Bündnisgrüne) geschrieben. Sie protestieren gegen Stimmen, die unter der Losung »Nie wieder Auschwitz« auf das Postulat »Nie wieder Krieg« verzichten. Auszüge.

Der Verteidigungsminister hatte bereits vor der völkerrechtswidrigen Aggression der NATO gegen Jugoslawien, an der die Bundeswehr in verfassungswidriger Weise teilnimmt, bei einem Bundeswehrbesuch in Auschwitz gesagt: Um ein neues Auschwitz zu verhindern, ist die Bundeswehr in Bosnien«, und daß sie darum »wohl auch in das Kosovo gehen« wird. In Erklärungsnot geraten, berief sich auch der Außenminister auf die neue Art der Auschwitzlüge, ­um den verhängnisvollen Verstoß gegen die gerade auf Grund der Lehren von faschistischem Krieg und Holocaust geschaffene UNO­Charta zu begründen.

Wir Überlebenden von Auschwitz und anderen Massenvernichtungslagern verurteilen den Mißbrauch, den Sie und andere Politiker mit den Toten von Auschwitz, mit dem von Hitlerfaschisten im Namen der deutschen Herrenmenschen vorbereiteten und begangenen Völkermord an Juden, Sinti und Roma und Slawen betreiben. Was Sie tun, ist eine aus Argumentationsnot für Ihre verhängnisvolle Politik geborene Verharmlosung des in der bisherigen Menschheitsgeschichte einmaligen Verbrechens.

Diese Ihre Vorgehensweise soll offenbar einen schwerwiegenden und nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen rechtfertigen. Die gegen Deutschland und ' Japan siegreichen Völker haben sich diese Charta 1945 gegeben, um »künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewähren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat« ­ das bekanntlich von deutschem Boden ausging. Sie beschlossen, die »Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren.«

Weltfrieden und internationale Sicherheit werden jetzt gefährdet, indem gegen ein Gründungsmitglied der UNO Krieg geführt wird, Krieg von deutschem Boden aus, Krieg gegen ein Land, das größte Opfer im Kampf gegen Hitler erbrachte und Unschätzbares zur Befreiung Europas vom Faschismus leistete, Sich als Begründung für einen solchen Krieg auf Auschwitz zu berufen, ist infam.

Das Vorgehen der jugoslawischen Führung gegen albanische Minderheiten verstößt gegen die Menschenrechte. Wir verurteilen es. Wir verurteilen es, wie wir das Vorgehen der türkischen Regierung gegen die Kurden verurteilen und das Vorgehen der israelischen Führung gegen die Palästinenser verurteilt haben.

Stets haben wir gefordert ­ und wir tun es auch jetzt ­, daß dagegen mit den Mitteln vorgegangen wird, die der UNO zu Gebote stehen. Wer die antifaschistische, den Menschenrechten verpflichtete Rolle der UNO nicht nutzt, sondern die UNO ausschaltet und schwächt, der hat jedes Recht verloren, sich auf antifaschistische Postulate wie »Nie wieder Auschwitz« zu beziehen, zumal er damit zugleich das Recht zum Krieg begründet. Die Folgen eines solchen Handelns werden ein Wiedererwachen der Kräfte sein, die 1945 entscheidend geschlagen zu sein schienen.

Erinnert wird daran, daß Serbien in diesem Jahrhundert zweimal von deutschem Boden aus mit Vernichtung und Verwüstung überzogen wurde. Die Autoren fordern:

Schluß mit dem Krieg gegen Jugoslawien und als ­ Sofortmaßnahme: Einstellung der Bombardements. Verhandeln statt schießen. Wir fordern die Wiederherstellung der UNO­Charta und Stärkung der UNO. Dies als Beitrag zur Verwirklichung und Verteidigung der antifaschistischen Errungenschaften der Völker.

Hochachtungsvoll

Esther Bejarano Hamburg
Peter Gingold, Frankfurt am Main
Kurt Goldstein, Berlin
Walter Bloch, Düsseldorf
Henny Dreifuß, Düsseldorf
Günter Hänsel, Neuss
Werner Stertzenbach, Düsseldorf




 




©  GLASNOST, Berlin 1992 - 2019