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1994-08-22

Bericht der Gruppe PDS/Linke Liste im Deutschen Bundestag zur Tätigkeit und abschließenden Wertung des 2. Untersuchungsausschusses "Treuhandanstalt" nach Artikel 44 des Grundgesetzes

Inhalt:



Einleitung




Einleitung

Die Arbeit der Treuhandanstalt ist in der Öffentlichkeit stark umstritten: Die Bundesregierung und die Treuhandanstalt selbst sprechen gern von einer Jahrhundertaufgabe, die im wesentlichen erfolgreich gelöst worden sei. Im Gegensatz dazu urteilten in einer FORSA-Umfrage vom Januar 1994 76% der Befragten, daß die Treuhandanstalt ihrer Aufgabe nicht gewachsen sei und 71%, daß die Privatisierung des ehemaligen Volkseigentums der DDR zu schnell erfolgt sei.

Immerhin ging es um die Umstrukturierung der Wirtschaft eines Staates, der bis 1989 als eine der führenden Industrienationen weltweit anerkannt war, wissenschaftliche und künstlerische Leistungen hervorgebracht und über ein international beachtetes Sozialsystem verfügt hatte.

Es ist unbestritten, daß die 1989 gegebene wirtschaftliche Situation auch durch internationale Abschottung, zu geringe Produktivität, erhebliche ökologische Vernachlässigungen, Fehlenentwicklungen in den Proportionen und drohende Zahlungsunfähigkeit geprägt war. Das allein kann jedoch nicht als Ursache dafür angesehen werden, daß die ostdeutsche Wirtschaft im Ergebnis der Umgestaltung durch die Treuhandanstalt auf das Niveau eines wirtschaftlichen Entwicklungslandes zurückgeschrumpft wurde: Die Industrieproduktion wurde von 1989 bis 1991 auf ein Drittel gesenkt und bewegt sich seitdem auf diesem niedrigen Niveau; sie ist nur noch mit 16% an der Bruttowertschöpfung Ostdeutschlands beteiligt. Bezogen auf 1000 Einwohner ist die Zahl der Industriebeschäftigten von 132 im Jahre 1990 auf 47 im Jahr 1993 gesunken, d.h. weniger als die Hälfte des Anteils der west- deutschen Industriebeschäftigten, der 106 beträgt. Damit wurden wirtschaftliche Kreisläufe völlig zerstört, die Reproduktions- und Akkumulationskraft ausgehöhlt.

Der Versuch der Bundesregierung, die Deindustrialisierung allein mit der geringen Produktivität ostdeutscher Industriebetriebe zu begründen, kann schon deshalb nicht überzeugen, weil die Produktivität der Landwirtschaft der DDR nicht nur Schritt halten konnte, sondern zum Teil sogar höher lag als in den alten Bundesländern. Dennoch erlitten die landwirtschaftlichen Betriebe im Osten zu einem beachtlichen Teil das gleiche Schicksal wie die Industriebetriebe. Die volkswirtschaftliche Situation der DDR war gegeben. Es kam darauf an, die leistungsfähigen, regional- und strukturpolitisch wichtigen Betriebe durch Übergangsregelungen und Unterstützungen zu sanieren und sie in die Volkswirtschaft der BRD zu integrieren, statt sie als lästige reale oder mögliche Konkurrenz zu liquidieren.

Aus der Sicht der PDS/Linke Liste ist zu unterscheiden zwischen dem Ergebnis der Arbeit der Treuhandanstalt und der Art und Weise der Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Anstalt. Wir sind der Überzeugung, daß sie in der Mehrheit eine ordnungsgemäße Arbeit geleistet haben. Trotz ihres beträchtlichen Aufwandes konnte aufgrund der Konstruktionsfehler der Treuhandanstalt und ihres fehlerhaften politischen Auftrages kein positives wirtschaftliches Ergebnis erreicht werden.

Die Gruppe PDS/Linke Liste im Deutschen Bundestag ist der Auffassung, daß der Untersuchungsausschuß "Treuhandanstalt" wesentlich zu spät einberufen wurde, obwohl bereits wesentlich früher deutlich geworden war, daß die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung und die darauf basierende Arbeit der Treuhandanstalt zur Deindustrialisierung im Osten Deutschlands führen würde. Durch die verspätete Einberufung Ende 1993 konnte der notwendige Arbeitsaufwand nicht innerhalb dieser Legislaturperiode bewältigt werden und Untersuchungen nicht tiefgründig genug erfolgen. Hinzu kam, daß die Vertreter der Regierungskoalition die Arbeit im Untersuchsausschuß verzögerten und die Bundesregierung die Herausgabes wichtiger Unterlagen verweigerte. Aus diesem Grund konnte der 2. Untersuchungsausschuß des 12. Deutschen Bundestages keinesfalls alle wesentlichen Seiten der Tätigkeit der Treuhandanstalt aufklären und auch nicht zu einer Veränderung der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung aktiv beitragen.

Im Ergebnis der Arbeit des 2. Untersuchungsausschusses des 13. Deutschen Bundestages ist die Gruppe PDS/Linke Liste der Auffassung, daß insbesondere folgende Sachverhalte zum wirtschaftlichen Niedergang Ostdeutschlands beigetragen haben:

1. Ein unklarer gesetzlicher Auftrag der Treuhandanstalt

Der Treuhandanstalt wurde eine gewaltige Aufgabe mit weitreichenden wirtschaftlichen, fiskalischen und sozialen Folgewirkungen aufgebürdet, zu deren Erfüllung ein klarer gesetzlichen Auftrag notwendig gewesen wäre. Stattdessen wurde das unter erheblichem politischen und ökonomischen Druck von bundesdeutscher Seite durch die Volkskammer der DDR beschlossene Treuhandgesetz durch den Einigungsvertrag unverändert übernommen. Mit Hilfe der unpräzisen, den späteren Gegebenheiten nicht mehr entsprechenden Zielstellungen dieses Gesetzes (z.B. gab es noch keine Länder als das Gesetz beschlossen wurde) konnte die Treuhandanstalt zu einer mächtigen, weitgehend autonomen, kaum klaren Regelbindungen unterworfenen Institution entwickelt werden.

Dieses Bestreben wurde durch das Selbstverständnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Treuhandanstalt unterstützt. Insbesondere die Spitzenmanager der Treuhandanstalt sahen sich in einer ganz besonderen, jedoch nicht definierten Rolle: Sie waren weder Beschäftigte eines Konzernunternehmens, noch einer Behörde im herkömmlichen Sinn. Dadurch wurde auch nie definiert, wer Eigentümer der übernommenen Unternehmen war. Die Treuhandanstalt wehrte sich erfolgreich gegen eine eigene unternehmerische Verantwortung. Sie war aber auch nicht bereit, diese Verantwortung den Treuhand-Unternehmen zu übertragen, wodurch diese zusätzlich gelähmt wurden.

Der Treuhandanstalt wurde eine Rolle übertragen, die die Bundesregierung nicht übernehmen wollte: Sie war offiziell der Träger aller unpopulären Entscheidungen und wurde für alle Fehler und Pannen verantwortlich gemacht. So blieb der Öffentlichkeit lange Zeit verborgen, daß die eigentliche Verantwortung für die Tätigkeit der Treuhandanstalt und für die im Osten eingetretene wirtschaftliche Situation die Bundesregierung trägt. Wenn man der Bundesregierung nicht unterstellt, daß der Niedergang der ostdeutschen Wirtschaft ihr Konzept war, so muß ihr zumindest der Vorwurf der Konzeptions- und Ratlosigkeit gemacht werden.

Es fehlte ein klarer beschäftigungs- und strukturpolitischer Auftrag.

Der Zielkonflikt zwischen geforderter rascher Privatisierung und notwendiger Sanierung wurde nicht definiert, die Länderbeteiligung nicht geregelt.

Zunächst waren auch die parlamentarische Kontrolle der Treuhandanstalt, insbesondere ihres Haushaltes, nicht gewährleistet.

Die Verletzung gesetzlicher Bestimmungen durch die Treuhandanstalt wurden stillschweigend hingenommen: Die Weigerung der Treuhandan- stalt, branchenorientierte Aktiengesellschaften zu bilden wurde öffentlich kaum zur Kenntnis genommen. Der ehemalige Leiter der Rechtsabteilung der Treuhandanstalt bezeichnete dies als "heilsamen Ungehorsam gegenüber dem Gesetz". Die stattdessen geschaffene funktionale Struktur der Treuhandanstalt erwies sich jedoch bald als unbrauchbar. Deshalb wurden in mehreren Umstrukturierungen nach 1991 branchenorientierte Teilstrukturen geschaffen.

Die angegebene Furcht vor sich verselbständigenden und nicht oder nur schwer zu kontrollierenden Aktiengesellschaften war jedoch, wenn überhaupt, nur ein Teil der Wahrheit. In Wirklichkeit ging es in erster Linie darum, die Wirtschaftsstrukturen der DDR zu zerschlagen. Mit der Aufhebung von Wirtschaftskreisläufen wurde die ohnehin geringe Konkurrenz durch Ostbetriebe zusätzlich gemindert. Außerdem wurden die Mitbestimmungsrechte ostdeutscher Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer völlig ausgehebelt. Bundesregierung und Treuhandanstalt befürchteten anderenfalls eine Verringerung des Privatisierungstempos. Sicher ist die Tatsache, daß Ostdeutsche damit keinerlei Einblick in die Arbeit der Treuhandanstalt erhielten und von den Entscheidungsprozessen vollständig ausgeschlossen waren und sind, weder ein zufälliger noch ein von der Bundesregierung unerwünschter Effekt.

Eine weitere Verletzung gesetzlicher Regelungen durch die Treuhandanstalt blieb ebenfalls bisher ohne Korrektur durch das Parlament und spielte auch im 2. Untersuchungsausschuß kaum eine Rolle: Durch die Anpassungsrichtlinie der Treuhandanstalt vom 22. 6. 93 über die Verwertung volkseigener Flächen werden bei ansonsten gleichwertigen Angeboten Alteigentümer und ihre Erben bevorzugt. Das ist ein klarer Verstoß gegen den Einigungsvertrag und geltende gesetzliche Bestimmungen, durch die die Bodenreform teilweise revidiert und in der ostdeutschen Landwirtschaft Gemeinschaftsunternehmen ruiniert werden.

Mehrfache Versuche im Bundestag, das Treuhandgesetz im Ganzen oder in Teilen zu verändern wurden von der Regierungskoalition abgelehnt. Das geschah zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits offensichtlich war, daß die Treuhandpolitik in eine Sackgasse führen würde, zu dem aber Veränderungen noch möglich gewesen wären.

2. Fehlendes wirtschaftspolitisches Konzept der Bundesregierung als Regierungskonzept

Ziel der Bundesregierung war ein macht- und ordnungspolitisch be- dingungsloser Anschluß der DDR an die wirtschaftspolitischen Verhältnisse der BRD. Dieser Zielstellung wurde alles untergeordnet. Folgewirkungen spielten offensichtlich in den Überlegungen führender bundesdeutscher Politiker kaum eine Rolle. Im blinden Eifer, eine politische Mission zu erfüllen, und in bundesdeutscher Selbstüberschätzung, wurde die "Jahrhundertaufgabe" ohne jedes Konzept vor dem Hintergrund einer weltweit beginnenden Rezession angegangen. Es gab weder ein Konzept für die Einordnung der DDR-Wirtschaft in die bundesdeutsche und die EU-Wirtschaft noch einen zeitlichen Rahmen. Stattdessen wurde von der Bundesregierung auf die Kräfte des Marktes gesetzt und auf die wohlwollende Unterstützung von Unternehmen und Banken gehofft.

Ein angemessenes Herangehen an die vorhandenen Probleme wurde auch dadurch unmöglich, daß die Bundesregierung es zu keinem Zeitpunkt als notwendig erachtete, eine Analyse zu erarbeiten. Stets wurde von ihren Vertretern betont, daß sie über den Zustand der DDR- Wirtschaft überhaupt nicht informiert gewesen sei. Abgesehen davon, daß das in weiten Teilen nicht zutraf, wurde dieses oberflächliche Herangehen nicht nur von der Opposition, sondern auch von zahlreichen bekannten Wirtschaftswissenschaftlern kritisiert.

Diese, unbedingt erforderliche, Analyse der Zustände wurde auch deshalb nicht in Angriff genommen, weil die Bundesregierung jedes konzeptionelle Herangehen an den wirtschaftlichen Umbau in Ostdeutschland ablehnte.

Markanter Ausdruck dieser Arbeitsweise und der Ablehnung von Konzepten ist auch die Tatsache, daß die erste Eröffnungsbilanz der Treuhananstalt erst im Oktober 1992 vorgelegt wurde, obwohl die Eröffnungsbilanzen der Unternehmen bereits wenige Monate nach der Währungsumstellung vorlagen. Diese wurden aber insgesamt nicht Grundlage der Eröffnungsbilanz der Treuhandanstalt, weil jene bereits als "politische Bilanz" erstellt wurde.
Damit wurde der Einigungsvertrag verletzt und die Tatsache ignoriert, daß kein Unternehmen der Welt erfolgreich arbeiten kann, wenn es keine realistischen Bilanzen erstellt.

3. Fehlerhafte politische Anbindung der Treuhandanstalt

Die Arbeit der Treuhandanstalt wurde von der Bundesregierung von Anfang an als fiskalische Aufgabenstellung ausgegeben. Eine möglichst unkomplizierte finanzielle Ausstattung der Unternehmen sollte gesichert werden. Dem lag die Behauptung zugrunde, daß allein Geld erforderlich wäre, um die Umstrukturierung der DDR- Wirtschaft zu bewerkstelligen.

Dinzu kam, daß sich die Bundesregierung einen zunächst auch von bundesdeutscher Seite (z.B. Rohwedder) geschätzten nicht unbeträchtlichen finanziellen Erlös sichern wollte.

Inzwischen ist offensichtlich geworden (auch anhand der Arbeit der Treuhandanstalt selbst zu belegen), daß die Umstrukturierung einer gesamten Volkswirtschaft mehr als ein fiskalisches und ein verkaufstechnisches Problem ist.

Eine stärkere Anbindung an das Wirtschaftsministerium wäre, wie auch vom ehemaligen Wirtschaftsminister Möllemann gefordert, notwendig gewesen. Aber dann wäre offenbar geworden, daß die Bundesregierung kein Konzept zur Erhaltung der ostdeutschen Industrie und Landwirtschaft hatte und wollte.

4. Währungsunion ohne flankierende Maßnahmen

Mit der Art und Weise der Durchführung der Währungsunion haben Bundesrat, Bundestag, Volkskammer, Regierung der DDR und Bundesregierung eine primäre Bedingung für den Niedergang der ostdeutschen Wirtschaft geschaffen. Warnende Stimmen bekannter Finanz- und Wirtschaftsexperten wurden in den Wind geschlagen. Entscheidend war nicht nur das politische Kalkül, die Einheit Deutschlands so schnell wie möglich herbeizuführen, sondern auch das Motiv, ostdeutsche Konkurrenz erst gar nicht entstehen zu lassen.Eine derartig starke, schlagartig einsetzende Aufwertung der Währung bei gleichbleibendem Inlandsaufwand und gleichbleibenden Preisen mußte zur Zahlungsunfähigkeit der meisten Betriebe führen. Auch eine effektivere Volkswirtschaft als die der DDR würde unter solchen währungspolitischen Bedingungen einen Niedergang erleben.

Seit der Währungsreform in der Bundesrepublik bekannte und angewendete wirtschaftspolitische Instrumentarien, wie z.B. Quotierungen, Präferenzen, zeitlich begrenzte Subventionen, wurden entweder gar nicht oder äußerst restriktiv und halbherzig eingesetzt. Stellvertretend soll hier nur die "Einkaufsoffensive Ost" genannt werden, in deren Ergebnis von 1992 zu 1993 sogar eine Erhöhung der Warenlieferungen von West nach Ost um einen Wert von 700 000 DM und eine analoge Verringerung von Ost nach West zu verzeichnen war.

In zunehmenden Umfang mußten wegen des ausgebliebenen Einsatzes der genannten Instrumentarien Steuergelder für (häufig sinnlose) Umschulungen, für Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit eingesetzt werden.

Eine schwere, aber offensichtlich gewollte Bürde für Treuhandbetriebe waren die Altschulden, die keine echte ökonomische Basis hatten. Sie waren nicht aus einer eigenverantwortlichen Wirtschaftsführung der Unternehmen in einem kostenorientierten Preisgefüge entstanden, sondern nach außerbetrieblichen Planungsgesichtspunkten den Betrieben in der DDR aufgedrückt wurden. Solche "Schulden" sind nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch nicht einklagbar. Die für viele Betriebe wirtschaftlich notwendige Chance, unbelastet in die Wirtschaftsunion einzutreten, war jedoch politisch nicht gewollt. Eine Entschuldung wäre bei den vorhandenen Wettbewerbsnachteilen und der ungenügenden Kapitalausstattung ein für die Unternehmen hilfreicher und den Steuerzahler effizienter und billigerer Schritt gewesen. Namhafte Wirtschaftsfachleute, Finanzexperten und Juristen betrachten die 1990 getroffene Festlegung zur Aufrechterhaltung der Altschulden als Fehlentscheidung.

Ein weiteres wesentliches sich lähmend auf die ostdeutsche Wirtschaft auswirkendes Finanzproblem war der mit 25 Mrd. DM wesentlich zu geringe Kredit- und Bürgschaftsrahmen für Liquiditätskredite. Nach Schätzungen betrug der für den betrieblichen Reproduktionsprozeß notwendige Liquiditätsbedarf ca. 75 Mrd. DM. Es wäre mindestens eine Verdoppelung des Kredit- und Bürgschaftsrahmens notwendig gwesen, um das Überleben sanierungsfähiger Betriebe finanziell zu sichern.

5. Bedingungslose und rasche Privatisierung

Von Anfang an setzte die Treuhandanstalt auf die marktradikale Linie "Privatisieren geht vor Sanieren". Dabei wurde unter "Privatisieren" nahezu ausschließlich der Verkauf von Unternehmen verstanden. Unter der Präsidentschaft von Birgit Breul wurde seit April 1991 der Privatisierungskurs unter dem Motto "Privatisierung ist die beste Sanierung" noch konsequenter durchgesetzt. Mit dem Bonussystem für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Treuhandanstalt wurde ein wesentliches Instrument zur Be- schleunigung der Privatisierung unter Vernachlässigung der Sanierung geschaffen.

Keine Überlegung wurde dem Umstand gewidmet, daß für ein derartig großes Angebot weder ein nationaler noch ein internationaler Markt vorhanden war. Mit dem Versuch, ein solches Überangebot zu verkaufen, wurde vollständig an Marktgesetzen vorbei agiert. So konnte es nicht ausbleiben, daß ein Vermögen von ca. 600 Mrd.DM, das in der Summe der Betriebsbilanzen in der ersten Treuhandbilanz als Zwischenergebnis noch ausgewiesen wurde, sich in einen Schuldenberg von 270 Mrd. DM verwandelte. Dafür trägt die Bundesregierung die politische Verantwortung.

In völligem Widerspruch zu bundesdeutschen Erfahrungen wurde jede Form staatlicher Beteiligung bei der Erhaltung von sanierungsfähigen Betriebe und deren Heranführen an die Marktreife abgelehnt. Der Staat sei ein schlechter Unternehmer, er agiere zu uneffektiv, erklärte die Bundesregierung. Dabei wird jedoch verschwiegen, welche Folgen es für das westdeutsche Wirtschaftssystem gehabt hätte, wenn es die staatliche Sanierung von VEBA, VIAG Volkswagen, Salzgitter AG u. a. bis zum Ende der 80iger Jahre nicht gegeben hätte.

In der Treuhandpraxis haben sich Privatisierungen mit finanziellen Zugaben an die Unternehmen als teurer erwiesen als staatliche Unternehmenskonzepte (z.B. bei der Werften-Privatisierung).

Verschwiegen wird auch, daß sich trotz der in den letzten Jahren auch in den alten Bundesländern vorangetriebenen Privatisierung immer noch beträchtliches Eigentum in den Händen von Bund, Ländern und Kommunen befindet. Über den Wert dieses Eigentums werden die Bürger jedoch im Unklaren gelassen (nach Schätzungen beträgt er ca. 2 Billionen DM ohne Hoheitsvermögen, wie z.B. öffentliche Infrastruktur und staatliche Verwaltungsgebäude).

Die Ursachen für die Verweigerung staatlicher Beteiligung an der Erhaltung ostdeutscher Industrieunternehmen sind zum einen in der Tatsache zu suchen, daß sich zu diesem Zeitpunkt in der Politik im wesentlichen die Vertreter der radikale Marktwirtschaft durchgesetzt hatten, zum anderen in dem unter den Bedingungen weltweiter Rezession wachsenden Druck der westdeutschen Industrie, eine erstarkende Konkurrenz im Osten des Landes zu verhindern.

Insofern waren die wiederholten Solidaritätsappelle des Bundeskanzlers an die Industrie und die Banken sinnlos und sollten nur der Beruhigung der Menschen in den neuen Bundesländern dienen.Ihr Mißerfolg stand von vornherein fest. Im Verlaufe der Arbeit des Untersuchungsausschusses "Treuhandausschuß" wurde insbesondere bei der Behandlung des Abschnittes Management by out (MBO) in vielen Fällen deutlich, daß es zu massiven Behinderungen und sogar Verhinderungen einer eigenständigen wirtschaftlichen Entwicklung im Osten Deutschlands gekommen ist.

Bereits vor dem Beitritt der DDR waren die lukrativsten Unternehmen der DDR an westdeutsche Marktführer verschenkt worden: Staatsbanken, Versicherung, Stromversorger. Wesentliche Marktanteile waren dadurch von westdeutscher Seite gesichert worden.

1990 erklärte der damalige Vorsitzende des Verwaltungsrates der Treuhandanstalt, Odewald, daß die Treuhandanstalt durchaus bereit sei "negative Kaufpreise" zu akzeptieren, wenn dadurch die Privatisierung vorangetrieben werden könne. Dieses Signal verstanden die westdeutschen Unternehmer. Das Produktivvermögen ging, häufig verbunden mit finanziellen Zuschüssen, in erster Linie an westdeutsche Unternehmen (85%), die damit häufig ihre Marktstellung stärkten. Und wenn ein Betrieb noch nicht billig genug oder die Zahl der vorhandenen Arbeitsplätze zu hoch erschien, wurde er mit Hilfe der Treuhandanstalt über mehrfache Sanierungskonzepte kurzerhand "gesundgeschrumpft". Aus "betriebswirtschaftlichen" Gründen wurde der Verlust von Arbeitsplätzen und Betrieben in Kauf genommen, der Markt bereinigt und die Folgekosten der Allgemeinheit aufgebürdet. Auch hier galt zumeist, daß die Gewinne privatisiert und die Verluste so- zialisiert werden.

Im blinden Eifer, die Privatisierung immer weiter zu be- schleunigen, wurden Verkäufe häufig unzureichend vorbereitet und mangelhaft vertraglich abgesichert: Nicht selten wurde die Bonität von Bewerbern nicht oder unzureichend geprüft, der Wert der zu verkaufenden Unternehmen mangelhaft ermittelt, die Verträge schlampig ausgearbeitet, Arbeitsplatz- und Investitionszusagen nicht ausreichend vertraglich gesichert, Zahlungsmodalitäten nicht geprüft usw. Dadurch wurden das von der DDR-Bevölkerung erarbeitete Vermögen zum großen Teil verschleudert, Arbeitsplätze vernichtet und Lebensperspektiven der Menschen in den neuen Bundesländern zerstört.

Die Privatisierungspraxis der Treuhandanstalt war mit einer nahezu völligen Preisgabe von Firmeninterna an "Interessenten" verbunden. Bereits die in der Treuhandanstalt geäußerte Absicht, einen Betrieb eventuell kaufen zu wollen, reichte, um vollständigen Einblick zu erhalten. Das öffnete einer Betiebsspionage ungeahnten Ausmaßes Tür und Tor. Nichts blieb verborgen. Die Folge war, daß sehr häufig die Absatzmärkte der ostdeutschen Unternehmen von westdeutschen Konkurrenten übernommen wurden. Die Privatisierungs- und Sanierungschancen solcher ostdeutschen Unternehmen sank dadurch gegen Null.

Eine besondere Rolle im Rahmen der Privatisierungspraxis spielt das Bonussystem. Abgesehen davon, daß die damit verbundenen Ausgaben in Höhe von über 13 Mio DM jährlich nicht unbeträchtlich sind, ist es der Bundesregierung und der Treuhandanstalt bis heute nicht gelungen, die Wirtschaftlichkeit des Bonussystems nachzuweisen. Ein vom Bundesfinanzminister gegebener Hinweis, Wirtschaftlichkeit und Ausgabendisziplin im Bonussystem zu verankern, wurde von der Treuhandanstalt ignoriert. Von Gutachtern und von Führungskräften der Treuhandanstalt wurde jedoch vor dem Untersuchungsausschuß recht eindeutig herausgearbeitet, daß dieses System in erster Linie dazu dienen sollte, "Absicherungstendenzen" von Mitarbeitern zu unterbinden, d. h. ein längeres Verweilen bei einzelnen "Fällen" und eine gründliche Prüfung aller notwendigen Parameter möglichst gering zu halten, und damit die Privatisierung zu beschleunigen.

Die individuellen Zielvorgaben für den oprativen Bereich der Treuhandanstalt waren in erster Linie auf zügigen Bestandsabbau gerichtet. Investitions- und Arbeitsplatzzusagen wurden völlig unterschiedlich gewichtet. In den Niederlassungen der Treuhandanstalt waren Arbeitplatzzusagen überhaupt keine Zielvorgaben! Für Führungskräfte im nichtoperativen Bereich gab es über die originären Aufgaben hinaus keinen besonderen Leistungsan- spruch. Sie wurden also für die Erfüllung ihrer normalen Arbeitsaufgaben durch Bonus prämiert! Die Erfüllung qualitativer Aufgabenstellungen im Rahmen der Zielvorgaben wurde von der Treuhandanstalt nicht belegt. Die notwendigen Unterlagen über die individuelle Festlegung von Zielvorgaben, deren Auswertung und die Folgen des Bonussystems wurden dem Untersuchungsausschuß durch die Bundesregierung vorenthalten.

Darüber hinaus trug auch die Haftungsfreistellung für leitende Mitarbeiter der Treuhandanstalt dazu bei, die Privatisierung zu beschleunigen und "Absicherungstendenzen" zu verringern. 1990 und 1991 erfolgte sogar eine Haftungsfreistellung für grobe Fahrlässigkeit. Das bedeutete zum Beispiel, wenn durch mangelhafte Bonitätsprüfung oder Wertermittlung, durch unzureichende Information von Interessenten oder mangelnde vertragliche Absicherung gegen die Aushöhlung von Unternehmen Schäden eintraten, war der betreffende Mitarbeiter der Treuhandanstalt dafür nicht zivilrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.

6. Privatisierung ohne Regelbindung für Entscheidungen

Die Treuhandanstalt hatte mit ihrer Gründung eine außerordentlich vielschichtige und umfangreiche Aufgabe übernommen, die unter erheblichem objektiven (und selbst inszenierten) Zeitdruck zu erfül- len war. Es wäre ein nachvollziebares, praktikables Regelwerk not- wendig gewesen, um ihre Tätigkeit zu optimieren und die Verunsicherung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch Handlungsrichtlinien zu verringern (statt Verleitung zur Leichtfertigkeit und Oberflächlichkeit durch Haftungsfreistellung und Bonussystem).

Insbesondere wäre es darum gegangen, verschiedene, teilweise widersprüchliche Parameter zu bündeln und zu optimieren: Kaufpreis - Arbeitsplatzzusagen - Investitionszusagen - Pönalen - Altschulden - ökologische Altlasten. Die Treuhandanstalt behauptet sie hätte dies getan, ist jedoch nicht in der Lage, zu sagen wie. Dadurch sind häufig Entscheidungen nicht nachvollziehbar, Ergebnisse nicht meßbar, Zusagen nicht einklagbar. Es entstanden Freiräume für Begünstigung, Vetternwirtschaft, persönliche Willkür und Wirtschaftskriminalität.

Die viel zu spät gebildete Innenrevision der Treuhandanstalt stellte bei den 1991 erfolgten Privatisierungen in 50 % der Fälle Mängel fest.

Wenn man der Treuhandanstalt auch zugutehalten kann, daß sie im Verlaufe ihrer Tätigkeit im Prozeß des "learning by doing", wie sie ihn selbst gern bezeichnet, eine ganze Reihe von teilweise umfangreichen Regelwerken entworfen hat, muß man andererseits aber auch klarstellen, daß diese Regelwerke fast alle mit einer beträchtlichen, teilweise unverständlichen zeitlichen Verzögerung in Kraft gesetzt wurden und oft nicht als Handlungsrichtlinien mit einer gewissen Verbindlichkeit angesehen wurden, sondern als "Good-Will-Verlautbahrungen" des Vorstandes. Zumindest einem Treuhand-Direktor, dem Direktor für Abwicklung Tränkner, war das für seinen Bereich geltende Abwicklungshandbuch nicht bekannt - es war ihm zu dick, um es zu lesen, wie er vor dem Untersuchungsausschuß aussagte. Auch sonst wurden Regelung und Realität meist als Kann-Bestimmungen behandelt. Zwischen Regel und Realität war häufig eine ausgeprägte Divergenz.

7. Vernachlässigung der Sanierung vor dem Verkauf

Die Treuhandanstalt hat zunächst die Sanierung von nicht privatisierten Betrieben verweigert oder zumindest stark behindert, da sie die Auffassung vertrat, daß nur der private Investor effektiv sanieren könne. Das kommt einer Liquidierung auf Raten gleich. Die geforderten Sanierungskonzepte können aus diesem Grund nur als Alibihandlungen angesehen werden. Sie dienten dazu, den Ab- bauprozeß zu verzögern und den nahezu völligen Ausschluß Ostdeutscher aus wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen den Betroffenen nicht bewußt werden zu lassen. Meist glaubten die Beschäftigten durch ein noch besseres Sanierungskonzept - in der Mehrzahl mit weiterem Personalabbau verbunden - einen Beitrag zur Rettung ihres Betriebes leisten zu können. Welche Bedeutung diese Unternehmenskonzepte tatsächlich hatten sieht man u.a. daran, daß von der Treuhandanstalt meist keine Vorgaben zu Konzepten, insbesondere zum Sanierungsaufwand und -zeitraum gemacht wurden, Entscheidungen über Unternehmenskonzepte und die Einstufung der Unternehmen nicht zeitnah getroffen wurden und keine systematische Kommunikation zwischen der Treuhandanstalt und den Geschäftsführern der Unternehmen stattfand.

Die Warnungen von Mc Kinsey im "White Paper" vor den Folgen rein betriebswirtschaftlichen Vorgehens und unterlassener Sanierung wurden als "zu industriepolitisch" verworfen.

Vereinzelte Versuche westdeutscher Manager, ostdeutsche Betriebe auf eigene Füße zu stellen und das Engagement und die Fähigkeiten der Belegschaften bei maßvoller Sanierung zu nutzen, wurden wie im Falle der Deutsche Maschinen- und Schiffbau AG in Rostock von seiten der Treuhandanstalt hintertrieben.

Die lange Zeit von der Treuhandanstalt vorgetragene Behauptung, sie sei gar nicht in der Lage zu sanieren, wurde von ihr selbst widerlegt: Seit Herbst 1992 konnte sie die Sanierung ihrer Unter- nehmen nicht mehr vollständig verweigern. Zu offensichtlich wurden die eklatanten Folgen der raschen Privatisierung. Sicher hat auch der wachsende Protest der noch verbliebenen Treuhandbeschäftigten zu diesem zumindest teilweisen Sinneswandel beigetragen. Allerdings wurde auch in der Folgezeit zu wenig investiert. Teilweise waren die Investitionen auch vordergründig darauf ausgerichtet, die Belegschaften in scheinbarer Sicherheit zu wiegen. Wer nimmt schon an, daß sein Betrieb in wenigen Monaten endgültig liquidiert wird, wenn heute noch Millionen investiert werden?

8. Vernachlässigung der Absatz- und Innovationsförderung

Von Seiten der Bundesregierung und der Treuhandanstalt wurde keine Marktsicherungspolitik betrieben. Angefangen damit, daß über die westdeutschen Handelsketten und deren Listungspraktiken, auf deren Grundlage ostdeutsche Produkte meist überhaupt nicht angeboten wurden, schlagartig mit der Währungsunion der ostdeutsche Markt mit westdeutschen Produkten überschwemmt wurde (das vorübergehend auf westdeutsche Produkte ausgerichtete Kaufverhalten der Ost- deutschen ist dafür nicht die Hauptursache), daß ostdeutschen Unternehmen ihre Absatzmärkte mit z. T. unseriösen Methoden entzogen wurden bis hin zum hauptsächlich währungspolitisch bedingten Zusammenbruch der osteuropäischen Märkte, wurden die damit verbundenen gravierenden Probleme von der Bundesregierung zwar zur Kenntnis genommen, aber keine Abhilfe geschaffen.

Der Zusammenbruch der ostdeutschen Unternehmen und die eingetretene Deindustrialisierung sind die Folgen der Unterlassung notwendiger Maßnahmen, die weder einfach noch billig gewesen wären und sicher auch manches westdeutsche Unternehmer in seinem Expansionsstreben behindert hätte, die aber ein mit Sicherheit besseres volkswirtschaftliches Ergebnis ermöglicht und letztlich zur Einsparung von Milliarden DM an Transferleistungen geführt hätten. Massenarbeitslosigkeit im heutigen Ausmaß wäre zu verhindern gewesen.

Statt über die teilweise Abschöpfung überproportionaler Gewinne westdeutscher Konzerne, Handelsketten und Banken die Innovation ostdeutscher Betriebe zu fördern, ist in Kauf genommen worden, daß das Forschungs- und Entwicklungspotential der ostdeutschen Betriebe bis auf 15 - 20 % reduziert wurde. Hier hat kurzfristiges Kostendenken Zukunftsorientiertheit verhindert. Die Folge war, Arbeitslosigkeit oder das Abwandern fähiger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und das entstehen "verlängerter Werkbänke". Eine maßgebliche Rolle bei diesem Prozeß hat auch eine ideologisch bedingte generelle Minderbewertung von Leistungsmöglichkeiten Ostdeutscher, darunter im besonderen ihrer wissenschaftlichen Arbeit und deren Ergebnisse gespielt. Die Resultate jahrzehnte- langer Arbeit, die in nicht wenigen Fällen sogar Welthöchststand darstellten, wurden über Nacht entwertet oder ohne Gegenleistung von der Konkurrenz übernommen.

9. Zentralismus und fehlende Kontrolle

Die Treuhandanstalt untersteht als Anstalt öffentlichen Rechts (lt. Einigungsvertrag) der Rechts- und Fachaufsicht des Bundesfinanzministers. Dieser gesetzlichen Verpflichtung ist die Bundesregierung zweifellos nicht im gebotenen Umfang nachgekommen. Tatsächlich kontrollierte die Treuhandanstalt sich weitestgehend selbst und legte dementsprechend auch selbst fest, was aus den Kontrollergebnissen zu schlußfolgern ist.

Die Bundesregierung vertrat die Auffassung, daß eine "passive Aufsichtsführung" angemessen sei. Das heißt, daß das Bundesfinanzministerium sich Zustandsberichte und Entscheidungen im wesentlichen von der Treuhandanstalt zuarbeiten ließ, keine eigenen Informationserhebungen vornahm (auch nicht stichpunktweise) und darüber hinaus nicht kontrollierte, ob die von ihm erteilten (wenigen) Weisungen durchgesetzt wurden. Es führte kaum zu Reaktionen des Bundesfinanzministers, wenn offensichtlich wurde, daß ihm Informationen vorenthalten wurden (z.B. zur Gründung von Tochterunternehmen der Treuhandanstalt, die generell der Genehmigungspflicht des Bundesfinanzministers unterlagen; zeitweise wußte jedoch scheinbar nicht einmal der Vorstand der Treuhandanstalt, welche Tochterunternehmen gegründet wurden).

Die mangelnde Kontrolle führte insbesondere zur Kritk des Bundesrechnungshofes an der Aufsichtsführung des Bundesfinanzministeriums gegenüber der Treuhandanstalt. Die vom Bundesfinanzminister in den meisten Punkten erfolgte Zurückweisung der Kritik ist nicht akzeptabel. Der Bundesrechnungshof hatte u. a. zutreffend konzeptionelle Mängel der Aufsichtsführung, die fehlende verbindliche Regelung des Informationsaustausches zwischen Bundesfinanzministerium und Treuhandanstalt und das Nichtvorhandensein von Regelungen über Abweichungen von betriebswirtschaftlich sinnvollen Lösungen aus strukturellen, regionalen oder arbeitsmaktpolitischen Gründen beanstandet.

Insgesamt bezeichntete der Vertreter des Bundesrechnungshofes, Heuer, vor dem Untersuchungsausschuß die Zusammenarbeit mit dem Bundesfinanzministerium als enttäuschend. Es habe kein Interesse an den Hinweisen des Bundesrechnungshofes gegeben.

Für die mangelnde Aufsichtsführung ist die Reaktion des Bundesfinanzministeriums auf das Bonussystem beispielhaft, über das das Ministerium zunächst von der Treuhandanstalt nicht einmal unterrichtet wurde, sich allerdings auch nicht als zuständig ansah, da Personalangelegenheiten in der Kompetenz der Treuhandanstalt selbst lägen. Immerhin sah sich das Bundes- finanzministerium, sicher überwiegend durch den massiven öffentlichen Protest über die Selbstbedienungsmentalität der Treuhandmanager, dazu genötigt, einzuräumen, daß das Bonussysten offensichtlich eine verhaltensregulierende Wirkung habe (wozu sollte man es sonst auch einführen?!) und es deshalb doch zur Verantwortung des Bundesfinanzministers gehöre, sich nach den Wirkungen zu erkundigen. Man beeilte sich dann, die eingeholten Gutachten durchweg positiv zu werten, obwohl sie selbst bei wohlwollender Interpretation zumindest zu weiteren Nachfragen Anlaß gegeben hätten.

Das geringe Interesse der Bundesregierung an einer wirkungsvollen Kontrolle der Arbeit der Treuhandanstalt zeigt sich auch in der Behinderung des 2. Untersuchungsausschusses durch die Bundesregierung. Es verletzt parlamentarische Kontrollrechte und den Anspruch der Öffentlichkeit auf Information, wenn Unterlagen, die in der Treuhandanstalt nicht eingestuft und nicht gesichert waren, teilweise weit verbreitet wurden, dem Untersuchungsausschuß erheblich verzögert, unvollständig und unter dem Siegel strengster Vertraulichkeit, d.h. VS-eingestuft, übergeben wurden. Es gab sogar Fälle, daß Unterlagen, die im Treuhandausschuß des Deutschen Bundestages als öffentliche Drucksache an alle Parlamentarier verteilt wurden, im Untersuchungsausschuß als VS-Vertraulich eingestuft übergeben werden. Dazu paßte, daß einzelne Zeugen im Verlaufe ihrer Vernehmung Beweismaterial an den Ausschuß ohne Prüfung der Geheimhaltung verteilten. Wohl beispiellos in der parlamentarischen Geschichte der Bundesrepublik erscheint die Tatsache, daß Zeugen während der Vernehmung durch den Ausschuß von Vertretern der Bundesregierung und einzelnen Mitgliedern der Koalitionsfraktionen in ihrem Aussagerecht beschnitten wurden. Die Herausgabe der Protokolle des Vorstandes und des Verwal- tungsrates der Treuhandanstalt wurde vollständig verweigert. Hier wurde die Absicht der Bundesregierung besonders deutlich, die parlamentarische Aufklärung der Tätigkeit der Treuhandanstalt zu behindern. Die Bundesregierung hat offensichtlich gute Gründe, die Tätigkeit der Treuhandanstalt soweit es ihr möglich erscheint, zur Geheimsache zu erklären.

10. Nahezu vollständige Ausschaltung Ostdeutscher aus Entscheidungsprozessen

Ostdeutsche hatten kaum reale Möglichkeiten Einblick in die Entscheidungsprozesse der Treuhandanstalt zu nehmen, noch weniger an ihnen teilzuhaben. Dabei ging es vornehmlich um ihre Gegenwart und Zukunft! Die Begründung war meist die angebliche Unfähigkeit Ostdeutscher, marktwirtschaftlich denken und handeln zu können oder die Unterstellung, DDR-Verhältnisse restaurieren zu wollen. Es gibt jedoch zahlreiche Belege, daß diese Begründung falsch und vorgeschoben ist.

Die Ostdeutschen waren einem massiven Verdrängungswettbewerb in allen Bereichen, in denen anspruchsvolle Tätigkeiten auszuführen sind, ausgesetzt, vor allem in den Führungsfunktionen. Es ist nicht zu vermitteln, warum z.B. ein rechtskräftig verurteiter Skandaljournalist als Treuhanddirktor prädestiniert, ein pensionierter ehemaliger Beamter das ideale Vorstandmitglied sein und ein junger, berufsunerfahrener Sparkassenangestellter besonders gute Ergebnisse bei der Liqudation von Betrieben erreichen soll, nur weil sie aus den alten Bundesländern kommen.

Warum wurde ostdeutschen Geschäftsführern, die oft ihre Betriebe seit Jahren genau kannten, keine reelle Chanche gegeben, gemeinsam mit ihren Belegschaften ihre Unternehmen zu sanieren?

Das Problem besteht nicht nur in einer hochmütigen Abwertung des Wissens und Könnens ostdeutscher Fachleute, sondern auch darin, daß offenbar befürchtet wurde, daß die einseitige Verwertung ostdeutschen Vermögens zugunsten westdeutscher Unternehmen und Banken auf deren Widerstand hätte stoßen können.

Bei Wertung aller materiellen und finanziellen Ergebnisse der Arbeit der Bundesregierung und der Treuhandanstalt ist wohl das negativste Resultat, daß ein Riesenpotetial an kreativen Fähigkeiten von Menschen ungenutzt blieb und bleibt. Die den meisten Menschen vorenthaltene Chance, sich durch Erwerbsarbeit selbst zu verwirklichen und sich ihre materielle Lebensgrundlage zu schaffen, stellt aus unserer Sicht das größte politische Versagen der Regierung Kohl dar.

Bonn, 22.8.94

Dr. Gregor Gysi




 




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