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1990-01-10Fortsetzung: Grundaussagen der SPDSozialpolitik Unsere Sozialpolitik erhebt das Prinzip der Solidarität zur Richtschnur für das gesamtgesellschaftliche Handeln. Wir Sozialdemokraten treten für eine gesellschaftliche, über den Staat vermittelte Sicherung gegen die elementaren Risiken des Lebens an. Solidarität erschöpft sich nicht in der Versorgung und Betreuung der sozial Schwächeren. Vielmehr muß sie stets auch Hilfe zur Selbsthilfe sien, Bevormundung und Diskriminierung ausschließen. Langfristig soll sich unsere Sozialpolitik nicht darauf beschränken, eingetretene Schäden zu beheben; vielmehr wollen wir wirksamen Schutt durch Vorbeugung erreichen. Deshalb treten wir für die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen breitestet Bevölkerungskreise ein. Für uns ist Wohnen ein Grundrecht wie Arbeit und Bildung. Jeder Mensch in unserer Gesellschaft hat Anspruch auf eine menschenwürdige Wohnung. Es ist Aufgabe des Staates, diesen Anspruch für alle zu sichern. Dazu gehört auch, der Spekulation mit Boden und Wohnraum vorzubeugen. Die Garantie und freie Wahl der Arbeit entsprechend der persönlichen Oualifikation ist praktisch durch die Verkürzung der Arbeitszeit, Umschulungsangebote und die humane Entwicklung der Arblitswelt zu gewährleisten. Die Arbeitsplätze wollen wir umgestalten, so daß erhebliche Gesundheitsgefährdungen ausgeschlossen werden. Die Entwicklung betrieblicher Sozialkonzepte ist notwendig. Wir fordern unabhängige Betriebsräte, um eine wirksame Interessenvertretung der Werktätigen zu gewährleisten. Die Erhöhung der unteren und mittleren Renten und die dynamische Angleichung der Renten an die Entwicklung der Preise ist unabdingbar. Älteren Menschen muß stärker Gelegenheit gegeben werden, soziale Kontakte zu pflegen und sich schöpferisch zu betätigen. Die Sozialleistungen für Nicht-Arbeitsfähige müssen erhöht werden, der Realeinkommensentwicklung der Bevölkerung folgen. Behinderten und chronisch Kranken sollte es möglich sein, ihre Begabungen und ihr Können zu beweisen und Freude an ihrem Leben zu gewinnen. Sie müssen deshalb finanziell abgesichert sein. Zu ihrer individuellen Entfaltung ist die Schaffung entsprechenden Einrichtungen notwendig, wobei den ambulanten Institutionen Vorrang vor den stationären gegeben werden sollte. Gesundheitswesen
Die solidarische Hilfe für Kranke, Leidende und Schwache ist
ein unverzichtbares Element sozialdemokratischer
Gesellschaftspolitik. Jeder Mensch soll dazu befähigt werden, Mitverantwortung für seinen Gesundheitszustand zu tragen. Aufklärung und Vorsorge in den Bereichen von Umwelt, Arbeit und persönlicher Lebensweise sind dringend geboten. Die Medizin muß den Menschen in seiner Ganzheit wahrnehmen und sich nicht nur auf sein Krankheitsbild konzentrieren. Nur so kann sie in partnerschaftlicher Zusammenarbeit zwischen Patient und Therapeut zu umfassender Gesundheit verhelfen. Dem Staat kommt die Aufgabe zu, die sozialen Rahmenbedingungen für eine gesunde Lebensweise herzustellen und zu sichern. Unser Gesundheitswesen muß leistungsfähige, effizienter und menschengerechter werden. Dabei müssen folgende Maßnahmen im Vordergrund stehen:
Gleichberechtigung Die Gleichberechtigung aller Bürgerinnen und Bürger vor dem Gesetz muß vollendet, ihre gesellschaftliche Gleichstellung verwirklicht werden, damit jede und jeder die eigenen Fähigkeiten ungehindert entfalten und zum Nutzen aller in das Leben der Gesellschaft einbringen kann. Unser Ziel ist die Gleichstellung aller Bürgerinnen und Bürger in einer partizipativen Gesellschaft. Wir wollen deshalb Männer und Frauen sowie Angehörige unterschiedlicher ethnischer, religiöser, sexueller und kultureller Minderheiten vor Diskriminierung und gesellschaftlicher Isolation bewahren. Dort, wo es notwendig ist, wollen wir es ihnen durch spezielle Förderung ermöglichen, ihren Bedürfnissen entsprechend zu leben. Insbesondere für Frauen ist die Gleichstellung noch lange nicht erreicht. Wir wollen eine Gesellschaft, in der
Familienpolitik Wir Sozialdemokraten geben dem Zusammenleben der Menschen keine festen Leitbilder vor - nicht das der erwerbstätigen Frau und nicht das traditionelele Familienbild. Wir wollen, daß Männer und Frauen ihre Lebensform frei wählen können und sich vor allen Dingen frei zwischen Familie und Beruf entscheiden beziehungsweise beides gut miteinander in Vereinbarung bringen können. Wir wollen die Familien stärken. Dazu trägt vor allem eine familienfreundliche Arbeitswelt bei. Es sind neue Formen von Arbeitszeitverkürzung zu schaffen, die die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familie verbessern. Die tägliche Arbeitszeit für Männer und Frauen ist so zu reduzieren, daß beide Zeit für Familien- und Haushaltspflichten finden. Die, Eltern sollen verschiedene Kombinations- und Wahlmöglichkeiten ihren individuellen Lebenssituationen gemäß erhalten. Dazu gehört der Elternurlaub bei der Geburt oder Krankheit von Kindern, wahlweise für den Vater oder die Mutter. Wir wollen einen längeren Erziehungs- beziehungsweise Elternurlaub sowie die Zahlung von Erziehungsgeld einführen. Die Möglichkeiten für die Kinderbetreuung und Pflege in den ersten Lebensjahren des Kindes müssen ausgebaut werden. Dabei soll das Angebot an allen familienergänzenden Einrichtungen breit und vielfältig sein. Kindererziehungs- und Pflegezeiten müssen auf die Rentenzahlung angerechnet werden. Bildung Ziel sozialdemokratischer Bildungspolitik ist die freie Entfaltung und Selbstbestimmung der Persönlichkeit aller Menschen in unserer Gesellschaft. Jeder Mann und jede Frau muß sich unter den für ihn/sie und die Gesellschaft günstigsten Voraussetzungen bilden können. Das Bildungswesen der DDR bietet solche Voraussetzungen nicht. Ein umfassend reformiertes Bildungssystem soll in unterschiedlich geprägten und verfaßten Bildungseinrichtungen die Kinder und Jugendlichen zu eigenständig und kreativ denkenden, fühlenden und handelnden, lernbereiten und wissenshungrigen, auch musisch aufgeschlossenen Menschen bilden. Die weiterführende Bildung an Hoch- und Fachschulen sowie die berufliche und außerberufliche Weiterbildung sollen nicht auf die Zwecke der funktionellen Verwendbarkeit von Arbeitskräften eingeengt sein und unter Karriere- und Existenzsicherungszwängen stehen, sondern zur freien Selbstbildung beitragen. Bildung ist für uns nicht nur Mittel zum Zweck, sondern auch Selbstzweck. Die wichtigsten Umgestaltungsmaßnahmen im Bildungssystem sind:
Wissenschaft und Forschung Wissenschaft und Forschung müssen sich unabhängig und frei entfalten können. Grenzen ihrer Forschung sollen sich zunächst nur die Wissenschaftler selbst setzen, indem sie in sensibler Verantwortung für das Gemeinwohl, für die Integrität und Unversehrtheit von Mensch und Natur auf das Gebot der Vernunft und des Gewissens hören. Damit sichergestellt wird, daß die Wissenschaftler ihre Verantwortung erkennen und wahrnehmen, bedarf es darüber hinaus gesellschaftlicher Kontrolle durch öffentliche Diskussion und die Einrichtung kompetenter Gremien. In festzulegenden Fällen muß das gesetzliche Verbot unverantwortbarer wissenschaftlicher Vorhaben möglich sein. Keinesfalls aber dürfen Wissenschaft und Forschung dem Diktat der Politik oder einer Ideologie unterworfen sein. Freier Wettbewerb der Ideen, Projekte, Wissenschaftsrichtungen und -schulen stimuliert die Forschung; er wird auch, darf aber nicht nur von den Interessen des Staates und der Wirtschaft bestimmt sein. Deshalb soll der Staat unabhängige Wissenschaftseinrichtungen großzügig fördern. Daneben sollen Wissenschaftseinrichtungen, die von Wirtschaftsunternehmen, gesellschaftlichen Organisationen, wie zum Beispiel Verbänden, Kirchen und Stiftungen getragen werden, entstehen. Vordringliche Maßnahmen der Umgestaltung im Wissenschaft sind:
Kultur Sozialdemokraten begreifen Kultur als freies und befreiendes schöpferisches Handeln, bei dem Individuen, Gruppen und Gemeinschaften ihre Identität entdecken, entfalten und vertiefen und sich und ihre Umwelt zu mehr Menschlichkeit umgestalten. Unser Kulturbegriff umfaßt also nicht nur die Künste, sondern die kulturelle Dimension der Arbeits- und Lebensweise, ihr Umgangsformen und aller anderen Kommunikationsbeziehungen. Die Arbeitsteilung zwischen den Produzenten und Konsumenten von Kultur soll vermindert werden, spontane und spielerische Kreativität möglichst überall, aber vor allem im unmittelbaren Wohn- und Arbeitsbereich der Menschen freie Bahn erhalten. Die Kultur muß sich in all ihren Aspekten ohne Schranken und Einengungen entwickeln können. Kulturelle Vielfalt verbürgt und befördert die Einbeziehung und Mitgestaltungsmöglichkeiten des einzelnen, erlaubt die Weiterentwicklung unserer Kultur als ganzer im Horizont der Begegnung mit anderen Kulturen. Die materielle Förderung der Kultur und Künste in unserem Land wollen wir von ideologischer Bevormundung befreien. Staatliche Förderung soll gezielt dort eingreifen, wo gesellschaftliche oder private Träger kein Interesse entfalten, damit eine schrankenlose Kommerzialisierung der Kultur vermieden wird und Kulturgüter erhalten werden. Öffentlichkeit Eine demokratische Gesellschaft braucht Öffentlichkeit. Jede Bürgerin und jeder Bürger hat das Recht, sich frei und umfassend zu informieren. Vorhandene Informationen müssen ihnen deshalb unzensiert zugänglich gemacht werden, soweit sie nicht dem Geheimnis-, Vertraulichkeits-, Daten- oder Persönlichkeitsschutz unterliegen. Ebenso haben jede Bürgerin und jeder Bürger wie auch alle gesellschaftlichen Gruppen das Recht, in den Medien Informationen zu verbreiten und Meinungen zu äußern. Bei elektronischen Medien geben wir den Einrichtungen des öffentlichen Rechts Vorrang. Alle Medien müssen gegen staatlichen Druck, parteipolitische Einflußnahme oder Dominanz kommerzieller Interessen geschützt sein. Ein staatliches oder privates Meinungsmonopol ist durch gesetzliche Naßnahmen zu verhindern, so daß sich die reale Meinungsvielralt der Gesellschaft angemessen widerspiegeln. Ein fairer Wettbewerb soll die Medien anhalten, sachlich und ausgewogen zu informieren und den unterschiedlichen Bildungs- und Unterhaltungswünschen der Bürger zu entsprechen. Dazu sind notwendig
Europa- und Deutschlandpolitik Europa ist im Umbruch. In dieser Situation müssen die europäischen Völker eine politische, wirtschaftliche und soziale Ordnung aufbauen, die ihnen ein Zusammenleben ohne Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung, die ihnen überleben angesichts wachsender regionaler und globaler Umweltprobleme ermöglicht. Ziel ist eine gesamteuropäische Friedensordnung auf der Grundlage gemeinsamer Sicherheit, der Unverletzlichkeit der Grenzen und der Achtung der Integrität und Souveränität aller Staaten in Europa. Diese Ordnung kann nur gemeinsam in einem partnerschaftlichen Prozeß errichtet werden. Die Prinzipien der Schlußakte von Helsinki, die KSZE und der Europa-Rat liefern Grundlage und Rahmen für diesen Prozeß. Der europäische Einigungsprozeß muß die Militärbündnisse schrittweise durch die Friedensordnung ablösen. Die wachsende politische Funktion der Bündnisse liegt heute in ihrer Aufgabe, bei Wahrung der Stabilität die Auflösung der Bündnisse und den übergang zur europäischen Friedensordnung zu organisieren. Die nach weitgehender Entmilitärisierung Zentraleuropas verbleibenden konventionellen militärischen Kräfte sollen eindeutig defensiv, strukturell nichtangriffsfähig sein. Der Prozeß muß durch begrenzte einseitige Schritte beider Staaten beschleunigt werden. Die engen Beziehungen der heute im Warschauer Vertrag zusammengeschlossenen osteuropäischen Völker und Staaten sind, eingeschlossen in den sich vollziehenden europäischen Einigungsprozeß, so auszugestalten, daß die politischen und wirtschaftlichen Reformen und die Wirtschaftsentwicklung in diesen Ländern unterstützt wird. Die Versöhnung mit Polen, Stabilität der Beziehungen zur UdSSR, die wirtschaftlichen Verbindungen mit der Tschechoslowakei und mit Ungarn haben für die DDR eine besondere Bedeutung. Die Westgrenze Polens ist endgültig. Die für Deutschland als Ganzes und für Berlin bestehenden Vorbehaltsrechte der Vier Mächte müssen durch die gesamteuropäische Friedensordnung und durch entsprechende Institutionen abgelöst werden. Die Zukunft der Deutschen heißt Europa: Die DDR kann ihre Stabilität kurzfristig nur gewinnen, wenn sit sich von Europa her definiert, mit einem Konzept, das ihren aktiven Anteil am Zustandekommen und an der Fortführung eines gesamteuropäischen und deutschen Einigungsprozesses beschreibt. Die deutsch- deutsche Zusammenarbeit fördert die europäische Integration. Die Deutschen haben wie alle Völker ein Recht auf Selbstbestimmung. Jeder selbstbestimmte Schritt der Deutschen in Ost und West auf dem Weg von der Vertragsgemeinschaft über die Konföderation zu einer föderativ geprägten Einheit muß in den Prozeß der europäischen Integration eingebettet sein. Die deutsche Einheit könnte ein wichtiger Schritt auf dem schwierigen Weg zu einem gesamteuropäischen Staatenverbund, der für die Überlebensfähigkeit der europäischen Region unverzichtbar ist, sein. Ein in den Grenzen von 1957 unter dem Dach des Europäischen Hauses neu vereintes Deutschland soll mithelfen, die politische, sozia1e und wirtschaftliche Kluft zur Zwei-Drittel-Welt zu beseitigen. Dabei wird es sich für eine gerechte Weltwirtschaftsordnung einsetzen und auch auf diese Weise Solidarität mit entrechteten Völkern üben. |
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