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Beiträge zur Geschichte  









Erste Flugblatt-Aktion auserhalb der offziellen Studentenvertretung an der FU-Berlin

Diese neue Selbsttätigkeit der Studenten führte am 26. November 1966 zu einem neuen 'Skandal'. Als sehr spätes Zugeständnis an eine der sit-in-Forderungen diskutierte der Rektor mit Studenten über Hochschulprobleme. Nachdem er über zwei Stunden lang konkrete Fragen und Diskussionsbeiträge ausweichend beantwortet hatte, sich nicht für kompetent erklärte oder darauf hinwies, er diskutiere als Bürger und nicht als Rektor der Universität, verteilten Studenten ein Flugblatt, dessen Prognose "von diesem Gespräch haben wir nichts zu erwarten" sich zu diesem Zeitpunkt schon erfüllt hatte. Der Rektor verließ mit dem AStA Vorsitzenden den Saal, als die Flugblattverteiler das Mikrofon benutzten, um dessen Text zu verlesen.

"Von diesem Gespräch haben wir nichts zu erwarten.

Die Misere der Universität ist die Misere derer, die an ihr studieren müssen. Unerträglich sind die Zustände an der Freien Universität für uns Studenten.

Wir müssen uns herumschlagen mit schlechten Arbeitsbedingungen, mit miserablen Vorlesungen, stumpfsinnigen Seminaren und absurden Prüfungsbestimmungen. Wenn wir uns weigern, uns von professoralen Fachidioten zu Fachidioten ausbilden zu lassen, bezahlen wir mit dem Risiko, das Studium ohne Abschluß beenden zu müssen.

Administration und Senat erklären die Misere der Universität zur Misere des einzelnen Studenten, nicht um sie zu lösen, sondern um sie los zu sein. Der gesellschaftlichen Forderung nach Mehrausstoß von anpassungswilligen Spezialisten entsprechen sie mit der Reglementierung des Studiums, verschärft durch die Drohung der Zwangsexmatrikulation. Wer in dieser Situation die Autonomie der Universität beschwört, tut das, um zu verschleiern. Die Disziplinierung der Studentenschaft vernichtet mit den Resten des liberalen Studiums auch die Illusion der Selbstverwirklichung. In der Fabrik 'Universität' soll der Student seine Scheine machen und am Feierabend als Privatmann der erlernten Humanität sich hingeben. Wer sich damit nicht abfinden will, für den wird das Herausfallen aus der Universität zur Gewißheit, denn der Formierungsprozeß ,ist offensiv, die Disziplinierung geht an den traditionellen Reservaten nicht vorbei.

Vor fünf Monaten hatten wir genug von der bornierten Arroganz, mit der Administration und Senat über unsere Schwierigkeiten hinweggehen. Vor fünf Monaten schien es auch klar, daß die Studentenschaft eine Lösung ihrer Probleme nur mehr von sich selbst erwarten kann. Aber wir fielen hinter unsere Forderungen zurück. Die Protestaktion wurde zur Feierstunde, wir erwarteten ernsthaft, daß die konventionelle, bereits integrierte Studentenvertretung unsere Forderungen nachdrücklich vertreten, unsere Probleme praktisch lösen könnte.

Die Studentenvertretung kann nur im konzessionierten Rahmen agieren.Im Clinch mit den Autoritäten macht sie aus unseren Forderungen Konzessionen. Nach fünf Monaten Kollaboration ruft uns der AStA zu diesem Gespräch mit dem Rektor, bei dem der Mensch Lieber verständnisvoll in das Publikum horcht, während der Funktionär Lieber beschämt in der Ecke wartet.


Von diesem Gespräch haben wir nichts zu erwarten.

An unserer Lage wird sich nichts ändern, solange nicht diejenigen sich selbst organisieren,

    die es wirklich betrifft
    die ausscheiden oderausgeschieden werden
    die diese Freie Universität nicht mehr aushalten
    die sich mit ihr nicht mehr arrangieren wollen
    die sich bewußt verweigern.


Provisorisches Komitee zur Vorbereitung
einer studentischen Selbstorganisation
26. November 1966."


Der AStA distanzierte sich zwar von der Art des Protests, der verhindert hätte, "daß die Diskussion mit dem Rektor der Öffentlichkeit einmal mehr das Unvermögen der Universität vor Augen führte, in ihrer jetzigen Struktur eine Selbstreform zu beginnen", er erklärte die Aktion aber aus der berechtigten Enttäuschung von Studenten "über die Unfähigkeit der Universität, ihre Probleme der Studienreform selbst zu lösen".

Da Journalisten unter den Flugblattverteilern SDS Mitglieder erkannt hatten, die zudem noch das Abzeichen der Roten Garden Mao Tse-tungs am Rockaufschlag trugen, interpretierte die gesamte Berliner Presse den Vorfall als: "Jünger Maos sprengten FU Diskussion" (Morgenpost), "Schwungrad der Revolution" innerhalb "einer Kommune mit freier Liebe und Parteischulung" (Der Abend). Der Rektor verlangte daraufhin die Namen der Beteiligten vom SDS, der sie verweigerte, um nicht zum Denunzianten zugunsten eines Disziplinarrechts zu werden, welches er grundsätzlich ablehnte.

Quelle: Bergmann, Dutschke, Lefèvre, Rabehl: Rebellion der Studenten oder Die neue Opposition, S. 22, Rowohlt 1968










 

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