Start

Beiträge zur Geschichte  









Das 'Kuby-Krippendorff'-Semester 1965

Zum 20. Jahrestag des Sieges über den deutschen Faschismus kündigte der AStA eine Podiumsdiskussion mit Prof. v. Friedeburg, dem Journalisten Krämer-Badoni und Erich Kuby über das Thema an: 'Restauration oder Neubeginn - die Bundesrepublik Deutschland 20 fahre danach.' Obwohl der Rektor das Auditorium Maximum bereits zur Verfügung gestellt hatte, nahm er seine Genehmigung mit dem Hinweis zurück, daß Erich Kuby die FU "verunglimpft" und deswegen seit 1960 Redeverbot in der FU habe. Kuby hatte 1958 gesagt:

    "Innerhalb Berlins sind wir hier in diesem Saal nun noch einmal an einem besonderen Platz, nämlich in der Freien Universität. Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß vielleicht dem einen oder anderen bisher entgangen ist, daß der Name ein äußerstes Maß von Unfreiheit zum Ausdruck bringt. Nur jene polemische Grundsituation vermag zu verbergen, daß in dem Worte 'Freie Universität' eine innere antithetische Bindung an die andere, an die unfreie Universität jenseits des Brandenburger Tores fixiert ist, die für meinen Begriff mit den wissenschaftlichen und pädagogischen Aufgaben einer Universität schlechthin unvereinbar ist. Ich sage nicht, daß jede Universität a priori frei sein muß. Die Universitäten des Mittelalters waren im Sinne des Liberalismus Stätten extremer Unfreiheit   aber ihre Bindung im theologischen Sinn hatte natürliche Würde und Größe, gemessen an der Bindung, die in dem polemischen Namen Freie Universität ausgedrückt ist, zu der das Gegenbild die Humboldt Universität ist."

Wegen des Verbots hielt der AStA die Veranstaltung schließlich im Studentenhaus der Technischen Universität ab, aber im Gegensatz zu früheren Zusammenstößen mit dem Rektorat rief diese Maßnahme in erster Linie heftigen Protest der Studentenschaft hervor. Auch das Vorgehen des Rektorats war im Fall Kuby ungewohnt und neu; hatte es vorher politische Äußerungen der Studentenvertretung jeweils nach Opportunität oder dem Wunsch nach Neutralität behandelt, hatte es also inhaltlich argumentiert, so zog es sich in diesem Fall auf einen verwaltungstechnisch formalen Begriff zurück: das Hausrecht des Rektors, das ihm ein Zensurrecht einräumen sollte.

Die Initiatoren des öffentlich auf dem Campus vorgetragenen Protests gegen diese politische Zensur waren anfangs die Studentenvertreter der Philosophischen Fakultät und politische Studentengruppen (Liberaler Studentenbund, Sozialdemokratischer Hochschulbund, Sozialistischer Deutscher Studentenbund, Gewerkschaftliche Studentengemeinschaft, Evangelische Studentengemeinde, Deutsch Israelische Studentengemeinschaft, Humanistische Studentenunion und Argument Club). Sie riefen am 5. und 6. Mai in Flugblättern zu einer Protestversammlung auf. Eine Delegation der Protestversammlung überbrachte dem Rektor die Forderung, "jede Person zu jedem Thema und zu jeder Zeit ,hören und mit ihr diskutieren" zu können. Diese Forderung wurde vom Rektor abgelehnt. Daraufhin wurden in den folgenden Wochen die Protestaktionen von einem größeren Teil der Studentenschaft getragen. Bereits eine Woche nach der Versammlung hatten über 3000 Studenten diese Forderung unterschrieben, nicht organisierte Studenten trugen Plakate vor die Gebäude der akademischen Verwaltung und informierten die Presse. In weiteren Flugblättern der Hochschulgruppen hieß es unter anderem: "Worin besteht die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden, wenn das Hausrecht gegen die Studentenschaft und ihr Recht auf freie Information und Kritik gekehrt wird?" (9 studentische Gruppen) "Was sind uns politische Überzeugungen wert, wenn wir sie nicht dort, wo wir sie in der Auseinandersetzung mit der Wissenschaft fertigen, auch in Frage stellen dürfen?" (Amerikanische Studenten an der FU) Als "völlig irreal" bezeichnete das Rektorat die Forderung der Studenten in einer Stellungnahme gegenüber Presse, Rundfunk und Fernsehen am 12. Mai 1965. Der Rektor lehnte jeden Versuch ab, ihn mit "pseudogewerkschaftlichen Mitteln" zu einem Verzicht auf seine satzungsmäßigen Rechte zu zwingen; weiterhin unterstrich der Rektor, daß er allein die Verantwortung für die Ordnung innerhalb der Universität trage. Erst nach dieser öffentlichen Erklärung des Rektors griffen der AStA und das Studentenparlament in die öffentliche Diskussion ein. Nach einer ergebnislosen Unterredung zwischen AStA und Rektorat faßte der Konvent folgenden Beschluß: "Die Universität bekennt sich in ihrer Satzung zur Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden in Freiheit und Unabhängigkeit. als akademische Bürger innerhalb dieser Gemeinschaft sind die, Studenten und damit ihre gewählten Repräsentanten (die Studentenvertreter) selbstverantwortlich. Das aber heißt, daß die Studentenvertretung frei darüber entscheidet, wie sie ihren satzungsgemäßen Auftrag, zur umfassenden Bildung   also auch politischer Bildung   beizutragen, gerecht wird. Der Konvent beauftragt den AStA [ ... ], die Bestätigung unseres Rechts, jedermann zu jeder Zeit über jedes Thema an unserer Freien Universität zu hören, zu erwirken."

Der Rektor bestätigte das grundsätzliche Selbstverwaltungsrecht der Studentenvertretung, wies jedoch, wiederum unter Hinweis auf sein Hausrecht, die konkrete Forderung des Konvents zurück. Daraufhin veranstalteten Studenten des Otto Suhr Instituts am 18. Mai einen Vorlesungsstreik, der fast vollständig befolgt wurde. Die öffentliche Kritik, der sich auch Professoren angeschlossen hatten, zwang den Rektor zu einer weiteren öffentlichen Stellungnahme, in der er sich wieder auf das Rechtsgutachten von 1960 bezog. In einer Antwort schrieb der erste AStA Vorsitzende am 24. Mai: "Wenn der Rektor unter Berufung auf den angeführten § 6 der Satzung der Universität und in Verbindung mit dem § 28 der Universitätsordnung sein Recht, die Universität nach innen und außen zu vertreten, so versteht, daß er allein verantwortlich für alles ist, was in dieser Universität geschieht, ist diese Konzeption der Universität, die man bislang mit der Formel 'Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden' zu umschreiben liebte, offenbar aufgegeben worden. Hierin scheint mir die Bedeutung Ihres Schreibens zu liegen. Erstmalig beansprucht ein Organ dieser Universität in Unabhängigkeit von allen Organen bestimmen zu dürfen, was an dieser Universität geschieht und was nicht [ ... ] Die Sorge, daß die Forderung der Studentenschaft verfassungsfeindlichen Tendenzen Verschub leisten könnte, ist als Sorge um die Grundlage unserer Gesellschaft auch die unsere. jedoch muß ich anfügen, daß die Vorstellung, der demokratische Geist könne allein durch die autoritative Ordnungsgewalt des Hausrechts gewahrt werden, ein Mißtrauen gegen demokratische Kontrollorgane verrät, von dem sich die Studentenschaft distanziert. Professoren und Studenten haben sich bei der Gründung der Freien Universität gemeinsam zum Prinzip der demokratischen Selbstkontrolle bekannt. Die Studentenschaft fordert   so betone ich nochmals   nicht ein Verschieben der Rechte der einzelnen Organe der Universität, sondern die Bestätigung ihres Rechts auf demokratische Selbstkontrolle."

Durch diesen Brief und einen vorangegangenen Konventsbeschluß, in dem ebenfalls die demokratische Kontrolle sowie die allgemeinen Rechtsvorschriften als ausreichender Schutz vor Mißbrauch der uneingeschränkten Informations­ und Diskussionsfreiheit hervorgehoben wurden, präzisierte die Studentenvertretung die vorangegangene allgemeine Forderung zu einer politischen, realisierbaren.

Trotz dieser aufgebrochenen Gegensätze versuchte die akademische Seite in  der kurz darauf stattfindenden Immatrikulationsfeier die Fiktion der beschworenen Gemeinschaft in einem Festakt aufrechtzuerhalten. Als jedoch der AstA-Vorsitzende in seiner Rede die Grenzen des 'Berliner Modells' aufzeigte und kritisch zu den Vorfällen Stellung nahm, wurde er von drei professoralen Senatsmitgliedern und dem Rektor am Weiterreden gehindert. Die Studentenvertreter verließen unter Protest das Auditorium Maximum, und der AStA erklärte in einer Pressemitteilung: "Dieser Vorfall ist in der Geschichte der FU einmalig. Bis jetzt wurde von keiner Seite das Recht der Studentenvertretung angezweifelt, zu allen Problemen der Universität öffentlich Stellung zu nehmen. Der AStA stellt mit Bestürzung fest, daß nach dem Hausverbot gegen einen außenstehenden Kritiker nun auch die Redefreiheit für den gewählten Repräsentanten der Studentenschaft beschnitten wurde. Dies ist mit der Geschichte und dem Anspruch der Freien Universität nicht vereinbar. "

Ein weiterer 'Fall' setzte die öffentliche Auseinandersetzung an der FU über die Methoden der akademischen Verwaltung fort, unbequeme politische Meinungen zu unterdrücken. Wurde gegen Kuby das Hausrecht angewendet, der AStA Vorsitzende während einer Feier handfest daran gehindert, Kritik zu  üben, so ging der Rektor diesmal mit allen Machtmitteln des Dienstherrn gegen ein Mitglied des akademischen Mittelbaus vor. Der Assistent am Otto Suhr-Institut, Krippendorff, hatte am 14. Mai 1965 im Spandauer Volksblatt eine, wie es damals schien, unrichtige Information veröffentlicht, nach der sich der Rektor geweigert hätte, Karl Jaspers zum 8. Mai in die FU einzuladen. Obwohl sich Krippendorff am :18. Mai korrigierte und beim Rektor entschuldigte, teilte ihm dieser mit daß sein Vertrag Ende September nicht verlängert würde, was einer Entlassung gleichkam. Der Rektor hatte sich über alle Gepflogenheiten in derartigen Angelegenheiten hinweggesetzt und weder den geschäftsführenden Institutsdirektor noch den für Krippendorff zuständigen Lehrstuhlinhaber, Prof. Ziebura, konsultiert. Ziebura verwahrte sich in einem Memorandum gegen ein solches Vorhaben. Neben einem schweren "Verstoß gegen das innerhalb der Universität übliche Loyalitätsverhältnis zwischen Rektor und einem Kollegen" sah Ziebura, daß "es sich hier um einen Präzedenzfall mit weitreichenden Folgen für die Zukunft der Freien Universität Berlin" handle und daß die Vermutung naheliege, "daß der Rektor im Fall Krippendorff ein Exempel statuieren wollte, das sich grundsätzlich gegen wissenschaftliche Assistenten richtet, die sich politisch exponieren".

Auf einer Vollversammlung der Studenten aller Fakultäten fanden die Differenzen zwischen einer 'demokratischen Universität', in der alle Gremien und Amtsträger von den in ihr Arbeitenden demokratisch kontrolliert werden, und der bestehenden Ordinarien Universität, die in demokratiefeindlicher Weise Entscheidungen des Rektors durch körperschaftliche Willensbildung der akademischen Gremien deckt, ihren Ausdruck in der Forderung nach dem Rücktritt des Rektors. Wenn sich die direkt Betroffenen der Krippendorff Affäre auch zu einem Kompromiß bereit fanden, durch den Krippendorff ein Habilitationsstipendium erhielt, die Krise an der FU wurde dadurch nicht beseitigt.

Ein großer Teil der Studenten hatte erkennen müssen, wie sehr die akademische Verwaltung bereit war, ihr nicht genehme politische Stellungnahmen der Studentenschaft und ihrer Vertreter zu verhindern. Den Studentenvertretern wurde erstmals richtig bewußt, wie wichtig für den Erfolg ihrer Arbeit die Unterstützung durch die Studenten war. Sie hatten in diesen Auseinandersetzungen den Kontakt zur Studentenschaft wiedergewonnen, den sie durch vertrauliche, nichtöffentliche Kabinetts  und Verhandlungspolitik verloren hatten. Die Proteste der Studenten zwangen die universitäre Bürokratie  auch wenn sie wieder einmal ihre traditionelle Position bekräftigte  , mit ihren Argumenten an die Öffentlichkeit zu treten. In der Öffentlichkeit, außerhalb der geheimen Senatssitzungen, wurde für die Mehrheit der Studenten offenkundig, wie irrational und antidemokratisch die Argumente der Universitätsadministration waren. Den Studenten wurde auf diese Weise deutlich, daß ihre Vertreter in den akademischen Gremien nicht wegen mangelnder Argumentation, sondern allein wegen institutioneller Ohnmacht Niederlage auf Niederlage erlitten. Die Diskrepanz zwischen rationalem Anspruch und institutioneller Macht war sichtbar geworden. Auch zeigte sich, daß ein großer Teil der Presse, die als demokratisch galt, die demokratischen Forderungen der Studenten ablehnte und sich eindeutig auf die Seite der 'Ruhe und Ordnung' schlug.

Quelle: Bergmann, Dutschke, Lefèvre, Rabehl: Rebellion der Studenten oder Die neue Opposition, S. 15, Rowohlt 1968










 

GLASNOST, Berlin 1992 - 2019