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Geschichte | ||
Nacht der langen KnüppelDer 2. Juni 1967 - ein geplanter PogromWas sich in der Berliner Blutnacht des 2. Juni ereignet hat, war nicht die Auflösung einer Demonstration mit vielleicht etwas zu rauhen Mitteln. Es war ein systematischer, kaltblütig geplanter Pogrom, begangen von der Berliner Polizei an Berliner Studenten. Die Polizei hat die Demonstranten nicht, wie es üblich ist, verjagt und zerstreut, sie hat das Gegenteil getan: Sie hat sie abgeschnitten, eingekesselt, zusammengedrängt und dann auf die Wehrlosen, übereinander Stolpernden, Stürzenden mit hemmungsloser Bestialität eingeknüppelt und eingetrampelt. Während in der Berliner Oper zu Ehren des Schahs die »Zauberflöte« erklang, haben sich draußen Greuel abgespielt, wie sie außerhalb der Konzentrationslager selbst im Dritten Reich Ausnahmeerscheinungen gewesen sind. Ungerecht aber wäre es, nur den Greifern und Schlägern der Duensingschen Polizei alle Schuld aufzuladen. Die Kurras sind für die Nacht der langen Knüppel genausowenig allein verantwortlich, wie es die Kaduk und Boger für Auschwitz waren. Die Hauptverantwortung tragen heute wie damals Schreibtischtäter mit manikürten Händen. Seit Monaten hat die in West-Berlin tonangebende und marktbeherrschende Presse des Verlegers Springer gegen die nonkonformistischen Berliner Studenten systematisch eine Pogromstimmung geschürt. Schon am Nachmittag vor der Blutnacht hat der Senatssprecher Herz einem mir bekannten Journalisten augenzwinkernd mitgeteilt: »Heute abend setzt's Keile.« Und 24 Stunden später, in voller Kenntnis der Fakten also, hat der Regierende Bürgermeister Albertz die Polizei für ihre Untat gelobt und, nach dem Satze handelnd: »Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig«, weitere Terrormaßnahmen gegen die Opfer angekündigt. Er ist damit in der Methodik dem Beispiel Görings nach der Kristallnacht von 1938 gefolgt, der ja ebenfalls einen obrigkeitlich veranstalteten Pogrom zum Vorwand für außergesetzliche Sondermaßnahmen gegen die Opfer machte. Ihre eigenen Worte und Taten überführen sie alle. Von Springer, dem eigentlichen Herrn des gegenwärtigen West-Berlin, über Albertz und Duensing führt eine ununterbrochene Kette der Komplizenschaft zu den Direkttätern. Und leider ist auch die West-Berliner Justiz aus dieser blutverklebten Kette nicht herauszunehmen. Schon im vorigen Dezember waren sistierte Demonstranten in den Polizeiwagen, die sie abtransportierten, sadistisch zusammengeschlagen worden. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat die deswegen erfolgten Strafanzeigen mit Ermittlungen gegen die Anzeiger beantwortet - genau wie die Staatsanwälte und Richter der Nazi-Zeit, die ja auch bei SA-Überfällen auf Juden nie um juristische Mittel und Wege verlegen waren, den verprügelten Juden und nicht die prügelnde SA als Ordnungsstörer zu belangen. Der Staatsanwalt, der sich in dieser Weise ausgezeichnet hat - sein Name ist mir bekannt -, ist jetzt mit den Ermittlungen über den Tod Benno Ohnesorgs betraut worden. Vielleicht erwarten Sie, daß ich mich nun konventionellerweise auch von studentischen Extremisten distanziere. Ich denke gar nicht daran, das zu tun. Die demonstrierenden Studenten sind hundertprozentig im Recht. Nicht einer von ihnen ist je bewaffnet gewesen; selbst die Steine, mit denen sie sich in höchster Todesnot in den Kesseln der Krummen Straße zu verteidigen suchten, mußten sie erst mit den Fingern aus dem Straßenpflaster klauben. Zu behaupten, daß sie Berlin »terrorisierten«, ist schamlose Lüge und niederträchtige Verleumdung. Ihr ganzes Verbrechen besteht in der Demonstration für ihre Meinung, die von der Meinung der Springer-Presse abweicht; und mit dieser Demonstration bewahren sie das letzte noch glimmende Fünkchen von Meinungsfreiheit im Springer-Berlin vor dem Verlöschen. Gerade hier zeigt sich lupenrein, daß dieses Springer-Berlin von 1967 in der Sache, wenn auch nicht in der Form, wieder ein faschistisches Berlin geworden ist. Denn das ist ja ein entscheidendes Erkennungsmerkmal des Faschismus - das er mit dem Kommunismus teilt -, daß er jede Abweichung vom offiziellen Meinungsmonopol mit Gewalt unterdrückt. Da es in Berlin, dank dem Springer-Monopol, keine Möglichkeit mehr gibt, oppositionelle Meinungen auf journalistischem Wege an eine breitere Öffentlichkeit heranzutragen, bleibt dazu nur noch das -völlig legale - Mittel der Demonstration. Und die wird dann eben mit Pogromhetze beantwortet und mit tatsächlichen Pogromen unterdrückt. Es ist in klassischer Form die alte faschistische Spirale von Lüge und Gewalt: Die Lüge braucht die Gewalt, um sich durchzusetzen, und die Gewalt braucht dann wieder die Lüge, um sich zu rechtfertigen. Und so in ständiger Steigerung immer weiter im Kreise. Das Ende kennen wir. Vor fünf Jahren hat die SPIEGEL-Affäre noch Kräfte des Protestes ausgelöst, die immerhin einen Regierungswechsel erzwangen. Die SPIEGEL-Aktion jedoch war, verglichen mit der Berliner Blutnacht, geradezu zivilisiert zu nennen. Zwar handelte es sich auch damals schon um die versuchte Unterdrückung der Meinungsfreiheit; aber die SPIEGEL-Redaktion wurde immerhin nicht im Konferenzzimmer zusammengetrieben und zusammengepfercht, um dort niedergeknüppelt und niedergetrampelt zu werden. Augstein wurde nicht erst halb totgeschlagen und dann durch einen in Notwehr abgegebenen Warnschuß in den Hinterkopf endgültig abgetan. Und doch ist diesmal der Protest in der Bundesrepublik weit schwächer. Ist das nur so, weil Berlin weit weg, fast schon Ausland ist? Oder zeigt es, wie weit die Refaschisierung auch in der Bundesrepublik seit fünf Jahren schon fortgeschritten ist? Bleibt das westliche Ausland. Die örtlichen Vertreter der Schutzmächte in West-Berlin sind zwar in tiefen, todesähnlichen Schlaf verfallen. Während der ganzen Ereignisse haben sie nicht das kleinste Zeichen gegeben, daß es sie noch gibt. Aber Washington, London und Paris tragen ja immer noch die letzte Verantwortung in West-Berlin, und ohne die Bereitschaft ihrer Völker, für West-Berlin zu sterben, hat West-Berlin wenig Aussicht, seine nächste Krise zu überstehen. Einst rief Ernst Reuter der ganzen Welt zu: »Blickt auf diese Stadt!« Heute können Springer und Albertz von Glück sagen, daß die Welt Dringenderes zu tun hat, als auf ihre Stadt zu blicken. Wer es aber doch tut, kann sich nur abwenden, um sich zu erbrechen. Seabstian Haffner Quelle: Stern 26, 1967 |
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