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Ringvorlesung am 27. April 1988
Politische Konsequenzen der Studenten- und Jugendrevolte von 1968
Teilnehmer: Jutta Ditfurth, Klaus Landowsky, Theo Pirker.
Diskussionsleitung: Manfred Scharrer
Manfred Scharrer: Ich möchte einleitend drei
Fragen an die Podiumsteilnehmer richten, auf die wir sie gebeten
haben, in ihren statements einzugehen:
1. Wie beurteilen Sie die Auswirkung der Studenten- und Jugendrevolte
Ende der 60er Jahre, welche Auswirkungen hatte sie für die
politische Entwicklung in der Bundesrepublik?
2 .. Sind die Konzepte, Anliegen und Forderungen der 68er Studentenbewegung
historisch erledigt, gibt es Aspekte, die Ihre Partei in ihre
aktuellen politischen Perspektiven aufgenommen hat?
3. Wie sehen Sie heute das Verhältnis von staatlichen Institutionen,
Parteien und außerparlamentarischem Engagement (Bürgerinitiativen,
Frauen- und Ökologiebewegung)?
Klaus Landowsky: Schönen Dank auch für
die nette Begrüßung. Ich will mich gerne selber noch
mal vorstellen. Ich bin Generalsekretär der CDU Berlin, habe
an der FU in den Jahren 1962 bis Ende '68 studiert, war hier viele
Jahre im Konvent der Freien Universität - auch in der fraglichen
Zeit - war im Verband Deutscher Studentenschaften bis 1971 in
vielen Gremien tätig und kann eigentlich von dem reden, worüber
wir heute diskutieren, wie ich es selber mit wahrgenommen habe,
was mitunter auch von Vorteil ist. Es dient jedenfalls dazu, Geschichtsklitterung
zu verhindern.
Ich bedaure eigentlich, daß von der SPD niemand hier ist(1)
- ich sage das auch einmal aus meiner Position sehr kritisch -
aber es zeigt eigentlich, daß gesellschaftspolitische Diskussionen,
wie ich oft festgestellt habe, heute nicht so sehr zwischen Sozialdemokraten
und Wertkonservativen wie uns durchgeführt werden, sondern
in der Regel stattfinden zwischen politischen Gruppierungen auf
der Linken, die eher durch die Grünen und die Alternativen
repräsentiert werden, und durch uns in der Union. Insofern
weiß ich nicht, ob es sachlich wirklich ein Fehler ist,
daß wir heute mit Frau Ditfurth diese Diskussion
alleine bestreiten.
I
Lassen Sie mich zunächst darauf hinweisen, daß in diesen
Tagen ja eine Unzahl von Zeitungsartikeln über die 68er Generation
oder die Studentenbewegung der 60er Jahre erscheinen und
zwar aus unterschiedlichen Lagern. Was ich immer dabei empfinde,
denn ich war damals wirklich engagiert in dem Prozeß drin,
heute findet so etwas eine Heroisierung -die rührt mich so
etwas an derjenigen statt, die damals mitunter gar nicht aktiv
teilgenommen haben. Mich erinnert das so ein bißchen an
Landsergeschichten, an Veteranentreffen, an Klassentreffen, um
die eigene Zeit vor zwanzig Jahren nun mit einem Glorienschein
zu umgeben und das führt mitunter zu Geschichtsklitterung
und ich hofte, daß diese Veranstaltung heute dazu beiträgt,
daß wir dem ein bißchen begognen können.
Nach meiner Auffassung gab es nicht eine Studentengeneration,
sondern wenn man 68er Generation mal als eine Generation eines
Jahrzehnts auffaßt - und das ist sie in ihrer Entwicklung
- mindestens drei. Es gab eine heterogene Linke als Studentenbewegung,
die meistens mit der Mehrheit identifiziert wird, es gab demgegenüber
eine relativ geschlossene bürgerliche Bewegung als zweite
und es gab - wie immer an den Universitäten eine über
die Maßen große mausgraue Studentenschaft, die sich
je nach Gusto auf die eine oder die andere Seite geschlagen hat,
wenn sie überhaupt an diesem hochschulpolitischen Prozeß
und an dem politischen Prozeß teilgenommen hat.
II
Zweite These von mir: Die entscheidende Umwälzung der 60er
Jahre war nicht die Studentenbewegung sondern ein allgemeiner
gesellschaftlicher Wertewandel. Anfang der 60er Jahre begannen
sich markante Verhaltensund Einstellungsänderungen in der
Gesellschaft durchzusetzen, die einen tiefgreifenden Bedeutungswandel
traditionell gültiger Wertordnungen erkennen ließen.
Ein Prozeß, der bis heute im übrigen nicht abgeschlossen
ist. Ludwig Klages nennt es den Übergang von
den Pflicht- und Akzeptanzwerten wie Werterhaltung, Leistung,
Verzicht, Achtung von Recht und Gesetz hin zu sogenannten Entfaltungswerten
oder aber, wie wir heute sagen, postmateriellen Werten, die identifiziert
werden mit Begriffen wie individuelle Selbstverwirklichung, Offenheit,
Öffentlichkeit, Unabhängigkeit, die darauf angelegt
sind, ein Sozialprestige in der Gesellschaft zu schaffen, die
mehr vom Sein als vom Haben abhängen. Dieser Wertewandel
war ein allgemein gesellschaftlicher Prozeß, der von sensiblen
Bürgern der 60er Jahre und dazu gehören die höher
gebildeten und das waren Studenten, die auch nicht traditionsbelastet
waren wie auch beispielsweise Künstler in besonderer Weise.
Deswegen ist es richtig, daß dieser Wertänderungsprozeß
in den 60er Jahren zumindest in der Masse am ehesten in den Universitäten
erkannt worden ist.
III
Dritte These: Die Studenten, die seinerzeit diesen Prozeß
erkannt, zum Teil auch nur erspürt oder erahnt haben, haben
diese Änderung aus dem Wertewandel als ehestes auf die Universitäten
also ihren unmittelbaren Lebensbereich übertragen. Alle Studenten,
die damals politisch aktiv waren, in welchem Lager auch immer,
haben deshalb zu Beginn, oder sagen wir 'mal ab den Jahren '64,
'65, '66, diese Unruhe mitgetragen, die sich festgemacht hat seinerzeit
an Diskussionen über Hochschulreform, Studienreform, über
studienunabhängige Förderung unter dem Begriff Studienhonorar
unter der ersten großen Aktion der Verfaßten Studentenschaften,
nämlich dem VDS, zum Thema Bildungsnotstand, und der Mitte
der 60er Jahre in die Schaffung der sogenannten Kritischen Universität
(KU) hier an der FU Berlin eingemündet ist. Durch das Zusammentreffen
verschiedener äußerer Ereignisse, bekamen diese eigentlich
hochschulpolitischen Auseinandersetzungen eine zunehmend allgemeinpolitische
Relevanz. Insbesondere war es der Tod von Benno Ohnesorg im
Juni 1967, der eine dramatische Wende in dieser Auseinandersetzung
gebracht hat. Es wurde eine sogenannte zweite Phase der Wertveränderung
eingeleitet und zwar eine Politisierung dieser sogenannten Entfaltungswerte.
Und diese Politisierung der Entfaltungswerte ist einhergegangen
- gerade bei Jüngeren - mit einer Zunahme der Akzeptanz partizipatorischer
gesellschaftskritischer Politikvorstellungen. Begünstigt
worden ist diese Entwicklung seinerzeit durch die Bildung der
großen Koalition 1966 und durch Spannungen, die sich an
den Hochschulen dadurch ergeben haben, daß die Studenten
neue Formen, auch provokative Formen politischer Auseinandersetzung
praktiziert haben, sit-ins, go-ins, nachher bis zur Tätlichkeit
an den Universitäten, was wiederum bewirkt hat, daß
erstmalig trotz Autonomie der Hochschulen die Polizei auf dem
Campus erschien. Damit war aus den hochschulpolitischen Auseinandersetzungen
eigentlich eine allgemeinpolitische Auseinandersetzung geworden,
die damals übrigens begünstigt worden ist durch die
äußeren politischen Ereignisse wie Apartheid in Südafrika,
Auseinandersetzung über Iran, Vietnamkrieg und im Inneren
durch die Notstandsgesetzgebung. Das Fazit aus dieser Werteänderung:
Wertewandel, grundlegende Konfliktfelder und Führungspersönlichkeiten
mit revolutionärem Elan und nur das zeitliche Zusammenfallen
dieser drei Faktoren führte zu einem relativen Erfolg der
linken Bewegung der 60er Jahre mit der nachhaltigsten Wirkung,
darf ich 'mal sagen, die bis heute relevant ist, daß es
dieser linken studentischen Bewegung gelungen ist, eine Politisierung
dieser sogenannten Entfaltungswerte durchzuführen. Das halte
ich für die entscheidende Wirkung, die bis in den heutigen
Tag hinein vorhanden ist: Das heißt das Herauslösen
dieser Wertediskussion aus der Privatheit und sich zu einem allgemein
gesellschaftlichen Prozeß zu machen. (Beifall)
Durch die große Koalition insbesondere aber durch die sozialliberale
Koalition ab 1969 wurde gerade an den Universitäten die Heterogenität
der linken Bewegung sichtbar. Das verbindende Element nämlich
war in der gesamten Kampfphase der 60er Jahre bis 1970/71 eigentlich
die Gegnerschaft zu tradierten Einrichtungen von Hochschule und
Staat. Nachdem die linke Bewegung an den Universitäten Erfolg
hatte, fiel dieses verbindende Moment der Aktionsgemeinschaft
eigentlich weg, und es wurde sichtbar, daß es sich nie um
eine einheitliche Bewegung gehandelt hat. Nach meiner Auffassung
hatte die linke studentische Bewegung mindestens vier Bestandteile:
Der erste Bestandteil - und das wurde anschließend sichtbar
- ist derjenige, der nach dem Aufruf Rudi Dutschkes den
Weg durch die Institutionen in die SPD angetreten hat. Professor
Wuthe, ein Mitglied der SPD, hat kürzlich auf einem
Vortrag gesagt, etwa 7 800 Schüler und Studenten seien damals
in die Sozialdemokratie eingetreten und diejenigen, die hier als
Sozialdemokraten gerade an der Freien Universität tätig
waren wie Wolfgang Roth, Christoph Zöpel, Herta Gmelin,
die auch heute alle relevante Positionen in der Sozialdemokratie
haben, sind diesen Weg gegangen, aber waren natürlich in
verstärktem Maße, gerade weil sie regierten, einem
Anpassungsdruck ausgesetzt.
Der zweite Bereich der linken Bewegung das können Sie überall
nachlesen, gerade in den Gesellschaftsmagazinen - ist aus der
linken Bewegung ins Establishment abgewandert. Sie sind heute
wohlbestallte Ärzte, Lehrer, Anwälte, Führer der
Wirtschaft - auch solche sind aus der linken Bewegung partiell
hervorgegangen - wenn Sie sich mal den "Stern" und den
"Spiegel" angucken... (Zwischenruf: Arbeitslose) Ich
glaube nicht, daß aus dieser aktiven Bewegung die Arbeitslosen
hervorgegangen sind, sondern aus dieser aktiven Bewegung sind
eher Führungsfiguren hervorgegangen. Das sind nicht meine
Freunde, darf ich Ihnen sagen, das ist aus der linken studentischen
Bewegung hervorgegangen.
Der dritte Bereich ist abgeglitten in einem geringen Teil in den
Terrorismus. Ich darf dazu sagen, ich kenne beispielsweise Monika
Berberich, Rolf Pohle, die ja mit mir hier an der FU noch
an der Juristischen Fakultät gemeinsam studiert haben, persönlich
sehr gut.
Dieser Teil ist - nicht aufgenommen in der Sozialdemokratie, auch
nicht in der Restbewegung - abgeglitten in den Terrorismus. Das
hat zu einer sehr starken Wertepolarisierung in der Gesellschaft
geführt und durch die praktizierte Unmenschlichkeit der Terrorbewegung
haben die Ereignisse der Terroristen dazu geführt, daß
eine Breitenwirkung der studentischen Bewegung der 60er und Anfang
der 70er Jahre verhindert worden ist.
Der letzte Bereich, das ist der über den wir uns heute insbesondere
unterhalten werden, das ist ein Bereich von Idealisten, der sich
anfangs nach der Übernahme der Regierung durch Brandt
noch mit Reformvorhaben der sozial-liberalen Koalition identifizierte,
sich später aber zu einer auch heterogenen Protestbewegung
formierte, insbesondere als unter Helmut Schmidt der Reformeifer
der sozial-liberalen Koalition nachließ und die SPD sich
gegen Ende der 70er dann immer stärker an den traditionellen
Bedürfnissen der Mehrheit der Bevölkerung orientierte
oder orientieren mußte - das ist nicht mein Thema darüber
zu reden, das hätte Herr Glotz machen können.
Ende der 70er Jahre hat die Gegnerschaft zur Kernenergie, zum
Nato-Doppelbeschluß, hat das verstärkte Umweltbewußtsein
wiederum Protestpotentiale mobilisiert, Bürgerinitiativen
hervorgerufen und war damit der unmittelbare Weg zur grünen
und alternativen Bewegung, die dann Ende der 70er und Anfang der
80er Jahre sich etabliert hat und die heute die inhaltliche Fortsetzungsdiskussion
von damals führt. Das hat bewirkt, daß aus der außerparlamentarischen
Opposition der Weg zur parlamentarischen Opposition geworden ist
- ohne daß es jetzt meine Aufgabe ist, auf die Kontroverse
von Realos und Fundamentalisten in dieser Bewegung einzugehen,
das kann Frau Ditfurt sicherlich besser.
Was ist nun mit dem anderen Teil der 68er Generation, den bürgerlichen,
passiert? Nun werde ich etwas sagen, was die Mehrheit des Auditoriums
mit Sicherheit nicht akzeptieren wird. Ich behaupte, daß
die eigentlichen strategischen Sieger der 68er Generation die
bürgerlichen 68er sind. Dies betrifft nicht nur die CDU und
die FDP, sondern auch bürgerliche Teile der Sozialdemokratie,
die sich ja damals von dieser bürgerlichen Richtung angesprochen
fühlten. Die ursprüngliche Absicht von uns bürgerlichen
68ern, die Wertediskussion zunächst in die Hochschulen zu
tragen, ist mißlungen. Sie ist mißlungen wegen des
Widerstandes der Ordinarien einer jahrhundertelang tradierten
Ordinarienuniversität und am Unverständnis beider großen
Parteien - in Berlin seinerzeit symbolisiert durch Namen wie Klaus
Schütz mit dem Ausspruch "seht euch diese Typen
an" und durch Franz Amrehn als Vorsitzender der CDU,
der mich bei der Diskussion über den Bildungsnotstand in
seiner Antwort gefragt hat "Wo fehlt´s denn bei Ihnen
an der Bildung?" Das waren die Antworten, die die beiden
großen Parteien seinerzeit ihren auf der demokratischen
Seite stehenden und revolutionäre Prozesse stoppen wollenden
Leuten gegeben hat.
Auch den bürgerlichen Kampf, den Mehrheitskampf in den Universitäten,
haben wir 70/72 verloren. Damit war aber der Kampf an den Universitäten
vorbei. Die linke Studentenbewegung war immer, trotz des Aufrufs
von Rudi Dutschke, den Marsch durch die Institutionen anzutreten,
geprägt von Spontanität und nicht von geplantem strategischen
Handeln. Die bürgerlichen 68er waren genau von dem Gegenteil
geprägt, von strategischem Handeln mit Spontanitätselementen
...(Lachen im Auditorium)... ich sage Ihnen, wie es seinerzeit
war. Die bürgerlichen 68er haben die Konsequenz aus diesem
Jahrzehnt gezogen, indem sie strategisch-politisch für sich
und die Zukunft geplant haben. (Zwischenrufe, Beifall)
Die Bundespartei (schwacher Applaus) die Bundes-CDU hat aus der
Wahlniederlage '72 die Konsequenz gezogen, seinerzeit mit dem
Genralsekretär Biedenkopf die neue soziale Frage als
Diskussion in die Union zu stellen und damit Theoriedefizit aufzuholen.
Und dieser Prozeß, darf ich Ihnen einmal sagen, der inhaltlichen
Aufarbeitung von - ich sag 'mal - Theoriedefizit hält eigentlich
bis heute an und den verbinde ich in meiner politischen Richtung
mit den Namen Geißler, Süsmuth, Blüm. Töpfer,
Riesenhaber. (Lachen, leichter Tumult im Publikum)
Ihre Reaktion war mit durchaus klar, deswegcn habe ich mir einen
unverdächtigen Zeugen gesucht: Am 11. März '88 hat einer
der großen Väter der studentischen
- ich sag 'mal - Revolte der 60er Jahre, Jürgen Habermas,
in der Frankfurter Rundschau ein Interview gegeben und da
wurde gefragt, was ist von der Studentenbewegung geblieben, Fragezeichen.
Habermas: Frau Süsmuth. Eine liberale Familienministerin
dieses Zuschnitts wäre vor '68 in einer CDURegierung
schwer vorstellbar gewesen. Der Marsch durch die Institutionen
hat sogar die CDU erreicht, private Bedürfnisse, so geht
er weiter, Geißler reagiert auf subkultanen Wandel
der Einstellungen, von Einstellung und Werten in Schichten, auf
die eine bürgerliche Partei wie die Union beispielsweise
nicht verzichten kann, so Habermas, und ich meine, wenn Sie mir
diese meine eigene Definition über den Gang der bürgerlichen
Seite der 68er Generation nicht abnehmen, ich glaube, daß
Habermas eine sehr vernünftige Analyse dieser Zeit
für diesen Teil der studentischen Generation gegeben hat.
Also, der Prozeß der Werteveränderung und Aufarbeitung
im bürgerlichen Lager, das darf ich mal sagen, ist in Berlin
in besonderer Weise deutlich geworden. Ein Großteil der
heutigen Führungskräfte in der Politik haben ihren Entschluß,
politisch tätig zu werden, in den 60er Jahren gefaßt.
Das trifft nicht nur auf mich zu, das trifft auch auf den Beratungskreis
in der Bundesregierung von Bergsdorf bis Telschik von
Schönborn bis Diepgen zu. Wir alle sind
als Mitglieder des Konvents damals eigentlich an der Ohnmacht
der eigenen Partei und an dem Unverständnis gescheitert und
haben seinerzeit den Entschluß gefaßt, wenn noch einmal
verhindert werden soll, daß eine ganze Generation an
den etablierten und großen Parteien, die ja Integrationsfunktion
haben, vorbei gehen soll, bedarf es des frühzeitigen und
zielgerichteten politischen Engagements. Und ich darf sagen, zumindestens
was uns hier in Berlin betrifft, dieses Engagement haben wir Mitte
der 60iger Jahre vorbereitet und 20 Jahre später auch politisch
realisiert. (Zwischenrufe) Ja meine Damen und Herren, auch
wenn Sie mit mir nicht einverstanden sind, ich sage Ihnen
offen: Ich glaube auch, daß wir von der Wertediskussion
Dinge in die gesellschaftspolitische Diskussion getragen haben,
die sonst nicht hineingekommen wären. Wir haben 1971
mit Peter Lorenz nach Ablösung von Amrehm in
Berlin die CDU als Volkspartei geöffnet, wir haben '75 das
beste Wahlergebnis erzielt, '79 kam Richard von Weizsäcker
nach Berlin, '81 hat er die Regierung in Berlin übernommen,
1984 hat Eberhard Diepgen diese Regierung übernommen
und setzt diese Politik fort.
Das ist das Fazit einer strategischen Entwicklung der Politik
innerhalb von zwei Jahrzehnten. Inhaltlich zeichnet sich, so meine
ich jedenfalls, der bürgerliche Teil der 68er Bewegung dadurch
aus, daß er den sich abzeichnenden Wertewandel nicht nur
erkannt und erspürt hat, sondern auch zielgerichtet in Politik
umgesetzt hat und zwar inhaltlich wie personell. Ich glaube, daß
gerade hier in Berlin wir inhaltlich und personell eine Gesellschafts-
und auch eine Stadtvision angeboten haben, die sich an idealistischen
und postmateriellen Wertansätzen orientiert. (Lauter Widerspruch
im Publikum) Meine Damen und Herren wie sonst käme es eigentlich,
daß die neu gegründete Ökobank bei Ulf Fink,
unserem Sozialsenator, angefragt hat, ob er dort nicht im
Aufsichtsrat mitarbeiten möchte. Sie müßten das
doch einmal sehen, daß das Prinzip der Breite einer Partei,
wie es die Union hier in Berlin ist, von Ulf Fink sicher
bis zu konservativen Elementen Volker Hassemer mit Sicherheit
eine Wertbreite darstellt wie sonst keine andere Partei in der
Stadt. Kurzum, wir glauben jedenfalls, ein Modell personell und
inhaltlich angeboten zu haben, was auch den Bedürfnissen
der Menschen in dieser Stadt der Mehrheit der Menschen nach einer
gemischten Wertoriertierung zwischen Pflichtwerten und Akzeptanzwerten
durchaus entspricht. Es ist ein Ansatz von postmateriellen Werten,
im übrigen ein Ansatz, den die Sozialdemokratie nicht nachvollziehen
kann. Ich hab das letzlich mal mit Peter Glotz, als ich
mit ihm im Grips-Theater (Zwischenrufe) ... Die Sozialdemokratie
im übrigen, kann in diese Diskussion nicht nennenswert eingreifen,
Tilman Fichter, Mitte der 60iger Jahre, hier am Tisch werden
ihn einige kennen, hat einmal das Gesellschaftsmodell von Peter
Glotz, als der noch Bundesgeschäftsführer der Partei
war, kritisiert. Er sagte, Peter Glotz trifft ins Schwarze,
wenn er fordert, das die SPD eine Koalition zustande bringen müßte,
die möglichst viele Starke mit den Schwachen solidarisiert,
gegen derer eigenen Interessen. (Deswegen hatte ich mich eigentlich
gefreut, daß Peter Glotz heute hier sein sollte)
Diese Aufgabe ist für Materialisten, so Fichter, in
der Tradition von Marx und Kautsky, die eher an
die Wirksamkeit von Klasseninteressen als von Idealen glauben,
allerdings nur schwer zu lösen. Und das ist der Grundunterschied,
deswegen spielen sich heute Theorie- und Wertediskussionen mit
einem postmateriellen Ansatz, denen Entfaltungswerte zugrunde
liegen, eher zwischen einer alternativ-grünen Bewegung ab
als einer an materialistischen Werten orientierte Sozialdemokratie.
In Berlin zeigt sich dieses meines Erachtens in aller Deutlichkeit.
Letzter Satz: Mißt man also heute rückwirkend die geschichtliche
Entwicklung daran, daß jede Bewegung und jede Partei einen
langfristigen politischen Gestaltungsauftrag hat, dann war eigentlich
nur die bürgerliche 68er Bewegung langfristig erfolgreich.
Sie hat den Nachweis erbracht, daß das System an sich reformfähig
ist, die studentische Bewegung und auch die linke studentische
Bewegung der 60er Jahre hat diesen Prozeß allenfalls beschleunigt.
Schönen Dank das Sie dennoch so tolerant waren und mir zugehört
haben. (Applaus)
Scharrer: Theo Pirker möchte direkt dazu antworten
als Sozialdemokrat (lacht).
Theo Pirker: Naja das is a bisl schwierig für
mich, aber eines möchte ich sagen, werter Kollege, ich möchte
sie gerne einladen (Protest, Stimmen aus dem Publikum) Kollege,
jaja, der ist nämlich auch noch gewerkschaftlich organisiert
wie ich weiß, ... also, die Sache ist ganz einfach, ich
möchte Sie einladen, an unseren Sitzungen zum Projekt zur
Geschichte des SDS in Berlin mitzuarbeiten. Aus unsren Konferenzen
und Sitzungen wird das sozusagcn immer links gestrickt. Das hat
auch Auswirkungen nach rechts gehabt und das ist sehr wichtig.
Zweite Sache: Ich als Sozialwissenschaftler halte nichts von dem
Modewort Wertewandel.(Beifall) Weil nämlich das davon ausgeht,
daß sich die Leute an ein bestimmtes Schema von Werten halten
würden. Oben steht der erste Wert, zweitens, drittens ...,
werter Kollege, die Wertewandelskala ihrer Partei in der Bundesrepublik
nach der Wende [politische Wende 1983 - Anm.d.Red.] hat sich doch
nicht nach der Skala der Werte entwickelt, sonst wären Sie
doch gegenwärtig in einer ganz anderen Situation. Ich fliege
jede Woche einmal von München nach Berlin und da sehe
ich immer noch aus den alten Zeiten des Wahlkampfes zum Bundestag
den Slogan: "Diese Nation hatte Kraft, sich total zu verändern"
Das geht doch gar nicht so. Sie fallen ja von rechts sozusagen
in dieselben Illusionen, wie damals in der anderen Zeit die von
links, aufgrund unserer politischen und wissenschaftlichen Erfahrung
sollten wir darüber hinaus sein. (Beifall)
Es gibt noch eine andere Geschichte die ich zu diesem Wertewandel
sagen will: Es ist eine Legende, eine bestimmte Vorlage von Werten
und Werteskalen würde gleichzeitig das Verhalten von Individuen
und Kollektiven auf lange Zeit bestimmen. (Pause, Zwischenruf:
"Die Zehn Gebote.") Die Zehn Gebote haben das ja auch
nicht bestimmt, lieber Freund, wenn ich Dich daran erinnern darf
In einer Runde mit Habermas und anderen hat mein Kollege
Lepsius gesagt: "Wissen Sie, was der kleine und der
große Katechismus des Petrus Kanesius - der war ein
Agitator der Gegenreformation im 16. Jahrhundert - in Bayern für
das Verhalten der Individuen und Kollektive gehabt hat, in den
letzten Jahrhunderten? Keine!" (Lachen)
Ich möchte zum Thema kommen. In den letzten Wochen und Monaten
sind im Angesicht der Jahrestage, die wir Deutschen ja so lieben,
sehr viele Publikationen über die Studentenbewegung erschienen.
Werte Kolleginnen und Kollegen, ist Ihnen nicht aufgefallen, daß
sozusagen die analytisch kritische konzeptionelle Seite an diesen
Publikationen äußerst gering ist? Das bis heute noch
niemand weiß, warum diese Bewegung entstanden ist, wie sie
sich entwickelt hat. Natürlich publizistisch kann man sagen,
die hat sich entwickelt. Die hat Widerhall in den Medien gehabt
usw. und hat sich dupliziert. Aber, warum sie entstanden ist,
hat mir bisher keiner nachgewiesen. Und dahin wollen wir mit unserem
SDS-Projekt. Was die Wirkungen betrifft, ist man wieder in die
Lüfte der Werte geflüchtet. Alles, was ich in den letzten
Wochen darüber gelesen habe, endet in dem Motto "Kulturrevolution".
Die Studentenbewegung hätte eine Kulturrevolution hervorgebracht,
von der Musik bis zu den Universitäten usw. Ich glaube kein
einziges Wort davon. Denn die Studentenbewegung war nicht der
Motor dieser Veränderungen der Geschmäcker! ... Und
das muß man ernst nehmen, daß nämlich in den
gesellschaftlichen Veränderungen nicht nur Eliten - und seien
es Provokationseliten - die Veränderungen des Verhaltens
zu ganz bestimmten Dingen bestimmen oder beeinflussen könnten,
sondern das sind andere, da sind tiefere Kräfte am Werke.
Und das ist keine akademische Geschichte, sondern das ist Sache
meiner Forschungserfahrung.
Ein Letztes möchte ich noch sagen. Diese Bewegung wird verharmlost
in den Publikationen und Symposien, die wir darüber die gehalten
haben. Diese Studentenbewegung, und das war meine Feindschaft
gegen Sie, hat nämlich aus einer Situation, die in unserem
traditionellen Sinne überhaupt nicht als revolutionär
zu bezeichnen war, so getan, als könnten die Verhältnisse
zum Tanzen gebracht werden; sie wollten von hier aus die gesamte
Gesellschaft, nicht nur die Universität, nicht nur die Verhältnisse
in Berlin, sozusagen einer Art Räte-Berlin nicht nur über
die Bundesrepublik sondern auch über Osteuropa und Westeuropäische
Länder errichten. Als alter gedienter Sozialist und Sozialdemokrat
und Gewerkschaftsfunktionär, konnte ich einer solchen Illusion
nur massiver Kritik gegenübersetzen. Das ist meine Position,
ich habe aus meiner Feindschaft noch nie ein Geheimnis gemacht,
auch als Leiter dieses Projektes. Ich danke Ihnen. (Applaus)
Jutta Ditfurth: Naja, (lacht) es fällt mir
schwer mich darauf zu beziehen. Ich laß es mal. Und genau
solche Probleme hab ich eigentlich mit dem postmateriellen BlaBla
von Herrn Landowsky, weil wenn postmateriell bedeuten soll,
das es edlere Werte sind, die über der Ebene der Materie
liegen, dann weiß ich nicht so recht, wo sich das innerhalb
der CDU materialisiert. Aber das ist eine andere Frage. (Beifall)
Ich fand's schon ganz witzig zu hören wie wie nannte er sich
selbst: "ein bürgerlicher Teilnehmer der Studentenbewegung"
- diese kritisiert. Also wenn ein CDUler die alte 68er Bewegung
kritisiert, dann finde ich das ganz witzig, aber dann meint er
natürlich und meinen auch andre CDU-Vertreter natürlich
hauptsächlich deren emanzipatorische Inhalte. Wenn andere,
wenn Linke oder wenn ich die kritisiere, dann meinen wir ganz
andere Geschichten damit und darauf will ich jetzt ein bißchen
eingehen.
Ich habe dieser Tage so meine Probleme mit der ganzen Reihe von
Jubelfeiern und Veteranentreffen, ich hab so ein bißchen
meine Probleme mit all den Linken, die es geschafft haben, irgendwelche
Positionen in den Medien zu ergattern, und sich dann permanent
selbst feiern, und die, denen diese ungeheure Integrationsleistung
gelungen ist, leicht lächelnd dann dabei sitzen und den Innovationsschub
für sich loben. Nicht wahr, - man konnte das ja so zum Teil
eben so ein - bißchen heraushören. Das erinnert mich
an Sachen, die heute passieren, wenn ich so höre, ach
ja, die Grünen haben die richtigen Fragen gestellt, damit
meint man aber dann, wir haben die Antworten.
Landowsky: So isses. (Lachen, Applaus)
Ditfurth: Da täuschen Sie sich mal nicht, aber
dazu später. Ich habe also im Moment relativ wenig Lust,
mich an dieser Form von Altherrenromantik zu beteiligen. Wichtiger
ist mir, in Thesen herauszuarbeiten, was es so an Parallelen zwischen
1968 und heute gibt. Die Fragen sind doch die: Welche Inhalte
gesellschaftlicher Auseinandersetzung gibt es? Wer trägt
die notwendigen - und das ist meine Voraussetzung - die notwendigen,
radikalen Veränderungen? Und wer versucht vor allen Dingen
auch mit welchen Mechanismen, Bewegungen und Linke kaputt zu machen
durci1 Spaltung und Integrationsversuche? Oder positiv, was sind
eigentlich die Perspektiven für gesellschaftliche Veränderungen,
welche Themen sind gefragt, welche Aktionsformen usw.?
Wenn wir von den Erfolgen der Studenten und Schülerbewegung
reden, ist schon mal der Ansatz falsch. Es ist ein ziemlich elitärer
Ansatz, es gab damals auch Lehrlingsaufstände unter viel
härteren Bedingungen als an Schulen oder Hochschulen, es
gab Heimrevolten und viele andere Ereignisse. Aber daß das
heute immer unter Studenten und Schülerbewegung läuft,
hat ja auch damit zu tun, daß aus einigen dieser Schüler
und Studenten Professoren wurden, die sich heute in Forschungsprojekten
permanent selbst analysieren. (Applaus) Manche kriegen ihre Biographien
eben bezahlt.
Also, jetzt mal die Erfolge. Als Erfolg würde ich sehen,
daß auf die Tagesordnung der gesellschaftlichen Diskussion
solche Fragen kamen wie die Verantwortung des bundesdeutschen
Kapitals für die Plünderung und Ausbeutung von Mensch
und Natur in der Dritten Welt, die Frage von Trennung von Kapital
und Arbeit, Verfügungsgewalt über Produktionsmittel,
Infragestellung von Herrschaftsapparat und Strukturen, kurz die
Befreiung des erniedrigten und ausgebeuteten Menschen und einiges
mehr. Es gelang, und das war die positive Seite, für
diese radikalen Sichtweisen - also radikal bezogen auf die damaligen
gesellschaftlichen Verhältnisse Plätze in den Köpfen
von vielen Menschen zu erobern und zeitweise ein durchaus mitreißendes
und durchaus auch tanzendes Klima zu schaffen, was auch mal was
mit Lust zu tun hatte und mit der Vorstellung erstens, daß
Verhältnisse verändert werden müssen, und zweitens,
daß man auch teilweise das sogar tun kann, dieses Verändern.
Jetzt ist die Frage hier auch in diesen drei vorgegebenen Fragen,
an die ich mich nicht ganz halten will: Wie wirkt das in die Gesellschaft?
Nun ja, Repression in manchen Bereichen war nicht ganz so leicht
durchsetzbar, weil das Klima in der Gesellschaft zu aufmerksam
war. Es gab solch tolle Erfolge, wie die Diskussion darüber,
ob Chefärzte in Kliniken noch Sinn machen oder man nicht
lieber ein Team-Modell einführen möchte. Manche Schweinereien
in der Sozialpolitik kamen schneller raus. Karrieren waren nicht
unbedingt für so viele Leute wie heute ein so berauschendes
Lebensgefühl und unter anderem wurde etwas so wichtiges erreicht,
wie daß der Krieg in Vietnam z. B. unwiederbringlich denunziert
wurde. Es gab auch solche Themen wie NATO, Militärbündnisse,
Weltwirtschaftsteilung usw., also ganz viele Themen, ganz viel
Bewußtsein über Strukturen und Inhalte. Für einen
der wichtigsten Erfolge halte ich allerdings, daß Erfahrungen
gemacht werden konnten, widersprüchliche Erfahrungen, ungleichzeitige
Erfahrungen, teilweise auch negative Erfahrungen damit, wie man
es zeitweise an bestimmten Punkten - ohne das jetzt zu idealisieren
- schaffen kann, Strukturen zu knacken und Verknöcherungen
aufzulösen, unter denen man als Mensch leidet. Das waren
ziemlich wichtige Erfahrungen, die kann ich auf mich selber beziehen.
Ich hatte das Glück drei/vier politische Jahre zu jung zu
sein, um mitten drin zu stecken, das ist mir, so glaube ich, ganz
gut bekommen. Ich habe einige Sachen auch aus der Distanz erleben
können, andere beteiligt, das war, glaube ich, ganz nützlich,
wenn ich mir das Negative angucke.
Konkret zwei Beispiele: für das Negative und auch für
die Ursachen des späteren Scheiterns. Während die großen
Cracks der linken in Teach-Ins von der Befreiung des ausgebeuteten
Subjekts sprachen, war ziemlich selbsverständlich für
die, daß diejenigen, die tippten und Kaffee kochten und
für die Kinder zuständig waren, diejenigen waren, die
das gelernt hatten, nämlich die Frauen. Ein grundsätzlicher
Irrtum dieser gesamten Bewegung war, daß man glaubte, gesellschaftliche
Verhältnisse umwälzen oder auch nur radikal verändern
zu können, ohne daß die Frauen mitmachen, in einer
anderen als dienenden Rolle. Das geht nicht. (Beifall) Und der
zweite Fehler war: Während von der Befreiung des Arbeitenden
gesprochen wurde, - immer aus der Perspektive desjenigen, der
dann befreien will - wurde dann die Befreiung der Natur vom Kapitalismus
vollkommen vergessen. Wer damit kam, ich erinnere mich gut, wurde
als Vertreterin der Gänseblümchen-Innung, oder ähnlich
bezeichnet. Und das Problem des Giftschaums auf irgendwelchen
Flüssen wurde als unangenehmes Abfallprodukt von notwendigem,
auch in einer künftigen sozialistischen Gesellschaft notwendigem
Wirtschaftswachstum gesehen. Das war der zweite große Irrtum.
Und ich glaube, daß diese beiden Beispiele schon zeigen,
warum dann später sich andere Bewegungen bilden konnten,
die damit zum Teil fast nichts zu tun hatten. Ein Erfolg, ein
sogenannter Erfolg dieser außerparlamentarischen Bewegung
war, "die Ablösung" oder die Installierung der
SPD als Regierungspartei. Ich glaube, dem Kapital war das damals
durchaus recht, ein gewisser Modernisierungsschub wurde gebraucht,
auch wenn die Ostverträge selbstverständlich positive
politische Seiten hatten, ging es natürlich knallhart um
die Eroberung von neuen Märkten. D.h. es gibt immer wieder
Pendelbewegung in so einer Gesellschaft, es gibt immer wieder
Phasen, in denen Liberalisierung einfach notwendig ist.
Aber es gab auch Integrationsmechanismen, über die möchte
ich mich ein bißchen mehr auslassen, weil die mich an vieles
erinnern, was heute wieder passiert. Damals gab es einen Willy
Brandt, der für manche eine Art Hoffnungsträger
wurde, als er davon sprach, mehr Demokratie zu wagen, klang das
ja sehr nett. Daß er damit dann Berufsverbote meinte
für die anderen, die sich da haben nicht integrieren lassen,
war eine andere Geschichte, und wurde von einigen gar nicht mehr
wahrgenommen, auch nicht hundertausendfache Überprüfung.
Integration lief ja auch über Spaltung der einen von den
anderen, über die massenhaften Angebote, jetzt über
reputierliche Jobs ein Teil der Gesellschaft zu werden nach so
viel mühevollen Auseinandersetzungen. Und am Ende dieser
außerparlamentarischen Bewegung glaubten einige - und das
war dann auch eine der Ursachen mit für das Ende, ich will
das mal ein bißchen salopp sagen - "wir waren eine
so tolle Bewegung, wir haben das Maximale in dieser Gesellschaft
an Veränderung im Moment herausgeholt, nach uns kommt nichts
mehr, deswegen können wir rechtfertigen, rein in die Apparate
zu gehen. Laßt uns den politischen Druck, den wir entfaltet
haben, in diese neuen Jobs mitnehmen." Ich wäre froh
gewesen, wenn ganz klar gesagt worden wäre, daß es
da z.T. auch um diese Jobs ging, um ganz konkrete materielle Interessen,
um furchtbar viel Angst vor allzu viel Kämpfen und vor allem
um einen grandiosen Verlust von langem Atem. Was wurde denn aus
ihnen, was wurde denn aus einigen oder von vielen von diesen Trägern,
glauben die denn, daß sie wirklich mit dem 5. Projekt
der deutschen Forschungsgemeinschaft die gesellschaftliche Emanzipation
vorantreiben? Glauben sie denn wirklich, daß damit etwas
getan wird für eine feministische Veränderung von Gesellschaft?
Oder etwas für pazifistische Vorstellungen, Perspektiven
oder gar Dritte-Welt-Bewegung? Es sind doch bloß Jobs, die
aber mystifiziert wurden, um eigene Veränderungen besser
zu rechtfertigen.
(Veranstaltung wird durch Studenten, die das Präsidialamt
besetzt haben, 'umfunktioniert', ein Teil der Versammelten zieht
zum Präsidialamt mit der Forderung, die Unterlagen der Strukturkommission
sofort zur Einsicht vorgelegt zu bekommen.)
Amerkungen:
1 Peter Glotz war eingeladen hatte auch zugesagt kannte
dann aber aus verkehrstechnischen Gründen nicht teilnehmen.
Quelle: 1968, Vorgeschichte und Konsequenzen, Dokumentation der Ringvorlesung
vom Sommersemester 1988 an der Freien Universität Berlin.
Herausgeber: Siegward Lönnendonker und Jochen Staadt
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