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Beiträge zur Geschichte  









Der 2. JUNI 1967

Am Morgen dieses Freitags fliegt der Schah von München nach Berlin. Mittags soll er im Rathaus Schöneberg empfangen werden. Etwa 2ooo Demonstranten versammeln sich vor dessen Toren auf dem Kennedyplatz. Die Zufahrt zum Rathaus ist von der Polizei hermetisch abgeriegelt. Nur 40 "Jubelperser", die in städtischen Bussen herangefahren werden, können sich mit schahfreundlichen Plakaten innerhalb dieser Absperrungen postieren. Bevor noch der Schah eintrifft, kommt es zu Mißfallenskundgebungen, zu Rufen wie "Mörder". Rauchkerzen werden geworfen. Beim Erscheinen des Schah fliegen Eier; die Pfiffe und Buhrufe steigern sich, als er die Rathaustreppe betritt. Nachdem er verschwunden ist, entfernen die schahfreundlichen Perser die Plakate von ihren Stöcken und schlagen mit ihnen und mit Stahlruten auf die Demonstranten hinter den Barrieren ein. Die Polizisten warten ab, erst nach mehreren Minuten sehen sie sich veranlaßt, einzugreifen.

Am Abend haben sich wieder etwa 2ooo Demonstranten vor der Oper eingefunden. Es bilden sich Sprechchöre. Plakate nennen Reza Pahlevi einen "Mörder". Zu ersten Zusammenstößen mit der Polizei kommt es bereits vor dem Eintreffen der Gäste; ein Polizist wird von einem Stein getroffen. Wieder sind die "Prügelperser" bevorzugt aufgestellt worden. Als der Schah eintrifft, werden Eier, Tomaten und Rauchkerzen in Richtung Operneingang geworfen. Nach Beginn der Vorstellung, als sich einige Demonstranten bereits zum Gehen anschicken, greift die Polizei an.

Wehrlose Studenten und Studentinnen werden geprügelt, mit Füßen getreten, über die Straße geschleift, erbarmungslos zusammengeschlagen. Die Menge wird in eine Richtung abgedrängt, die ebenfalls von Polizisten verriegelt ist. In einem Hof, in den sich mehrfach Demonstranten und Schaulustige flüchten, gibt der Kriminalobermeister Kurras den tödlichen Schuß auf Benno Ohnesorg ab.

Benno Ohnesorg, Student der Romanistik und Germanistik, hatte an diesem Tag erstmals an einer Demonstration teilgenommen. Er war politisch interessiert, aber nicht politisch aktiv. Ein fleißiger, gewissenhafter Student, der - nach dem Urteil seiner Lehrer ausgezeichnete Seminararbeiten schrieb, besonnen und objektiv diskutierte. Er war bereits verheiratet, wollte Studienrat werden. Er starb, weil dem Westberliner Senat so sehr am Besuch des Schahs gelegen war und die demonstrierenden Studenten das feierliche Bild störten. Er starb, weil die Berliner Polizei falsch geführt, falsch ausgebildet und falsch eingesetzt wurde. Weil dieser Stadt Berlin Ruhe und Ordnung über das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, auf Demonstrationsfreiheit geht.

"Der Senat hätte die Bundesregierung so beeinflussen müssen, daß der Schah gar nicht erst nach Berlin eingeladen worden wäre. Ist Berlin das Schaufenster der Freiheit, dann können wir den Schah nicht brauchen." (Prof. Helmut Gollwitzer.)

"Die Geduld der Stadt ist am Ende. Einige Dutzend Demonstranten, unter ihnen auch Studenten, haben sich das traurige Verdienst erworben, nicht nur einen Gast der Bundesrepublik Deutschland in der deutschen Hauptstadt beschimpft und beleidigt zu haben, sondern auf ihr Konto gehen auch ein Toter und zahlreiche Verletzte - Polizeibeamte und Demonstranten. Die Polizei, durch Rowdies provoziert, war gezwungen, scharf vorzugehen und von ihren Schlagstöcken Gebrauch zu machen. Ich sage ausdrücklich und mit Nachdruck, daß ich das Verhalten der Polizei billige und daß ich mich durch eigenen Augenschein überzeugt habe, daß sich die Polizei bis an die Grenzen des Zumutbaren zurückgehalten hat." (Stellungnahme des Regierenden Bürgermeisters Heinrich Albertz in der Nacht vom 2. auf den 3. Juni.)

"Was muß das für ein Republikaner sein, der verkennt, daß Unruhe die erste Studentenpflicht ist - überall in der Welt? ( ... ) Was muß das gar für ein Berliner sein, der diesseits der Mauer polizeistaatliche Methoden billigt, die er jenseits der Mauer anprangert?" (Abendzeitung, München, 7. Juni 1967.)

"Wer die Freiheit mißbraucht, den Ruf eines demokratischen Gemeinwesens untergräbt, seine Mitbürger belästigt und gefährdet, der kann sich nicht auf die Freiheit berufen ( ... ) Die Bewohner dieser Stadt müssen wieder die Gewähr haben, daß für Ruhe und Ordnung gesorgt wird." (Die Welt, 5. Juni 1967.)


Quelle: Mager / Spinnarke: Was wollen die Studenten ? S. 111, Fischer-Verlag November 1967










 

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