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  Politik   

 


Prof. Dr. Christoph STÖLZL

Stv. Vorsitzender der Berliner CDU-Fraktion
zur Wahl des Regierenden Bürgermeisters
und des Senats am 17.01.2002


- es gilt das gesprochene Wort -



Sehr geehrter Herr Präsident,

meine sehr geehrten Damen und Herren!

An diesem scheinbar großen Tag der Sozialdemokratie, den wir noch gekannt haben, als er ganz klein angefangen hat mit Wortbruch und Wankelmut, an diesem Tag, den wir einmal wiedersehen werden, wenn er wieder ganz klein ist, wonach fragen wir heute? Wir fragen nicht nach den Winkelzügen der Tagespolitik. Wir fragen nicht nach der menschlich-allzu menschlichen Dialektik von Ethik und

Ehrgeiz, von Leichtsinn und Versorgungsdenken bei den Akteuren. Uns ist es heute wie gestern gleichgültig, ob die Spielmacher aus Damen- oder Herrenschuhen trinken, wenn sie einmal über die Stränge schlagen. Wir fragen nicht einmal nach Namen, weil das Auge der Geschichte, das auf Berlin blickt , in anderen Dimensionen misst als aufgeregte Zeitungsleser.

Wonach wir fragen, das ist der historische Sinn des Moments. Was geschieht heute? Die Zuschauer aus der Welt antworten: Heute sperrt die Sozialdemokratie dem Kommunismus die Tür zur Macht in Deutschland wieder auf. Aber was heißt das? Ist der Kommunismus als historische Bewegung nicht längst tot, untergegangen mit der Roten Armee, zahnlos, ungefährlich, ein Kindergespenst?

An diesem Tag, der schillernd in seiner Bedeutung ist wie noch jeder Schicksalstag, sagen wir: Mag vielleicht alles sein. Aber demokratische Politik, die den Namen verdient, fragt zuerst nach Glaubwürdigkeit und historischer Moral. Die Bewusstlosigkeit der Spaßgesellschaft ist der Tod von verantwortlicher Politik. Und darum gilt: Solange sich Menschen mit aufrechtem Gang in Berlin erinnern, werden sie beim Wort Kommunismus zurückblicken im Zorn. Denn die große Erzählung von der Stadt Berlin hat ein einziges Thema. Es heißt: Freiheit. Es ist der Pulsschlag der Freiheit, es sind ihre Atemzüge, die Berlin machen. Kampfplatz der Freiheit gewesen zu sein, stellvertretend für Deutschland, das ist der Ehrentitel unserer Stadt.

Heute wählen die Sozialdemokraten eine Partei zurück in die Macht, die vor der großen Sturmflut der europäischen Freiheit im Jahr 1989 ein Bollwerk der Unfreiheit gewesen ist. Die Partei trug einen anderen Namen damals, und das Handbuch des Abgeordnetenhauses legt nahe, sich mit dem Kürzel PDS zu begnügen. Aber eine Bewegung, die als Kommunismus Weltgeschichte gemacht hat, sollte eigentlich stolz darauf sein, mit dem Jahrhundertbegriff angeredet zu werden, der ihr früher heilig war.

Hüten werde ich mich, die heutige Partei mit der damaligen einfach gleichzusetzen, auch wenn sie selbst von sich sagt, dass 94% ihrer heutigen Mitglieder auch damals dabei waren. Am demokratischen Bekenntnis meiner Parlamentskollegen zu zweifeln, liegt mir fern. Aber eine große historische Partei ist eben viel mehr als die Summe ihrer Individuen. Sie ist kein harmloses Etikett. Sie ist ein Symbol. Sie transportiert eine tiefverwurzelte Tradition. Sie wirft einen Schatten, dem niemand entrinnt, solange er nicht mit der Partei bricht.

In diesen Tagen geben Sozialdemokraten nach Jahrzehnten Mitgliedschaft ihr Parteibuch zurück, weil ihre Partei heute mit dem Kommunismus paktiert. Vor zwölf Jahren, damals, als die deutsche Revolution binnen Wochen die Totenstarre des Sozialismus aufbrach, wäre man verlacht worden, hätte man dergleichen prophezeit. Aber nun ist es geschehen. Wirklich erklären kann man es niemandem. Oder nur Menschen mit Kurzzeitgedächtnis, die bei den Buchstaben SPD nur an einen roten Schirm auf der Straße denken und nichts wissen von der ehrwürdigen und ältesten deutschen Partei, die mit ihrem Herzblut mitgeschrieben hat an unserer gemeinsamen Geschichte von Einigkeit und Recht und Freiheit.

Warum tun die das?, ruft man fassungslos von überall .Und erntet Rauchzeichen aus dem politischen Kiez: Mit diesem CDU-Kopf ginge es nicht, mit jenem FDP-Programm nicht, mit diesem Grünen-Starrsinn erst recht nicht. Rauchzeichen, morgen verweht, gewichtslos auf der Wage der Geschichte. Steckt denn vielleicht ein heimlicher Traum vom gemeinsamen Sozialismus dahinter? Die Berliner SPD als Avantgarde einer Versöhnung der seit 1919 tödlich verfeindeten Geschwister der Arbeiterbewegung? Ach was! Gemessen am theorielosen „Anything Goes“ der Berliner SPD wundert man sich fast darüber, wie viel Begründungs-Mühe sich 1987 die Sozialdemokratie mit ihrem SED-Annäherungspapier gemacht hat. Was niemand versteht, legitimiert sich am besten durch Phrasen: Schlussstrich! Schwamm drüber! Tür zu! Das Leben geht weiter!

Manchen Sozialdemokraten ist solche Amnesie peinlich, sie glauben dafür allen Ernstes an Entschuldigungsformulare, wo der Schlussstrich von moralischen Schnörkeln umrahmt wird. An diesem Tag der großen Selbstbeschwichtigung sage ich: Der Geist der Geschichte pfeift auf Papiere und Entschuldigungen. Er vergisst nichts. Kein „Schwamm drüber“ wischt das an der Mauer vergossene Blut der Unschuldigen ab. Kein Schlüssel sperrt die Stimmen der Erinnerung weg, die tausendfältig protestieren gegen enteignetes Leben. Der Mensch wird geboren, um die Schwingen auszubreiten und fliegen zu lernen übers Enge und Kleine hinaus. Dass der deutsche Kommunismus dies, dies vor allem anderen, den Menschen auszutreiben getrachtet hat, bleibt seine Hauptsünde. Kein kalter Krieger, sondern Deutschlands bedeutendster Lyriker der Gegenwart, Durs Grünbein, hat jüngst über seine Jugend in der DDR eine vernichtende Bilanz gezogen: “Alle schlechten Eigenschaften des modernen Menschen fanden sich hier kollektiviert und in den Rang gesellschaftlicher Notwendigkeiten erhoben: die geistige Ignoranz gleichzeitig mit der Denunziation des Nächsten, das dumme Geschwätz wie der Austausch unbeweisbarer Meinungen. Borniertheit und eine sich aufgeklärt gebende Form des Kadavergehorsams verbürgten die tägliche Ordnung einer schlecht funktionierenden Verwahranstalt.“

Ist das nicht Schwarzmalerei? Natürlich gelang auch etwas in der DDR, natürlich haben Millionen von Menschen ein Leben in Würde und Anstand gelebt. Nur war es Würde und Anstand trotz und gegen SED und Staatssicherheit. Was in Leben, Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft Positives geschaffen wurde, war in Leidenschaft und List dem Staatssozialismus abgerungen. Dies sind die Biographien, vor denen wir uns in Hochachtung verneigen .Und wir sagen zur Präambel der Koalitionsvereinbarung: Die PDS hat nicht das geringste Recht, sich zur Anwältin dieser Lebensgeschichten zu ernennen.

An diesem Tag, der ein einziges Fragezeichen über Berlin ist, fragen wir noch einmal: Wohin platziert sich die Sozialdemokratie in der deutschen Geschichte? Es ist enthüllend, dass die Bündnispapiere ein Denkmal für Rosa Luxemburg beschließen. Kann es solche historische Legasthenie wirklich geben? Die große Sozialistin ist keine Schutzpatronin der Demokratie. Sie hat Klassenkampf, Diktatur des Proletariats und Bürgerkrieg propagiert. Mit dem Spartakus-Aufstand gegen die demokratische Vernunft Friedrich Eberts begann der Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt, der am Ende die erste deutsche Republik zerstörte. Golo Mann, hat der verblendeten Republikfeindschaft der deutschen Kommunisten ein gerüttelt Maß Mitschuld an der deutschen Katastrophe zugemessen.

Und weiter: Als 1945 das Nazireich in Schande untergegangen war: Wer hinderte denn Walter Ulbricht daran, sich in der Sowjetzone einem echten demokratischen Votum zu stellen anstatt das Wort „Freiheit“ ständig zu missbrauchen? Die Frage ist rhetorisch, aber man braucht sie, um den Schleier, den heute Berliner SPD und PDS mit den Schlagworten „Kalter Krieg“ und „Ost-West-Konflikt“ vor die Schuldfrage spannen, einmal wegzureißen. Dass der deutsche Kommunismus seinen Staat, auf Unfreiheit baute, dass er zuerst die Sozialdemokratie, dann das ganze Land in Ketten schlug und bespitzelte, einsperrte und aus dem Land jagte, wer die Ketten nicht tragen mochte -, das hat unser Land gespalten. Und es hat alles brüderliche Streben nach Gleichheit und Gerechtigkeit, das es im östlichen Deutschland selbstverständlich ebenso gab wie im freiheitlichen Sozialstaat des Westens, vom ersten Tag an vergiftet mit Zwang und Verlogenheit. Freiheit ist nicht alles, das weiß ich wohl, aber ohne Freiheit ist alles nichts .“

1989 kam, endlich, nach dem 17.Juni 1953 und dem 13.August 1961, wo historischer Appell genug schon gewesen wäre zu Einsicht und Umkehr für den Kommunismus. Und was geschah im Winter 1989? Noch einmal verweigerte sich der deutsche Kommunismus der Forderung des Tages. Süchtig nach der Droge der Macht war ihm alles verhasst, was Machtverlust verhieß. Am Ende eines jahrzehntelangen Niedergangs, nach ökonomischem wie moralischem Bankrott, wäre die Umwidmung der Parteimilliarden für die Diktaturopfer und die Selbstauflösung der Partei ein Akt von jener welthistorischen Größe gewesen, wie sie die Sozialisten immer für sich beansprucht hatten.

Einzelne sind diesen Weg einer echten geistigen Umkehr gegangen: Dem gilt meine ganze Sympathie. Die Präambel der Koalitionsvereinbarung, am 4. November 1989 am Alexanderplatz verlesen, hätte dem Sozialismus vielleicht einen Rest Glaubwürdigkeit gerettet. Nach 12 Jahren Schweigen ist sie nur ein Zeugnis eiskalter Berechnung zur Betäubung des schlechten Gewissens der Sozialdemokratie.

Der Stein, den die PDS 1989/90 vergeblich der Wiedervereinigung in den Weg wälzte, wurde danach geschickt zermahlen zum Sand im Getriebe. „Desinformation“ hat eine große Tradition im Kommunismus. Geschickter hat wohl nie jemand „Haltet den Dieb“ gerufen.

Von denen, die doch ganz still hätten sein müssen über all dem Elend, das sie verantworteten, kamen zum Wiederaufbau vor allem Hohn und Häme und agitatorische Maximalforderungen. Die von der CDU geführte Große Koalition beschloss: Aufbau Ost kommt vor Ausbau West. Ist die PDS etwa positiv darauf eingegangen? In Berlin hat die PDS die Stadt gespalten. Sie selbst ist das Problem, für dessen Lösung sie sich jetzt großzügig anbietet. Welche Kompetenz bringt sie mit? Das Parteiprogramm der PDS ist buchstäblich nicht von dieser Welt. Viel wichtiger ist etwas anderes: Die Partei hat die Erinnerung, wie süß die Macht schmeckt. Und sie schickt Persönlichkeiten in den Senat, die vor allem eine Qualifikation haben: Sie sind mit allen Wassern des „Klassenkampfes“ gewaschen. Sogar die DKP darf einen späten, unerwarteten Erfolg feiern.

Und wir, das bürgerliche Berlin? Auch an diesem Tag, der grau, nicht groß ist, verhüllt die Stadt der Freiheit nicht ihr Haupt. Sie braucht ihre offenen Augen mehr denn je. Und sie weiß: Lachen hat seine Zeit, Weinen hat seine Zeit. Das hat das bürgerliche Berlin im letzten Jahr schmerzhaft erfahren. Auch die Sozialdemokratie, die heute einen großen Tag zu haben glaubt, wird die Wahrheit des biblischen Satzes bald erleben. Die leichtfertige Liaison dangereuse von heute wird sie ihre Seele kosten. Darüber freut sich niemand, dem unsere Demokratie am Herzen liegt. Klaus Wowereit, Peter Strieder, Klaus Böger: Um nichts in der Welt möchte ich heute in Ihrer Haut stecken.



Quelle: CDU, Berlin


 




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