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2001-11-16

Bundestagsdebatte über Einsätze deutscher Streitkräfte außerhalb des NATO-Gebietes in Verbindung mit der Vertrauensfrage des Bundeskanzlers nach Art. 68 des Grundgesetzes


Roland Claus (PDS):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den schrecklichen und unvergessenen Ereignissen des 11. September 2001 erwartet die Öffentlichkeit heute vom deutschen Parlament, dass es folgende Fragen beantwortet: Militäreinsätze außerhalb Europas, ja oder nein? Deutsche Kriegsbeteiligung, ja oder nein? Stattdessen wird ihr seit Tagen ein Koalitionsmachtspiel vorgeführt, in dem die Kriegsereignisse quasi in die zweite Reihe gerückt werden.

(Zuruf von der PDS: Sehr richtig!)

Meine Damen und Herren aus der Koalition, Sie können sich den gegenwärtigen Zustand noch so wortreich schönreden. Wir sagen Ihnen: Was hier abläuft, nennen wir Irreführung der Öffentlichkeit und Nötigung des Parlaments - und nicht etwa nur der grünen Fraktion.

(Beifall bei der PDS - Lothar Mark [SPD]: Wieso ist es Irreführung, wenn wir uns an die Verfassung halten? Ist die Verfassung irreführend?)

Genau darauf komme ich jetzt zu sprechen.

Herr Bundeskanzler, die Tatsache, dass die Verfassung diesen Schritt, den Sie hier gehen, zulässt, bedeutet noch lange nicht, dass dieser Schritt politisch weise ist. Das Gegenteil ist der Fall.

(Beifall bei der PDS - Lothar Mark [SPD]: Wenn es die Verfassung vorgibt, ist es keine Nötigung!)

Sie sind der erste Bundeskanzler, der diese Vertrauensfrage und damit sein Schicksal mit einer Zustimmung zu Kriegseinsätzen verbindet.

(Dr. Peter Struck [SPD]: "Kriegseinsätze"! Hören Sie auf damit!)

Wir bleiben da bei: Die PDS-Fraktion sagt Nein zu diesem Krieg, Nein zur deutschen Beteiligung und auch Nein zur Vertrauensfrage.

(Beifall bei der PDS - Lothar Mark [SPD]: Deutschland beteiligt sich nicht am Krieg!)

Der Krieg ist und bleibt ein untaugliches Mittel im Kampf gegen den Terror.

Herr Bundeskanzler, Sie haben hier vor einigen Wochen gesagt: Risiko ja, Abenteuer nein. - Mit dem heutigen Beschluss sind wir auf dem Weg in ein unkalkuliertes militärisches Abenteuer. Sie können die einfachsten Fragen, die Ihnen die Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande stellen, nicht beantworten:

(Frank Hempel [SPD]: Aber Sie!)

Wohin sollen deutsche Soldaten gehen? Wie lange soll der Einsatz dauern? Was sind die konkreten Aufgaben? Was sind die Ziele des Kampfes? Wann sind sie erreicht? Wann ist der Einsatz abgeschlossen?

(Lothar Mark [SPD]: Wissen Sie, wann der nächste Terroranschlag kommt?)

Sie fassen heute einen Vorratsbeschluss und schränken damit die Souveränität des Parlaments ein.

(Beifall bei der PDS)

Die neue außenpolitische Rolle Deutschlands - ich bedauere das sehr - wird damit ausdrücklich über eine Dominanz des Militärischen definiert. Nun nehmen Sie den militärischen Erfolg der Nordallianz in Verbindung mit den US-Streitkräften für sich in Anspruch. Ich folge dieser Logik nicht, weil sie die zivilen Opfer ausblendet, über die wir noch immer sehr wenig wissen.

(Beifall bei der PDS)

Diese Logik blendet auch die verheerenden Langzeitfolgen aus, die diese Bombardements haben werden: eine Spaltung zwischen arabisch-islamischer und westlicher Welt. Wenn Sie sich dennoch auf diese Logik des militärischen Erfolges beziehen, dann sollten Sie sich allerdings eine Frage gefallen lassen: Wozu bedarf es noch einer deutschen Beteiligung an diesem Konflikt?

(Beifall bei der PDS)

Auch der Text Ihres Antrages spiegelt wider, dass Sie der Sachlage nicht mehr gerecht werden. Sie schreiben, dass sich das Talibanregime in Kabul schützend vor terroristische Strukturen stellt. Sie halten an diesem Antrag fest. Dieses Festhalten macht nur dann Sinn, wenn es um die Option gehen soll, militärische Operationen auch in anderen Staaten durchzuführen. Verteidigungsminister Rumsfeld hat in den USA bereits von einem, wie er sagte, guten Dutzend solcher Staaten gesprochen.

Wir halten an unseren aktuellen Befürchtungen fest, die da heißen: Wenn dem globalisierten Terror der globalisierte Krieg folgen sollte, dann hätte sich nicht die Logik von Vernunft und Zivilisation, sondern die Logik des Terrors durchgesetzt. Das können wir doch nicht wollen.

(Beifall bei der PDS - Zuruf von der SPD: Nennen Sie Alternativen!)

Kritikwürdig bleibt weiterhin, wie Sie mit Kriegsgegnern, mit Kritikern Ihrer Position in dieser Frage umgehen. Das deutet nicht auf Souveränität und Stärke hin. Das ist ein Zeichen von Schwäche.

(Beifall bei der PDS - Ilse Janz [SPD]: Sie wissen das doch gar nicht!)

Ich will Ihnen nur einmal kurz die Abfolge nennen: Es begann mit den Disziplinierungen des SPD-Generalsekretärs gegenüber Abweichlern bei der Mazedonien-Entscheidung. Es ging weiter mit der unseligen Verunglimpfung der IG Metall und deren Friedensengagement. Danach folgte die Einmischung aus der Bundesebene in die Entscheidungen nach der Wahl in Berlin. Es gipfelt nun in der Vertrauensfrage. Es ist sogar über Neuwahlen spekuliert worden, wenn einem das denn nur nützen könnte. Solche Machtspiele sind nicht geeignet, die Demokratie in diesem Lande zu stärken.

(Beifall bei der PDS - Zuruf von der SPD: Dazu brauchen wir die PDS!)

Unterdessen wächst in der Öffentlichkeit die Ablehnung deutscher Beteiligung an diesen Militäroperationen. Ich will Ihnen nur ein einziges Beispiel nen nen. Mich erreichte in den letzten Tagen eine mit bewegenden Worten geschriebene Initiative von Schülergruppen aus Heidelberg, die mehr als 1300 Unterschriften gegen eine Kriegsbeteiligung gesammelt haben. Deren Position und deren Friedensengagement sollten in dieser Gesellschaft auch Anerkennung finden.

Meine Damen und Herren in den Koalitionsfraktionen, niemand hier hat Sie des Hurra-Patriotismus verdächtigt. Deshalb aber haben auch Sie nicht das Recht, ablehnende kritische Stimmen zu diskriminieren. Auch das muss hier gesagt werden.

(Beifall bei der PDS)

Herr Bundeskanzler, Sie haben es noch immer in der Hand - das ist hier schon gesagt worden -, denn der Antrag kann noch vom Tisch genommen wer den. Allein die Tatsache, wie vielfältig der Antrag interpretiert wird, deutet dar auf hin, dass er einfach nicht sachgerecht ist. Es gibt noch einen Ausweg. Sie haben es noch in der Hand, den Antrag vom Tisch zu nehmen - das wäre kein Zeichen von Schwäche, sondern von Größe - oder wenigstens die Verknüpfung des Antrags mit der Vertrauensfrage wieder aufzuheben. Gehen Sie diesen Weg! Anderenfalls müssen wir heute mit einem klaren Nein stimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der PDS - Detlev von Larcher [SPD]: Und sonst? Würden Sie Ja sagen? - Peter Dreßen [SPD]: Das ist Heuchelei!)



Quelle: Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages vom 16.11.2001




 




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