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Andrea Fischer zurückgetreten

Am Dienstag, den 9.Januar 2001 erklärte Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer vor der Presse:

Ich habe soeben beim Bundeskanzler meinen Rücktritt eingereicht.

Ich muss erkennen, dass das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Fähigkeit der Bundesregierung, das Problem BSE in ihrem Sinne zu bewältigen, erschüttert ist. Deshalb erscheint es mir geboten, durch meinen Rücktritt die Möglichkeit zu schaffen, dass der neue Ansatz der Bundesregierung für den Verbraucherschutz auch personell deutlich werden kann.

Beim Umgang mit der BSE-Krise sind auch von mir in den letzten Wochen sicherlich Fehler gemacht worden. Das bedauere ich. Für sich genommen halte ich diese Fehler jedoch nicht für schwerwiegend genug, dass sie einen Rücktritt gerechtfertigt hätten. Dennoch habe ich mich zu diesem Schritt entschlossen, weil es zu meinem politischen Selbstverständnis gehört, dass jeder für seine Versäumnisse die Verantwortung übernehmen soll.

Meine Partei, Bündnis 90/Die Grünen, hat seit vielen Jahren in allen für die BSE-Problematik wichtigen Feldern auf die tieferliegenden Ursachen hingewiesen, realistische Vorschläge gemacht und für deren Umsetzung gekämpft. Nicht wenige von denen, die heute scheinbar alles wissen, haben dieser längst überfälligen Neuorientierung in der Vergangenheit immer im Wege gestanden. Vor diesem Hintergrund ist es sicher für mich und meine Partei auch etwas bizarr, dass nun ausgerechnet eine grüne Politikerin als erste die politische Verantwortung für den Gau der industrialisierten Landwirtschaft übernimmt.

Ich hoffe, mit meinem Rücktritt auch dazu beitragen zu können, dass nicht mit dem Ende der aktuellen Enthüllungen eine Rückkehr zum Business as usual erfolgt. Wer meint, die BSE-Krise sei ausschließlich Ausdruck von organisatorischen Ungereimtheiten zwischen Bund und Ländern sowie zwischen Ministerien, springt zu kurz. Die eigentliche Ursache liegt in der industrialisierten Landwirtschaft, in wirtschaftlichen Interessen, die über die Verbraucherinteressen dominierten, und einer mangelnden Bereitschaft, den Preis für gute Lebensmittel zu bezahlen. Vor dem Hintergrund dieser Verhältnisse konnte es zur wohlgelittenen - und hoffentlich nicht absichtlich herbeigeführten - Fehleinschätzung der deutschen Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion kommen, Deutschland sei BSE-frei und infolge dessen besondere Maßnahmen nicht erforderlich. Diese Haltung hat auch die Praxis der Überwachung so beeinflusst, dass die heute bekannten Folgen daraus entstanden.

Auch in der Gesundheitspolitik habe ich in den vergangenen zwei Jahren reichlich Erfahrungen damit sammeln können, wie wirtschaftliche Interessen - oft nur unzureichend verbrämt als gesundheitspolitisches Anliegen - dominieren und damit das Gemeinwohl gefährden.

Gerne hätte ich meine begonnene Arbeit fortgesetzt, das deutsche Gesundheitswesen aus seiner Erstarrung in Partikularinteressen und Funktionärsentscheidungen herauszuführen. Die Patienten haben es verdient, dass sie endlich auch die Rolle einnehmen, die ihnen doch so oft nur in Sonntagsreden zugewiesen wird.

Ebenso gerne hätte ich weiter dafür gekämpft, dass die Lehren aus der BSE-Krise zu einer Wende in der Landwirtschaftspolitik führen, die diesen Namen verdient hat. Die also Natur und Tiere schont und gute Lebensmittel wertschätzt. In der die ökologische Landwirtschaft und Produktion endlich eine wichtigere Rolle spielt.

Ich habe erkannt, dass die Ereignisse der letzten Wochen meine Position so geschwächt haben, dass ich diese Ziele vielleicht nicht hätte erreichen können. Deshalb werde ich im Interesse der Sache zurücktreten.

Quelle: Fraktion Bündnis90/Die Grünen


 




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