Bundestagsdebatte über den
Bundeswehr- und NATO-Einsatz in Mazedonien am 29.09.2001 (Auszug
aufbereitet von GLASNOST)
Präsident Wolfgang Thierse: Ich
erteile dem Kollegen Guido Westerwelle, FDP-Fraktion, das Wort.
Dr. Guido Westerwelle (FDP):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Freien
Demokraten werden dem Antrag der Bundesregierung mit klarer Mehrheit,
aber nicht ohne Bedenken zustimmen.
Die Lage hat sich im Vergleich zum
Frühsommer verändert. Mittlerweile gibt es Gott sei Dank
einen weitestgehend tragfähigen Waffenstillstand und es gibt
eine Perspektive für eine politische Lösung in Form eines
Verfassungsprozesses, der die Minderheiten rechtlich schützt.
Der Minderheitenschutz und die Rechtsstaatlichkeit sind die
entscheidenden Voraussetzungen dafür, dass es in einer ethnisch
zerrütteten Region wieder eine Chance auf Frieden gibt.
(Beifall bei der FDP)
Deswegen ist es ungeheuer wichtig,
darauf hinzuweisen, dass wir eine politische Lösung brauchen,
bei der das Militär helfen kann, und nicht umgekehrt.
(Beifall bei der FDP sowie bei
Abgeordneten der CDU/CSU)
Das ist ein wesentlicher Unterschied zu
mancher öffentlichen Diskussion.
Der Einsatz ist risikoreich, er ist
sehr risikoreich. Eine Zeit lang hatte man im Sommer den Eindruck, es
geht um eine Art Wald-und-Wiesen-Spaziergang, bei dem nebenbei einige
Waffen eingesammelt werden. Das war naiv. Wenn es heute noch jemand
ernsthaft glaubt, dann ist auch das naiv.
Der Bundeskanzler hat mittlerweile
selbst das Wort vom robusten Mandat geprägt und verwendet. Aber
da fragen wir als Freie Demokraten: Warum wurde seitens der
Bundesregierung in Brüssel dann nicht auch in Richtung eines
robusten Mandats verhandelt?
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU
sowie der Abg. Maritta Böttcher [PDS])
Der Grund ist ein ganz einfacher: Die Bundesregierung
hat den ganzen Sommer über keine eigene Regierungsmehrheit in diesem Hause
gehabt und hat sie möglicherweise auch heute nicht. Das ist nicht so sehr
eine innenpolitische Frage; es ist vielmehr eine außenpolitische Frage.
Das hat nämlich ihren außenpolitischen Handlungsradius, ihre Autorität,
ihre Entschiedenheit im Auftreten gelähmt. Das ist das Problem.
(Beifall bei der FDP und der
CDU/CSU)
Herr Bundeskanzler, Sie waren sich
Ihrer eigenen Mehrheit in der Koalition nicht sicher und auch heute
sind Sie sich ihrer noch nicht sicher. Deswegen haben Sie in Brüssel
nicht verhandelt, sondern Sie haben gezögert, Sie haben
gezaudert und haben andere für sich machen lassen. Die NATO ist
aber nicht irgend eine fremde Institution. Wir selbst sind die NATO.
Die NATO handelt mit uns und nicht gegen uns. Auch das muss im
Bündnis klar sein.
(Beifall bei der FDP und der
CDU/CSU)
Herr Außenminister, Sie haben das
Mandat nicht geprägt, sondern Sie und die Bundesregierung haben
das Mandat letzten Endes akzeptiert. Die Bundesregierung war in der
NATO überwiegend sprachlos. Wenn sie sich geäußert
hat, hat sie Fragen gestellt und Zweifel angemeldet. Das ist in
Wahrheit die Art und Weise gewesen, wie in Brüssel verhandelt
worden ist. Deswegen geht es an dieser Stelle auch nicht um
Innenpolitik, wenn Ihnen die Regierungsmehrheit fehlt; es geht
ausschließlich darum, dass Sie, weil Ihnen die eigene Mehrheit
fehlt, außenpolitisch nicht so handeln können, wie es im
Interesse Deutschlands geboten wäre.
(Beifall bei der FDP und der
CDU/CSU)
Das wissen auch die Kolleginnen und
Kollegen von den Regierungsfraktionen. Sie haben es in den
Ausschüssen ja entsprechend gesagt. Man braucht sich nur die Nr.
7 des Antrags noch einmal vor Augen zu führen. Darin heißt
es wörtlich:
Den im Rahmen dieser Operation
eingesetzten Kräften wird auch die Befugnis zur Wahrnehmung des
Rechts auf bewaffnete Nothilfe zugunsten von Soldaten und
Zivilpersonal der internationalen Präsenzen und humanitären
Hilfsorganisationen erteilt.
Meine Damen und Herren, den Soldaten,
die dort hingehen, muss es doch auch möglich sein, angegriffene
wehrlose Zivilpersonen zu schützen. Das müsste in diesem
Mandat stehen.
(Beifall bei der FDP und der
CDU/CSU)
Darin müsste doch auch stehen - das hat Ihnen
der Ausschuss für Menschenrechte heute ins Stammbuch geschrieben -, dass
die rückkehrenden Flüchtlinge dann, wenn wir als NATO nicht mehr da
sind, Schutz, Sicherheit und vor allem auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit
haben.
(Beifall bei der FDP sowie bei
Abgeordneten der CDU/CSU)
Es steht nicht in dem Mandat, weil Sie
nicht verhandelt haben. Jetzt kann der Bundestag, weil er nichts
ändern darf, ein bisschen an Sie appellieren, Sie mögen in
dieser Richtung weiterreden und -handeln. Das ist keine gute Politik.
(Beifall bei der FDP sowie bei
Abgeordneten der CDU/CSU)
Es ist notwendig, Folgendes
klarzustellen, weil hier so manches - auch von interessierter Seite -
hineingeheimnist worden ist: Wir Freien Demokraten unterstützen
heute nicht die Bundesregierung mit ihrer verfehlten
Politik, sondern wir unterstützen
den Friedensprozess und unsere Soldaten in Mazedonien. Das ist ein
kleiner, aber ganz wichtiger Unter schied, und zwar nicht nur in
Worten.
(Beifall bei der FDP sowie bei
Abgeordneten der CDU/CSU)
Es kann sich sehr schnell
herausstellen, dass der Einsatz der NATO scheitert. Es kann sein,
dass die NATO nach 30 Tagen unverrichteter Dinge und unter
Ansehensverlust wieder abziehen muss. Aber eines steht fest: Gehen
wir nach Mazedonien, gibt es eine kleine Chance auf Frieden. Gehen
wir nicht nach Mazedonien, gibt es gar keine Chance auf Frieden.
(Beifall bei der FDP)
Würden wir auch bei einem
zufrieden stellenden Mandat einen Einsatz verweigern und würde
die NATO deshalb ihren Einsatz abbrechen, dann hätten wir zwei
Tage später einen großen Krieg und drei Tage später
stünden die ersten 50000 Flüchtlinge vor unserer Tür
und bäten zu Recht um Schutz. Bricht in Mazedonien, also im Süd
osten Europas, ein Krieg aus, dann stehen wir als Parlament einige
Wochen später wieder vor einer Einsatzentscheidung. Aber dann
ginge es nicht um 5000 Soldaten, sondern um 50000 Soldaten.
Deswegen muss man auch kenntlich
machen, dass dieser Weg unter den schlechten Wegen, die wir in dieser
schwierigen Situation gehen können, immer noch der beste Weg
ist, der uns möglich ist.
(Beifall bei der FDP)
Das ist der entscheidende Punkt.
Niemand geht mit Hurra dorthin, sondern jeder hat Zweifel und
Skepsis. Es muss erlaubt sein, diese Zweifel und diese Skepsis auch
in einer solchen Sitzung anzumelden.
(Beifall bei der FDP)
Ich möchte Ihnen sagen, dass in diesem Zusammenhang
vor allen Dingen eine Perspektive gegeben werden muss. Diese Perspektive ist
aus unserer Sicht nicht irgendeine Geberkonferenz. Die Perspektive, die wir
im Südosten Europas brauchen, ist eine politische Perspektive. Wir brauchen
einen Prozess der politischen Stabilisierung. Auch hier kommt von der Bundesregierung
konzeptionell rein gar nichts.
(Dr. Peter Struck [SPD]: Na, na,
Herr Westerwelle!)
Wir brauchen eine dauerhafte
Konfliktlösung. Als Land, dessen Geschichte in besonderer Weise
vom KSZE-Prozess geprägt wurde, sollte Deutschland hier sowohl
im Rahmen der Europäischen Union als auch im Rahmen der
Vereinten Nationen die Initiative ergreifen. Gegenstand dieser
Initiative sollte die Einberufung einer Konferenz für Sicherheit
und Zusammenarbeit in Südosteuropa unter der Schirmherrschaft
der OSZE für den Aufbau einer südosteuropäischen
Sicherheitsarchitektur sein. Wir sollten die bereits im Rahmen des
KSZE-Prozesses erfolgreichen Instrumente wie vertrauensbildende
Maßnahmen, Streitschlichtung und regionale Zusammenarbeit
ebenso einsetzen wie die konkrete Perspektive einer schrittweisen
Annäherung der Betroffenen an die euro-atlantischen Strukturen.
(Beifall bei der FDP)
Einen entsprechenden ausführlichen
Entschließungsantrag haben wir Freien Demokraten heute
vorgelegt. Ich appelliere an die Regierungsfraktionen, diesen
Vorschlag nicht nur einfach deshalb abzulehnen, weil er nicht aus den
Reihen der Regierungsparteien kommt. So wie wir hier zur
überparteilichen Zusammenarbeit bereit sind, sollten aus unserer
Sicht auch Sie bei diesem per spektivischen strategischen
Lösungsansatz dazu bereit sein.
(Beifall bei der FDP)
Herr Bundeskanzler, Sie haben zugesagt,
dass Sie im Interesse der Sicherheit unserer Soldaten vor Ort keine
Deckelung bei den bisher eingesetzten Mitteln vornehmen werden. Wenn
der Einsatz vor Ort und die Sicherheit unserer Soldaten mehr
finanzielle Mittel erfordern, dann werden diese Mittel auch zur
Verfügung gestellt. Allein die Tatsache, dass man darüber
sprechen muss, ist ein bemerkenswerter Punkt.
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das kann
man wohl sagen!)
Ich habe Ihnen, Herr Bundeskanzler,
zugestimmt, als Sie gesagt haben, die Außen- und
Sicherheitspolitik sei Staatsräson. Aber auch die Ausstattung
und die Handlungsfähigkeit der Bundeswehr ist Staatsräson.
(Beifall bei der FDP und der
CDU/CSU)
Deswegen ist wirklich bemerkenswert,
was Frau Müller gleich zu Beginn ihrer Rede gesagt hat. Frau
Kollegin, das war wirklich eine freudsche Fehlleistung. Sie sagten,
es gehe nicht um die Ausstattung der Bundeswehr, sondern um eine sehr
ernste Frage. Wir finden, die Ausstattung der Bundeswehr ist eine
sehr ernste Frage.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU
-
Kerstin Müller [Köln]
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darüber stimmen wir heute
nicht ab!)
Das ist genau das Problem. Deswegen
sind wir in keiner Weise bereit, uns für diese Regierungspolitik
einzusetzen, sondern wir werden sie an jeder Stelle klar kritisieren
und unsere Kritik auch kenntlich machen. Es ist nicht in Ordnung,
dass der Außenminister trotz der Mazedonien-Frage den ganzen
Sommer weg getaucht ist, der Verteidigungsminister schwimmt und die
Bundeswehr baden geht. Das ist nicht vernünftig, meine Damen und
Herren.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU
sowie bei Abgeordneten der PDS)
Weil zur Bündnispolitik und zur
Staatsräson auch die Handlungsfähigkeit der Bundeswehr
zählt, sagen wir: Die Themen Ausstattung der Bundeswehr und
Handlungsfähigkeit der Bundeswehr im internationalen Bündnis
bleiben in jedem Fall eine Aufgabe und sie bleiben in der Diskussion.
Diese Diskussion wird Sie bis zur Bundestagswahl nicht verlassen;
dafür werden wir sorgen. Deswegen, Herr Bundeskanzler, helfen
wir Ihnen heute mit den Stimmen der FDP nicht aus der Patsche,
sondern wir helfen den Menschen in Mazedonien und geben Rückendeckung
für unsere Soldaten vor Ort.
(Beifall bei der FDP sowie bei
Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle: Plenarprotokoll
des Deutschen Bundestages vom 29.08.2001
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