Bundestagsdebatte über den
Bundeswehr- und NATO-Einsatz in Mazedonien am 29.09.2001 (Auszug
aufbereitet von GLASNOST)
Anlage 27
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Harald Friese, Klaus
Barthel (Starnberg), Peter Dreßen, Konrad Gilges,
Wolfgang Grotthaus, Christine Lehder,
Christa Lörcher, Götz-Peter Lohmann (Neubrandenburg), Dr.
Christine Lucyga, Adolf Ostertag, Renate Rennebach, Bernd Reuter,
René Röspel, Gudrun Roos, Dr. Hansjörg Schäfer,
Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk, Rüdiger Veit, Dr. Konstanze Wegner,
und Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zur Abstimmung über
die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem
Antrag der Bundesregierung auf Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an dem NATO-geführten Einsatz auf
mazedonischem Territorium zum Einsammeln und Zerstören der
Waffen, die durch die ethnisch albanischen bewaffneten Gruppen
freiwillig abgegeben werden (Drucksache 14/6835)
Aus folgenden Gründen lehnen wir
den Antrag der Bundesregierung, Bundeswehrsoldaten im Auftrag der
NATO nach Mazedonien zu entsenden, ab:
Erstens. Deutsche Außenpolitik
muss Friedenspolitik sein. Die Entsendung von Soldaten nach
Mazedonien wird diesem Ziel nicht gerecht. Die Gründe für
eine solche Entscheidung beruhen auf dem Irrtum, dass ethnische
Konflikte mit militärischen Mitteln gelöst werden können.
Dahinter steht der Primat von politisch-militärischem
Sicherheitsdenken. Ziel muss aber eine politische Lösung des
Mazedonien-Konfliktes ohne militärische Eskalation sein.
Zweitens. Als Konfliktschlichter ist
die NATO ungeeignet. Sie besitzt in Mazedonien kein Vertrauen, da sie
die kosovo-albanische UCK unterstützte, deren Entwaffnung nicht
durchsetzte und trotz KFOR-Präsenz den Waffeneinsatz der UCK in
Serbien und Mazedonien nicht verhinderte.
Drittens. Der geplante NATO-Einsatz ist
widersprüchlich. Wenn die UCK bereit ist, freiwillig ihre Waffen
abzugeben, bedarf es nicht der NATO, die Waffen einzusammeln. Wird
jedoch die NATO gebraucht, dann nicht für den begrenzten Zweck
des Waffeneinsammelns und über eine Dauer von 30 Tagen hinaus.
Viertens. Die internationale Politik
darf nicht in eine Gewaltfalle laufen, die Parallelen zur Eskalation
im Kosovo aufweist. Es steht zu befürchten, dass sich der
Auftrag für eine NATO-Eingreiftruppe nicht auf das Einsammeln
von Waffen beschränken lässt, sondern die aktive
Verhinderung der Wiederaufnahme von Kampfhandlungen einschließt.
Dafür reichen aber 3 000 Soldaten nicht aus.
Wir befürchten, dass eine erneute
massive Militärintervention der NATO auf dem Balkan, deren
Verlauf und Ergebnis nicht vorhersehbar sind, eine weitere
Destabilisierung der Region bewirkt.
Fünftens. Bisher wurde nicht
infrage gestellt, dass der Kosovo-Krieg ein einmaliges Ereignis war,
das sich nicht wiederholen dürfe. Wir befürchten, dass sich
bei einer Zustimmung zur Entsendung weiterer Soldaten ein solcher
Krieg wiederholt.
Sechstens. Wir sind der Auffassung,
dass ein erneuter Alleingang der NATO die Autorität der UN
beschädigt und deren Anspruch auf weltweite Friedenssicherung
aushöhlt. Ziel deutscher Außenpolitik muss es aber sein,
die Autorität der UN und deren Friedenssicherungsfunktion zu
erhalten und zu stärken.
Siebtens. Wir haben grundsätzliche
Zweifel an der Überlegenheit eines militärischen
Instrumentariums gegenüber dem politischen Instrumentarium zur
Krisenbewältigung und Konfliktlösung.
Achtens. Wir sind der festen
Überzeugung, dass der Konflikt in Mazedonien nur mit friedlichen
Mitteln unter Einbeziehung der UN und der OSZE gelöst werden
kann. Dazu müssen UN und OSZE den Auftrag erhalten sowie die
entsprechenden Mittel zur Verfügung gestellt werden, die zu
einer friedlichen Lösung des Konflikts notwendig sind.
Außenpolitik als Friedenspolitik hat für uns Vorrang vor
dem Einsatz militärischer Mittel.
Die Möglichkeiten der Einwirkung
auf beide Konfliktparteien unterhalb der Ebene physischen Zwangs sind
noch längst nicht ausgeschöpft. Der Not leidende Kleinstaat
Mazedonien ist auf ökonomische Hilfe von außen angewiesen
und kann zu einer Minioritätenpolitik, die internationalen
Standards entspricht, mittels einer Kombination von Anreizen und
Druck bewegt werden. Die militanten albanischen Kräfte haben
ihre materielle Basis im Einflussbereich der internationalen
Gemeinschaft: im Kosovo, in Albanien und in einzelnen
Diaspora-Ländern. Dort die Alimentierung des Bürgerkriegs
wirksam zu unterbrechen ist eine bisher höchst unzureichend
genutzte Option.
Erforderlich ist deshalb ein
langfristig angelegtes politisches und wirtschaftliches Konzept, um
der Region eine Perspektive für Frieden, Freiheit und Wohlstand
zu geben. Ein richtiger Ansatz ist der von der EU entwickelte
Stabilitätspakt für den Balkan. Dieser Stabilitätspakt
ist fortzuentwickeln.
Quelle: Plenarprotokoll
des Deutschen Bundestages vom 29.08.2001
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