Bundestagsdebatte über den
Bundeswehr- und NATO-Einsatz in Mazedonien am 29.09.2001 (Auszug
aufbereitet von GLASNOST)
Präsident Wolfgang Thierse: Ich
erteile dem Kollegen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Friedrich Merz (CDU/CSU): Herr
Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr
Bundeskanzler, Sie haben mit großem Nachdruck und fast schon
beeindruckend
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]:
Warum "fast"?)
auf die große gesamteuropäische
Bedeutung dieses Engagements in Mazedonien hingewiesen. Wir teilen
die Bewertung. Offen geblieben ist für mich allerdings der
deutsche Anteil, den Sie daran haben, eine überzeugende
politische Konzeption für Südosteuropa zu formulieren. Das
ist bei dem, was Sie vorgetragen haben, im Dunkeln geblieben.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Auch wir sagen: Es ist sicherlich
grundsätzlich richtig und nachhaltig zu begrüßen,
dass die Europäische Union und die NATO die Chance zum Frieden
in Mazedonien sehen und mithelfen wollen, einen weiteren Bürgerkrieg
auf dem Balkan zu verhindern; einen Bürgerkrieg, der ganz ohne
Zweifel unabsehbare Auswirkungen und Folgen für die Stabilität
nicht nur in der Region, sondern in ganz Europa hätte. Von
besonderem Wert ist dabei ohne Zweifel, dass die NATO und die
Europäische Union erstmals gemeinsam ein Friedenskonzept
schlüssig entwickelt und bis heute verwirklicht haben. Bis heute
konnte der Bürgerkrieg in Mazedonien dank des Einsatzes der
Europäischen Union und der NATO vermieden werden.
Die Bundesregierung aber hat einem
NATO-Mandat zugestimmt, das sie selbst ganz offensichtlich nicht für
glaubwürdig hält. Kaum jemand in der NATO, geschweige denn
die Konfliktparteien in Mazedonien selbst, glauben wirklich, dass mit
der Operation, die jetzt beginnt, die Rebellen dauerhaft entwaffnet
werden. Für die Rebellen wird es auch nach den 30 Tagen aller
Voraussicht nach militärische Optionen geben.
Wir hoffen deshalb, dass wir nicht
schon in wenigen Tagen oder Wochen die Frage stellen müssen, was
angesichts einer Verschärfung und einem möglichen
Zusammenbruch des Friedensprozesses zu tun ist. Die Devise - Sie
vermitteln sie mit dem, was Sie der Öffentlichkeit sagen -, die
Soldaten im Zweifel abzuziehen, wird dann vermutlich niemand
ernsthaft vorschlagen können. Der Schaden für das Bündnis
wäre nicht wieder gutzumachen. Die Signalwirkung für
Bosnien und den Kosovo wäre verheerend.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Nun wissen wir alle, dass der Deutsche
Bundestag ein von der NATO beschlossenes Mandat nicht nachträglich
abändern kann. Gerade deshalb hätten wir erwartet, dass die
Bundesregierung ihr Gewicht in der NATO nutzt, um ein besseres Mandat
zu erreichen. Es ist nämlich eine Frage der außen- und
sicherheitspolitischen Führungsfähigkeit, ob ein Land von
der Bedeutung der Bundesrepublik Deutschland in der Lage ist, die
eigenen Bedenken nicht nur zu Hause zu formulieren, sondern auch die
Gründe für die Bedenken im Bündnis von vornherein zu
beseitigen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Herr Bundeskanzler, die frühere
unionsgeführte Bundesregierung hat diese Kraft immer wieder
unter Beweis gestellt. Sie hat Deutschlands Einfluss im Bündnis
und in der Europäischen Union - zum Teil gegen Ihren erbitterten
Widerstand - nachhaltig gestärkt.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Es sind die alte Bundesregierung und
unsere Bundestagsfraktion gewesen, die dafür gesorgt haben, dass
solche Auslandseinsätze der Bundeswehr überhaupt erst
möglich werden. Heute ist es nicht die Opposition, sondern es
ist die Politik der rot-grünen Bundesregierung, die die
Zuverlässigkeit Deutschlands als Bündnispartner infrage
stellt.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die Politik der rot-grünen
Bundesregierung - das kam, Herr Bundeskanzler, heute auch in Ihrem
Beitrag zum Ausdruck - ist voller Widersprüche. Ich will nur
zwei Beispiele nennen: Bei der informellen Truppenstellerkonferenz
der NATO Mitte Juli, als es um die Frage ging, wer welche Kontingente
für das zu beschließende Mandat stellt, hat die
Bundesrepublik Deutschland bis zum Fristablauf nichts gemeldet. Zum
selben Zeitpunkt haben Sie in der "Frankfurter Allgemeinen
Zeitung" verkündet: Deutschland darf nicht abseits stehen.
- Warum machen Sie so etwas? Markige Worte statt praktische
Bündnissolidarität ist unseren Bündnispartnern nicht
zu vermitteln.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei
Abgeordneten der FDP)
Ich will ein zweites Beispiel nennen:
Als das NATO-Konzept gebilligt wurde, erhob die Bundesregierung
zumindest keine Einwände. Wir wissen zwar nicht, was in Brüssel
besprochen worden ist; aber Einwände haben Sie offen kundig
nicht erhoben. Dafür haben Sie das Konzept dann in Deutschland
infrage gestellt. Sie sind es doch gewesen - es war schon ein
bemerkenswertes Stück, das Sie abgeliefert haben -, der nach der
Formulierung des Mandates von der Notwendigkeit eines robusteren
Mandates gesprochen hat. Das war doch nicht die Opposition im
Deutschen Bundestag, sondern es waren Sie selbst, Herr Bundeskanzler,
der diese Notwendigkeit formuliert hat.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Auch Ihr Verteidigungsminister hat noch am 16. August
- eine der wenigen politischen Aussagen, die man im Sommer von ihm gehört
hat - ein robusteres Mandat verlangt. Nun kann man ja darüber streiten,
ob ein robusteres Mandat notwendig gewesen wäre. Was ist eigentlich da
runter zu verstehen? Wenn Sie hier sagen, ein robustes Mandat sei jetzt in der
Weise gegeben, dass die Truppen die Fähigkeit haben, ohne fremde Hilfe
den Rückzug anzutreten und sich selbst zu schützen, dann muss ich
Ihnen sagen: Das ist doch eine bare Selbstverständlichkeit, dass man Truppen
nur dann in den Einsatz schickt, wenn sie sich selbst schützen können
und die Kraft zum Rückzug ohne fremde Hilfe besitzen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Robuster wäre das Mandat
vielleicht gewesen, wenn ein unbegrenztes Nothilferecht auch für
Dritte - das heißt, nicht nur für Soldaten und für
Hilfspersonen internationaler Hilfsorganisationen, sondern auch für
betroffene Bürger an Ort und Stelle - bezüglich Übergriffen
und möglichen Massakern formuliert worden wäre.
(Michael Glos [CDU/CSU]: Das ist das
Mindeste!)
Was Sie im Laufe des heutigen Tages in
den Ausschüssen versucht haben, bezüglich der Taschenkarten
der deutschen Soldaten nachzuholen, ist doch offenkundig nicht von
dem gedeckt, was in der NATO beschlossen worden ist und was die
Einsatzgrundsätze und die Belehrungen der Soldaten ausmachen.
(Michael Glos [CDU/CSU]: Herr
Fischer hat es uns am Donnerstag anders gesagt!)
Das wäre ein robusteres Mandat
gewesen, Herr Bundeskanzler.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Sie haben völlig zu Recht darauf
hingewiesen, dass die militärische Lösung des Problems
sicherlich nur ein kleiner Ausschnitt aus dem ist, was politisch
notwendig ist, um eine dauerhafte Friedensordnung für den Balkan
zu formulieren. Herr Bundeskanzler und Herr Außenminister, Sie
haben heute Morgen in Ihren Beiträgen zu Recht von der
Geberkonferenz gesprochen, die im September beginnen muss. Wenn es
aber so wichtig ist, dass es eine Geberkonferenz gibt: Warum kürzen
Sie dann im Haushalt der Bundesrepublik Deutschland den
Entwicklungshilfeetat und warum kürzen Sie die Ausgaben für
den Stabilitätspakt auf dem Balkan auf Null, sodass kein
einziges neues Projekt begonnen werden kann? Darüber haben wir
uns zwar nicht heute zu unterhalten; aber in den Haushaltsberatungen
im September und im November wird es eine Rolle spielen müssen,
Herr Bundeskanzler.
(Beifall bei der CDU/CSU und der
FDP)
Wir haben mehrfach darauf hingewiesen,
dass die Lösung des Problems auf dem Balkan sicherlich nicht
darin bestehen kann, Frieden nur mit Waffen zu schaffen.
Herr Bundeskanzler, wir begrüßen,
dass Sie bereit sind, mehr Mittel für die Bundeswehr zur
Verfügung zu stellen, als Sie ursprünglich vorhatten. Unser
Ziel war von Anfang an, mehr Sicherheit für unsere Soldaten zu
erreichen und die bei der Bundeswehr bestehenden Ausrüstungsmängel
wenigstens teilweise zu beseitigen. Statt der von Ihnen und Ihrer
Regierung zunächst geplanten 15 Millionen DM an reinen
Stationierungs- und Aufenthaltskosten stehen jetzt zusätzlich
148 Millionen DM zur kurzfristigen Verbesserung der Ausrüstung
zur Verfügung.
(Lachen bei Abgeordneten der SPD)
Entschuldigung, Sie selbst haben das
doch heute im Haushaltsausschuss mit beschlossen. Warum lachen Sie
darüber?
(Dr. Peter Struck [SPD]: Sie können
nicht rechnen!)
Wenn Sie das für unzureichend
ansehen, dann machen Sie Vorschläge für weitere
Verbesserungen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Was jetzt beschlossen worden ist, das
ist doch eine wesentliche Verbesserung für die Soldaten der
Bundeswehr. Die Verbesserung beginnt sofort und nicht erst, wie
geplant, im Jahr 2003 mit der für den Schutz der Soldaten
notwendigen Nachrüstung der Marder-Panzer mit Minenschutz. Wir
wissen aber gleichzeitig: Die Finanz- und Ausrüstungskrise der
Bundeswehr ist damit nicht überwunden. Aber eines ist zusätzlich
erreicht worden: Die dramatische Unterfinanzierung der Bundeswehr -
eines ihrer großen Probleme -, die die Bundesregierung unter
Ihrer Führung, Herr Bundeskanzler, zu verantworten hat und die
dazu führt, dass sie sich im Bündnis zunehmend sehr
kritischen Fragen ausgesetzt sieht, ist mit der Diskussion in den
vergangenen Wochen nachhaltig ins Bewusstsein der Öffentlichkeit
in Deutschland gerückt worden.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Herr Bundeskanzler, Ihre Zugeständnisse
der letzten Tage bestätigen, dass es Defizite bei der
Ausstattung gibt, die für Einsätze auf dem Balkan und für
die Sicherheit unserer Soldaten von Bedeutung sind. Ganz konkret:
Aufgrund der heutigen Bundeswehrstruktur und des personellen Bedarfs
auf dem Balkan werden manche Einheiten und einzelne Soldaten, anders
als von Ihnen und Ihrer Regierung immer zugesagt, häufiger als
alle zwei Jahre eingesetzt. Das betrifft Ärzte,
Fernmeldetechniker, Pioniere und Feldjäger, also etwa ein
Viertel der dort stationierten Kräfte.
Auch und gerade deshalb bleiben wir
dabei: Immer mehr Einsätze und immer weniger Geld - das passt
nicht zusammen, Herr Bundeskanzler. Wir brauchen eine grundlegende
Verbesserung der mittelfristigen Finanzplanung für die
Bundeswehr. Nur so werden wir wirklich wieder bündnis- und
europafähig in dem Sinne, wie Sie es auch in Ihrer Rede hier
richtigerweise zum Ausdruck gebracht haben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei
Abgeordneten der FDP)
Nur so können wir unseren Soldaten
und den zivilen Mitarbeitern der Bundes wehr wieder bieten, worauf
sie Anspruch haben, nämlich eine gesicherte Lebensplanung und
eine bestmögliche Ausbildung und Ausrüstung.
Vor diesem Hintergrund haben wir uns
die Entscheidung, die wir heute zu treffen haben und die wir in den
letzten Tagen und Wochen intensiv diskutiert haben, wahrlich nicht
leicht gemacht. Viel steht bei diesem Einsatz auf dem Spiel: zuerst
die Sicherheit unserer Soldaten, aber auch die Autorität und die
Zukunft der Nordatlan tischen Allianz genauso wie ein hoffnungsvoll
begonnener Friedensprozess auf dem Balkan.
Es bleiben für uns schwerwiegende
Bedenken. Gleichwohl haben wir unserer Fraktion empfohlen, heute dem
Einsatz der NATO und der Bundeswehr in Mazedonien zuzustimmen. Es
gehört zu der gerade von den Unionsparteien maßgeblich
mitgeprägten Sicherheits- und Außenpolitik - ja, es gehört
für uns zur Kultur der Politik in unserem Land -, dass Einsätze
der Bundeswehr, wenn irgendwie möglich, von einer breiten,
parteiübergreifenden Mehrheit im Deutschen Bundestag getragen
werden.
(Beifall bei Abgeordneten der
CDU/CSU)
Das ist für die Soldaten, die
aufmerksam zuhören, was wir heute zu debattieren haben, von
großer Bedeutung. Das ist aber auch für den Wert deutscher
Außen- und Sicherheitspolitik von großer Bedeutung.
Durch die finanziellen Zugeständnisse
der Bundesregierung sind für unsere Soldaten Sicherheitsrisiken
jetzt so weit wie möglich minimiert worden. Jetzt geht es um die
parlamentarische Rückendeckung für die Soldaten im Einsatz.
Wir können den Soldaten auch von dieser Stelle aus guten
Gewissens sagen, alles, was notwendig war, für sie getan zu
haben. Jetzt geht es um deutsche, nicht um rot-grüne Solidarität
im Bündnis.
(Beifall bei Abgeordneten der
CDU/CSU sowie des Abg. Ulrich Irmer [FDP])
Weil das so ist und weil wir auch in
der Opposition Verantwortung für das An sehen und die
Handlungsfähigkeit unseres Landes empfinden, kann die Mehrheit
unserer Fraktion dem Antrag der Bundesregierung heute - wenn auch
nicht ohne Vorbehalte und Bedenken zustimmen.
Ich bedanke mich.
(Beifall der CDU/CSU sowie des Abg.
Ulrich Irmer [FDP] und des Abg. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig [FDP])
Quelle: Plenarprotokoll
des Deutschen Bundestages vom 29.08.2001
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