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Bundestagsdebatte über den Bundeswehr- und NATO-Einsatz in Mazedonien am 29.09.2001
(Auszug aufbereitet von GLASNOST)


Präsident Wolfgang Thierse: Nun hat Kollege Gregor Gysi, PDS-Fraktion, das Wort.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Viele Grüße von Milosevic!)

Dr. Gregor Gysi (PDS): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Westerwelle, dem Vorschlag der FDP zur Einberufung einer Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit gerade für den Balkanraum, den es ja auch schon früher von anderer Seite gab, werden wir auf jeden Fall zustimmen, weil auch wir glauben, dass wir endlich zu politischen, ökonomischen und sozialen Wohlfahrtslösungen in der Region kommen müssen, wenn wir hier Stabilität erreichen wollen. Militärische Lösungen wird es letztlich nicht geben.

Im Unterschied zu Ihnen werden wir allerdings dem Antrag der Bundesregierung aus verschiedenen Gründen nicht zustimmen können. Ich kann auch nicht akzeptieren, Kollege Struck, wenn Sie sagen, es gebe nur die Möglichkeit, entweder diesem Antrag zuzustimmen oder aber sich mit dem Bürgerkrieg ab zufinden. Ich glaube, dass alle Kolleginnen und Kollegen im Hause, die gegen den Antrag stimmen, nicht akzeptieren, dass sie deshalb indirekt für einen Bürgerkrieg stimmen.

(Beifall bei der PDS)

Es ist letztlich ja auch eine Frage der Zuständigkeit. Deshalb ist die Frage des UN-Mandats keine Nebensache und man kann das nicht so wegwischen. So gut wie kaum jemand hat über die UNO gesprochen. Nach der Charta der Vereinten Nationen ist dieser Fall von Entwaffnung, von Verhinderung oder auch Beendigung von Bürgerkrieg geradezu ein klassischer Fall für ein UNO-Mandat.

(Beifall bei der PDS)

Der NATO-Vertrag sieht dergleichen nicht vor. Es ist eine Verletzung des NATO-Vertrages, weil im NATO-Vertrag als einzige Aufgabe für militärische Einsätze die Verteidigung des Bündnisgebietes formuliert ist. Darüber setzt man sich einfach hinweg. Es ist deshalb die Fortsetzung der Verdrängung der UNO aus Europa, um hier selbstmandatiert, allein und ohne die UNO handeln zu können.

(Dr. Peter Struck [SPD]: Unsinn! - Gernot Erler [SPD]: Warum sieht das denn die UNO anders?)

Diesen Weg gehen wir nicht mit.


(Beifall bei der PDS)


In diesem Falle wäre nicht einmal die Inanspruchnahme eines Vetorechts zu befürchten gewesen. Die Tatsache, dass die Streitseiten sich an die NATO gewandt haben, ist überhaupt kein Argument. Darauf kann man antworten: Zuständig ist die UNO; wir bitten Sie, sich an die UNO zu wenden,

(Dr. Peter Struck [SPD]: Das kann doch nicht wahr sein!)

und wir werden Sie dort auch unterstützen. Aber genau das haben Sie nicht getan, weil nämlich die USA, Frankreich und Großbritannien das nicht wollten. Die UNO hat dem nicht zugestimmt.

Präsident Wolfgang Thierse: Kollege Gysi, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lippelt?

Dr. Gregor Gysi (PDS): Ja, bitte.

Dr. Helmut Lippelt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Gysi, hat Ihnen Ihr Kollege, der Ihre Fraktion im Europaausschuss vertreten hat, von der Antwort berichtet, die der mazedonische Verteidigungsminister auf genau diese Frage - warum habt ihr nicht die UNO gewollt? - gegeben hat? Hat er Ihnen erzählt, warum sie sehr deutlich gesagt haben, weshalb sie die NATO gefragt haben? Hat er Ihnen erzählt, dass er sehr genau weiß, dass der UNO-Sicherheitsrat genau dieses bestätigt hat und dabei ausdrücklich auch die NATO erwähnt hat? Hat er Ihnen das nicht erzählt, sodass Sie hier so einen Unsinn reden können?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Dr. Gregor Gysi (PDS): Lieber Herr Lippelt, auch Sie kennen den Unterschied zwischen einem Gespräch mit Kofi Annan, einem Schreiben des Präsidenten des Weltsicherheitsrates und einem Sicherheitsratsbeschluss, der ein Mandat darstellt. Dazwischen liegen Welten. Das wissen Sie ganz genau.

(Beifall bei der PDS)

Sie haben dem mazedonischen Außenminister und dem mazedonischen Verteidigungsminister schon so viel vorgeschrieben, dass es überhaupt kein Problem gewesen wäre, ihn an das zuständige Organ zu überweisen. Das Problem ist doch in Wirklichkeit, dass die USA, Großbritannien und Frankreich die UNO gar nicht eingeschaltet sehen wollten, weil sie die NATO zum eigentlichen Ordnungsfaktor zumindest Europas erklären wollten. Das ist unsere Kritik daran.

(Beifall bei der PDS)

Gerade die Ausschaltung der UNO wurde beim Jugoslawienkrieg als große einmalige Ausnahme dargestellt. Ich habe - wie übrigens auch einige Abgeordnete von SPD und Grünen, wie die Erklärungen zeigen - die Befürchtung, dass es jetzt eben doch zur Regel wird, die UNO auszuschalten. Ich sage immer: Man zerstört keine Weltordnung, wenn man keine bessere anzubieten hat. Eine unipolare Welt, in der allein eine Großmacht entscheidet, ist eben nicht das, was wir anstreben.

(Beifall bei der PDS)

Sie argumentieren deshalb auch gar nicht erst mit dem NATO-Vertrag, weil Sie wissen, dass das durch diesen Vertrag nicht gedeckt ist.

Nun kommen wir zur NATO und damit zu den KFOR-Truppen im Kosovo. Es gibt ja einen Sicherheitsratsbeschluss über die Aufgaben der KFOR-Truppen im Kosovo. Warum erwähnt hier eigentlich niemand von den Befürwortern das Scheitern bei der Erfüllung dieser Aufgabe in Bezug auf die UCK? Im Sicherheitsratsbeschluss steht: Die UCK ist aufzulösen und zu entwaffnen. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe hat die NATO im Kosovo doch eindeutig versagt; sonst hätten wir dieses Problem in Mazedonien heute überhaupt nicht.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Damals wurde erklärt, die Aufgabe sei erfüllt. Das war doch offensichtlich falsch. Die NATO und die KFOR-Truppen hätten auch nie zulassen dürfen, dass so viele UCK-Leute mit Waffen die Grenze zwischen dem Kosovo und Mazedonien passieren.

(Beifall bei der PDS)

Ich behaupte also: Die NATO ist schon einmal bei der Realisierung eines Sicherheitsratsbeschlusses zur Entwaffnung der UCK gescheitert. Letztlich ist die UCK stärker und besser bewaffnet aus diesem Vorgang hervorgegangen.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb ist es auch falsch, Frau Müller, wenn Sie sagen, die NATO dürfe nicht Partei ergreifen und das täte sie, wenn sie gegen den Willen von UCK-Leuten entwaffne. Ich darf Sie darauf hinweisen, dass es der Auftrag der KFOR-Truppen im Kosovo war, auch gegen den Willen der betreffenden Seite zu entwaffnen.

(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Mazedonien haben wir kein Protektorat!)

Er ist nicht erfüllt worden. Weil die Waffen der UCK von der NATO kommen und weil das Geld dafür zu einem großen Teil aus Deutschland und der Schweiz kam, ist die NATO ohnehin parteiisch.

(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht in Mazedonien!)

Das wird sie in Bezug auf die UCK auch nicht mehr los.


(Beifall bei der PDS)


Sie, Herr Außenminister, haben einmal erklärt, dass Mazedonien ein ethnisch vorbildliches Land sei. Davon kann ja nun, wie sich später herausgestellt hat, auch keine Rede mehr sein. Jetzt erst geht es um die Durchsetzung und den Schutz von Minderheitenrechten in Mazedonien. Deshalb sage ich: Es wäre eine klassische Aufgabe der UNO, auch was die Entwaffnung betrifft.

Aber wir haben auch Probleme mit dem Gegenstand. Da ähneln sich natürlich gewisse Argumente aus den Reihen der FDP oder anderer Oppositionsfraktionen. Was ist denn nun die Aufgabe? Wenn es wirklich nur darum geht, freiwillig abgegebene Waffen aufzusammeln, dann stimmt dieser ganze Beschluss in sich nicht. Dann hätte man nämlich mit der UCK auch vereinbaren können, dass sie die Waffen an der Grenze zum Kosovo bei den KFOR-Truppen abgibt. Dann hätte man nicht 3500 Soldaten in Mazedonien einmarschieren lassen müssen. Wenn es aber doch darum ginge, auch Leute zu entwaffnen, die sich dagegen wehren, dann wäre der Auftrag ein völlig anderer. Dann müsste man sich auch über einen völlig anderen Auftrag verständigen und könnte nicht so tun, als ob das Ganze in 30 Tagen zu erledigen wäre.

Deshalb ist auch das Mandat mit so vielen Fragezeichen verbunden; denn man weiß letztlich gar nicht, was der eigentliche Gegenstand ist. Nur für das Einsammeln von 3300 Waffen - wie Sie, Frau Müller, sagen - brauchen Sie doch nicht 3500 Soldaten. Das ist ja weniger als eine Waffe pro Soldat.

(Beifall bei der PDS)


Das stimmt doch vorne und hinten nicht. Die NATO spricht von 6000 Waffen. Die mazedonische Regierung spricht von 60000 bis 85000 Waffen. Nicht ein mal diesbezüglich herrscht Klarheit. Es wäre doch das Mindeste, dass man wenigstens weiß, um wie viele Waffen es eigentlich geht, die dort eingesammelt werden sollen. Insofern ist auch inhaltlich, also was den Gegenstand des Mandats betrifft, größte Kritik angebracht.

Wir sehen natürlich die Gefahr, dass daraus ein dauerhafter Einsatz wird, nach Bosnien-Herzegowina, nach dem Kosovo ein neues Protektorat dann auch in Mazedonien.

Ich weiß nicht und offensichtlich wissen auch Sie nicht, wie es dann weitergehen soll. Wenn die UCK nicht wirklich entwaffnet wird -

(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht vollständig!

Sie haben ja gerade angekündigt, dass das nicht passieren wird, weil wirklich nur die freiwillig abgegebenen Waffen entgegengenommen werden -, dann heißt das natürlich im Klartext: Es bleibt eine stark bewaffnete UCK übrig, die sich wiederum darauf verlassen kann, irgendwoher Geld und Waffen zu bekommen; es wird weiter aufgerüstet und wir werden keinen Frieden in dieser Region bekommen.

Meine größte Sorge ist, dass wir jetzt einen Appell vorbringen, vielleicht auch eine Gesetzesänderung in Mazedonien erreichen, aber keinen wirklichen Frieden in dieser Region, schon gar nicht auf diesem Wege. Das geht eben nicht, wenn man UNO und auch KSZE ausschaltet und im Wesentlichen allein die NATO machen lässt.

(Beifall bei der PDS)

Hier haben wir einfach einen prinzipiell anderen Ansatz; das müssen Sie verstehen.

Ich will noch die Bitte an Sie richten, über Folgendes nachzudenken. Die PKK empfindet sich auch als eine zur Waffengewalt neigende Befreiungsbewegung. Die Botschaft, die wir heute an sie richten, lautet: Ihr müsst nur stark genug sein; dann werdet ihr Verhandlungspartner, dann beziehen wir euch ein und halten Konferenzen mit euch ab. Solange ihr schwach seid, werdet ihr in Deutschland verboten; anderenfalls gibt es sogar Geld und ihr werdet als Partner akzeptiert.

Die Maßstäbe müssen irgendwann wieder angeglichen werden. Ich habe noch nie gehört, dass zu irgendeinem Zeitpunkt - wenigstens nachdem der Sicherheitsrat die Auflösung und Entwaffnung der UCK beschlossen hatte und dies geltendes Völkerrecht war, hätte das geschehen müssen - die Gewaltanwendung durch die UCK deutlich und scharf verurteilt worden wäre. Auch dass es nicht gelungen ist, den Kosovo multiethnisch zu erhalten, weil es der UCK gelungen ist, die überwiegende Zahl der Roma und Serben aus dem Kosovo zu vertreiben, hätte viel deutlichere Kritik finden müssen.

(Beifall bei der PDS)

Deshalb sage ich Ihnen: Wir gehen davon aus, dass endlich Politik, Wirtschaft und soziale Wohlfahrt an die Stelle von militärischen Lösungen treten müssen und die indirekte und direkte Unterstützung der UCK aufhören müssen, wenn man Frieden in dieser Region schaffen will.

(Beifall bei der PDS - Gernot Erler [SPD]: So kommt kein Frieden! - Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: So bestimmt nicht!)


Quelle: Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages vom 29.08.2001




 




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