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Bundestagsdebatte über den
Bundeswehr- und NATO-Einsatz in Mazedonien am 29.09.2001 (Auszug
aufbereitet von GLASNOST)
Anlage 25
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Annelie Buntenbach,
Winfried Hermann, Steffi Lemke, Irmingard Schewe-Gerigk, Christian
Simmert, Hans-Christian Ströbele und Sylvia Voß (alle
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die
Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag
der Bundesregierung auf Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an dem NATO-geführten Einsatz auf
mazedonischem Territorium zum Einsammeln und Zerstören der
Waffen, die durch die ethnisch albanischen bewaffneten Gruppen
freiwillig abgegeben werden (Drucksache 14/6835)
Wir stimmen dem Antrag der
Bundesregierung nicht zu, weil die Politik der NATO in der Region
gegenüber der UCK weder schlüssig noch glaubwürdig
ist, weil sie mit hohen politischen und militärischen Risiken
behaftet ist, weil wir die Gefahr sehen, dass sich aus diesem zu
nächst begrenzten Mandat der dritte dauerhafte NATO-Einsatz auf
dem Balkan entwickeln kann.
An der Notwendigkeit einer Entwaffnung
der UCK haben wir keinen Zweifel, aber mit diesem Mandat wird sie
nicht effektiv vollzogen. Eben dies ist aber Voraussetzung für
die Erfolgschancen des politischen Prozesses, der implementiert
werden soll - dabei geht es nicht um kleinlich-akribische
Aufrechnereien, sondern um das politische Verhältnis zur UCK und
damit einen der entscheidenden Punkte für die Chancen zur
Deeskalation in der Region.
Die klaffende Lücke zwischen der
Anzahl der nach verschiedensten Schätzungen im Besitz der UCK in
Mazedonien befindlichen Waffen und der Menge, die jetzt freiwillig
abgegeben wird, macht den dringend erforderlichen Politikwechsel
gegenüber der UCK wenig glaubwürdig, ebenso wenig ein
Verfahren, in dem lediglich mit der UCK eine Vereinbarung über
diese Zahl getroffen wird, aber dies nicht in Übereinstimmung
mit den mazedonischen Verhandlungspartnern geschieht. Die NATO muss
sich selbstkritisch mit der viel zu großen Nähe zur UCK
auseinander setzen, in die sie sich im Zusammenhang mit dem
Kosovokrieg begeben hat und daraus Konsequenzen ziehen - wer sich
seine Fehler nicht klar macht, läuft Gefahr, sie zu wiederholen.
Im Kosovo ist die Entwaffnung der UCK
nicht hinreichend umgesetzt worden. Ihre Führer konnten sich der
Unterstützung aus NATO und UNMIK sicher sein, obwohl
gleichzeitig bei der UCK die Fäden für die gewaltsame
ethnische Vertreibung nicht-albanischer Minderheiten aus dem Kosovo
zusammenliefen. Die militärische Eskalation in Mazedonien wurde
aus dem Kosovo heraus vorbereitet, einschließlich der
Waffentransporte und des Nachschubs. Dies hätte aus einem unter
internationaler Aufsicht stehenden Gebiet heraus niemals zugelassen
werden dürfen. Für die Zukunft müssen solche
Waffenlieferungen unterbunden werden, sonst wird eine Entwaffnung in
Mazedonien zur Farce. Ebenso muss eindeutig klar sein, dass für
den Fall erneuter militärischer Aktionen der
UCK-Nachfolgeorganisationen der Westen seine Unterstützung für
die entsprechenden Strukturen und ihre Repräsentanten beendet.
Das Risiko, dass die NATO in diesem
Einsatz durch die UCK für ihre Interessen instrumentalisiert
werden kann, ist hoch. Zum einen wird durch die NATO-Präsenz
praktisch eine Demarkationslinie zwischen Mehrheits- und
Minderheitsgebieten markiert - wenn es der UCK zurzeit nicht möglich
ist, die Grenzen zu verschieben, werden sie auf diese Weise zumindest
sichtbar. Damit besteht die Gefahr, dass mit einem Einsatz, der das
Ziel des Erhalts der territorialen Integrität Mazedoniens
formuliert, diese praktisch infrage gestellt werden kann. Zum andern
hat die UCK bekanntermaßen ein Interesse daran, die NATO
längerfristig im Land zu halten - ihre Möglichkeiten, die
Situation jederzeit wieder zu eskalieren, können der NATO große
Probleme bereiten. Das Scheitern einer Aktion einzugestehen, den
damit verbundenen Gesichtsverlust in Kauf zu nehmen könnte
gerade bei der ersten NATO-Aktion unter europäischem Oberbefehl
schwer fallen.
Schon jetzt wird in der Öffentlichkeit
über ein Folgemandat diskutiert, da kaum jemand die
30-Tage-Beschränkung für realistisch hält,
insbesondere nachdem der Einsatz in Bosnien bereits seit sechs Jahren
und der Einsatz im Kosovo seit zwei Jahren andauert. Als
Parlamentarier und Parlamentarierinnen stehen wir vor einer
Situation, in der wir über einen Einsatz abstimmen sollen,
dessen gegebenenfalls weitreichende Implikationen nicht klar sind,
sondern lediglich klar ist, dass es sie gibt. Dazu können wir
unsere Zustimmung nicht geben.
Wir halten die NATO nicht für die
richtige Institution, um Entwaffnung, Begleitung politischer
Deeskalationsprozesse und Peace-Keeping durchzuführen.
Stattdessen halten wir die Stärkung der UNO für dringend
geboten. Wir sind weiterhin der Meinung, dass derartige
Militäreinsätze auch eines formalen UN-Mandats bedürfen.
Militär ist in den letzten Jahren immer selbstverständlicheres
Mittel auch der bundesdeutschen Politik geworden. Während die
Militärausgaben dafür steigen, fehlt es an den
entsprechenden Mitteln für den sozialen und wirtschaftlichen
Aufbau ziviler Strukturen in der Region. Dies halten wir für
falsch.
Quelle: Plenarprotokoll
des Deutschen Bundestages vom 29.08.2001
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