Start  

quellen 

  

  Politik   

 


Bundestagsdebatte über den Bundeswehr- und NATO-Einsatz in Mazedonien am 29.09.2001
(Auszug aufbereitet von GLASNOST)



Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort dem Kollegen Wolfgang Gehrcke, PDS-Fraktion.


Wolfgang Gehrcke (PDS): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, der Bundestag muss in dieser Debatte zur Kernfrage, über die wir heute zu entscheiden haben, zurückkehren. Sie lautet: Sollen deutsche Soldaten nach Mazedonien geschickt werden, oder soll dieser Einsatz verweigert werden? Das ist die Entscheidung, die wir heute zu treffen haben. Dass wir als PDS-Fraktion uns nicht daran beteiligen werden, deutsche Soldaten nach Mazedonien zu entsenden, und die Zustimmung verweigern werden, werden Sie - zu Recht - erwartet haben.


(Beifall bei der PDS)


"Bedeutende Ernte" nennt die NATO den Militäreinsatz. Abgesehen von dem Zynismus, der in der Sprache zum Ausdruck kommt, muss man sich doch die Fragen stellen, wer hier welche Ernte in die Scheuer bringen will und welche Risiken, in weitere Militäraktionen hineingezogen zu werden, damit verbunden sind. Lassen Sie uns das näher untersuchen.


Die UCK will den NATO-Einsatz. Sie will für Mazedonien das Modell Kosovo, weil das für sie eine Option auf Macht oder zumindest auf Machtteilhabe ist. Die UCK ist nicht die albanische Bevölkerung. Die NATO würde hier mit einer extremistischen militärischen Organisation paktieren. Die UCK will die NATO im Land, und das länger als 30 Tage.


(Beifall bei der PDS)


Sie sieht in der NATO - das verschweigt sie gar nicht - ihren Partner und erwartet sich - um im Bild zu bleiben - reiche Ernte.


Ich will die Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages warnen und ihnen sagen: Der Schritt von einer Mission zu einer Intervention in Mazedonien ist ein ganz kleiner. Über dieses Risiko müssen wir uns hier klar sein. Die mazedonische Regierung will die NATO rasch wieder loswerden; die Signale kann man doch nicht überhören. Sie spürt die Einschränkung ihrer Souveränität und sieht die Gefahr, dass aus Mazedonien das wird, was aus dem Kosovo geworden ist, nämlich ein Protektorat.

Welche Interessen hat die NATO? Sie ist nicht der selbstlose Helfer, als der sie sich darstellt und als der sie dargestellt wird. Das wurde schon deutlich ausgeführt. Die NATO hat die Vereinten Nationen erneut erfolgreich ausgehebelt. Sie hat sich wieder selbst mandatiert. Darüber kann nicht hinweggeredet werden.


(Beifall bei der PDS)


Es gibt kein UNO-Mandat für die Militäraktion, auch wenn so getan wird, als gäbe es ein solches; die NATO hat dieses Mandat nicht gewollt. Herr Außenminister Fischer, das wissen Sie doch! Sprechen Sie es hier im Bundestag aus! Die Haltung der Bundesregierung war doch eine andere. Die NATO hat ein Mandat der Vereinten Nationen nicht gewollt. Es ist die NATO, die sich weiter als globale Ordnungsmacht etablieren will und die die neue NATO-Konzeption praktisch durchsetzt. Darüber kann man nicht hinwegreden.


NATO und NATO-Mitglieder haben die UCK aufgebaut, sie bewaffnet und kooperieren bis heute mit ihr. Die NATO ist also nicht neutral. Ein großer Teil der Waffen, die in Mazedonien eingesammelt werden sollen, sind vorher über NATO-Länder an die UCK verteilt worden. Man war Kriegspartner der UCK und ist sozusagen unter Bekannten.


(Beifall bei der PDS sowie des Abg. Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Geostrategisch ist Mazedonien wie der Kosovo von größter Bedeutung. Der Weg in den kaspisch-kaukasischen Raum geht über den Balkan. Darin besteht das geostrategische Interesse der NATO. Das sind die Interessen, die eine Rolle spielen. Über diese Interessen muss man reden und nachdenken. Ich finde, an diesem "Ernteeinsatz" sollten sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages nicht beteiligen und sollten die Zustimmung dazu verweigern.


(Beifall bei der PDS)


In den letzten Wochen konnte man immer wieder das Argument der Staatsräson, der staatspolitischen Verantwortung hören. Aus Staatsräson und staatspolitischer Verantwortung sollten alle dazu gebracht werden, Ja zu sagen. Seit wann ist es denn Kern der Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland, zu allem, was die NATO beschließt, Ja sagen zu müssen? Wo bleibt die Souveränität dieses Parlamentes, auch Nein sagen zu können? Aus staatspolitischer Verantwortung - man darf dem Debakel Kosovo nicht das Debakel Mazedonien folgen lassen - werden viele Kolleginnen und Kollegen des Hauses zu diesem Einsatz der Bundeswehr Nein sagen.


(Beifall bei der PDS)


Es ist staatspolitische Verantwortung einer Opposition, die Regierung daran zu hindern, weitere Fehler zu machen. Ich finde, wir alle sollten souverän genug sein, diese staatspolitische Verantwortung, Nein zu sagen, wahrzunehmen, egal welche kollektiven oder einzelnen Aussprachen man als Kollege dieses Hauses in den letzten Tagen über sich ergehen lassen musste.


Herzlichen Dank.


(Beifall bei der PDS)



Quelle: Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages vom 29.08.2001




 




©  GLASNOST, Berlin 1992 - 2019