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  Politik   

 


2001-03-22

Krenz zum Urteil

Ich hatte auf Erfolg meiner Beschwerde gehofft. Überrascht über ihre Ablehnung bin ich aber nicht. Wegen des politischen und ökonomischen Gewichts der Bundesrepublik Deutschland in Europa und des Bestrebens von Parteien und Regierungen europäischer Länder, das gesellschaftliche System der Staaten des Warschauer Vertrages auch nach über zehn Jahren seines Zusammenbruchs unaufhörlich weiter zu veruteilen, konnte ich kaum eine Entscheidung erwarten, die frei von politischen Erwägungen gewesen wäre. Die politischen Argumente der Bundesrepublik haben mehr Gewicht gehabt als das uralte Rückwirkungsverbot. Interessant bleibt für mich, wie nun die Bundesrepublik mit Politikern umgehen wird, die in der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Staaten Verantwortung getragen haben.

Der Gang nach Straßburg hat sich nach meiner Meinung dennoch gelohnt. Die europäische Öffentlichkeit wurde erneut aufmerksam auf den scheinheiligen Umgang der Bundesrepublik Deutschland mit der DDR. Sie hat zur Kenntnis genommen, dass die Vergangenheit von Politikern der Bundesrepublik nachträglich geschönt wird, während deren DDR-Kollegen auch nach fast elf Jahren deutscher Einheit als Kriminelle ausgegrenzt bleiben. Für mich zählt: Die DDR war der deutsche Staat, der nie einen Krieg geführt oder sich an einem solchen beteiligt hat. Darauf können alle, die in der DDR gelebt haben, stolz sein. Ich bin überzeugt: Eines Tages wird es ein faires Urteil über die DDR und auch über mich geben.



Quelle: Neues Deutschland, 23.03.2001


 




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