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Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte mich beim Ortskartell Salzgitter sehr herzlich bedanken für die Einladung. Viele Jahre bin ich Gast auf solchen Veranstaltungen, mal als Zuhörer, mal als Redner. Ich bin gern hierher gekommen und ich will meine Meinung zu einigen Fragen sagen, die Sie alle, die uns alle beschäftigen.

Zunächst will ich eine gute Tradition ansprechen. Wenn Arbeitnehmer sich am 1. Mai versammeln, dann haben sie nicht nur an die eigenen Interessen gedacht, sondern haben sie zunächst an die Menschen gedacht, die unter Kriegen leiden. Und ich möchte das auch heute tun. Als wir vor einem Jahr zusammen kamen, am 1. Mai, da tobte der Krieg in Jugoslawien. Jetzt sehen wir fast täglich die schlimmen Fernsehbilder aus Tschetschenien. Und wir vergessen manchmal über diesen Fersehbildern, dass auch an anderen Stellen der Welt Kriege toben und Menschen ums Leben kommen. Und ich möchte von hier aus an die russische Regierung appelieren: Beendet den Krieg in Tschetschenien und versucht eine friedliche Lösung. Das ist auch im Interesse Russlands und ist im Interesse der Menschen der ganzen Welt.

Ich begrüße es, dass das russische Parlament endlich den Salt-II-Vertrag ratifiziert hat, den Vertrag, der eine Begrenzung der Atomwaffen vorsieht. Jahrelang lag er dort und wurde nicht ratifiziert. Ich begrüße es aber auch, und das hat etwas zu tun mit eurer Diskussion um den Schacht Konrad, das jetzt das russische Parlament den Teststopp- Vertrag ratifiziert hat. Das heisst, dass es zustimmt, dass es keine Atomwaffenversuche mehr in der Welt geben soll. Und ich appeliere an Amerika, das gleiche zu tun, um die Gefahr der atomaren Verseuchung der Erde zu bannen.

Wenn wir über Kriege reden, dann wissen wir, dass der Schlüssel zum Frieden Abrüstung ist. Und deshalb wäre es falsch, wenn jetzt in den Vereinigten Staaten noch einmal ein neues Raketenabwehrsystem aufgebaut wird. Das war schon ein Vorhaben, das Präsident Reagan hatte. Das war ein Vorhaben, das die Friedensbewegung vor 10 Jahren intensiv beschäftigt hat. Sicherheit ist auf diesem Wege nicht erreichbar. Nicht gegeneinander, nur zusammen kann man Sicherheit in dieser Welt erreichen. Deswegen lasst die Finger von dieser neuen Aufrüstungsrunde.

Ich möchte ein Wort auch verlieren zu einem Thema, das etwas aus dem Blickfeld der Diskussion gekommen ist:

Zum Hunger in der Welt. Während vieles uns bewegt, verhungern in Afrika vor allem die Menschen. Und das kommt alles nicht von ungefähr.

Das ist auch eine Folge eines internationalen Finanzsystems, das immer größere Schulden in den sogenannten Entwicklungsländern auftürmte und dann von ihnen verlangt, diese Schulden zu verzinsen und zu bezahlen. Und so werden die Staaten gezwungen, Ernten zu verkaufen, um die Schulden zu bezahlen. Und so werden sie gezwungen, Brunnen und Energieversorgungsanlagen, die sie eigentlich bräuchten, nicht zu bauen, um ihre auswärtigen Schulden zu bezahlen.

Und wenn weltweit das Kapital auf Renditen von 10 oder mehr Prozent besteht, und wenn das auch in den Entwicklungsländern so ist, so ist dieses System auch Grundlage für Hunger und Elend in der Welt und deshalb muss dieses System reformiert werden.

Und ich will das auch nicht im unverbindlichen belassen, liebe Freundinnen und Freunde, sondern ich will die zwei entscheidenden Punkte nennen:

Es war nicht immer so, dass das Kapital in aller Welt vagabundieren konnte. Der Kapitalverkehr ist erst in den 80er Jahren freigegeben worden. Und es war nicht immer so, dass der Kapitalverkehr in aller Welt mit der Produktion überhaupt nichts mehr zu tun hat. Weniger als 10 % des in der Welt laufenden Kapitalverkehrs hat etwas mit dem zu tun, was wir unter Produktion und Arbeit verstehen. Der Rest ist ein riesiges Spielcasino, in dem nur Wertpapiere überall gehandelt werden.

Und wenn dann plötzlich irgendwo Meldungen kommen, dass es kritisch wird mit der Wirtschaft, verlässt das Kapital von einem Tag auf den anderen die armen Länder, die dann völlig zusammenbrechen. Und der Internationale Währungsfond legt ihnen dann auf, Zinsen von 40% oder mehr zu erheben und die sozialen Leistungen zu kürzen. Das ist die Wirklichkeit heute und deshalb müssen wir den kurzfristigen Kapitalverkehr in der Welt wieder regulieren und kontrollieren, damit es wieder zu mehr Ordnung und mehr sozialen Leistungen in aller Welt kommen kann.

Und dasselbe gilt für die Wechselkurse. Wenn insbesondere amerikanische Finanzhäuser mit dem Auf und Ab der Wechselkurse Geschäfte machen, dann ist es ja verständlich, dass die nicht wollen, dass die Wechselkurse wieder stabiler werden. Wer aber glaubt, das Auf und Ab des Euro, des Yen und des Dollars hätte irgendetwas mit realen wirtschaftlichen Daten zu tun, der irrt sich.

Und deshalb halte ich fest an dem Vorschlag, den im übrigen auch der ehemalige Kanzler Helmut Schmidt immer wieder vertritt, wir brauchen wieder stabile Wechselkurse in der Welt und wir müssen diese Währungsspekulation beenden, damit die Wirtschaft in aller Welt sich wieder gedeihlich entwickeln kann.

Und damit bin ich bei einem Kernthema unserer heutigen Versammlungen überall, nämlich dem Kernthema des Neoliberalismus und seinen Folgen für die Arbeitnehmerschaft.

Lange Zeit war es so, dass das Wort "Shareholder" in unserer Gesellschaft gar nicht bekannt war. Und dann traten smarte Manager auf, und sagten "Shareholder" und gaben sich den Anschein, sie verstünden nun wirklich, was in der Wirtschaft los sei. Und wenn man englische Wörter benutzt, hat man ab und zu auch noch den Vorteil, dass sie nicht alle verstehen und nicht alle wissen, was damit gemeint ist.

Der Shareholder-Kapitalismus, so heisst er heute, sagt, der Aktienwert ist das entscheidende Unternehmensziel. Alles muss gemacht werden, damit der Aktienwert steigt. Und wenn dann der Unternehmens-Chef Entlassungen ankündigt, dann steigt der Aktienwert, an der Börse knallen die Sektkorken, und er verdient sich noch eine goldene Nase. Das muss aufhören. Das ist keine Gesellschaft, die wir wollen und dagegen müssen Arbeitnehmer aufstehen.

Und auch wenn diejenigen, die glauben, davon zu profitieren, oder die davon profitieren, sich als "modern", als weltoffen, als diejenigen, die dem Fortschritt voraus sind, verstehen, sie übersehen, dass die ganze Shareholder- Gesellschaft eines nicht schafft, sie schafft keine Werte.

Und wenn auch junge Menschen heute meinen, man könne am Computer sitzen und das Geld verdienen, und ich erlebe das im eigenen Bekanntenkreis, in der eigenen Familie, das ist ja fazinierend da zu sitzen, zu spielen, und dann plötzlich eben mit Kursgewinnen Geld zu verdienen, dann muss man ihnen sagen, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Diese Händler, diese Broker, diese Spieler sie schaffen keine Werte, sie bauen keine Straßen, sie bauen keine Häuser, sie bauen keine Autos. Sie schaffen keine Werte, noch nicht einmal Brot oder Wein oder was auch immer entsteht bei dieser Spielerei. Nein wo die Werte geschaffen werden, dort muss auch bezahlt werden und nicht dort wo gespielt und gezockt wird, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Und da sind wir jetzt mitten drin in der heutigen Auseinandersetzung. Schaut doch in die Zeitung. Da werden Fonds angepriesen.

Und da heißt es: Unser Fond hat in diesem Jahr 30% gemacht, das ist noch wenig. Da gibt es andere die sagen: Unser Fond hat 50% gemacht. Nun kann man da noch einwenden, ja es geht auch manchmal runter, das haben wir jetzt gesehen, das ist richtig. Aber in den letzten Jahren sind Durchschnittsrenditen von 30% in einzelnen Fonds keine Seltenheit gewesen.

Aber irgendjemand muss das ja bezahlen. Und dann ist auf den anderen Seiten in den selben Zeitungen zu lesen, wenn Arbeitnehmer 2% oder 3% Lohn mehr fordern, dann ist die Wirtschaft in Gefahr, dann ist das Maßlosigkeit, und wir müssen Lohnzurückhaltung üben. Warum kennt in Deutschland eigentlich niemand das Wort Gewinnzurückhaltung? Warum immer nur Lohnzurückhaltung? In allen Zeitungen, in allen Fernsehanstalten, überall, wo diskutiert wird - warum?

Und dabei ist es so, wenn die Manager nicht die Philosopie hätten, nur 15% Verzinsung im Jahr sind akzeptabel, 15% - sonst machen wir den Laden dicht oder verkaufen ihn. Das ist heute die offizielle Moral der Manager. Wenn sie diese Moral nicht hätten, dann gäbe es mehr Arbeitsplätze in Deutschland, weil nicht so rapide abgebaut wurde. Und warum steht eigentlich niemand auf und kritisiert, dass dann wenn Deutsche Bank und Dresdner Bank fusionieren wollen, und wenn es dann nicht klappt, Gewinne von Millarden ausgewiesen werden und gleichzeitig gesagt wird, wir müssen aber 16.000 Arbeitsplätze abbauen. Wenn hier ein bisschen Gewinnmäßigung - nicht Gewinnzurückhaltung - Gewinnmäßigung - geübt würde, könnte man alle diese Arbeitsplätze finanzieren und die Kapitalrendite wäre immer noch gut. Das ist doch die Wirklichkeit in diesem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Und letzendlich würde eine solche gerechte Verteilung des gemeinsam erwirtschafteten auch der Wirtschaft insgesamt zugute kommen.

Ich sage auf Gewerkschaftsveranstaltungen immer, kümmert euch um die Geldpolitik. Ich kann das heute nur andeuten. Ohne eine andere Geldpolitik in Europa werden wir nicht die Arbeitslosigkeit deutlich abbauen können. Und ich habe eine einzige Frage, die in keiner Wirtschaftsredaktion bisher seriös beantwortet worden ist. Die Frage nämlich, warum in Amerika es möglich ist, einen realen Kurzfristzins von 0 zu haben und warum das in Europa nicht möglich sein soll. Es gibt keine vernünftige Antwort.

Und diejenigen, die in dem amerikanischen Notenbankchef Greenspan den Meister des amerikanischen Beschäftigungswunders sehen, die schreiben auf der selben Seite in Deutschland, dass die europäische Zentralbank nichts, aber auch gar nichts mit Beschäftigung zu tun habe. Solange wir diesem ideologischen Irrglauben anhängen, wird die Arbeitslosigkeit in Europa nicht spürbar abgebaut werden.

Zweiter Punkt:

Lohnzurückhaltung kann einmal günstig sein für den Export, weil dann die Preise niedriger sein können als die der Konkurrenz und man dann besser im Export verkaufen kann. Aber wir haben nur 25% unserer Wirtschaft Export und 75% unserer Wirtschaft ist Binnenmarkt, ist das was hier passiert, in der Stadt überall, beim Friseur, in der Kneipe, im Hotel, wo immer ihr wollt, beim Bäcker, beim Handwerker usw..

Und wer nur auf den Export starrt, der wird im Binnenmarkt immer verlieren, ein Fehler der deutschen Wirtschaftpolitik der letzten Jahrzehnte kann man fast sagen. Und deshalb möchte ich dieser Vereibarung, die jetzt ja wieder soviel Beifall findet, dass Lohnzurückhaltung der Schlüssel der Beschäftigung ist, nur Zahlen entgegensetzen, die man vielleicht hier erwähnen sollte.

Warum haben wir bei den Löhnen in Amerika folgende Entwicklung (außerhalb des öffentlichen Dienstes):

    1997 - 4%
    1998 - 4,9%
    1999 - 4,4%
    2000 - 5,3%
(auf das Jahr gerechnet).

Deutschland:

    1997 - 1,38%
    1998 - 1,39%
    1999 - 2,4%
    2000 - 2,2%
(das wird man jetzt abwarten müssen).

Warum in Deutschland weniger als die Hälfte als in Amerika?

Und weil immer alle immer so toll über Groß-Britannien reden, nenne ich auch diese Zahlen noch:

    1997 - 6,0%
    1998 - 6,8%
    1999 - 4,7%
    2000 - 4,9%.

Und so wie kein Mensch die Frage seriös beantworten kann - ausser dümmlicher Polemik - , warum es in Deutschland und Europa nicht möglich ist, einen Realzins von 0 zu haben, so kann keiner seriös beantworten, warum man in England - dem angebeteten Land vieler Diskussionen hier - Löhne von 6% oder 6,8% pro Jahr Erhöhung haben kann, und hier das dann die Wirtschaft zum Einstürzen bringen sollte. Ich kann das nicht nachvollziehen.

Ich sage euch, wenn das Kapital 15% Minimum haben will, dann sind auch ordentliche Löhne in diesem Land zu finanzieren und zu erwirtschaften und wir sollten das selbstbewusst vertreten.

Noch ein Wort zum neuen Hobby der Manager, der Fusionitis. Wie schnell die Moden wechseln. Noch vor zwei Jahren konnte man überall lesen, nur kleine, bewegliche Schiffe können den internationalen Wettbewerb bestehen. Die Unternehmen müssen klein sein, wendig sein. Sie müssen auf dem Markt sehr schnell reagieren können. So war damals die Manager- Philosophie.

Ein Jahr davor war es noch so, dass sie sagten, die Zugehörigkeit zum Betrieb, die ist das entscheidende. Auch hier ein englisches Wort, wir brauchen die "Corporate Identity". Das heisst der Arbeitnehmer muss sagen, ich fühle mich diesem Betrieb zugehörig. Das ist eine große Familie.

Nichts von alledem ist heute mehr wahr. Heute gibts die feindliche Übernahme. Heute gibts die Fusionen. Und dann steigt, so hoffen die, der Shareholder-Value. Manchmal verrechnen sie sich. Und dann steigen über Stock-Options, so heisst das, über Anteilen an den Aktienwerten, die Gehälter der Geschäftsführer, und gleichzeitig wird dann verkündet, dass Arbeitsplätze leider abgebaut werden müssen.

Hier ist die Gesellschaft auf falschem Weg. Und das hat auch etwas mit der Demokratie zu tun. Große Betriebe etwa, wie eine fusionierte Deutsche oder Dresdner Bank, die kann kein Staat mehr Pleite gehen lassen. Und deshalb muss man doch die Frage aufwerfen, ob diese Konzentration wirtschaftlicher Macht im Interesse der Demokratie überhaupt zu verantworten und zu vertreten ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ich habe aber aus all diesen Diskussionen über den Sharholder-Value und um die Fusionitis zwei Vorschläge zu machen.

Ich möchte zunächst nur ein Problem ansprechen, das wir in den Gewerkschaften diskutieren müssen, das Problem nämlich, wenn die Arbeitnehmer selbst Aktienbesitzer werden und wenn die Pensionsfonds darauf drücken, dass die Renidte steigt, d.h. wenn ehemalige Arbeitnehmer also darauf drücken, dass die Personalkosten sinken. Diese beiden Fragen müssen wir uns in den Gewerkschaften stellen. Ich habe keine perfekte Antwort auf diese Frage.

Und ich zitiere ein Statment eines Betriebsrates bei Mannesmann, nachdem der Aktienwert sich dort verdreifacht hatte, innerhalb kürzester Zeit bei der Übernahmeschlacht.

Er sagte: Viele Kollegen haben jetzt erfahren, dass Geld machen an der Börse viel mehr bringt, als die tägliche Maloche. Arbeit in Wechselschichten, in Tag- und Nachtrythmus, bei Hitze und Dreck, inklusive sonntags. Es macht bitter, dass der Wert der Arbeit so verschwindend gering ist. Die Maßstäbe geraten ins rutschen. Man muss wissen, dass langjährige Belegschaftsmitglieder aufgrund dieser großen Spekulation mehrere Jahresgehälter einlösen konnten, wenn sie ihre Aktienbesitz bei den hohen Kursen einlösten.

Und diese Frage muss jetzt diskutiert werden. Nur mache ich gleichzeitig darauf aufmerksam, dass es nicht immer so geht, sondern dass auch der Aktienkurs einmal die andere Richtung nehmen kann. Und dass es auch zu großen Verlusten kommen kann. Nicht dass jemand meint, dass sei jetzt der Schlüssel. Aber eines ist klar. Die Belegschaften müssen an den Aktien beteiligt werden, wenn Unternehmen Aktien emittieren. Allein, um schon eine Gegenstimme zu haben gegen eine sogenannte feindliche Übernahme.

Und ein zweites: Wenn Unternehmen verkloppt werden - ich sags einmal so - und wenn ein höher bewerteter Börsenbetrieb ein Unternehmen schluckt, dann muss es zwingend eine Mitbestimmung der Belegschaft geben, sonst haben wir den Raubtier-Kapitalismus, denn doch niemand von uns haben will.



Quelle: Message-Id: 7d3GaNP7nlB@p0000012.willy-s.de, solinet.tarifpolitik.diskussion, 01.05.2000


 




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