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2. Der Fall des Binnenmarktes
ERT: Europa 1990
Schon 1984 veroeffentlichte der ERT den Bericht ,Europe 1990, An
Agenda for Action". In diesem Bericht plaedierte der ERT fuer die
Errichtung eines Binnenmarkts zwischen den EG-Mitgliedsstaaten,
um dadurch einen Heimatmarkt von 340 Millionen VerbraucherInnen
fuer die europaeische Industrie zu schaffen. Mit den Worten des
ERT-Mitglieds Wisse Dekker, Manager von Philips:
Die wichtigste Frage, auf die wir eine Antwort finden muessen,
lautet: Gibt es eine Wahl zwischen den zwei Moeglichkeiten:
Europa - zersplittert oder geeint? ... Es gibt tatsaechlich keine
Wahl und das einzige, was der Gemeinschaft uebrig bleibt, ist,
die Ziele des Vertrags von Rom zu erreichen. Nur auf diese Weise
ist die Industrie weltweit wettbewerbsfaehig; indem sie Oekonomien
einer Dimension ausschoepft, die dann den groessten Heimatmarkt
der heutigen Welt darstellen werden: den Heimatmarkt der
Europaeischen Gemeinschaften. Die Kommission hat verschiedene
Anstrengungen unternommen, das Projekt voranzutreiben.... Aber
das allein genuegt nicht. Es scheint eines Ansatzes zu beduerfen,
der sich von allgemeingueltigen Aussagen loest und sich auf einen
ausgearbeiteten Handlungsplan hinbewegt, wenn Europa als
industrielle Macht weiter an der Vorfront stehen soll. Wir
schlagen einen Aktionsplan vor, der auf die Schaffung eines
freien europaeischen Marktes innerhalb der naechsten fuenf Jahre -
bis 1990 - abzielt".
Die ,Agenda for Action" des ERT bestand aus etwa 50 Massnahmen
zur Eliminierung der Handelsschranken in den Bereichen:
* Handelserleichterungen: Harmonisierung der Vorschriften und
Mittel fuer Warenaustausch und die Vereinfachung der
Handelsverfahren;
* MwSt.: die voellige Abschaffung fiskalischer Grenzen;
* Vereinheitlichung: Programm mit Auflistung der erforderlichen
technischen Vorschriften und Direktiven.
Der ERT gruendete eine Arbeitsgruppe mit der besonderen Aufgabe,
durch Lobbying den Weg fuer die Entwicklung des Binnenmarktes zu
ebnen (das sogenannte Internal Market Support Committee). Es
wurde schnell klar, dass man sich keine Sorgen ueber die
Bereitschaft der EG machen musste, diese Vorschlaege zu
uebernehmen. Das war in hohem Masse das Ergebnis der intensiven
Lobbyarbeit des ERT waehrend dieser Zeit. ERT-Mitglieder trafen
sich mit Regierungschefs in Deutschland, den Niederlanden und
anderen EG-Staaten, um sie von der Dringlichkeit der Plaene zu
ueberzeugen.
EG: Europa 1992
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1985 wurden die Vorschlaege aus ,Europe 1990, An Agenda for
Action" von der Europaeischen Kommission umgeschrieben und als der
EG-Report ,Vollendung des Binnenmarkts" veroeffentlicht. Der
groesste Unterschied lag im Datum, bis zu dem der Binnenmarkt
vollendet seien sollte, welches die Kommission auf den 31.
Dezember 1992 festsetzte. Dieser Bericht war die Grundlage der
,Einheitlichen Europaeischen Akte", die im Februar 1986
unterzeichnet wurde. In diesem Vertrag verpflichteten sich die
EG-Staaten, alle gesetzlichen Schranken der Freizuegigkeit von
Guetern, Dienstleistungen, Kapital und Menschen vor dem Stichtag
1992 abzuschaffen.
Nach der Annahme der ,Einheitlichen Europaeischen Akte" erhielt
die Schaffung des Binnenmarktes oberste Prioritaet in der EG. In
den folgenden 6 Jahren schrieb die Kommission Hunderte von
Verordnungen im Rahmen des Harmonisierungsprozesses, was
bedeutete, zu identischen Produktstandards in allen EG-Staaten zu
gelangen. Das hiess oft, dass der kleinste gemeinsame Nenner fuer
die Festlegung der internationalen Standards verwendet wurde, was
einen ziemlichen Rueckschritt fuer einige der nationalen
Umweltschutzgesetzgebungen bedeutete. Sowohl der
Harmonisierungsprozess als auch andere Aspekte der Schaffung des
Binnenmarktes sind heftig kritisiert worden, aber der ERT bekam,
was er wollte.
Auswirkungen des Binnenmarkts
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1989 bestellte die Kommission selbst eine Untersuchung der
Auswirkungen des Binnenmarkts fuer die Umwelt. Daraus entstand
der sogenannte Task Force Report. Die Ergebnisse waren recht
schockierend und umfassten eine Liste negativer Auswirkungen der
geplanten Errichtung des Binnenmarktes auf die Umwelt. Dazu
gehoerte eine Zunahme des in grossem Massstab stattfindenden
Transports von Muell, die Verpflichtung zur Zulassung von
Produkten aus Staaten mit lockereren Kontrollen, Einschraenkungen
der Beschlussmoeglichkeiten fuer nationale Umweltsteuern, Zunahme
des Strassenverkehrs, gesteigerte CO2-, SO2- und NOX-Emissionen
sowie weitere Umweltbedrohungen. Die Kommission war nicht sehr
erpicht darauf, diesen Bericht zu veroeffentlichen; ,Friends of
the Earth International" zufolge wollte man ,weder seine
Implikationen diskutieren, noch ihn dem Ministerrat oder dem
Europaparlament vorlegen."
In den folgenden Jahren versuchten Lobbyorganisationen wie das
,European Environmental Bureau" (EEB) die Kommission an diese
Ergebnisse zu erinnern - mit verschwindend geringem Erfolg. In
seiner Analyse der Auswirkungen des Binnenmarktplans kommt das
EEB zu dem Schluss:
,Verschwenderische Entwicklung ist der mikrooekonomischen
Philosophie des Binnenmarkts inhaerent. Die Massnahmen zur
Errichtung des Binnenmarkts folgen dem mikrooekonomischen
Prinzip, die Produktionskosten minimal zu halten. Umweltschutz
hingegen wird in der Vision von reibungslos funktionierenden
Maerkten weitgehend ignoriert."
Die Oeffnung von Maerkten hat sehr negative Auswirkungen, die
nicht nur die Umwelt betreffen, wie der EEB-Bericht feststellt:
,Das Binnenmarkt-Programm foerdert Kostensenkung durch
Massenproduktion. Oekologische und kulturelle Vielfalt laufen
daher Gefahr, von der Uniformitaet der Massenproduktion in der
Weltwirtschaft erodiert zu werden. Die gegenwaertige
Weltwirtschaftslage, Ergebnis der Art von Freihandel, die durch
den Binnenmarkt gefoerdert werden soll, ist katastrophal fuer
arme Staaten. Gegenwaertig wird der internationale Handel von
einer abnehmenden Zahl multinationaler Unternehmen aus den
Industrielaendern kontrolliert. Die meisten ,Dritte Welt"-Staaten
haben ihre agrarische und wirtschaftliche Selbstversorgung
verloren und dienen hauptsaechlich als Rohstofflieferanten fuer
die reichen Ueberflussgesellschaften."
Der ERT betrachtet die Vollendung des Binnenmarktes als seinen
bisher groessten Erfolg. Ob andere es ,Erfolg" nennen wuerden,
darf bezweifelt werden. Tatsaechlich hat die EG/EU im
Entscheidungsprozess fuer den Binnenmarkt die Kritik der
Umweltbewegung und anderer weitgehend ignoriert. Die EU hat
bisher auch keine ernsthaften Schritte unternommen, um die
negativen Effekte der Grenzoeffnung und der Harmonisierung zu
korrigieren.
Am Fall des Binnenmarkts erkennt man ein besorgniserregendes
Ungleichgewicht in der Weltsicht der EU: offen und einladend
gegenueber den Vorschlaegen der grossen Industrieunternehmen, aber
verschlossen und unzugaenglich den Anregungen und der Kritik von
Nicht-Regierungsorganisationen gegenueber.
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Die Kosten eines effizienteren Europas
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Folgen des EU-Binnenmarktes laut der spanischen NRO Coordinadora
Extremena de Proteccion Ambiental:
,Menschen und Gueter werden umherkutschiert, um damit groesseren
Wohlstand fuer die Gemeinschaft zu schaffen. ... Das oekonomische
Gesetz vom komperativen Vorteil wird benutzt, um dieses Schema
von intensiver Produktion und extensiver Verbreitung zu
rechtfertigen. Europa umfasst eine grosse Vielfalt an Geologie,
Bodenarten und Klima. Landwirtschaftlicher Wohlstand, so wird
argumentiert, werde geschaffen, indem man nur das anbaut, was
eine bestimmte Region zu einem international wettbewerbsfaehigen
Preis auf den Markt bringen kann. Alle anderen Agrarprodukte,
selbst wenn sie eine lange Tradition haben, sollten nach und nach
zugunsten billigerer Importe verschwinden. So sollte sich der
Westen Grossbritanniens auf Schaf- und Rinderzucht konzentrieren,
der Osten auf Getreideanbau, Daenemark auf Schinken und Butter,
Sueditalien auf Wein, Spanien auf Obst und Gemuese vor der
Saison, die Kanalinseln auf Tomaten, usw. - die richtige
Harmonisierung regionaler Monokulturen wird Nahrung fuer alle zu
unschlagbaren Preisen bringen."
(The Ecologist, May/June 1992, S.91f)
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