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1989 publizierte der ERT seinen ersten Bericht zur Bildungspolitik. Er stellte fest, dass das Bildungssystem in Europa Menschen nicht ausreichend auf das Leben und die Arbeit im 21. Jahrhundert vorbereitet. Der ERT-Bericht ,Bildung und europaeische Wettbewerbsfaehigkeit" diagnostiziert fehlende Verbindungen zwischen europaeischen Bildungsinstitutionen einerseits und dem Arbeitsmarkt und den Firmen als Arbeitgebern auf der anderen Seite. Nach dieser Studie ist das Bildungswesen in Europa grundsaetzlich gediegen und von guter akademischer Qualitaet. Nichtsdestotrotz, so der Report, fehlen in Europa kompetente und ausgebildete Arbeitskraefte in vielen Berufen und Industrien, waehrend gleichzeitig die Arbeitslosigkeit steigt. Ausserdem ermutige das derzeitige Bildungssystem junge Menschen, sich die Freiheit zu nehmen, interessante, nicht direkt arbeitsbezogene Studien aufzunehmen, bei denen in vielen Faellen nur geringe Aussicht auf praktische Anwendung besteht. Der Ansatzpunkt, soweit es den ERT betrifft, ist die Aufgabe des Bildungswesens, die Humanressourcen zu produzieren, die der Arbeitsmarkt braucht, um die Wettbewerbsfaehigkeit der europaeischen Industrie zu verbessern. In diesem Zusammenhang macht der obengenannte Report auf verschiedene Empfehlungen zur Entwicklung des europaeische Bildungswesens aufmerksam. Zusammenarbeit -------------- Fuer den ERT besteht das gravierendste Defizit der europaeischen Bildung darin, dass sich Ausbildungsprogramme nicht mit den Anforderungen der Industrie decken. Es werden verschiedene Massnahmen vorgeschlagen, um die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Bildungseinrichtungen zu verbessern. Als erstes fordert der ERT, dass die Industrie in den Leitungs- und Verwaltungsapparaten in Schulen, Universitaeten und anderen Bildungseinrichtungen staerker eingebunden wird. Ausserdem empfiehlt der ERT ,industrielle Inspektoren" einzusetzen, um die Zusammensetzung von Kursen und Ausbildungsprogrammen zu beeinflussen. Die Bedeutung technischer Ausbildungen sollte staerker gewichtet werden und so in mehr und besseren Kursen in Mathematik, Physik und Technologie resultieren. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Fall Qualitaet, Faehigkeiten und Kompetenz der Lehrenden. Der ERT empfiehlt Weiterbildungsprogramme fuer LehrerInnen, um ihr Wissen und ihre Faehigkeiten immer auf dem neuesten Stand der Entwicklung moderner Technologie und der Lehrmethodik zu halten. Lehrende sollten moeglichst Erfahrungen in der Industrie gemacht haben. Die geringe Anzahl von Studierenden in technischen Studiengaengen beunruhigt den ERT, weil die Vergleichszahl in den USA und Japan viel hoeher ist. Deshalb sollten technische Studiengaenge fuer Studierende attraktiver gemacht werden. Lebenslanges Lernen ------------------- Da sich die moderne Technologie heutzutage sehr schnell entwickelt, ist es nicht mehr moeglich, nach dem Abschluss der Ausbildung aufzuhoeren zu lernen. Regelmaessige Schulung und die Aktualisierung des Wissensstandes der Beschaeftigten ist notwendig, wenn industrielle Konzernen mit der Entwicklung Schritt halten wollen und so die Wettbewerbsfaehigkeit mit anderen industriellen Handelsbloecken wie Nordamerika und Japan aufrechtzuerhalten. Fuer lebenslanges Lernen und Erwachsenenbildung schlaegt der ERT Zusammenarbeit mit Bildungseinrichtungen vor. Im 1992er Bericht zu lebenslangem Lernen betont der ERT, dass nur auf diese Weise beide Partner in der Lage sein werden, massgeschneiderte Curriculae fuer (Um-) Schulung und Weiterbildung erwachsener Angestellter zu entwerfen, waehrend diese an ihren Arbeitsplaetzen bleiben. In diesem Zusammenhang lobt der ERT das britische Konzept der Open University (kommezielles Kursangebot fuer nicht-immatrikulierte Menschen) und empfiehlt, die Moeglichkeit einer europaeischen ,Open University" zu untersuchen. Der heilige Gral ---------------- Es zeigt sich, dass der ERT eine sehr kurzsichtige Betrachtung der Bildungspolitik in der europaeischen Gemeinschaft hat. Fuer eine industrielle Lobbyorganisation wie den ERT ist es naheliegend, sich nur mit den wirtschaftlichen und marktrelevanten Aspekten von Bildung auseinandersetzt. Der ERT beeinflusst die Bildungspolitik jedoch weit ueber die eigenen Interessen hinaus, da seine Position darauf abzielt, das gesamte Bildungssystem in Europa der Suche nach dem heiligen Gral der industriellen Kompetenz unterzuordnen. EU: Zusammenarbeit ------------------ Seit der Ratifizierung des Maastrichter Vertrags ist das Gebiet der Bildung auch formal in den Kompetenzbereich der EU gefallen. Die Politik der EU Institutionen bezueglich Bildung in der europaeischen Gemeinschaft blieben jedoch bis zur Veroeffentlichung des EG Hochschulmemorandums 1991 vage und schwierig zu durchschauen. Dieses Dokument bringt dieselbe Analyse des europaeischen Bildungssystems zum Ausdruck wie der Report des ERT. Bildung wird explizit als eine blosse Funktion des Binnenmarktes, genauer gesagt des Arbeitsmarktes definiert. Richtlinien ----------- Die EU formulierte mehrere Richtlinien, um das Bildungssystem weiterzuentwickeln. Der Zugang zur Hochschulbildung soll durch den Arbeitsmarkt reglementiert werden, um die europaeische Kompetenz im Vergleich zu Japan und den USA zu verbessern. Um dieses Konzept richtig umzusetzen, erwartet die EU viele Partnerschaften mit der Wirtschaftswelt. Das Memorandum besagt, dass Institutionen der Hochschulbildung nicht nur die Zusammenarbeit mit der Industrie als grundlegenden Bestandteil ihrer Mission anerkennen sollten, sondern auch ihre Strukturen und Methoden dahingehend anpassen sollten. Sie sollen adaequate Strukturen fuer die Zusammenarbeit mit der Industrie auf einer wirtschaftlichen Ebene entwickeln, die den externen Markt fuer Schulungen und andere Dienstleistungen der hoeheren Bildung bewaeltigen kann. Das ERT-Konzept des lebenslangen Lernens findet sich ebenfalls im EG-Hochschulmemorandum wieder. Einziges Ziel dieser Weiterbildung ist jedoch ein Recycling von ArbeiterInnen, die fuer den Arbeitsmarkt sonst nicht mehr von Nutzen waeren. Dies ist wieder eine Richtlinie, die auf den europaeischen Markt ausgerichtet ist und die Unternehmungen der europaeischen Wirtschaft unterstuetzt. Die europaeische Dimension von Bildung in der EU ist das Thema der letzten Richtlinie des Memorandums. Fuer existierende StudentInnenaustauschprogramme wie ERASMUS, COMETT und LINGUA (heute alle in SOKRATES zusammengefasst) wird aktiv geworben. Aus einem Programm wie diesen ergibt sich automatisch eine europaeische Dimension bei den TeilnehmerInnen; einfach dadurch, dass man einige von ihnen durch den Kontinent reisen laesst. Entscheidungsprozess -------------------- Die Parallelen zwischen ERT Papieren zur Bildung und dem Hochschulmemorandum sind auffallend. Wann man allerdings in Betracht zieht, auf welche Art und Weise das EG Memorandum entstand, stellt sich heraus, dass diese Parallelen nicht zufaellig sind. Das Memorandum wurde in verschiedenen Arbeitskreisen und Konferenzen vorbereitet. Diese Arbeitskreise standen einer ausgesuchten Zahl von RepraesentantInnen der Hochschulbildung, der Industrie und der Ministerien offen. Legitimierte studentische VertreterInnen waren nicht eingeladen. Ebenfalls beruecksichtigt wurde der Bericht des IRDAC (Industrial Research and Development Advisory Committee der EU). Das IRDAC sollte eigentlich ein unabhaengiges, beratendes Gremium sein, doch ist seine Zusammensetzung der des ERT sehr aehnlich. Offensichtlich hatte die EG-Kommission beschlossen, nur korporative Interessengruppen einzubeziehen. Deshalb ist es nicht ueberraschend, dass das Papier auch nur Wirtschaftsinteressen zum Ausdruck bringt. Hochschulautonomie ------------------ Der Wunsch, die Zusammenarbeit zwischen den Bildungseinrichtungen und der Industrie zu verbessern, ist an sich nichts schlimmes. Die Art jedoch, mit welcher der ERT an die Sache herangeht, bringt keine faire Zusammenarbeit hervor. Die Art von Zusammenarbeit, die sich der ERT vorstellt, ist weder eine gegenseitige noch eine gleichberechtigte: sie ist vielmehr die Forderung nach groesserem Einfluss industrieller Interessen zu Lasten der Unabhaengigkeit und der Freiheit des Bildungssystems. Die EU Kommission hoert nur auf die Wirtschaftslobby, denn sie scheint anzunehmen, dass alles, was gut fuer die europaeische Industrie ist, auch gut fuer Europa als Ganzes ist. Bildung ist ein grundlegendes Menschenrecht und fuer sich Bestandteil einer Gesellschaft mit Werten, Aufgaben und Zielen. Vorbereitung auf den Beruf ist nicht die einzige Aufgabe von Bildung und Menschen sollte der Zugang zu anderen Aspekten von Bildung erlaubt sein. Bildungsinstitutionen sollten alle Sektoren der Gesellschaft auf eine unabhaengige und objektive Art und Weise repraesentieren, ohne die intellektuelle Freiheit und akademische Autonomie einer bestimmten Interessengruppe zu opfern. Deshalb ist die Zusammenarbeit mit der Industrie nur dann akzeptabel, wenn diese Bedingungen respektiert werden, was bei den ERT Vorschlaegen und dem Hochschulmemorandum mit Sicherheit nicht der Fall ist. Hypnose ------- Die Beschwerde wird von Domenico Lenarduzzi, dem EU Kommissar fuer Bildung, abgewehrt. Er gibt zu, dass die Herangehensweise des Memorandums zu wirtschaftlich orientiert ist. Er stellt fest, dass dies mit der Tatsache zu erklaeren ist, dass das Memorandum zur gleichen Zeit geschrieben wurde, zu der der EG Binnenmarkt gestaltet wurde. Die kulturellen Aspekte von Bildung sollten und werden mehr Aufmerksam durch die Europaeische Kommission erhalten, versprach er in der belgischen Zeitung ,De Standaard". Es scheint, dass die EU in der Lage ist, aus vergangenen, schlechten Erfahrungen zu lernen, aber die Art und Weise, mit der mit anderen Stimmen aus der Gesellschaft in Bezug auf die oekologischen Aspekte der EU Politik umgegangen wird, macht es zweifelhaft, ob die EU Kommission in ihren Beschluessen weit von den Forderungen der industriellen Lobby, dem ERT, abweicht. Deshalb ist es notwendig, dass Gruppen aus der Gesellschaft, die sich mit Bildung beschaeftigen, den ERT in seiner Lobbyarbeit stoppen und die ,Hypnose", die die EU Kommission einzig unter dem Einfluss wirtschaftlicher Interessen haelt, brechen.Quelle: cl.europa.eu, 05.12.1994
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