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1995-02-06

Brief an Eberhard Diepgen anläßlich Diepgens Ankündigung, Teile der PDS vom Verfassungsschutz überwachen zu lassen

Stefan Heym

Hochverehrter Herr Kollege Diepgen,

wie ich der Presse entnehme, haben Sie die Ihnen unterstehenden Berliner Verfassungsschützer auf die am Orte wohnhaften Mitglieder der Partei des Demokratischen Sozialismus angesetzt. Damit haben Sie auch mich, der ich, obzwar kein Mitglied dieser Partei, doch aber mit ihrer Unterstützung in den Bundestag gewählt wurde und dort in den Reihen der PDS-Bundestagsgruppe sitze, wieder der OPK, der Operativen Personenkontrolle eines Geheimdienstes, unterworfen.

Vielleicht kann ich, aus alten Erfahrungen, Ihnen und Ihrem Apparat bei diesem Unternehmen ein paar hilfreiche Hinweise geben. So befinden sich in den Nachbarhäusern zur Rechten und zur Linken meines Hauses noch immer die Räumlichkeiten, von denen aus die Mitarbeiter der Staatssicherheit meine Frau und mich unter Beobachtung hielten; auch steht der Sportklub noch am Dahmefluß, dessen Dachgeschoß den fernglasbewaffneten Hauptamtlichen als Ausflug auf die Heymsche Haustüre diente, und die Gasanlage auf der anderen Straßenseite ist da, in der die Richtmikrofone angebracht waren für Mielkes Abhördienst.

All dieses steht zu Ihrer Verfügung, ebenso wie in den Regalen des Herrn Gauck die Akten mit den Namen und Adressen der inoffiziellen Mitarbeiter (IM), welche die Schnipsel aus meinen Papierkörben gegen ein bescheidenes Honorar ihren Führungsoffizieren übergaben und diesen sogar meine Tagebücher auslieferten, die nun, säuberlich ins Deutsche übersetzt, gleichfalls bei Herrn Gauck lagern und von irgendwelchen beamteten Rechercheuren erst kürzlich einigen unserer sauberen Fernsehanstalten zur Verfügung gestellt wurden. Ihre Leute, Kollege Diepgen, brauchen sich also nur zu bedienen.

Auch leben die höheren Chargen der Staatssicherheit noch und sind verfügbar, die in der Leitung der Hauptabteilung XX die Observationstätigkeit gegen meine Familie und mich planten und leiteten und die den entsprechenden Dienststellen in Ihrem Stab jetzt zur Hand gehen könnten; diese wissen, wo unter meinen Tapeten die Wanzen hängen, die Ihre Untergebenen dann nur zu aktivieren brauchten, und in welchen Schränken meine Aufzeichnungen liegen, aus denen Ihr Verfassungsschutz meine subversiven Gedanken mit Leichtigkeit erkennen kann. Und wahrscheinlich besitzt einer der Herren immer noch den Nachschlüssel zu meinem Safe, für welchen IM Frieda seinerzeit den Wachsabdruck herstellte, und den Ihre Schnüffler, Kollege Diepgen, heute gleichfalls nutzen könnten.

Und so weiter und so fort - unser gemeinsamer Freund Werthebach, mit dem zusammen ich unter Peter Michael Diestel in den letzten DDR-Tagen in einer Kommission saß, wird Ihnen bestätigen, wie sehr die Dienste einander gleichen. Nur die Auftraggeber unterscheiden sich - allerdings kaum je zum Besseren.

Mit verbindlichen parlamentarischen Grüßen,

Stefan Heym.

Quelle: Berliner Zeitung vom 6.2.95


Anmerkung der GLASNOST-Redaktion

Wie sich später herausstellte, blieb es nicht bei der Ankündigung Diepgens. Im März 2000 bestätigte der Berliner Innensenator, Werthebach, daß der Verfassungsschutz bis Sommer 1999 fünf ehemalige MfS-Hauptamtliche führte, die u.a. auf die PDS und ihren Parteigruppierungen angesetzt waren. (sh. Tagesspiegel, 25.03.2000) Im Jahresbericht 1999 führt die Verfassungsschutz die verschiedensten gesellschaftspolitischen Gruppierungen und Strömungen akribisch auf, die es wagen, Bestehendes zu analysieren, partiell auch infrage zu stellen und nach alternativen Problemlösungen suchen. So auch die PDS, über die der Bericht Folgendes resümiert: Die "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) zeigt keine ernsthaften Anzeichen dafür, ihr bislang zwiespältiges Verhältnis zum parlamentarischen System und zu wesentlichen Elementen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu klären. Die PDS duldet unverändert die Existenz extremistischer Strukturen innerhalb der Partei und arbeitet mit anderen Linksextremisten im In- und Ausland zusammen. Sie strebt nach wie vor eine "alternative Gesellschaft" an. (S. 123)
(ib)



 




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