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Zur Aufhebung der Haftbefehle gegen Erich Honecker erklaert der Vorsitzende der PDS und Vorsitzende der Abgeordneten- gruppe der PDS/LL im Bundestag, Dr. Gregor Gysi: Von Anfang an bin ich dafuer eingetreten, die Auseinandersetzungen mit Erich Honecker auf politischer und moralischer Ebene zu fueh- ren. Ich habe mich stets dagegen gewandt, Politik zu kriminali- sieren und die notwendige historische Aufarbeitung dadurch auszu- schliessen, dass sie an die Justiz uebergeben wird. Das Verfahren gegen Erich Honecker war zu keinem Zeitpunkt rechtsstaatlich und verletzte von Anfang an die Prinzipien der Humanitaet. Es ist erstaunlich, mit welcher Zaehigkeit die zustaendigen Strafkammern des Landgerichts Berlin dennoch an einem Verfahren festhielten, von dem sie wussten, dass es mit einem lebenden Erich Honecker nicht zu Ende gefuehrt werden kann. Der Drang nach Vergeltung war aber so gross, dass bisher aufgestellte Rechtsprinzipien in der Bundesre- publik Deutschland ignoriert wurden. Zu dieser Feststellung kam auch das Landesverfassungsgericht Berlin. Noch vor Beginn des Verfahrens habe ich einmal erklaert, dass ein solcher Prozess zu einer grossen Blamage fuer Erich Honecker, die deutsche Justiz und die Bundesrepublik als Ganzes wird. Einen Teil dieser Prognose muss ich zuruecknehmen, da es Erich Honecker gelun- gen ist, so aufzutreten, dass der Prozess ihn eher aufwertete. Die anderen beiden Prognosen trafen jedoch zu. Ich hoffe, dass die Gerichte nunmehr zu der Einsicht gelangen, dass es ueberhaupt rechtsstaatlich unvertretbar ist, hoheitliches Handeln von Buerge- rinnen und Buergern der DDR, das mit den Gesetzen der DDR in Ueber- einstimmung stand, wie auch immer diese Gesetze historisch und moralisch bewertet werden, strafrechtlich zu verfolgen und damit eines der wichtigsten Menschenrechte zu ignorieren, naemlich das Verbot der rueckwirkenden Anwendung von Strafgesetzen. Das aber bedeutet, dass auch die unglueckseligen, sogenannten Mauerschuetzen- prozesse eingestellt werden muessen. In den Faellen, in denen Buerge- rinnen und Buerger der DDR nach DDR-Strafrecht tatsaechlich Vergehen oder Verbrechen begingen, muessen sie auch zur Verantwortung gezo- gen werden. In den Faellen jedoch, in denen es lediglich darum geht, politische Vergeltung dafuer zu ueben, dass in der DDR ein - wenn auch gescheiterter Versuch - fuer eine Alternative zur Gesell- schaft in der Bundesrepublik Deutschland gestartet wurde, ist die nachtraegliche Kriminalisierung entsprechender Verhaltensweisen Siegerjustiz. Letztlich bleibt durch das Verfahren auf Dauer ein Schatten auf der Bundesregierung. Das Landesverfassungsgericht von Berlin stellte fest, dass das Verfahren gegen Erich Honecker seine Men- schenwuerde verletzt hat. Die Bundesregierung war aber an der Ver- letzung dieser Menschenwuerde beteiligt, weil sie seine Rueckkehr in die Bundesrepublik Deutschland in dem Wissen erzwang, dass es sich um einen schwerkranken und alten Menschen handelt.Quelle: cl.gruppen.pds, PDS-Info Nr. 663, vom 13.1.1993
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