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Frau Praesidentin, meine Damen und Herren! Die Veraenderungen, die die Behandlung des sogenannten Asylproblems schon jetzt in der politischen Landschaft der Bundesrepublik bewirkt hat, sind gewaltig und deprimierend. Die populistische Instrumentalisierung von tatsaechlichen sozialen Problemen und Schwierigkeiten bei der Unterbringung in den Kommunen, von Vorurteilen und latentem Rassismus zur Durchsetzung einer neuen Asylpolitik hat die politische Auseinandersetzung um Zukunftsfragen auf eine durch und durch irrationale Basis gestellt. Ausser Kraft gesetzt wurden die Massstaebe der Menschlichkeit und der Vernunft. Die Bundesrepublik Deutschland ist eine fuehrende Wirtschaftsmacht. Sie ist beteiligt an der Ausbeutung der sogenannten Dritten Welt. Es gibt keinen Widerstand dieser Bundesregierung dagegen, dass die Maerkte fuer die sogenannte Dritte Welt nicht geoeffnet werden, dagegen, dass den Laendern dieser Welt keine stabilen Rohstoffaufkaufpreise garantiert werden, dagegen, dass mit Kaffe-, Kakao- und Bananenpreisen in einer Art und Weise umgegangen wird, die diese Laender immer wieder in groesste existenzielle und soziale Schwierigkeiten stuerzen muessen. Nein, die Bundesrepublik macht mit, sie lebt zum Teil davon. Ist es nicht aber wenigstens moralisch hoechst fragwuerdig, vom Elend und Hunger in der sogenannten Dritten Welt zu partizipieren und gleichzeitig Mauern gegen die Fluechtlinge aus ihr hochzuziehen, gegen Fluechtlinge, die versuchen, diesem Elend und diesem Hunger zu entkommen? Und gab es nicht grosse Chancen, gerade nach Wegfall des Ost- West-Konflikts, an das solidarische Bewusstsein von Menschen zu appellieren, sie auf die wirklichen Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht, vorzubereiten, zu einem Umdenken beizutragen. Diese Chancen blieben ungenutzt. So, wie Sie im Rahmen der Vereinigung den Westdeutschen taeglich erklaeren, was sie die Ostdeutschen kosten, um Entsolidarisierung zu erreichen, so haben Sie auch den Menschen Angst gemacht vor Auslaenderinnen und Auslaendern, Fluechtlingen, und insbesondere vor Asylbewerberinnen und Asylbewerbern. Und nachdem diese Angst erzeugt ist, begruenden Sie Ihre Entscheidungen mit dieser Angst. Auch ich nehme Aengste ernst, aber es hat reale Moeglichkeiten gegeben, diese abzubauen. Sie alle wissen zum Beispiel, dass die Zuwanderungen in die Bundesrepublik Deutschland seit Jahren abnehmen. Aber eine solche Tatsache haette zur Durchsetzung Ihrer Politik nicht getaugt, deshalb wird sie verheimlicht und stattdessen werden nur die Zahlen ueber steigende Asylbewerbungen bekanntgegeben. Natuerlich sagen Sie nicht, wieviele von denen ab- oder zurueckgeschoben werden, wie viele Auslaenderinnen und Auslaender jaehrlich die Bundesrepublik verlassen, naemlich fast eine halbe Million. Wie in der DDR-Propaganda, werden unangenehme Zahlen verschwiegen und nur jene betont, die die eigene Politik rechtfertigen sollen. Und Sprache ist verraeterisch. Es waren Politikerinnen und Politiker, die die Begriffe vom Scheinasylantentum, von Fluechtlingsstroemen, von Wirtschaftsfluechtlingen, vom Asylmissbrauch, von asylfreien Zonen, von Durchmischung und Durchrassung in die Debatte brachten - und solche Worte zeigen Wirkung. All' jene, die in der beschriebenen Art und Weise die Asyldebatte fuehrten und fuehren, haben an rassistischen und auslaenderfeindlichen Pogromen als intellektuelle Urheber ihren Anteil. Sie koennen fuer sich in Anspruch nehmen, das Klima in der Bundesrepublik Deutschland veraendert zu haben, aber in welch schlimmer Art und Weise. Und nun sind wir in einer Situation, in der wir einen neuen Schub von Rassismus und Auslaenderfeindlichkeit befuerchten muessen, und zwar dann, wenn sich herausstellen wird, dass die rechtlichen Veraenderungen, die Sie heute beschliessen wollen, die Probleme nicht einmal im Ansatz loesen koennen. Statt Asylbewerberinnen und Asylbewerber mit geordnetem rechtlichen Verfahren, werden wir eine Vielzahl illegaler Fluechtlinge bekommen. Sie werden noch rechtloser sein, sie werden durch die Bereitschaft, zu fast jedem Lohn zu arbeiten, noch staerker auf den Arbeitsmarkt druecken, sie werden Opfer von Kriminalitaet werden, ohne die Chance, auch nur Anzeige erstatten zu koennen, weil sie dann ihren illegalen Aufenthalt bekanntgeben muessten und sie werden auch ueberdurchschnittlich selbst zur Kriminalitaet neigen, aus sozialer Not, aus Isoliertheit. Und solche Erscheinungen schueren Rassismus und Auslaenderfeindlichkeit, und das wissen Sie auch. Aus der Erfahrung der DDR ergibt sich eine weitere Lehre, die zwingender Natur ist. Wer Mauern an den Grenzen errichtet, egal, ob sie aus Infrarotstrahlen oder aus Beton bestehen, der wird auch die Bereitschaft zum Schiessen aufbringen muessen, damit solche Mauern einen Sinn machen. Wer heute der faktischen Abschaffung des Art. 16 GG zustimmt, muss wissen, dass er Mitverantwortung traegt, wenn eines Tages an den Grenzen auf Fluechtlinge geschossen wird. Mit der Abschaffung des Art. 16 wird auch Geschichte auf eigenwillige Art und Weise aufgearbeitet. Es war die Lehre aus der Zeit des Naziregimes, die zur Einfuehrung des Art. 16 GG fuehrte. Millionen Menschen, die aus Deutschland fluechten wollten, insbesondere Juden, haetten gerettet werden koennen, wenn es in anderen Staaten ein individuelles Recht auf Asyl gegeben haette. Es ist bekannt, wieviele Staaten sich gegen Fluechtlinge verweigerten. Es ist bekannt, dass Staaten waehrend des Faschismus Fluechtlinge nur nach Guetduenken aufnahmen, nach eigenen politischen und oekonomischen Interessen. Und deshalb haben die Muetter und Vaeter des Grundgesetzes beschlossen, politisch Verfolgten einen Anspruch auf Asyl zu gewaehren und es nicht in das Belieben des Staates zu stellen, ob er Asyl gewaehrt oder nicht. Waehrend des Kalten Krieges wurde der Artikel 16 im Rahmen der Ost-West- Auseinandersetzung instrumentalisiert. Jeder und jede, die aus einem Ostblockstaat kamen, galten als politisch verfolgt und genossen Asyl. Damals stimmten Bundesverfassungsgericht und offizielle Politik ueberein, dass der Artikel 16 GG im Hinblick auf die sich sozialistisch nennenden Staaten moeglichst weit interpretiert werden muss. Aber diesen Zweck hatte der Artikel 16 Grundgesetz 1989 erfuellt und seitdem wird deshalb gegen ihn mit allen Mitteln gearbeitet. Er dient nicht mehr zur Auseinandersetzung im Ost-West-Konflikt. Er koennte jetzt seiner wirklich humanitaeren Intention gerecht werden. Und genau das soll nicht geschehen. Und es war die Bundesrepublik, die meines Erachtens zu Recht die DDR immer dafuer kritisiert hat, dass sie die allgemeine Deklaration der Menschenrechte dahingehend verletzte, dass sie nicht jeder Buergerin und jedem Buerger das Recht einraeumte, jeden Staat, das heisst auch den eigenen, zu verlassen. Aber was ist ein solches Menschenrecht wert, wenn andere Staaten sich geschlossen weigern, Menschen aufzunehmen. Und so zeigt sich, dass die offizielle Propaganda der DDR zumindest in dem Punkt Recht hatte, dass sie der Bundesrepublik vorwarf, auf diesem Recht nur als Instrument gegen die DDR zu bestehen, nicht aber es wirklich weltweit durchsetzen zu wollen. Die Menschheit steht heute vor existentiellen Herausforderungen. Noch nie gab es einen so ungezuegelten Ressourcenabbau, noch nie eine so weit verbreitete Naturvernichtung, noch nie hat die Menschheit ueber die Art und Weise, wie sie produziert, wie sie Waffen herstellt und anwendet, die Grundlagen ihrer eigenen Existenz so gefaehrdet wie heute. Das Wohlstandsgefaelle zwischen der sogenannten Ersten und der sogenannten Dritten Welt wird taeglich groesser. Die Ausmasse von Hunger und Elend auf dieser Welt lassen sich kaum noch erfassen, geschweige denn, beschreiben. Fast alle wissen, dass wir anders produzieren und anders konsumieren muessen, dass wir andere Beziehungen der Solidaritaet und der Mitmenschlichkeit benoetigen, damit die Menschheit ueberhaupt ueberleben kann. Nicht erst seit heute warnt der Club of Rome vor den Entwicklungen, die sich leider voellig ungehemmt fortsetzen. Und auf diese riesigen Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht, reagieren die fuehrenden Industriestaaten mit zwei Antworten: Einsatz des Militaers und Abschottung. Es ist voellig klar, dass diese Antworten nicht einmal zu einer Verschnaufpause fuehren werden. Die Existenzbedrohungen fuer die Menschheit werden zunehmen. Indem den Menschen vorgegaukelt wird, dass ueber eine juristische und ueber eine Infrarotmauer das Fluechtlingsproblem von ihnen ferngehalten werden kann, berauben wir uns der eigenen Moeglichkeiten und Faehigkeiten, zur Loesung dieser Probleme beizutragen und gefaehrden damit langfristig die Existenz unserer eigenen Bevoelkerung. Also nicht nur aus humanistischen Gruenden, nicht nur aus Gruenden der Solidaritaet, sondern durchaus auch aus egoistischen, existenziellen Gruenden waere eine gaenzlich andere Politik angezeigt als die der Militarisierung und der Abschottung, wie wir sie gegenwaertig erleben und wie sie sicherlich auch fortgesetzt werden wird. Und Militarisierung bedeutet, taeglich mehr Waffen und damit Krieg und Buergerkrieg in die Welt zu exportieren, um dann den Fluechtlingen den Weg zu versperren und deutsche Soldaten hinterherzuschicken. Und wer solche Politik betreibt, der veraendert sich auch selbst. Ich meine, dass ein Blick in die Bibel genuegt, um deutlich werden zu lassen, dass die Christlich-Demokratische Union und die Christlich- Soziale Union wenigstens auf den Begriff christlich kuenftig verzichten sollten. Gott sagte zu Mose im 3. Buch Kapitel 19: "Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedruecken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst;..." Und schauen Sie sich einmal an, was Jesus ueber den Umgang mit Fremden gesagt hat. Laut dem Evangelium von Matthaeus, Kapitel 25, wies er bekanntlich auf die Kriterien hin, die vor dem Weltgericht gelten werden. Er sagte: "Was ihr getan habt einem von diesen meiner geringsten Bruedern, das habt ihr mir getan." Und als Gerechte sieht er nur jene an, die Hungrigen zu Essen, Durstigen zu Trinken geben und Fremde aufnehmen. Und die beiden christlichen Parteien erklaeren heute, dass sie nichts von alledem vorhaben. Im Gegenteil, Hungernde sollen in ihr Elend zurueckgeschickt und auch politisch Verfolgte an den Grenzen abgewiesen werden. Aber auch die F.D.P. hat sich veraendert. Es gab Zeiten, als sie Tabuthemen aufgriff, sich hinter Minderheiten in dieser Gesellschaft stellte, in dem Wissen, keinesfalls populaer zu handeln. Ich erinnere daran, dass es von den Parteien zuerst die F.D.P war, die sich fuer die Integration und Gleichstellung von Menschen einsetzte, die eine andere als die heterosexuelle Orientierung hatten. Inzwischen ist dies fast Allgemeingut geworden. Aber damals musste die F.D.P gegen den Strom schwimmen, und sie tat es. Und genau das macht Liberalismus aus: der Kampf um Toleranz, der Mut, sich fuer Minderheiten einzusetzen, ihre Rechte hochzuhalten, wenn die Mehrheit dabei ist, diese Minderheiten zu unterdruecken oder geringzuschaetzen. Gerade eine liberale Partei haette deshalb fuer die Erhaltung des Asylrechts auch gegen eine Mehrheit kaempfen muessen. Mit der Zustimmung zur faktischen Abschaffung des Artikel 16 Grundgesetz und zur Einschraenkung der Rechtswegegarantie erleben wir zugleich das Ende des parteipolitisch organisierten Liberalismus in Deutschland. Gerade in Deutschland halte ich dies fuer eine ziemliche Katastrophe. In der Logik dieser Entwicklung liegt, dass eine Mehrheit in der F.D.P. auch noch dem grossen Lauschangriff und anderen polizeistaatlichen Methoden zustimmen wird. Am schwersten mit der Zustimmung zur faktischen Abschaffung des Asylrechts hat es sich sicherlich die SPD gemacht. Aber letzlich wurde eine Mehrheit mit Ruecktrittsandrohungen und Beschwoerungen organisiert, die ausreichen wird. Dies ist entscheidend. Aber es widerspricht der Tradition der Sozialdemokratie, zumindest so, wie ich sie verstehe. Da gibt es doch wohl unzweifelhaft auch sehr viele positive Elemente, die man auch dann anerkennen muss, wenn man selbst kein Sozialdemokrat ist. Zu diesen Traditionen gehoert ein gewisser Internationalismus, zu diesen Traditionen gehoert, sich fuer sozial Schwache und Benachteiligte einzusetzen, zu dieser Tradition gehoert aber nicht Nationalismus, nicht Abschottung, nicht Einschraenkung von Grundrechten, nicht die Zustimmung zu einer Veraenderung der Verfasstheit der Bundesrepublik Deutschland in militaristischer und nationalegoistischer Hinsicht, wie dies gegenwaertig geschieht. Wer aber so mit seiner eigenen Tradition bricht, handelt meines Erachtens nicht nur politisch schaedlich, sondern verliert sein Profil, wird unkenntlich. Es gibt Situationen, in denen dieses Profil wichtiger ist, als die Zahl von Waehlerstimmen. Im Uebrigen glaube ich nicht, dass Prinzipienlosigkeit dazu fuehrt, dass man Waehlerstimmen gewinnt. Indem hier heute dafuer gesorgt wird, dass das politische Programm der Republikaner zum Asylrecht aus dem Jahre 1990 nicht nur verwirklicht, sondern uebererfuellt wird, wird ihnen zugleich in die Haende gespielt. Denn wenn, dann waehlen die Menschen lieber das Original als ein schwaches Duplikat. Eine naechste Katastrophe besteht in dem, was im Rechtswesen mit dem heute geplanten Artikel 16 a Grundgesetz angerichtet wird. Dazu wird von uns Prof. Heuer sprechen. Wichtig ist, sich den Charakter des Kompromisses, den die SPD erreicht hat, anzusehen. Die Regierungskoalition wollte wenigstens noch deutlich sagen, dass es kein individuelles Recht auf Asyl mehr geben soll. Das lehnen wir selbstverstaendlich ab, aber es waere keine Taeuschung gewesen. Die SPD wollte erreichen, dass fuer Kriegs- und Buergerkriegsfluechtlinge grosszuegige Regelungen kommen, dass fuer doppelte Staatsbuergerschaften und ueberhaupt fuer die Einbuergerung und Einwanderungen wesentliche Erleichterungen geregelt werden. Ging es nicht auch einmal um eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung? Nichts von alledem ist verwirklicht worden. Das Einzige, was die SPD neben einer schlappen Kontingentregelung fuer Kriegs- und Buergerkriegsfluechtlinge erreicht hat, ist, dass im Absatz 1 des Artikels 16a so getan wird, als ob es auch kuenftig ein Asylrecht gaebe, um in den folgenden Absaetzen zu regeln, dass es praktisch nicht in Anspruch genommen werden kann. Die Probleme sollen dann die Polen und Tschechen loesen,die schlicht und einfach finanziell erpresst wurden. Gleichzeitig gibt die SPD jedes Mitspracherecht ab. Sie stimmt heute einer Grundgesetzaenderung zu, die es morgen der Regierungskoalition im Bundestag ermoeglicht, alleine zu entscheiden, welche Laender sogenannte sichere Drittstaaten oder Herkunftsstaaten sind. Ich weiss, das alles gilt keinesfalls fuer alle Mitglieder der SPD- Fraktion. Aber es gilt fuer eine Mehrheit und die Minderheit muss sich dazu verhalten. Wer mit Laenderlisten operiert, macht sie zum Gegenstand von Aussen- und Aussenwirtschaftspolitik. Schon fordert die Tuerkei, in die Liste aufgenommen zu werden. Und welche Bundesregierung wird bereit sein, gute Beziehungen zu einem Staat zu gefaehrden, indem sie diesen Staat von der Liste der Nichtverfolgerstaaten streicht, wenn es dort zu politischen Verfolgungen kommt. Wird es dann nicht eine Gueterabwaegung, eine politische Schadensberechnung etc. geben? Ich appelliere an die wirklichen Christen, liberalen und sozialen Demokraten unter Ihnen, sagen Sie NEIN zur Abschaffung des Asylrechts, sagen Sie NEIN zur Liquidierung einer der wichtigsten Konsequenzen aus dem moerderischen Naziregime, verweigern Sie sich der Abschaffung eines Grundrechts und einer Taeuschung, die da lautet: Fremder, du wirst politisch verfolgt, deshalb hast du Anspruch auf Asyl, aber wir haben dir fast alle Wege zu uns versperrt.
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