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Beiträge zur Theorie  










Werner Seppmann

Was ist ein "nonkonformistischer Intellektueller"?
Leo Kofler und die linke Kritik an der "Frankfurter Schule" [1]

"Gesellschaftstheorie hat es mit den
geschichtlichen Alternativen zu tun".
(Herbert Marcuse)

I. Mit seiner weitgehend institutionengeschichtlich angelegten Studie über die "Frankfurter Schule" ("Der nonkonformistische Intellektuelle. Die Entwicklung der Kritischen Theorie zur Frankfurter Schule") hat Alex Demirovic den Begriff des "nonkonformistischen Intellektuellen" in die Diskussion eingeführt. Für ihn ist es evident, daß durch eine theoretische Praxis, die in ihren Grundannahmen und theoretischen Orientierungsmustern der "Kritischen Theorie" von Horkheimer und Adorno verpflichtet ist, sich ein intellektueller Nonkonformismus begründet. Doch wird auch nach der Lektüre seiner umfangreichen Untersuchung nicht so recht klar, wodurch dieses rätselhafte Wesen eigentlich charakterisiert ist. Vielleicht ist es sinnvoller, wenn wir wissen wollen, was ein "nonkonformistischer Intellektueller" ist, statt nach Definitionen zu suchen, die Blickrichtung zu wechseln und inhaltlich danach zu fragen, wie wir uns einen konformistischen Intellektuellen vorzustellen haben? Wir werden dann zunächst bemerken, daß die üblicherweise benutzten Selbstetikettierungen nicht für bare Münze genommen werden können. Denn welcher Intellektuelle würde für sich nicht Kritikkompetenz und Machtdistanz beanspruchen? Doch ist es fraglich, ob die vollmundigen Selbstansprüche wirklich eingelöst werden! Inwieweit das geschieht oder versäumt wird, können wir jedoch erst dann beurteilen, wenn Klarheit über den Charakter eines kritischen Gegenwartsverständnisses besteht.

Die Frage nach der inhaltlichen Besonderheit des kritischen Denkens läßt sich nur im Kontext einer Beschäftigung mit den Reproduktionsformen des angepaßten Denkens beantworten. Kritisches und affirmatives Denken stehen in einem dialektischen Spannungsverhältnis zueinander, sind jedoch konkret nur in ihrer jeweiligen Relation zu den Machtverhältnissen zu begreifen. Damit sind wir auf die Problematik der aktuellen Ausformung eines "herrschenden Denkens" im Marxschen Sinne verwiesen. Theoretische Klarheit über den Zusammenhang von herrschenden Interessen und hegemonialen Denken sind besonders wichtig, weil in nicht wenigen Fällen auch progressiv intendiertes Denken in den Bannkreis des ideologischen Integrationsprozesses geraten ist: Wenn sie nicht zu den Ursachen sozio-kultureller Krisenerscheinungen vordringt, sich mit dem anklagenden Verweis auf Krisensymptome begnügt, regrediert auch Kritik zu einem Element des ideologischen Verschleierungssystems. Möglich ist eine solche Vereinnahmung durch einschneidende Veränderungen der hegemonialen Weltanschauungssysteme geworden. Sie bemühen sich nicht mehr um eine direkte Verteidigung oder gar die Idealisierung der etablierten Zustände. Denn im Kontext der sozio-kulturellen Krisensituation sind direkte Formen der Apologie kaum noch möglich. Positive Stellungnahmen werden von den "organischen Intellektuellen" (Gramsci) aufgrund der Unübersehbarkeit der sozio-kulturellen Krisentendenzen auch nicht mehr erwartet. Da die bürgerlichen Eliten selbst den Glauben an ihren eigenen Prinzipien verloren haben, reicht vollständig das Einvernehmen aus, daß Sicheres niemand weiß und Besseres nicht zu erwarten sei.

Durch Widersprüche in ihrer Selbstbegründung, bzw. durch ein Eigenleben ihrer geschichtsphilosophischen Prämissen, ist auch der "Kritischen Theorie" ein Moment ideologischer Anpassung inhärent. In der "Dialektik der Aufklärung" von Horkheimer und Adorno heißt es: "Die Herrschaft in der Sphäre des Begriffs, erhebt sich auf dem Fundament der Herrschaft in der Wirklichkeit". Aufklärung bleibe an den Prozeß der Naturbeherrschung gebunden, die den Menschen ein irreversibles Muster von Selbstunterdrückung aufzwingt. Der unbewältigte mythisch-archaische Unterbau der industriegesellschaftlichen Zivilisation drücke jeder Gegenwart seinen Stempel auf. "Gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse, so scheint es, werden aus der instrumentellen Verfügung über Natur abgeleitet, Herrschaft wird nach dem Modell instrumenteller Vernunft gedeutet." (A. Demirovic)

Weit sind diese Positionsbestimmungen von traditionell-mechanistischen Denkmodellen nicht entfernt, die ebenfalls Natur nicht als allgemeine Basis des gesellschaftlichen Prozesses, sondern als determinierenden Faktor klassifizieren. Wird das weltanschauliche Verallgemeinerungspathos für das Ganze genommen, dann ist Habermas' Interpretation zutreffend: "Bei Horkheimer und Adorno hat die subjektive Rationalität, die die äußere wie die innere Natur im ganzen instrumentalisiert, den Platz der Vernunft endgültig besetzt, so daß Vernunft erinnerungslos in 'instrurnenteller Vernunft' aufgeht." Jedoch stellt sich dann die Frage, ob eine solch geschichtsphilosophisch transformierte "Kritische Theorie" dem von Demirovic formulierten Erkennungsmerkmal für eine nonkonformistische Intelligenz noch gerecht wird: "Ihr Nonkonformismus besteht darin, daß sie innehalten, die vorherrschende Entwicklungstendenz nicht vollstrecken, sondern sich ihr entgegenstellen und ihr eine andere Richtung geben."

II. Mit ihren geschichtsmetaphysischen Fixierungen haben Horkheimer und Adorno die Zielrichtung ihres ursprünglichen Konzeptes einer kritischen Sozialtheorie revidiert, das keinesfalls nur peripher dem Marxismus verpflichtet war, jedoch gleichzeitig seiner Perspektive der Gesellschaftsveränderung reserviert begegnete. Die Selbstetikettierungen aus dem Umfeld der "Frankfurter Schule", daß es die ursprüngliche Absicht war, "den Marxismus auf produktive Weise fortzuentwickeln" (A. Honneth) ist jedenfalls differenziert zu betrachten. Es ist richtig, daß Grundzüge der Marxschen Gesellschaftsanalyse (einschließlich einer summarischen Akzeptanz der "Kritik der politischen Ökonomie") mit einem sozialpsychologisch aktualisierten gesellschaftskritischen Konzept verbunden wurden. Akzeptiert wurde im Umfeld der "Frankfurter-Schule" jedoch nur ein verkürztes Marxismus-Verständnis: Von Beginn an, wurde der Anspruch aus der 11. "Feuerbach-These" relativiert, später ganz zurück genommen: Weil die Veränderungsperspektive sich verdunkelt habe, solle die Welt nur nochmals interpretiert werden. "Praxis" scheint in normativer Gestalt zwar noch am Theoriehorizont auf, besitzt jedoch keine konstitutive Bedeutung mehr: Die kritischen Impulse werden dem resignativen Weltanschauungsbedürfnis gleichgestellt.

Zum Verständnis dieser widersprüchlichen Theorieproduktion ist besonders der Umgang der Institutsleitung mit den theoretischen Begründungs- und Präzisierungsleistungen der anderen Mitarbeiter des "Instituts für Sozialforschung" aufschlußreich, die einen prominenten Anteil bei der marxistischen Infusion und teilweise auch der Perpetuierung eines radikalen Verständnisses von Gesellschaftskritik hatten (Erich Fromm, Friedrich Pollock, Leo Löwenthal und Herbert Marcuse). Soweit ihre theoretischen Interventionen in dem akzeptierten Theoriekanon Einlaß fanden, wurde ihnen der radikale Stachel gebrochen. Das Motiv der Gesellschaftsveränderung wurde durch intellektualistische Distanz und ein gestaltloses Verweigerungsprinzip verdrängt. Für den Paradigmenwechsel haben Horkheimer und Adorno bedenkenswerte Argumente vorgebracht, sich aber der eingehenden Analyse ihrer Behauptung einer fast undurchdringlichen "SystematiW' repressiver Systemreproduktion verweigert. Stattdessen haben sie viel Zeit und Mühe auf die Verdrängung und Verschleierung der ursprünglichen Wurzeln ihres Theoriemodells verwandt. Die Verleugnung des eigenen Erbes wurde auch, soweit es möglich war, institutionell abgesichert und der Öffentlichkeit das Bild einer "kulturkritisch" domestizierten Gesellschaftsanalyse zu vermitteln versucht. Alfred Schmidt hat darauf hingewiesen, daß in der "Dialektik der Aufklärung" zwar seitenlang die "Deutsche Ideologie" von Marx und Engels referiert, der Name der Autoren aber verschwiegen wird. Mit gleicher Konsequenz wurde der Kapitalismus-Begriff aus dem ursprünglichen Manuskript durch euphemistische Umschreibungen ersetzt.

Die Distanzierung von der eigenen Vergangenheit bedeutete auch, von jenen ehemaligen Mitarbeitern des "Instituts für Sozialforschung" abzurücken, die sich der ursprünglichen Programmatik einer radikalen Gesellschaftsanalyse weiter verpflichtet fühlten. Eine besondere Rolle als "revolutionäres Gewissen" der "Frankfurter Schule", vor allen Dingen nachdem er nicht nur institutionelle Distanz gewonnen hatte, spielte Herbert Marcuse. Seine Zivilisations-Kritik hat an entscheidenden Stellen auch eine Tendenz zur "kulturkritischen" Allgemeinheit, jedoch im Unterschied zur "Dialektik der Aufklärung" mit utopischen und praxisphilosophischen Konsequenzen. Es ist jedenfalls kein Zufall, daß die Leitungsgremien des Instituts von seiner intellektuellen Konsequenz nur wenig begeistert waren. Seine Beiträge zur gesellschaftstheoretischen Radikalisierung der Psychoanalyse in "Triebstruktur und Gesellschaft" (ursprünglich unter den Titel "Eros und Civilisation" erschienen) riefen (nach Darstellung von Rolf Wiggershaus, des verläßlichen Chronisten der "Frankfurter Schule") mehr als nur inhaltliche Reserviertheit hervor. Nicht nur aus verletzter Eitelkeit (Adorno beklagte sich 1955 schriftlich bei Horkheimer, daß beide nicht "auch nur mit einem Wort genannt wären"), wußte es Adorno zu hintertreiben, daß diese epochale Arbeit als Institutsveröffentlichung erscheinen konnte. "Was Adorno, ohne sich auf eine Diskussion der von Marcuse vertretenen Positionen einzulassen, an Kritik vorbrachte, lief letztlich auf den Rat hinaus, wie Adorno und Horkheimer zu verfahren: sich bedeckt zu halten und das Zentrum, aus dem er philosophiere, nicht als ein greifbares und sicheres Fundament hinzustellen." (Wiggershaus) An dieser Positionierung Adornos ist besonders interessant, daß nicht in Frage gestellt wird, von einem theoretischen Fundament aus zu argumentieren, es aber als wichtig erachtet wird, diese Grundlagen im Verborgenen zu lassen. Es ist symptomatisch, daß die modephilosophischen Diskurse auf genau diesen Trick hereinfallen und Adorno ihre Sympathien aufgrund einer vermeintlichen "Unabgeschlossenheit' und "Vieldeutigkeit" seines Denkens entgegenbringen.

Als einer der ersten hat Leo Kofler eine zunehmende Distanz zwischen Marcuse und der "Kritischen Theorie" bemerkt. In einer Rezension von "Eros und Kultur" verwies er 1958 auf die ungebrochene "revolutionäre Tendenz" dieses Buches und darauf, daß "im Gegensatz zu manchen anderen kritischen oder gar ,marxistischen' Untersuchungen ... Marcuse unnachsichtig die Gesamtheit der auf Unterdrückung des Eros' des (in sich wiederum komplexen) Lebenstriebes, beruhenden Klassengesellschaft" subsumiert - für Adorno immerhin Anlaß genug, Marcuse aufzufordern, bei Kofler schriftlich zu intervenieren, um den Eindruck einer Differenz gegenüber dem Institutskreis (wovon Kofler nur in vagen Andeutungen gesprochen hatte!) als ein Mißverständnis darzustellen und öffentliche "Richtigstellung" zu fordern!

Es bliebe im Detail zu untersuchen, in wie weit Adornos Einschätzung (in jenem besagten Brief an Horkheimer) zutrifft, daß Marcuses Freud-Buch "im wesentlichen die von uns in dieser Angelegenheit vertretenen Gedanken enthält". Denn unverdeckt ergreift Marcuse Partei für eine humanistische Anthropologie als normative Voraussetzung gesellschaftskritischer Reflexion und entwickelt eine geschichtsphilosophische Perspektive die Jenseits des Realitätsprinzips" angesiedelt ist: Positionen also, mit der Adorno (zumindest in der präsentierten Unmißverständlichkeit) seine Probleme gehabt haben dürfte. Interessant in diesem Zusammenhang ist, daß 1937 Horkheimer auch dem von Erich Fromm entwickelten Verständnis der gesellschaftlichen Modifikation und Überlagerung der Triebstruktur und dessen Kritik am latenten Biologismus Freuds ablehnend gegenüber stand und eine Veröffentlichung seiner Begründung in der "Zeitschrift für Sozialforschung" verhindert hat.

III. Eine auf die Grundannahmen der "Dialektik der Aufklärung" reduzierte "Kritische Theorie", könnte - ich will es vorsichtig formulieren - dazu dienen, soziale Pathologien als die Konsequenz einer prinzipiellen Absurdität und Ausweglosigkeit der menschlichen Existenz zu verklären und dadurch bestehende Machtstrukturen ideologisch entlasten. Diese herrschaftskonforme Wirkung wird durch normative Prämissen ("Der Fluch des unaufhaltsamen Fortschritts ist die unaufhaltbare Regression"), sowie die methodologischen Besonderheiten einer "kulturkritischen" Vorgehensweise provoziert, die zur Verabsolutierung (durchaus realer) Tendenzen neigt: "Kultur schlägt heute alles mit Ähnlichkeit". Durch die Vorstellung einer "Naturalisierung" des gesellschaftlichen Geschehens wird eine intellektuelle Barriere errichtet, die das Begreifen der widersprüchlichen Gliederung der Sozialprozesse erschwert: Horkheimers und Adornos "ldentifizierung von Naturbeherrschung und Unterdrückung, aufklärerischer' Erkenntnis ... und unmenschlicher Anwendung, von Fortschritt und Regression, von humanistischer Ideologie und Mythos, bedeutet die Diremption der geschichtlichen Totalität zum bloß negativen hin und damit die Setzung eines Systems, nämlich eines weltgeistig~pessimistischen." (L. Kofler)

Soziale Widersprüche werden in diesem "Systemzusammenhang" zwar benannt, aber nur unzureichend auf ihren Begriff gebracht, so daß der Anteil des "Orientierungswissens" bescheiden bleibt. Durch die geschichtsphilosophischen Grundannahmen der "Kritischen Theorie" wird die diaIektische Methodologie durch ein quasi-deterministisches Moment überlagert. Das Gesellschaftsbild gerinnt zur Vorstellung einer "zweiten Natur", die sich als verselbständigter Gewalt- und Herrschaftskomplex präsentiert. Vor allen Dingen dort, wo die Apologeten agieren, sind durch diese Denkmuster elementaren Fragen schon beantwortet, bevor sie überhaupt artikuliert werden: Der verbreitete Interpretationsmechanismus wirkt wie eine Zensur, vermittelt aber auch ein beruhigendes Gefühl des Einvernehmens, auch wenn mit "kritischen" Pathos Distanz reklamiert wird. Perpetuiert wird ein resignatives Selbstverständnis, das mit der Schicksalsergebenheit eines Alltagsbewußtseins korrespondiert, welches um den krisenhaften Zustand der Welt weiß, aber keinen alternativen Vorstellungshorizont mehr besitzt. Der Verfalls-Topos generalisiert alltägliche Vergeblichkeitserfahrungen, an die auch der kulturindustrielle Komplex anschließen kann, der das Leben als von archaischen Ursprungsmächten, vom "Bösen" und dem "Schicksal" beherrscht darzustellen weiß. Wirkt es nicht wie eine popularisierende Transformation "repressiver Mimesis", wenn es in der Werbung für einen Katastrophenfilm heißt: "Natur kennt keine Gnade"?

Eine den Sozialprozessen nicht in allen Fällen angemessene theoretische Homogenisierung" besonders in Adornos Denken, erschwert die analytische Differenzierung zwischen den gesellschaftlichen Formierungstendenzen und vorhandenen Widerspruchsmomenten. Auf der unmittelbaren Wahrnehmungsebene ist es evident, daß beispielsweise die Menschen weitgehend das Interesse an der Politik verloren haben. Aufschlußreich jedoch wären die Gründe des Rückzugs: Liegt nicht das Hauptproblem im Verfall der "politischen Kultur", in der Formalisierung und Instrumentalisierung der politischen Prozesse, ihrer zunehmenden Entfernung von den Alltagsproblemen? Manifestiert sich in der "Politikverdrossenheit - wenn auch in einer verzerrten Weise nicht auch ein Moment des Protestes gegenüber einer technokratisch-bürokratischen Vereinnahmung? Weil sie den widersprüchlichen Charakter der Alltagsartikulationen ignoriert, bleiben der "Kritischen Theorie" solche realen Wiederspruchsmomente (meistens) verborgen. Sie bescheidet sich mit einem Bild von der Welt als Sphäre des Immergleichen und der subjektiven Hilflosigkeit. In ihrer konsequenten Ausprägung reflektiert sie bloße Stimmungsmomente, die mit dem Schein "ontologischer" Bestimmungen ausgestattet werden. Bedingt durch das paradigmatische Interpretationsschema wird der Alltag pauschal als Ausdruck eines "falschen Lebens" stilisiert und vornehmlich in seinen Dimensionen der Verdinglichung und des Scheins seiner Unabänderlichkeit betrachtet. Ihn zu kritisieren ist für diesen Standpunkt nur noch von einer Position außerhalb der gesellschaftlichen Praxis in einem abstrakten Negationsakt möglich. Der alltäglichen Manipulation und Bewußtseinsverzerrung wird die Kritik als Projekt subjektiver Vernunftvergewisserung entgegengesetzt.

Es ist kein Zufall, daß der alltagskritischen Reflexionen der "Kritischen Theorie" nicht selten ein Zug des abstrakt-elitären anhafte (Adornos "Entlarvung" der Fernsehübertragung eines symphonischen Konzertes als Ausdruck kulturellen Verfall hat durchaus systematische Bedeutung!); eine bloß pseudokritische Reserviertheit gleitet, wie uns auch der Postmodernismus vorführt, nur zu oft in einen als Ironie missverstandenen Zynismus ab. Die sozio-strukturellen Ursachen eines Leidens an der Gesellschaft geraten an den Rand der theoretischen Wahrnehmung; die Aufmerksamkeit konzentriert sich auf eine prinzipielle Differenz, die der "Kultursphäre" zugeordnet ist. Die gesellschaftliche Wirklichkeit als permanent sich verändernde wird nur im methodologischen Kontext thematisiert. Der Kritikanspruch kapituliert vor dem warengesellschaftlich erzeugten Schein einer Permanenz der herrschenden Verhältnisse, vor dem verdinglichten Vorstellungsmuster der menschlichen Beziehungen als eines "außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen" (Marx).

Den unbeholfenen Selbstbestimmungsansprüchen der Alltagssubjekte, ihre Auseinandersetzung mit den Entfremdungssyndromen, verbunden mit dem Streben nach Glück und Lebenserfüllung, erscheinen nur noch als Dispositionsmasse allgegenwärtiger Manipulationsinstanzen. Der totale Ideologie- und Verdinglichungsverdacht, den die "Kritische Theorie" trotz der treffenden Kritik an Mannheims einschlägigen Konzept perpetuiert, verhüllt den lebendigen Prozeß von Anpassung und Widerstand. Zwar ist die Verdinglichung Realität, aber nicht mit dem gesellschaftlichen Geschehen deckungsgleich: Weil das Gegenläufige und Widerständige als reale Momente des gesellschaftlichen Geschehen nicht wahrgenommen wird, bleibt auch der kritische Blick auf die "Pathologien" moderner Vergesellschaftungsprozesse ambivalent.

Das Kritikkonzept in den "kanonischen" Texten der "Frankfurter Schule" ist von einem tiefen Selbstwiderspruch geprägt. Den Verdinglichungs- und Herrschaftsformen in den entwickelten Industriegesellschaften wird eine solche Prägekraft zugesprochen, daß die Kritik an ihnen Gefahr läuft, sich selbst ad absurdum zu führen. Der explizierte Kritikanspruch den Schein zu denunzieren, wird nicht mit der möglichen Konsequenz eingelöst. Adornos sozial-deskriptive Terminologie ist kaum weniger abstrakt und nicht weniger von regressiven Weltanschauungsimplikationen überlagert, als Heideggers Rede über "Existenz" und "Sorge". Seine angestrengte Sprache ist nicht nur der Tiefe seiner Gedanken und der Kompliziertheit der Sachverhalte geschuldet; sie hat auch die Aufgabe, die affirmative Reserve zu verbergen.

IV. Leo Kofler - der zu ihren frühesten Kritikern gehörte - hat die "Kritische Theorie" durchaus differenziert betrachtet und ihre Selbstzerrissenheit thematisiert: Er betont ausdrücklich, "ihr Verdienst ..., die neuen Phänomene der entwickelten Gesellschaft [Vermassung, Beziehungslosigkeit, Verdinglichung, Konformität etc.] ins kritische Licht gezogen zu haben", verweist aber gleichzeitig auf ihre Schranke, die darin liegt, daß ihre Vertreter "die in der hochbürgerlichen Epoche extrem in Erscheinung tretenden Tendenzen der Verdinglichung und Fetischisierung in quasi philosophischer Manier zum Allgemeinen, oder soziologisch ausgedrückt, zum negativen Schicksal von gleichsam unentrinnbarer Gestalt mythologisieren und sich deshalb um die Vielzahl der Einzelerscheinungen entweder gar nicht oder von Fall zu Fall nur so weit kümmern, als sie ihre Themen zu bestätigen scheinen. Phänomene wie Staat, Bürokratie, bürgerliche und progressive Intelligenz, modernes Proletariat, Kleinbürgertum, Managertum, Gewerkschaften, Verbände, Kriminalität, heutige Jugend usw. werden von ihnen vernachlässigt zugunsten des allgemeinen Trends, den sie im Sinne einer zweiten Natur' von fast verselbständigtmechanistischer Gestalt interpretieren." Wenn dem Totalitätscharakter des Gesellschaftlichen nicht forschungspraktisch entsprochen wird und die wechselseitigen Bedingungsverhältnisse nicht auf ihren Begriff gebracht werden, kann auch die kritische Rede in die intellektuelle Sackgasse des resignativen Konstatierens verfallen. Sie thematisiert dann das Statische nur als Statisches, den Zerfall nur als Zerfall! Sie befindet sich dann im Einvernehmen mit einem Alltagsdenken, daß die Welt in seiner unreflektierten Unmittelbarkeit hinnimmt und sie nur noch als gegebene Zustandsform reflektiert, ohne ihre realen Veränderungsmöglichkeiten mitzudenken. Als Alternative zu eine solchen weltanschaulich motivierten Reduktionismus, hat Kofler den Selbstanspruch einer reflexiven Dialektik formuliert: Nur "wenn ich ins Konkrete gehe, bekomme ich einen anderen Begriff vom historischen Fortschritt, weil ich Widersprüche und Entwicklungen sehe, die stets Neues, oft überraschendes und keineswegs das Iminergleiche', wie Adorno sagt, implizieren." So richtig es ist, daß der Kapitalismus Selbstunterdrückung und menschliche Deformationen produziert, so kann jedoch nur um den Preis intellektueller Selbstblokaden ignoriert werden, daß die entwickelte bürgerliche Gesellschaft auch das Bewußtsein der Kritikwürdigkeit dieser Entwicklungen und das Wissen um die Möglichkeit ihrer Überwindung ermöglicht hat!

Kofler hat sich weder über die Stabilität des kapitalistischen Herrschaftssystems und die faktische Systemintegration der Arbeiterklasse, noch über den kulturellen Verfall oder die sozialen Regressionstendenzen Illusionen gemacht. Jedoch gehörte es zu seinem Verständnis einer kritischen Theorie der Gesellschaft, nach den Zusammenhängen und konkreten Ursachen dieser Entwicklungen zu fragen. Jedoch war das nicht der einzige Unterschied zur "Frankfurter Schule": Um nicht der resignativen Selbstgefälligkeit einer "negativen Dialektik" zu verfallen, die indirekt den ideologischen Schein einer Unaufhebbarkeit der herrschenden Zustände zu bestätigen scheint, waren seine kritischen Zustandsbeschreibungen des Spätkapitalismus darüber hinaus auch immer mit der Suche nach Anknüpfungspunkten für politische Aufklärung verbunden. Denn trotz seiner festgefügten Erscheinungsweise ist der Kapitalismus von unzähligen Widerspruchstendenzen, neue Antworten erzwingenden Entwicklungen der Produktivkräfte geprägt, die sich in sozio-kulturellen Zuspitzungen, aber auch subjektiven Widerstandshandlungen äußern. In dieser Herangehensweise manifestiert sich ein elementarer Unterschied zur bloßen "Entlarvung" des Verblendungszusammenhangs, dessen Überwindung als Ergebnis einer konkreten Praxis nicht einmal als Möglichkeit ins Kalkül gezogen wird. Die zu einem Interpretationsautomatismus geronnene Kulturkritik steht dem Begreifen der alltäglichen Widerspruchskultur im Wege, die sich u.a. in einem gestaltlosen Hoffen, jedoch auch in den symbolischen Akten der Selbstdarstellung (in denen die Menschen auf hilflose Art ihre Subjektansprüche zur Geltung bringen) äußert. Diese Artikulationsformen werden jedoch nur als bloße Verfügungsmasse des kulturindustriellen Komplexes interpretiert. Unterschätzt wird die Vielfalt des Alltagslebens, ignoriert die Tatsache, daß die ideologische Systemregulation nicht auf allen Ebenen reibungs- und bruchlos funktioniert. Es entstehen Anpassungsdefizite, denen die Chancen zu einer verständigen Widerspruchsverarbeitung inhärent sind und die im Interesse des Herrschaftssystems deshalb auch von Zeit zu Zeit ideologisch kompensiert werden müssen. Besonders für jene Gruppen, die ihren politischen Partizipationsanspruch noch nicht aufgegeben haben (und zu denen "neue" aber auch Segmente der "alten" sozialen Bewegungen gehören), muß "der stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse" (Marx) immer wieder durch weltanschauliche Überzeugungsarbeit flankiert werden. Denn die herrschaftskonformen Interpretationsmuster verschleißen nach einem gewissen Zeitraum. Um weltanschauliche Konformität zu gewährleisten, müssen beispielsweise beständig die Formen der Orientierungsangebote verändert werden. Denn wer gestern noch an die Chancen der "lnformationsgesellschaft" geglaubt und postmodernistische Begriffskaskaden als Selbstkritik einer aus den Fugen geratenen "Moderne" verstanden hat, muß heute mit den assoziativen Klang der "zivilen Bürgergesellschaft" geködert werden.

V. Um den Fallstricken des Herrschaftsdenkens zu umgehen, müssen die Theoreme und Begriffe einer kritischen Gesellschaftstheorie gegenüber ihrer Instrumentalisierung für machtkonforme Zwecke immun sein. Kritik gewinnt ihr Profil nur durch eine inhaltliche Strukturierung, die dem Kritisierten entgegengesetzt ist, sonst bleibt sie dessen Funktionselement. Eine Widerspruchshaltung gegenüber einer gesellschaftlichen Zustandsform ist jedoch nur wirkungsvoll, wenn sie die Möglichkeiten ihres konkreten Überschreitens mitdenkt: "Eben nicht nur kritisch muß die Totalität sein, sondern vor allem nicht kontemplativ: nur auf diese Weise gelangt sie dazu, das Ungewordene, Unberichtigte der Vergangenheit nicht in ihr stehen zu lassen". (Bloch) Gegen ihre Vereinnahmung wird Theorie nur dann resistent, wenn sie mehr als nur das Skandalöse und in humanistischer Perspektive Unakzeptable bezeichnet; sie muß gleichzeitig auch das Wissen um die transformatorische Qualität der kapitalistischen Widerspruchstendenzen umfassen. Daß in jeder Gegenwart Tendenzen einer besseren Zukunft existieren, hat Horkheimer Anfang der 40er Jahre noch wissen wollen: ,Auf Grund der vorhandenen Produktionsmittel und -methoden, auf Grund der Rationalisierung des ganzen Wirtschaftsapparates und der technischen Geschicklichkeit der Menschen ist heute eine Produktionsweise möglich, bei welcher sich nicht mehr alle Mittel der Produktion in den Händen der Minderheit befinden und die Mehrheit notleidet." Obwohl alle Bedingungen für eine globale Selbstbefreiung gegeben sind, hält sich die antagonistische Gesellschaft um den Preis immer neuer Widersprüche und zunehmender Paradoxien künstlich am Leben. Immer offensichtlicher stößt die kapitalwirtschaftliche Produktivkraftentwicklung an ihre Grenzen und verlangt nach einschneidenden Veränderungen des sozio-ökonomischen Reproduktionsmodells.

Kritik, die gegen ihre machtkonforme Instrumentalisierung immun sein will, muß das Wissen um den Widerspruch zwischen der Produktivkraftentwicklung und den Produktionsverhältnissen (mit ihrem sozio-kulturell regressiven "Überbau) wach halten. Das ist mit einer kontemplativen Grundhaltung jedoch nur schwer zu erreichen: Denn man muß "das Kapital ... abschaffen wollen, wenn man es begreifen will" (W. Pohrt). Ohne eine Theorie der Emanzipation, die als Philosophie der Praxis den Widerspruch zwischen den realen Fortschrittspotentialen und der Perpetuierung des gegebenen Zustands thematisiert, resultiert aus der Kulturkritik das Gegenteil des Intendierten: Sie "bestätigt' nur den alltagspraktisch erzeugten Schein einer unerschütterlichen Festgefügtheit des Bestehenden. Deshalb müssen die Begriffe einer kritischen Sozialwissenschaft sich nicht nur explizite mit den kapitalistisch erzeugten Denkformen und Orientierungen, sondern auch mit den Fragen nach den Möglichkeiten eines selbstbestimmten Handels auseinandersetzen - auch wenn hohe Barrieren gegen die Realisierung des prinzipiell Möglichen existieren.

Kritisches Denken - zumindest in der Marxschen Tradition - erhält sein unverwechselbares Profil durch die konkrete Kritik der Macht und die Entlarvung, der sie verschleiernden Denkstrukturen. Nur wenn dem konkreten Prozeß der Herrschaftsvermittlung Beachtung geschenkt wird, können hinter dem ideologischen Konstrukt von "Sachzwängen" die Akteure sozialer Verfestigungen erkannt und politische Einflußmöglichkeiten abgeschätzt werden. Doch in diesen entscheidenden Fragen konkreter Machtanalyse sind die wortgewandten Vertreter der "Kritischen Theorie" auffallend sprachlos! Die herrschende Klasse, ihre Elite-Netzwerke, die Struktur des Macht-Diskurses und die entscheidenden Fragen ideologischer Herrschaftsreproduktion sind fast eine gesellschaftsanalytische Leerstelle. J. Bischoff und Ch. Lieber thematisieren deshalb nur einen Teil der Problematik, wenn sie schreiben, daß "trotz des Wissens um die Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise und in den abgeleiteten Gesellschaftssphären, ... sich Horkheimer und Adorno mehr und mehr von dieser Analyse der kapitalistischen Produktionsverhältnissen und den Arbeits- und Lebensverhältnissen" entfernen.

Es ist ein weiteres Indiz - das sei am Rande vermerkt - für die sachliche Unzuverlässigkeit des "Historisch-kritischen Wörterbuchs des Marxismus" (Ed. Haug), daß die marxistische Kritik an der "Kritischen Theorie" in den umfangreichen Stichwort-Erörterungen zur "Frankfurter Schule" nicht zur Kenntnis genommen wird und die substantiellen Probleme ihres Theorie-Konzepts hinter den üblichen intellektualistischen Selbstzurechnungsformeln verschwinden. Außer der Randbemerkung, über einem "kompromisslosen Pessimismus" bei Adorno, fehlt ein profiliertes Problembewußtsein über die widersprüchliche Selbstbegründung, hermetische Selbstbezüglichkeit und weltanschaulichen Verstrickungen einer "negativen Dialektik", auch den kurzen Atem einer abstrakten Negationshaltung findet das Stichwort keines Hinweises für würdig. Stattdessen werden die Leserinnen und Leser mit dem undifferenzierten Eindruck entlassen, daß alle irgendwie "kritisch" sei. Auch das Literaturverzeichnis, das nach den Worten des Herausgebers den "historisch-kritischen Blick in die labyrinthische Bibliothek' marxistischen Wissens" ermöglichen soll, erwähnt die Gegenpositionen und den marxistischen Diskussionsstand mit keinem Wort!

VI. Es ist die skizzierte weltanschauliche Zwiespältigkeit, methodische Ambivalenz und sozialanalytische Halbherzigkeit, die Leo Kofler an der "Frankfurter Schule" nachdrücklich kritisiert hat. Und wenn ich mir die aktuellen Entwicklungen anschaue, halte ich diese Kritik im Kein immer noch für aktuell. Ich möchte nur daran erinnern, daß bestimmte Theoreme der "Dialektik der Aufklärung" ohne allzu großen Schwierigkeiten in den Diskurs des Postmodernismus integriert werden konnten, der eine wichtige Rolle bei der theoretischen "Fundierung" herrschender Resignation spielt. Dennoch bleibt dieser Vereinnahmungsversuch eine zweischneidige Sache. Im Gegensatz zum erkenntnisrelativistischen Anliegen der Diskurs-Philosophie wird in der "Kritischen Theorie" an der entlarvenden Reflexionsfähigkeit einer "widerständigen" Intelligenz und der Vorstellung eines objektivierenden Wissens (wenn auch abstrakt) festgehalten. In seiner "Kritik der instrumentellen Vernunft" verweist Horkheimer darauf, daß der Antagonismus von Vernunft und Natur in eine akute und verhängnisvolle Phase eingetreten, aber auch, "daß auf dieser Stufe vollendeter Entfremdung die Idee der Wahrheit noch zugänglich" sei. Es wiederspricht deshalb dem Selbstverständnis der "Kritischen Theorie", wenn die intellektuellen Nachlaßverwalter des Frankfurter "Instituts für Sozialforschung" die Relativierung eines fundamentalen sozialtheoretischen Kritikanspruchs mit der postmodernistischen "Gewißheit" festschreiben wollen, daß die "konkrete Totalität unserer Gesellschaft uns verborgen bleibt'. Diese Positionierung ist aber ein ebenso aufschlussreiches Beispiel für die ideologische Flexibilität eines "kulturkritischen" Verständnisses der gesellschaftsanalytischen Aktivität, wie auch die Nivellierung zentraler Impulse der "Kritischen Theorie" durch Habermas. Sein praktizierter Modus ideologischer Anpassung wäre aber ein anderes Thema. Durch Habermas theoretischer Praxis wird jedoch nochmals deutlich, daß die Problematisierung des Verhältnisses von instrumentalisierbaren Denkmustern und emanzipatorischen Perspektiven, sowie die Reflexion der Dialektik von herrschaftskonformen und überschreitenden Denken von ungebrochener Aktualität ist. Es geht bei der Auseinandersetzung mit dem Selbstverständnis der "Kritischen Theorie" deshalb nicht um die Fortsetzung alter Grabenkämpfe! Dieser Eindruck kann nur aufgrund eines unterentwickelten Verständnisses der aktuellen Formen ideologischer Herrschaftsproduktion entstehen, deren Protagonisten ohne große intellektuelle Verrenkungen an die weltanschaulich-nihilistischen Aspekte der "Frankfurter" Theorieproduktion anknüpfen können.

Aufgrund der (prinzipiell erfreulichen!) Wirkungskraft der "Kritischen Theorie", die, wenn nicht alle Zeichen trügen, wieder größer geworden ist, ist auch die unvoreingenommene Beschäftigung mit ihren Denkvoraussetzungen und ihren philosophischen Strukturprinzipien nicht überholt. Zumal die kritischen Interpretationsversuche, gemessen am Umfang der affirmativen Textproduktion, immer noch eine Desiderat darstellen. Es ist nicht nur ein individuell zurechenbares Defizit, wenn Demirovic weder ihrer immanenten Widersprüchlichkeit große Aufmerksamkeit schenkt, noch überhaupt die linke Kritik an der "Frankfurter Schule" inhaltlich zur Kenntnis nimmt: Diese "Selbstbeschränkung" korrespondiert mit dem latenten Monopolanspruch der "Kritischen Theorie". In seinem Buch wird Kofler an einigen Stellen als marxistische Alternativgestalt zwar registriert, der grundlegende Dissens jedoch verschwiegen. Wäre die für den "nonkonforrnistischen Intellektuellen" reklamierte "Selbstreflexivität" tatsächlich im angedeuteten Umfang vorhanden, hätte die linke Kritik an den weltanschaulichen Konsequenzen dieses Theorieprogramms nicht ignoriert werden können, zu dessen frühesten Beispielen auch Friedrichs Tombergs 1963 erschienener Aufsatz "Utopie und Negation" gehört, in dem Kofler bestätigende philosophisch-systematische Argumente für seine Kritik an Adornos ästhetischer Position findet, die er kurz zuvor in seiner literatursoziologischen Kritik des Avantgardismus ("Zur Theorie der modernen Literatur") systematisiert hatte.

Implizite hat Demirovic auf den grundlegenden Dissens zwischen der Frankfurter Schule und einem marxistischen Sozialverständnis dennoch hingewiesen. Der "Kritische Theoretiker" müsse aufgrund der Entwicklungen im "fordistisehen" Kapitalismus davon ausgehen, daß die Systemreproduktion undurchdringlich sei, es keine realen Anknüpfungspunkte mehr gebe um "das stählerne Gehäuse" (M. Weber) industriekapitalistischer Realität aufzubrechen. Damit aber wird der immanente Horizont entfremdeter Sozialverhältnisse festgeschrieben: Die vom "System" gesetzten Grenzen werden nicht überschritten; das (diaIektische) Denken bleibt hinter den objektiven Bewegungsformen und seinen Erkenntnismöglichkeiten zurück. Es ist alles andere als ein Zufall, daß sich im Postmodernismus dieser Gedankengang dupliziert: Die grundlegende Erfahrung in den postmodernen Lebensverhältnissen sei die Unübersichtlichkeit; das Unbestimmte und das Fragmentarisierte dominieren gemäß des Diskurs-Wissens die soziokulturellen Bewegungen und den individuellen Wahmehmungshorizont. Und das nicht nur in den Bereichen der alltäglichen Erfahrung, auf die sich zunächst diese Beschreibung bezieht und (und in denen sie durchaus Sinn macht). Denn weil die Welt auf den ersten Blick, also für das fixierende Alltagsbewußtsein, undurchsichtig ist, entziehe sie sich grundsätzlich einer gedanklichen Durchdringung. Auch die sozialtheoretische "Unübersichtlichkeit ist [nach den Worten von W. Welsch] eine Folge des politischgesellschaftlichtechnologischen Systems ... Daher besteht objektiv eine fundamentale Desorientierung".
Im Postmodernismus ebenso wie in der Frankfurter Orthodoxie dienen solche Festlegungen dazu, Kritik auf eine Verweisungsgeste zu reduzieren und praktisches Veränderungsbegehren zu tabuisieren. Ich habe den resignativen und geschichtsskeptischen Aspekt (Kofler hat ihn als "nihilistischen bezeichnet) vor zehn Jahren nicht mehr für besonders wichtig gehalten. Auch diese Hoffnung ist angesichts der mühelosen Vereinnahmung von Theorieelementen der "Dialektik der Aufklärung" und einer "Negativen Dialektik" durch den Postmodernismus enttäuscht worden.

VII. Der Streit zwischen der "Kritischen Theorie" und den Vertretern eines "revolutionären Humanismus" (L. Kofler) wird nicht um philosophische Fachfragen, sondern um die gesellschaftstheoretischen Grundeinstellungen geführt. Darin liegt, wie Horst Müller richtig betont hat, der eigentliche Kein der Auseinandersetzung, und wenn man so will, auch seine politische Dimension. Es geht nicht um die vordergründige Vorstellung eines politischen Engagements des Philosophen, sondern zunächst einmal um die theoretische Akzentuierung des Theorie-Praxis-Komplexes. Es ist konstitutives Merkmal der "Kritischen Theorie", daß schon auf der grundlagentheoretischen Ebene die Möglichkeit konkreter Veränderung skeptisch bewertet, durch die weltanschaulichen Prämissen das Problembewußtsein der Praxisvermittlung der Subjekte resignativ präjudiziert wird. Die Konsequenz der pessimistischen Weltsicht ist "ein unüberwindliches Mißtrauen gegen alles was Menschen tun. Abgelehnt wird nicht nur die orthodoxe marxistische Revolutionstheorie. Der Verdacht, daß jede Form menschlicher Aktivität im Netz des Immergleichen und Unwahren befangen bleibt, wird auf der Ebene philosophischer Allgemeinheit als eine Konstante der menschlichen Existenz dargestellt, die auch durch grundlegende Veränderungen des sozialen Reproduktionsgefüges nicht außer Kraft gesetzt werden kann. Die selbstverordnete Distanz zu einer angeblich theoriefeindlichen Praxis schlägt um in Ressentiment gegen Praxis überhaupt. Alle Praxis wird für falsch erklärt." (G. Kimmerle) An solchen Bruchstellen überlagert Nietzsches Denken das Sozialverständnis von Horkheimer und Adorno und wird gegenüber ihren marxistischen Anleihen dominant:

Möglich wird ein solch leichthändiger Perspektivwechsel durch ein systematisches Defizit: Die "Kritische Theorie" thematisiert Verdinglichung ohne Berücksichtigung der Entfremdungsproblematik; es fehlt ihr eine Subjekttheorie, die den "Menschen in seinen Gesellschaftlichen" Verhältnissen (Marx) in allen seinen Bezügen thematisiert. Die Beschreibungen subjektivistischer Erfahrungsdimensionen, die besonders bei Adorno einen breiten Raum einnehmen und die durch eine nietzscheanische Auffassung der Subjektivität strukturiert sind, können diese Leerstelle nicht füllen. Die der "Kritischen Theorie" zugesprochene subjekttheoretische Kompetenz beruht offensichtlich auf einem Mißverständnis.

In diesem intellektuellem Spannungsfeld zwischen Objektivismus (bei Adorno ist von der Negation des Subjekts und davon, daß jeder Einzelne durch seine Zugehörigkeit zu dem totalen Gefüge in weitem Maße bestimmt wird" die Rede) und subjektivistischer Realitätsvergewisserung, wird die Freiheits- und Selbstbestimmungsproblematik zwar nicht suspendiert, jedoch werden ihre konkreten Voraussetzungen ignoriert. Thematisiert wird die Vorstellung einer abstrakten Negation des Realitätsprinzips, nicht aber die Erinnerung an das mögliche Glück. Die Idee der Freiheit fungiert als inhaltsleeres Alternativprinzip zur Verdinglichung und Freiheit erscheint als voraussetzungslose Existenzform; sie wird als ein Akt intellektueller Selbstermächtigung gedacht: Nach den Worten Demirovics soll "der Kritischen Theorie zufolge ... Emanzipation die Freiheit von der Totalität mit sich bringen, also den Zwang überflüssig machen, der der Gesellschaft auferlegt, mit sich selbst identisch zu sein und ihre Mitglieder zu homogenisieren." Gesellschaftstheoretisch ist eine solche gestaltlose "Freiheit" nicht zu denken, sondern nur theologisch: Es ist der "Rückzug aus der Geschichte auf eine Position, die nur im messianischen Augenblick Wirklichkeit werden könnte." (H. H. Holz)

Fraglich ist zunächst, wie weit ein reduktionistisches Totalitätsverständnis, das den "Zusammenhang" auf das repressive "Ganze" kapitalistischer Vergesellschaftung reduziert und die Differenz zwischen philosophischer Allgemeinheit und soziologischer Differenzierung einebnet, dem dialektischen Selbstverständnis der "Frankfurter Schule" überhaupt noch gerecht werden kann. Denn im gesellschaftstheoretischen Kontext erkennt Adorno die ontologische Qualität dialektischer Kategorien, den unaufhebbaren Realitätsstatus von Zusammenhang und Vermittlung, Widerspruch und Entwicklung, also die reale Strukturiertheit der Totalität durchaus an. Dies wird deutlich, wenn er dialektisches Denken, als eine Anschauung definiert, "die weder das Einzelne, die Einzelnen Momente noch ihren Begriff für das wahrhaft Seiende hält, sondern die beiden Pole als durcheinander vermittelte betrachtet'. Es ist offensichtlich, daß das von Demirovic vorgestellte Totalitätsverständnis einem anderen Kontext entstammt: Erst auf der kulturkritischen Reflexionsebene (auf der Basis ihrer geschichtsskeptischen Prämissen) stellt sich die Beziehung von Subjekt und Objekt in der von ihm akzentuierten Weise dar. Auf dieser Abstraktionsebene unterstellt Adorno dem kapitalistisch geprägtem Ganzen eine determinierenden Kraft, der die menschlichen Reflexionsanstrengungen und Handlungsintentionen bedingungslos unterliegen: Dieses "Ganze ist das Unwahre" (Adorno)!

Eine Ahnung, daß die Systemintegration nicht lückenlos ist taucht bei Adorno zwar immer wieder auf, die Widerspruchstendenzen haben aber keinen systematischen Stellenwert. Eine Vermittlung zwischen der methodologisch reflektierten Begriffsvariante und dem weltanschaulich präformierten Verständnis des "Ganzen" findet nicht statt. Durch diesen Reduktionismus wird der intendierte Nonkonformismus des Denkens prinzipiell in Frage gestellt. Denn auf der Ebene des philosophisch-weltanschaulichen Systems werden die Weichen für eine negative Anthropologie und die Fortschreibung warengesellschaftlich produzierter Vereinzelungstendenzen zu irreversiblen Vergesellschaftungskonstanten gestellt: Das Verhältnis von Mensch und Gesellschaft wird als Dichotomie begriffen. Kompatibel wird die "Kritische Theorie" mit einem bürgerlich Menschenbild, welches die Menschen als Monaden definiert und auf dieser Grundlage Selbstverwirklichung bzw. Persönlichkeitsentfaltung als Resultat eines distanzierten Verhältnisses zum Mitmenschen begreift! Evident ist die Bedrohung subjektiver Entwicklungsansprüche durch unterdrückende Sozialverhältnisse, jedoch beschränkt sich Sozialität nicht auf repressive "Systemimperative". Auch Selbstbestimmung und Emanzipation sind an gesellschaftliche Voraussetzungen gebunden!

Obwohl er ihn indiziert, durchdringt Demirovic diesen Grundwiderspruch der "Kritischen Theorie" nicht. Stattdessen versucht er ihn mit einem Kunstgriff zu relativieren: "Die in immer neuen Varianten aufgenommene Selbstwidersprüchlichkeit der Kritischen Theorie", sei Ausdruck einer dialektischen Rückbezüglichkeit des Denkens, das sich seiner Widersprüche bewußt ist, es aber gelernt hat mit diesen Ambivalenzen zu leben. Indem er diese Haltung als ein besonders anspruchsvolles "kulturell-intellektuelles Merkmal von Modernität" qualifiziert, bedient sich Demirovic - wohl ohne sich der inhaltlichen Implikationen bewußt zu sein - eines postmodernistischen Denkmusters, das eine "gelassene" und affinnative Haltung zu den sozio-kulturellen Krisenprozessen legitimieren soll: Als Imperativ einer von Heidegger vorgezeichneten existentialen Grundeinstellung soll nach den Worten von Günther Figal der spätbürgerliche Intellektuelle sich bemühen, den Zwang, das Schicksal, das "Dasein" in seiner Endlichkeit auszuhalten und dabei zu akzeptieren, "daß man der Modernität gerade da nicht entkommt, wo man sie durchschaut'. (G. Figal) Obwohl durch den "abgeklärten" Blick alle Perspektivität "dekonstruiert" wird, gelte es auszuharren: Die gesellschaftliche Katastrophenentwicklung zur Kenntnis zu nehmen und als unveränderliche Faktizität zu akzeptieren, soll nach seinen Worten als Ausdruck "eigentlicher Modernität" gelten. Diese Haltung wird als die Kunst begriffen, "sich selbst über die Schulter zu sehen" und dem Anblick der chaotischen und pathologischen Moderne standzuhalten, nicht unsicher zu werden und "mit der begrenzten Vernunft seinen Frieden zu machen". (G. Figal) Wenn Demirovics Darstellung der Widerspruchsverarbeitung bei Horkheimer und Adorno zutreffen sollte, handelt es sich bei den postmodernistischen Versuchen, die "Kritische Theorie" der Diskurs-Kultur einzuverleiben, keinesfalls um einen Irrtum!

VIII. Ihre weltanschaulichen Präformierungen haben den intellektuellen Einfluß der "Frankfurter Schule" nicht verhindert: Im Gegenteil! Ihre Ausstrahlungskraft auf Teile der Intelligenz resultiert gerade aus ihren Ambivalenzen und Ungereimtheiten, ihrer spezifischen Kombination von partieller Radikalität und emotionaler Kompatibilität mit einem resignativen Gegenwartsbewußtsein. In ihrer "kulturkritischen" Reduktionsform ist die "Kritische Theorie" gerade für eine zwischen Kritik und Assimilation schwankende Intellektuellenschicht akzeptabel. Weil sie mit ihrem fundamentalkritischen Pathos eine Aura der Antibürgerlichkeit produziert, ohne den bürgerlichen Orientierungsrahmen zu sprengen, kann sie das Kritikbedürfnis einer soziokulturell verunsicherten "Reflexionselite" mit einer Geste symbolischer Distanzierung befriedigen. Darauf beschränkt, bleibt die kritische Aktivität den herrschenden Grundorientierungen, den Vergeblichkeitsphantasien und den Vorstellungen verfestigter gesellschaftlicher Verhältnisse verpflichtet: "Diese Weisen der Negation zahlen der antagonistischen Gesellschaft Tribut, mit der sie verbunden sind." (H. Marcuse) Breitenwirksam ist die "Kritische Theorie" als Weltanschauungsmuster geworden, in dem nach den Worten von Habermas nicht mehr Marx, sondern Nietzsche den Weg weist: "Nicht die historisch gesättigte Gesellschaftstheorie, sondern eine radikale, die Verschwisterung von Vernunft und Herrschaft denunzierende Vernunftkritik muß erklären, warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt'." So wie ihr gesellschaftsanalytischer Referenzpunkt die Marxsche Wertanalyse ist, so ihr weltanschaulicher ein nietzscheanischer Kritikpathos, dem "noch in der extremsten Negation weiterhin der Systemgestalt dessen, was er negiert, eingeschrieben" bleibt. (H. H. Holz)

Auch wenn in vielen Texten Horkheimers und Adornos der gesellschaftskritische Aspekt überwiegt und der marxistische Traditionszusammenhang nicht zu übersehen ist, wird dennoch der bürgerlich-resignative Weltanschauungsraster nicht überwunden, in dem auch Elemente der Lebensphilosophie eine Rolle spielen. Es bleibt eine Reserviertheit, die manchmal wie ein Misstrauen gegenüber den Resultaten des eigenen Denkens wirkt, von der affirmativen Interpretation jedoch als Ausdruck hyperkritischer Abgeklärtheit interpretiert wird. In seiner Substanz ist der Selbstwiderspruch der "Kritischen Theorie" nur aus der Genealogie des Denkens von Horkheimer und Adorno zu verstehen: Die nietzscheanischen Denkmotive und die geschichtsphilosophischen Prämissen sind Ablagerungen, die lange vor der Erarbeitung eines kritischen Sozialverständnisses ihren Vorstellungshorizont geprägt haben. Nietzsche ist schon in den Tagebuchauszeichnungen und Novellen des jungen Horkheimer präsent und Adornos "Idee der Naturgeschichte" liegt eine Schülerarbeit zugrunde, in der schon die repressiven Abhängigkeitsvorstellungen der "Dialektik der Aufklärung" eingeschrieben sind!

Mit den Konsequenzen, die sich aus diesen weltanschaulichen Verweisungszusammenhang ergeben, gewinnt die "Kritische Theorie" an Attraktivität für eine konternplative Intelligenz, die an einem tradierten Kritikanspruch festhält (und sich dadurch als Intelligenz definiert), sich dessen gesellschaftspolitischen Selbstansprüchen aber verweigert. Sie meistert diese Gradwanderung durch die Behandlung der gesellschaftlicher Verwerfungen als Ausdruck ideologischer Probleme: Erzeugt wird der Eindruck eines sozio-kulturellen Schwebezustandes, der den Gedankens an die Möglichkeit praktischer Veränderungen ausschließt. Die zivilisatorische Widerspruchsentwicklung einer entwickelten bürgerlichen Gesellschaft wird zu einem irreversiblen Verfallsprozeß der "Kultur" umgedichtet; die kontemplativ Intelligenz schließt sich damit im Gefängnis des bürgerlichen Kulturpessimismus ein. Durch den reduktionistischen Kritikmodus wird das Bestehende nicht in Frage gestellt, sondern - meistens über den Umweg einer Ästhetisierung der Abwehrhaltung - anerkannt. Solche Verbindung von Kritik und Affirmation ist für die nachwachsenden Intellektuellengenerationen nicht ohne Charme. Durch die "kulturkritisch" transformierten Negationsrituale können sie demonstrativ ihren intellektuellen Distanzierungsanspruch aufrecht erhalten, ohne in einen allzu großen (und karrieregefährdenden) Widerspruch zu den herrschenden Orientierungen zu geraten.

Die demonstrierte Scheu einer gleichermaßen kritischen wie kontemplativen Intelligenz vor den Konsequenzen der eigenen Reflexionsfähigkeit, hat Georg Lukács schon Anfang der 30er Jahre in seinem legendären Aufsatz "Grand Hotel ,Abgrund... analysiert und in seinen machtkonformen Konsequenzen beschrieben: Dieses kritisch-kontemplative Denken ist "Teil jener - man könnte sagen selbsttätig funktionierenden ideologischen Schutzvorrichtungen, die die bürgerliche Gesellschaft ununterbrochen produziert ... Diese Literatur erfüllt für die Bourgeoisie ihren Zweck vollkommen, wenn durch sie eine Schicht der Intelligenz, die infolge der Einwirkungen der ökonomischen und der Kulturkrise zum Feind und Verächter der gegenwärtigen Gesellschaft geworden ist, davon abgehalten wird, aus dieser ihrer Feindschaft und Verachtung wirkliche praktische Konsequenzen zu ziehen." Prinzipiell haben reflektierte Denker aus dem Umkreis des "Instituts für Sozialforschung" die weltanschauliche Funktionalität eines kontemplativ-"genießenden" Kritikmodus nicht anders bewertet: Die Selbstentfremdung der bürgerlichen Gesellschaft "hat jenen Grad erreicht, der sie ihre eigene Vernichtung als einen ästhetischen Genuß ersten Ranges erleben läßt." (W. Benjamin)

IX. Ich möchte jedoch keine künstlichen Gräben aufreißen und - durchaus zur Verteidigung der Ambitionen der kritischen Theorie - das allzu fragwürdige Einvernehmen der modephilosophischen Diskurse mit ihr etwas relativieren: Obwohl die geschichtsphilosophischen Prämissen der "Dialektik der Aufklärung" ähnliche Schlüsse implizieren wie das "Postmoderne Denken", sie in ihrer Allgemeinheit als "passiv hingenommene, statisch fixierende Metaphysik eben des Scheiterns selber ... [fungieren, denen] alle Utopie umschlägt ins Negativ ihres Gemeinten" (E. Bloch), sind sie nicht das letzte Wort ihrer Autoren. Beide besitzen so viel soziologische Phantasie und ästhetische Sensibilität für die Emanzipationsproblematik, daß es ihnen in ihrem Gesamtwerk gelingt, dennoch eine gewisse Distanz zu einem totalisierenden Verdinglichungsbild und den resignativ gestimmten Verallgemeinerungen zu gewinnen. Fundierte Kritik an den Lebensverhältnissen im entwickelten Kapitalismus, an verdinglichte Bewußtseinsformen und der menschlichen Selbstentfremdung, kann beispielsweise die treffenden Beschreibungen von Facetten des "beschädigten Lebens" in Adornos "Minima Moralia" nur um den Preis intellektueller Selbstbeschränkung ignorieren. Die "Kritische Theorie" repräsentiert eine unverzichtbare Stufe subversiver Gesellschaftsreflexion, weil trotz aller Ambivalenzen die Ambition einer Kritik des Bestehenden in ihr irreversibel eingeschrieben sind. Zwar dürfte es solche Widerspruchspotentiale angesichts eines von Adorno konstatierten Zustandes, in dem die Menschen "nichts mehr sind als Bestandteil der Maschinerie", überhaupt nicht mehr geben. Jedoch konzediert er an gleicher Stelle in der "Minima Moralia"- im Widerspruch zur Systematik, nicht aber zu den Intentionen seines Denkens - , daß "die Ahnung eines aberwitzigen quid pro quo aus dem Leben nicht gänzlich ausgemerzt [ist und] das reduzierte und degradierte Wesen ... sich zäh gegen seine Verzauberung in Fassade" sträubt! Auf der Ebene solcher Widersprüche bleiben Adorno und Horkheimer - durchaus in einem sympathischen Sinne - spätbürgerliche Denker. Das bedeutet auch: Ein kritisches Verständnis des entwickelten Kapitalismus kann auf die analytischen Erkenntnismittel der "Frankfurter Schule" nicht verzichten - um so wichtiger ist deshalb das Wissen um ihre konzeptionellen Widersprüche und intellektuellen Inkonsequenzen.

Aber noch in einer umfassenderen Bedeutung bleibt die "Kritische Theorie" eine produktive Provokation. Keiner kann wissen, ob das "stählerne Gehäuse" (M. Weber) kapitalistischer Systemreproduktion nicht tatsächlich schon undurchdringbar und die Suche nach einer Geschichte mit menschlichem Antlitz vergeblich geworden ist! Kaum jemand, der die sozio-kulturelle Entwicklung kritisch betrachtet, kann sich, zumindest temporär, des Eindrucks erwehren, daß die Menschheit tatsächlich sich schon in einem apokalyptisches Stadium befindet! Doch sicher ist dieser Eindruck und sind diese Annahmen genau so wenig, wie die Hoffnungen auf eine emanzipatorische Konsequenz der historischen Widerspruchsdialektik. Adorno hat zweifellos recht: "Der Künstler hat so wenig Anlaß, der Welt gegenüber optimistisch zu sein, wie der Weltzustand einen solchen Optimismus rechtfertigt'. Jedoch verfehlt er die Sache, wenn er die "Negativität" verabsolutiert, und gar der Illusion erliegt, daß durch die bloße Registrierung des Hässlichen schon ein kritischer Umschlag gewährleistet sei.

Beide Weltanschauungsmuster können keinen Gewißheitsstatus beanspruchen. Gerade aus dieser realen Ambivalenz folgt alles andere, als die Notwendigkeit, das resignative Gegenwartsbewußtseins bedingungslos zu akzeptieren! Theoretisch richtig positioniert, kann ein skeptisches Geschichtsverständnis durchaus produktive Wirkungen entfalten, und beispielsweise eingefahrener Denkmuster des traditionellen Emanzipationsdenkens problematisieren. Diese bereichernde Reflexionsarbeit wird aber durch die bloße Wiederholung identitätsstiftender Formeln behindert; die Chancen zur Differenzierung werden vor allen Dingen deshalb verspielt, weil die philosophisch-verallgemeinernden Theoreme als fixierte Argumentationsmuster eingesetzt werden.

Die theoretische Praxis der epigonalen Vertreter der "Frankfurter Schule" hat ihre Identität vorrangig aus der fragwürdigen Gewißheit einer "unaufhörlichen Regression" geschöpft. Die kategorische Behauptung, daß die Annahme eines schicksalshaften Umschlags der Vernunft in Repression zu den dialektischen Denkvoraussetzungen einer über sich selbst aufgeklärten Aufklärung gehöre, hat nicht selten die diskursive Funktion, ein intensiveres Nachdenken über die Dialektik historischer Entwicklung zu verhindern und zu diskreditieren. Den Ansprüchen einer kritischen Gegenwartstheorie kann sie auf diesem Wege nicht gerecht werden. Eine summarische "Vernunftkritik" kann die konkrete Analyse gesellschaftlicher Regressionserscheinungen nicht ersetzen - auch wenn wertvolle Anknüpfungspunkte formuliert werden. Um diese verschüttete Potential frei zu legen, ist die Überwindung der selbstgefälligen Weltanschauungsreproduktion der Apologie unverzichtbar. Erreicht werden kann sie nur durch eine gesellschaftsanalytische Grundeinstellung, die zu den historischen Selbstansprüchen der "Kritischen Theorie" (die prägnant beispielsweise von Gerhardt Bolte in seiner Studie von "Von Marx bis Horkheimer" herauspräpariert werden) vermittelt ist; erst durch eine solche Archäologie kritischen Wissens kann das kritische Erbe wieder aktiviert werden. Dann könnte auch wieder deutlich werden, wie fundamental - trotz ihrer kulturskeptischen Verstrickungen die Rationalitätskritik der "Kritischen Theorie" in Gesellschaftsanalyse eingebettet und wenn auch sehr lose, der indizierte Verfallsprozeß zu einem sehr realen Kapitalismus vermittelt ist! Noch in Adornos "Negativer Dialektik" findet sich der (regelmäßig überlesene) Satz:

"Das Unheil liegt in den Verhältnissen, welche die Menschen zur Ohnmacht verdammen und doch von ihnen zu ändern wären."



© Werner Seppmann, 2001


[1] Anmerkungen und Nachträge zu einer Podiums-Diskussion über "Die Frankfurter Schule und ihre linken Kritiker" im Rahmen des Kongresses "Am Beispiel Leo Kofler - Marxismus und soziale Bewegung im 20. Jahrhundert" am 1. Mai 2000 in der Ruhr-Universität Bochum, an der neben dem Autor, Alex Demirovic, Joachim Bischoff, und Helmut Steiner teilnahmen.




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