Start

Beiträge zur Politik  









Bruno Mander

Sieg bei der Berlin-Wahl – zeitweiliger Stop des Mitregierungsdrangs

Für die Spitzen von Bundesregierung und SPD war die Einstellung der PDS zum USA- und NATO-Krieg gegen Afghanistan das entscheidende Kriterium zur Beurteilung dieser Partei. Unmittelbar nach dem Dresdner Parteitag schlossen sie – einer Aufforderung des Chefs der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Merz folgend – die PDS-Fraktion am 7. 10. von der Weitergabe geheimer Informationen aus. Sie erfuhr daher nichts über die direkt bevorstehenden Bomben- und Raketenangriffe der Amerikaner und Briten auf das verwüstete Land. Eine Regierungssprecherin begründete den Informationsstop am 8. 10. damit, dass die PDS als einzige Bundestagspartei Militäreinsätze gegen „die Terroristen“ abgelehnt hatte. Für die SPD äußerte Generalsekretär Müntefering Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit der PDS. Er revidierte den kurz davor eingeleiteten Kurs zur raschen Einbeziehung der Partei ins politische Establishment, habe doch deren Führung einschließlich Gysi „auf dramatische Art versagt und damit deutlich gemacht, dass sie in überhaupt keiner Weise regierungsfähig ist für die Bundesebene“.

Drei Wochen später demonstrierte die SPD, dass dies auch für andere Ebenen galt. Die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus lag dazwischen. Sie stellte eine Zäsur für die aktuelle deutsche Geschichte nach dem DDR-Anschluss an die Bundesrepublik dar.

Als Detail ist interessant, dass es ausgerechnet „Neues Deutschland“ fertig brachte, in der Wochenendausgabe vom 20./21. 10. die Wahl fast vollständig zu übergehen. Erst in einem Keller auf der letzten Seite wies das einstige Zentralorgan der Partei in wenigen Zeilen darauf hin, dass sie stattfinden würde. Dabei war die Wahl zum Abgeordnetenhaus nicht nur deshalb wichtig, weil sie in der Hauptstadt und zugleich in einem Gemeinwesen erfolgte, das den Ost-West-Unterschied und –Gegensatz keineswegs überwunden hatte, ihn vielmehr hautnah verkörperte. Es ging vor allem um eine politische Kraftprobe in einer Stadt, die jahrelang frech von einer Clique CDU-Regierer unter Mitverantwortung der SPD geplündert und in haushohe Schulden gestürzt worden war, in einem Moment internationaler Hochspannung und drohender Kriegsgefahr. Hier musste sich entscheiden, ob eine sozialistisch und als Friedenspartei firmierende Organisation, welcher Konservative verschiedener Art immer noch die Herkunft aus der SED vorwarfen, eine Chance hatte.

Die Wahl am 21. 10. 2001 ergab eine schwere Niederlage für die CDU, deren Stimmenanteil von 40,8 auf 23,7 Prozent abstürzte. Die SPD schaffte mit einem Anteil von 29,7 statt vordem 22,4 Prozent den Wiederaufstieg zur stärksten Partei, ohne aber in der Lage zu sein, allein oder zusammen mit dem bisherigen, grünen Partner regieren zu können. Dessen Anteil verringerte sich von 9,9 auf 9,1 Prozent, während die FDP die Grünen-Konkurrenz überrundete und von 2,2 Prozent im Jahre 1999 ihrerseits auf stolze 9,9 Prozent kam.

Am wichtigsten war das Ergebnis der PDS. Sie errang mit dem Anteilsanstieg von 17,7 auf 22,6 Prozent ihren bisher größten hauptstädtischen Wahlsieg. Dabei brachte sie es in Ostberlin auf 47,6, im Westen erstmals auf über fünf, nämlich 6,9 Prozent. Den Zuwachs verdankte sie vor allem jungen Wählern, auch früheren Nichtwählern, in Westberlin besonders enttäuschten bisherigen Grünen-Wählern. Es war die Rolle der PDS als einzige Antikriegspartei im Bundestag ebenso wie die als konsequente Vertreterin der Ostinteressen, die ihr im Verein mit Gysis Charme den Sieg eintrug.

Danach ging es um die Senatsbildung. Die CDU war für die Teilhabe hieran zu diskreditiert. Nach den Regeln parlamentarischer Demokratie hätte die SPD mit der PDS, vielleicht auch noch mit den Grünen, regieren müssen. Das hätte eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus von 77 : 64 bzw. 91 : 50 Mandaten, zugleich einen etwas sozialeren Kurs und weniger Grausamkeiten für die Masse der Bevölkerung ergeben und Möglichkeiten eines politischen Neubeginns in der gebeutelten Stadt eröffnet. Die gleichzeitig erörterte Ampelkoalition bedeutete mehr Härte gegenüber den Massen und ein Verhältnis von 73 zu 68 zwischen Koalition und Opposition im Parlament.

In den Sondierungsgesprächen mit der SPD um ihren Regierenden Bürgermeister Wowereit tat die PDS-Delegation unter Gysi alles, was möglich und irgendwie tragbar war, um das Bündnis beider Parteien herbeizuführen. Sie war sogar zur freiwilligen Einengung ihres Mitentscheidungsrechts bei Beschlüssen über innenpolitische und soziale Fragen im Bundesrat bereit. In der Kriegsfrage konnte sie nicht hinter den Dresdner Parteitagsbeschluss zurückgehen, schlug aber ein Kompromiss vor. Demnach sollten in einer Präambel zum Koalitionsvertrag die Gemeinsamkeiten beider Partner in der Haltung zum Terrorismus aufgezählt und die Militäreinsätze als alleinige Sache des Bundes deklariert werden. Die sozialdemokratischen Verhandlungspartner in Berlin neigten zu Koalitionsgesprächen mit der PDS. Bundeskanzler und SPD-Chef Schröder hatte anfangs auch „Rot-Rot“ in der Hauptstadt zu dulden versprochen. Er entschied sich nun aber für die Ampel, mit der Begründung, dass die PDS durch das Nein zur Nibelungentreue gegenüber den USA bewiesen habe, „noch immer nicht in der Bundesrepublik angekommen“ zu sein. Als Hebel, die Entscheidung durchzusetzen, diente die eventuelle Kürzung finanzieller Hilfen für Berlin, also Erpressung. Auch das hatte zuerst der CDU/CSU-Fraktionschef verlangt.

Am 29. 10. legte sich der Berliner SPD-Landesvorstand mit 17 : 8 Stimmen bei drei Enthaltungen auf die Ampelkoalition fest. In der PDS waren diejenigen enttäuscht, die sich auf ein Mitregieren gefreut hatten, wobei ihnen die Bedingungen fast gleich waren. Gysi, Zimmer, Claus, Pau und Harald Wolf machten die Enttäuschung deutlich. Sie kündigten für die Zukunft harte Opposition an, die dazu führen könnte, dass der Kanzler 2002 in Ostdeutschland die Bundestagswahl verliert.

Kommunisten und linke demokratische Sozialisten, die stets für energische Opposition statt Anbiederung an die Herrschenden waren, reagierten auf das Wahlergebnis gelassener. Die PDS hatte auch diesmal Glück gehabt. Statt beim Sanieren der von anderen zugrunde gerichteten Berlin-Finanzen mitwirken zu müssen, kann sie von gestärkter Position aus asozial-neoliberale „Lösungen“ verhindern helfen. Schröder erteilte der Bevölkerung schätzenswerten Anschauungsunterricht darüber, was von seiner Sorte Demokratie zu halten ist, und verringerte so den eigenen Beliebtheitsgrad zugunsten der PDS im Osten, aber auch in den ärmeren Berliner Westbezirken. Im PDS-Rahmen schafft die gegen den Wunsch eines Teils ihrer Führer erlangte Atempause im Streit um Regierungsbeteiligung den Mitgliedern und Sympathisanten Gelegenheit, sich intensiver um eine sozialistisch-demokratische Politik und Programmatik zu bemühen. Die Kontroversen mit der Parteispitze dauern an.



Bruno Mander, Anfang November 2001








 

GLASNOST, Berlin 1992 - 2019