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Beiträge zur Geschichte |
Hartmut KraussZum Charakter der Oktoberrevolution
Die Oktoberrevolution ist innerhalb der kommunistischen Bewegung
ausgiebig 'zelebriert' und heroisiert worden; weit weniger war
sie Gegenstand einer eingehenden (objektiven) wissenschaftlichen
Analyse und Bewertung. So dominierte bis vor kurzem ein triumphalistisch
aufbereitetes Bild von der 'Großen Sozialistischen Oktoberrevolution'
(G.S.O.) als Leitrevolution einer neuen "Epoche des weltweiten
Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus, des Untergangs
des Kapitalismus und des Sieges des Sozialismus"(Wörterbuch
der Geschichte Bd. 1 1984, S. 427).
Dieses normative Revolutionsbild war zugleich verknüpft
mit einem Modellanspruch: "Die Arbeiterklasse Rußlands
unter Führung ihrer bolschewistischen Partei demonstrierte
in der Praxis, wie die Arbeiterklasse ihre historische Mission
verwirklichen, ... ihre eigene politische Macht errichten und
die sozialistische Gesellschaft aufbauen muß"(ebenda,
S. 434).(1) Zudem besaß diese revolutionsideologische Interpretation
herrschaftslegitimatorischen Charakter: "... die grundlegenden
Lehren und Erfahrungen der G.S.O. haben internationale, allgemeingültige
Bedeutung. Die Allgemeingültigkeit wird durch den endgültigen
und vollständigen Sieg des Sozialismus in der Sowjetunion,
durch den Übergang anderer Völker Europas, Asiens und
Amerikas zum Sozialismus, durch die Herausbildung und ständige
Festigung des sozialistischen Weltsystems, durch das Erstarken
der kommunistischen Weltbewegung ... bestätigt"(ebenda).
In diesem dogmatisierten Bild der G.S.O. bleiben insbesondere
folgende problemorientierten Aspekte/Dimensionen ausgeblendet:
a) der nichtklassische Charakter der proletarischen Revolution
in einem im Vergleich zu Westeuropa und Nordamerika relativ
rückständigen Land;
b) die konkrete Beschaffenheit der russischen Gesellschaft
zum Zeitpunkt der Machtübernahme der revolutionären
Arbeiter, Bauern und Soldaten unter Führung der Bolschewiki;
c) der Ziel-Mittel-Widerspruch einer angestrebten sozialistischen
Umwälzung Rußlands. (Mit dem 'Aussparen' dieser Fragestellungen
ist ein kritisches Hinterfragen des historischen Platzes der
Oktoberrevolution bereits im Ansatz blockiert.)
Zu a: Aufgrund ihrer geschichts- und gesellschaftswissenschaftlichen,
insbesondere kapitalismustheoretischen Analysen waren Marx und
Engels zu der Annahme gelangt, daß eine proletarische Revolution
zuerst in den entwickelten kapitalistischen Ländern ausbrechen
würde und zum anderen ein internationales Geschehnis sei,
d.h. sich in mehreren Ländern gleichzeitig vollziehen müsse.(2)
Demgegenüber war nun das russische Proletariat im Bündnis
mit den Bauern in zunächst nur einem, noch dazu ökonomisch,
politisch und kulturell rückständigen Land an die Macht
gelangt und damit ein theoretisch bislang nicht bearbeiteter historischer
Problemtyp in die Welt gesetzt. Ursächlich für diese
Abweichung vom 'klassischen' Erwartungshorizont war die Besonderheit
der sozialökonomischen Entwicklung Rußlands als - im
Vergleich zu Westeuropa - kapitalistische Entwicklung anderen
Typs. In Anlehnung an Pantin (1988) läßt sich diese
Spezifik der bürgerlich-kapitalistischen Entwicklung in Rußland
durch folgende Merkmale beschreiben:
1.) Vermischung von Phasen der bürgerlich-kapitalistischen
Entwicklung, die im Westen zeitlich aufeinander folgten (ursprüngliche
Akkumulation; industrielle Revolution; zeitlich stark eingeschränkte
Entwicklung der freien Konkurrenz);
2.) 'Inversion' der Etappen der Formierung der kapitalistischen
Produktionsweise: Schaffung 'moderner' Infrastruktur und der Schwerindustrie
in der Anfangsetappe;
3.) Unmittelbare Übernahme entwickelter technisch-organisatorischer
Formen des kapitalistischen Wirtschaftens (Fabriken, Banken, Aktiengesellschaften);
schneller Übergang zu Monopolformen;
4.) Koexistenz traditioneller, feudaler und halbfeudaler Strukturen
und moderner kapitalistischer Produktionsorganisation;
5.) Vergleichsweise besonders brutale Ausbeutung der Arbeiter
und Bauern;
6.) Reaktionäre Rolle des zaristisch-absolutistischen Staates.
Im Zuge dieser eigenartigen Entwicklung bildete sich eine andere
Klassenkonstellation und ein besonderer Typ von Klassenantagonismen
heraus, dessen zentrale Knotenpunkte in der ersten russischen
Revolution in den Jahren 1905/1907 zutage traten:
a) ein tiefer Interessenwiderspruch zwischen der liberalen Bourgeoisie
und der revolutionär-demokratischen Bauernschaft;
b) die Unfähigkeit der liberalen Bourgeoisie zum entschlossenen
Kampf gegen den Zarismus;
c) ein scharfer Klassenantagonismus zwischen den Bauern und den
feudalen Gutsbesitzern.
Vermittels dieser Antagonismen artikulierte sich der Widerspruch
zwischen den Erfordernissen einer konsequent bürgerlich-kapitalistischen
Entwicklung und den halbfeudalen Formen dieser Entwicklung. Daraus
ergeben sich nun zwei politische Konsequenzen: Einerseits die
Möglichkeit zur Verschmelzung der antikapitalistischen Bewegung
des Proletariats mit der gegen die feudalen Gutsbesitzer gerichteten
revolutionären Bewegung der Bauern; andererseits die Blockierung
der 'traditionellen' Bündniskonstellation wie in den klassischen
bürgerlichen Revolutionen. Folglich konnte die Revolution
nicht in der bürgerlich-demokratischen Etappe stehenbleiben,
sondern mußte im Interesse des sozialen Fortschritts den
bürgerlich-kapitalistischen Aktionsrahmen überschreiten.
"Da sich bereits kapitalistische Verhältnisse entwickelt
hatten, eine organisierte proletarische Bewegung vorhanden war
und sich die Agrarfrage unerhört zugespitzt hatte, war es
möglich geworden, daß nicht die Bourgeoisie, sondern
das Proletariat zum Hegemon der Befreiungsbewegung wird ... Auch
ist zu berücksichtigen, daß der russische Kapitalismus
nicht die Kraft hatte, eine rasche sozialökonomische Entwicklung
in Rußland zu sichern und den Anschluß an die industriell
entwickelten Länder herzustellen"(Pantin 1988, S. 5f.).
Entsprechend hatte der Verlauf der Ereignisse vom Februar bis
zum Oktober 1917 bewiesen, daß eine 'nur' bürgerliche
Revolution weder imstande war die Agrarfrage zu lösen (vollständige
Befreiung der Bauern von feudalen Fesseln), noch die drohende
nationale Katastrophe abzuwenden (Ausscheiden aus dem imperialistischen
Krieg). "Genaugenommen war die Unmöglichkeit, die zugespitzten
Probleme des Landes auf dem Wege einer bürgerlichen Entwicklung
zu lösen, eben die Hauptursache für die sozialistische
Revolution von 1917 in Rußland"(ebenda, S. 15). Trotz
ihres 'nichtklassischen' Charakters besitzt die Oktoberrevolution
also dennoch ihre 'historische Rechtmäßigkeit'.
zu b: In seiner Schrift 'Über "linke" Kinderei
und Kleinbürgerlichkeit', veröffentlicht am 9., 10.
und 11. Mai 1918 in der 'Prawda', kritisiert Lenin die mangelnde
Reflexion der "Elemente der verschiedenen gesellschaftlichen
Wirtschaftsformen ..., die es in Rußland gibt. Das aber
ist der ganze Kern der Frage"(Lenin 1971, S.394). Im folgenden
zählt er diese Elemente auf: "1. die patriarchalische
Bauernwirtschaft, die in hohem Grade Naturalwirtschaft ist; 2.
die kleine Warenproduktion (hierher gehört die Mehrzahl der
Bauern, die Getreide verkaufen); 3. der privatwirtschaftliche
Kapitalismus; 4. der Staatskapitalismus; 5. der Sozialismus"(ebenda,
S. 395)(3).
Mit dieser Hervorhebung der Verflechtung verschiedener Typen ökonomischer
Gesellschaftsstruktur in Rußland liefert Lenin selbst das
argumentative Fundament für das Konzept der 'strukturellen
Heterogenität' bzw. des 'Mischformationscharakters' der russischen
Gesellschaft als ein umkämpftes revolutionstheoretisches
Interpretationsmodell in der sowjetischen Geschichtswissenschaft
(vgl. Bonwetsch 1987; Minz 1987; Meyer 1989). Die wesentlichen
Inhalte dieser Interpretationsrichtung bestehen 1.) in der realistischen,
von den historisch-empirischen Fakten geleiteten Einsicht in die
strukturell-ganzheitliche (ökonomische, politische und kulturelle)
Rückständigkeit Rußlands; 2.) in der Betonung
der Lösung allgemeindemokratischer Aufgaben als integraler
Bestandteil der Oktoberrevolution (die Oktoberrevolution als 'zivilisatorisches'
Entwicklungserfordernis); 3.) in der Hervorhebung einer stabilen
Interessenkonvergenz und Bündnisbeziehung zwischen Proletariat
und Bauernschaft sowohl in der Februar- als auch in der Oktoberrevolution;
4.) in der stärkeren Betonung der Spontaneität als objektiver
Grundlage der revolutionären Tätigkeit der Volksmassen
(vgl. Wolubujew 1987). In Verbindung mit Maßregelungen für
die Vertreter des 'Mischformationskonzepts' (vgl. Bonwetsch 1987,
S. 737f.) setzte sich in der zweiten Hälfte der 50er und
dann erneut Anfang der 70er Jahre ein Interpretationsmodell durch,
das die Rückständigkeit Rußlands bagatellisierte
bzw. leugnete, das Gewicht feudaler Überreste in Basis und
Überbau relativierte und einer differenzierten Sicht der
Beziehungen zwischen bolschewistischer Avantgarde und Volksmassen
dogmatisch entgegenstand. Der Senior der sowjetischen Revolutionsforschung
I.I. Minz (1987, S. 444) hat den ideologisch zweckgerichteten,
'einfach-negtorischen' Charakter dieser 'Modellbetrachtung' folgendermaßen
umrissen: "Die ständige und aufdringliche Wiederholung
der These vom unzulänglichen Entwicklungsstand der Produktivkräfte
im alten Rußland ist auch für die sowjetische Literatur
nicht folgenlos geblieben. Nicht unbeeinflußt von Büchern
über den Verlauf der europäischen Revolutionen und ohne
deren Erfahrungen kritisch zu verarbeiten, begannen Historiker
und Verlagslektoren, auf ihre Weise die Voraussetzungen der Oktoberrevolution
zu interpretieren: Die Wirtschaft des zaristischen Rußlands
dürfe nicht zu negativ beurteilt werden, Rußland hätte
erhebliche ökonomische Erfolge aufzuweisen gehabt usw. Mit
ihrem Kampf 'gegen die Schwarzfärberei' des vorrevolutionären
Rußlands erwiesen sich diese 'Kritiker' im Grunde als Restauratoren
des Rufs des Zarismus und der russischen Bourgeoisie; man behauptete
sogar, das Entwicklungsniveau des zaristischen Rußlands
sei mit dem der USA, Großbritanniens und Deutschlands vergleichbar
gewesen. Bekanntlich ist der Marxismus weder mit Schönfärberei
noch mit Verklärung der Wirklichkeit vereinbar."
zu c:) In Anbetracht der mehrdimensionalen Rückständigkeit
Rußlands, seiner formationsstrukturellen Heterogenität
sowie der Blockierung einer bürgerlich-kapitalistischen Lösung
der 'verknoteten' gesellschaftlichen Entwicklungswidersprüche
ist es zumindest undifferenziert, die Oktoberrevolution umstandslos
als 'sozialistisch' zu bezeichnen. Denn: Die Eroberung der politischen
(Staats-)Macht durch die revolutionären Arbeiter und Bauern
unter Führung der bolschewistischen Partei ist angesichts
dieser spezifischen Bedingungen nicht die unmittelbare
logisch-historische Vorstufe für den Aufbau des Sozialismus,
sondern zunächst die strukturelle Voraussetzung für
die Möglichkeit eines gegenüber Westeuropa/Nordamerika
alternativen Übergangs, "um die grundlegenden Voraussetzungen
der Zivilisation zu schaffen.... Wenn zur Schaffung des Sozialismus
ein bestimmtes Kulturniveau notwendig ist ..., warum sollten wir
also nicht damit anfangen, auf revolutionärem Wege die Voraussetzungen
für dieses bestimmte Niveau zu erringen, und dann schon,
auf der Grundlage der Arbeiter- und Bauernmacht und der Sowjetordnung,
vorwärtsschreiten und die anderen Völker einholen"(Lenin
1982, S. 464f.). Mit der Oktoberrevolution wird folglich der Entwicklungsprozeß
einer nachkapitalistischen Übergangsgesellschaft(4) mit expliziter
sozialistischer Zukunftsorientierung eingeleitet, der zu seiner
Zielrealisierung einer 'Zwischenperiode' bedarf, um die strukturell-ganzheitliche
Rückständigkeit zu überwinden. Das Zentralproblem
einer solchen 'nicht-klassischen' Annäherung an das sozialistische
(Zwischen-Ziel ist mit Lukács (1987, S. 44) darin zu sehen,
"wie in einer derartigen Übergangszeit das Verhältnis
zwischen der rein ökonomischen Praxis, die diese Zurückgebliebenheit
einfach aufzuholen berufen ist, und zwischen den auf den sozialistischen
Gehalt direkt intentionierten, die proletarische Demokratie fördernden
Akten, Institutionen etc. beschaffen sein soll." Die konkrete
Gestaltung dieses Verhältnisses zwischen (nachholendem) ökonomischem
Aufbau und Schaffung eines Systems der Gewährleistung und
Realisierung 'proletarischer Demokratie' (vgl. Heuer 1989; HINTERGRUND-Redaktion
1988; Krauss 1989) ist wiederum abhängig von der Verarbeitung
des Ziel-Mittel-Widerspruchs der nachrevolutionären
Entwicklung Sowjetrußlands. Folgende konfligierenden Seiten
dieser Widerspruchsbeziehung sind zu unterscheiden: Einerseits
als geistig-moralischer Zielhorizont der Aufbau einer sozial gerechten,
ausbeutungs- und herrschaftsfreien, die Selbstentfaltung der 'assoziierten'
Individuen fördernden Gesellschaft; andererseits die ökonomische,
politische und kulturelle Rückständigkeit und damit
das Fehlen adäquater 'Entwicklungsmittel' des Aufbaus
und der Selbstorganisation einer sozialistischen Gesellschaft.
Als fehlende 'Entwicklungsmittel' sind hier nicht nur entsprechende
Produktivkräfte (z.B. materiell-technische Produktionsvoraussetzungen;
Qualifikationen etc.) anzuführen, sondern ebenso das Nichtvorhandensein
einer funktionalen politischen Kultur; insbesondere der archaische,
amorphe Zustand der societe civile (Zivilgesellschaft) im Sinne
Gramscis. Die mit diesem Ziel-Mittel-Widerspruch gesetzte Anforderungsstruktur
ist es, die zur allgemein-grundlegenden Voraussetzung des Stalinismus
als einer möglichen handlungsstrategischen Verarbeitungsvariante
wird(5).
Fazit: Das traditionelle triumphalistische Revolutionsbild
der kommunistischen Bewegung hat sich als ideologisch manipuliert
und letztlich als wissenschaftlich unhaltbar erwiesen. Denn angesichts
ihres national-spezifischen Aufgabenhorizontes (Ausscheiden aus
dem imperialistischen Weltkrieg; Agrarfrage; Schaffung der Voraussetzungen
der modernen Zivilisation) sowie ihres konkret-historischen Realisierungsmilieus
(strukturelle Heterogenität; mehrdimensionale Rückständigkeit)
ist die Oktoberrevolution als epochale 'Große Sozialistische
(Leit-)Revolution' eindeutig fehlbestimmt. Nichtsdestotrotz
besitzt die Oktoberrevolution als erste siegreiche antikapitalistische
Revolution der proletarischen und bäuerlichen Volksmassen
eine enorme historische Bedeutung mit internationaler Ausstrahlungskraft:
o Sie eröffnet für Rußland die Möglichkeit
eines nichtkapitalistischen Entwicklungspfades zur Schaffung der
Voraussetzungen der modernen Zivilisation;
o Sie schlägt eine territorial bedeutsame Bresche
in die globale Herrschaftssphäre des (Monopol-)Kapitals;
o Sie besitzt aufgrund der Zukunftsorientierung der
sie tragenden Kräfte einen frühsozialistischen Charakter.
Formationstheoretisch betrachtet induziert die Oktoberrevolution
die Konstituierung einer nachkapitalistischen Übergangsgesellschaft,
die unter den konkret-historischen Ausgangsbedingungen Rußlands
eine bürgerlich-kapitalistische Entwicklungslogik negiert,
ohne die ökonomischen, politischen und kulturellen Errungenschaften
der entwickelten kapitalistischen Länder aufheben zu können.
Anmerkungen:
(1) Demgegenüber hebt Lenin die internationale Bedeutung
der Oktoberrevolution hervor, fügt aber sofort hinzu: "Natürlich
wäre es ein großer Fehler, diese Wahrheit zu übertreiben
und sie auf mehr als einige Grundzüge unserer Revolution
auszudehnen. Ebenso wäre es verfehlt, außer acht zu
lassen, daß nach dem Sieg der proletarischen Revolution,
sei es auch nur in einem der fortgeschrittenen Länder, aller
Wahrscheinlichkeit nach ein jäher Umschwung eintreten, daß
nämlich Rußland bald danach nicht mehr ein vorbildliches,
sondern wieder ein (im "sowjetischen" und im sozialistischen
Sinne) rückständiges Land sein wird"(LENIN 1983,
S. 5f.). Zudem ergibt sich die Untauglichkeit der russischen
Revolution als Modell aus folgenden spezifischen Bedingungen:
"1. die Möglichkeit, den Sowjetumsturz mit der dank
diesem Umsturz herbeigeführten Beendigung des imperialistischen
Krieges zu verbinden, der die Arbeiter und Bauern aufs äußerste
erschöpft hatte; 2. die Möglichkeit, eine gewisse Zeit
lang den auf Tod und Leben geführten Kampf der beiden weltbeherrschenden
Gruppen imperialistischer Räuber auszunutzen, der beiden
Gruppen, die sich nicht gegen die Sowjets, ihren Feind, vereinigen
konnten; 3. die Möglichkeit - teilweise dank der ungeheuren
Ausdehnung des Landes und den schlechten Verkehrsmitteln -, einen
verhältnismäßig langwierigen Bürgerkrieg
auszuhalten; 4. das Vorhandensein einer so tiefgehenden bürgerlich-demokratischen
revolutionären Bewegung unter der Bauernschaft, daß
die Partei des Proletariats die revolutionären Forderungen
von der Partei der Bauern ... übernehmen und sie dank der
Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat unverzüglich
verwirklichen konnte - solche spezifischen Bedingungen sind jetzt
in Westeuropa nicht vorhanden, und die Wiederkehr solcher oder
ähnlicher Bedingungen ist nicht allzu leicht möglich"(ebenda,
S. 49f.).
(2) "Die kommunistische Revolution wird ... keine bloß
nationale, sie wird eine in allen zivilisierten Ländern,
d.h. wenigstens in England, Amerika, Frankreich und Deutschland
gleichzeitig vor sich gehende Revolution sein"(Engels 1970,
S.349).
"Eine radikale soziale Revolution ist an gewisse historische
Bedingungen der ökonomischen Entwicklung geknüpft; letztre
sind ihre Voraussetzung. Sie ist also nur möglich, wo mit
der kapitalistischen Produktion das industrielle Proletariat wenigstens
eine bedeutende Stellung in der Volksmasse einnimmt"(Marx
1976, S. 633).
(3) In seiner Schrift "Über die Naturalsteuer"(vgl.
Lenin-Werke, Bd. 32, S. 343) sowie in seinem Referat auf dem IV.
Kongreß der KOMINTERN am 23. November 1922 hat Lenin - im
Kontext der Erläuterung der Entwicklungsnotwendigkeit des
Staatskapitalismus - diese strukturanalytische Bestimmung wiederholt
(vgl. Lenin-Werke, Bd. 33, S. 405).
(4) Lenin hat diesen Übergangscharakter der "Sowjetgesellschaft"
auf dem XI. Parteitag der KPR(B) am 27. März 1922 klar hervorgehoben
und in folgender Metapher ausgedrückt: "Wir haben jedoch
ein Gemeinwesen, das aus dem kapitalistischen Geleise herausgesprungen,
in das neue Geleise aber noch nicht gekommen ist, geführt
aber wird dieser Staat nicht von der Bourgeoisie, sondern vom
Proletariat"(Lenin 1982a, S. 265).
(5) W. Hofmann (1967, S. 19f.) hat den zentralen Stellenwert dieses
Ziel-Mittel-Widerspruchs für das Phänomen des Stalinismus
hervorgehoben: "Dem Stalinismus als geschichtliche Erscheinung
liegt ein fundamentales Spannungsverhältnis zwischen der
marxistischen Lehre von der Zukunftsgesellschaft und den Bedingungen
ihrer Verwirklichung zugrunde. Ein Widerstreit nicht zwischen
Phantasie und Realität, wobei die Phantasie natürlich
den kürzeren ziehen müßte, sondern zwischen dem
vorausgesagten prinzipiellen Inhalt einer Gesellschaft von Arbeitenden
und den historischen Möglichkeiten, zunächst der frühen
Sowjetgesellschaft, diesen Inhalt in den Formen des sozialen Lebens
zu bewähren."(Hervorh. i. Original) ![]() |
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GLASNOST, Berlin 1992 - 2019 |
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