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Hartmut Krauss
Grenzen
der medialen Schönfärberei. Zum Islambild der
einheimischen
Bevölkerung
In
den Konstruktionen und
selektiven Darstellungsmustern der westlichen Orientalistik
dominierte stets das schönfärberisch
präparierte Bild
von der exotisch-attraktiven, geheimnisvollen, positiv-andersartigen
Kultur der islamischen Welt. Die repressive Seite der islamisch
legitimierten Herrschaftsverhältnisse blieb
demgegenüber
als beeinträchtigender Störfaktor weithin
ausgeblendet.
Weder fanden beispielsweise die Konstitution der Muslimbruderschaft
noch die Beschaffenheit des saudi-arabischen Wahabismus oder aber die
Kollaboration des Hitlerfaschismus mit dem Mufti von Jerusalem eine
eingehendere Aufmerksamkeit. Auf diese Weise wurde der politische und
weltanschauliche Wirkungscharakter des Islam als
herrschaftskulturelle Deutungs-, Normierungs- und Sanktionsmacht
nahezu gänzlich entsorgt und zusätzlich vermittels
kulturrelativistischer Diskursregeln tabuisiert. So blieb der Islam
überwiegend ein folkloristisches Exotikum, umgeben mit der
orientalistischen Aura von "Tausend-und-Eine-Nacht", in der
die Scharia in ihrer radikalen Frontstellung gegenüber der
'kulturellen Moderne' nicht vorkam.
Entsprechend
hohl und
desorientiert bleibt damit auch das öffentliche Bild von der
islamischen Herrschaftskultur im Westen. Und so grassiert bis heute
die fatale Fehleinschätzung des Islam als 'reine Religion' und
bloß 'andersartige Kultur'.
Spätestens
aber seit
der Errichtung des khomeinistischen Gottesstaates im Iran (1979) und
der kriegerischen Praxis der von den USA, Pakistan und Saudi-Arabien
unterstützten internationalen Mudjahedin im Afghanistankrieg
(1980-1989) rückte das totalitäre, militante und
antiemanzipatorische Potential der islamischen Herrschaftskultur auch
hierzulande ins Wahrnehmungsfeld von Teilen der politischen und
nichtorientalistischen wissenschaftlichen Öffentlichkeit. Vor
diesem Hintergrund wurde der Islam nun auch als politisches
Streitobjekt und sozialwissenschaftlicher Erkenntnisgegenstand
entdeckt und es bildeten sich zwei Lager heraus: Die vielschichtig
aufgestellten "Freunde des Islam" und seine Kritiker.
Angefeuert
durch den Rückzug
der Russen aus Afghanistan und der islamistischen Deutung des
Zusammenbruchs des Sowjetregimes als Verdienst der Gotteskrieger,
etablierte sich ab 1990 der internationale Djihad-Terrorismus als
globale Erscheinung, während gleichzeitig der islamische
Fundamentalismus in den muslimischen Ländern seine
Massenverankerung verbreiterte. So war die Agenda bereits lange vor
dem 11. September 2001 geprägt durch den blutigen
Bürgerkrieg
in Algerien, die Kämpfe zwischen dem postkommunistischen
Russland und den islamistischen Tschetschenen, die Beteiligung von
islamistischen Kämpfern am Jugoslawienkrieg, die Installierung
des barbarischen Talibanregimes, die Reaktivierung der Kämpfe
in
der Kaschmirregion sowie den Auf- und Ausbau des Terrornetzwerkes
al-Qaida von Bin Laden. Auf dessen Konto sollen folgende
Anschläge
gehen: die Explosion einer Autobombe unter dem World Trade Center am
26. Februar 1993 (6 Tote, mehr als 1.000 Verletzte); die Explosion
einer in einem Tankwagen versteckten Bombe auf dem saudi-arabischen
US-Militärstützpunkt in Dhahran am 25. Juni 1996 (19
Tote,
mehr als 400 Verletzte); die nahezu gleichzeitigen
Bombenanschläge
auf die US-Botschaften in Daresalam und Nairobi am 7. August 1998
(263 Tote, 5.436 Verletzte), der von einem Selbstmordkommando
verübte
Bombenanschlag auf den US-Zerstörer "Cole" in der
jemenitischen Hafenstadt Aden am 12. Oktober 2000 (17 Tote) und die
bislang spektakulärsten Mehrfachanschläge in den USA
am
11.09.01 mit ca. 3000 Toten.
Die Dominanz der "Freunde
des Islam" in Wirtschaft, Politik, Medien, Wissenschaft und
Kirchen brachte es mit sich, dass auch trotz oder gerade wegen der
Anschläge des 11. September ungebrochen das Bild vom
'friedliebenden' und 'toleranten' Islam verbreitet wurde. Doch diese
stereotype Propaganda wurde immer wieder durch konterkarierende
Ereignisse widerlegt: Zu erinnern ist hier nicht nur an die
zahlreichen islamistischen Terroranschläge in Tunesien, auf
Bali, in Istanbul, in Madrid, in London, in Jordanien, in
Ägypten,
in Pakistan etc. Zudem drangen auch Hinweise auf die
Repressivität
der islamischen Alltagskultur ins öffentliche Bewusstsein:
Ehrenmorde, Zwangsheiraten, muslimische Parallelgesellschaften in den
westlichen Ländern, Gewalttätigkeit muslimischer
Einwandererkids, Ermordung von westlichen Islamkritikern (Theo van
Gogh) und zahlreiche Morddrohungen gegen kritische Autorinnen und
Autoren. Unlängst kam es zur Dreieinigkeit von iranischer
Holocaustleugnung, dem Wahlsieg der Hamas und den militanten
Ausschreitungen anlässlich des Karikaturenstreits. Die
Vermischung von islamischer Religion und autoritärem Staat
wurde
in mehren UN-Berichten als hausgemachte Entwicklungsblockade der
arabischen Welt aufgezeigt. Von besonderer Brisanz ist das aktuelle
Streben des iranischen Gottesstaates nach der Atombombe etc.
Angesichts
dieser Sachlage
ist die propagandistische Schönfärberei der "Freunde
des Islam" trotz starker medialer Unterstützung
offensichtlich an eine Wirkungsgrenze gestoßen. Denn im
Grunde
ist wohl kaum etwas weniger erklärungsbedürftig als
das
folgende Einstellungsbild der einheimischen Bevölkerung zum
Islam:
91
Prozent der Befragten
sagten im Mai 2006, sie dächten bei dem Stichwort Islam an die
Benachteiligung von Frauen; im Jahr 2004 hatten 85 Prozent so
geurteilt. Die Aussage, der Islam sei von Fanatismus geprägt,
teilten vor zwei Jahren 75, jetzt 83 Prozent. Der Islam sei
rückwärtsgewandt, sagen heute 62 im Vergleich zu 49
Prozent, er sei intolerant, meinen 71 gegenüber 66 Prozent,
und
die Ansicht, der Islam sei undemokratisch, hat in den vergangenen
zwei Jahren von 52 auf 60 Prozent zugenommen. Die Eigenschaft
Friedfertigkeit bescheinigen dem Islam gerade acht Prozent der
Deutschen" (FAZ vom 17. Mai 2006, S.5). 65 Prozent rechnen
damit, dass es in Zukunft zu Konflikten zwischen der westlichen und
der arabisch-muslimischen Kultur kommen werde. "58 Prozent der
Befragten erwarten heute, daß es zu Spannungen mit der
muslimischen Bevölkerung in Deutschland kommen werde, nur noch
22 Prozent widersprechen ausdrücklich" (ebenda).
Tatsache ist, dass die orthodoxe Auslegung
und Praxis
des Islam gegen elementare Grundrechte verstößt. So
kennt
der Islam weder die Trennung von Religion, Staat und
Privatsphäre
noch die Gleichstellung der Geschlechter oder aber die
Gleichberechtigung von Muslimen, Andersgläubigen und
Religionsfreien an. Zudem schließt der Islam rigoros
Glaubensfreiheit bzw. freie Wahl der Weltanschauung aus:
Nichtanerkennung bzw. Distanzierung vom Islam wird als
Abfall
vom rechten Glauben gewertet und massiv bestraft. So ist ein
männlicher Apostat zum Tode zu verurteilen, wenn er nicht
widerruft; eine weibliche Abtrünnige hingegen soll so lange
gefangen gehalten werden, bis sie widerruft. Wenn auch die
Todesstrafe für Glaubensabfall seit dem 19. Jahrhundert
tendenziell durch Gefängnisstrafe, Verbannung, Einziehung des
Vermögens und Annullierung der Ehe ersetzt worden ist, so ist
doch der von dieser Norm ausgehende massive, sozialisatorisch
wirksame Unterwerfungs- und Anpassungsdruck auf den Einzelnen
erhalten geblieben. Da der Islam demnach in massiver Form gegen
Grund- und Menschenrechte verstößt, kann er auch
nicht den
vollen Schutz des Grundgesetzes für sich in Anspruch nehmen.
Denn insofern grundlegende Religionsinhalte mit Grund- und
Menschenrechten kollidieren bzw. diese verletzten, muß das
Recht auf positive Religionsfreiheit im Sinne einer konsequenten
Prioritätssetzung eingeschränkt werden, d. h. der
moderne
Grundsatz gelten "Grund- und Menschenrechte vor positiver
Religionsfreiheit". Demzufolge kann sich der Staat auch nicht
auf seine (vorgebliche) passive Neutralität gegenüber
den
Religionen zurückziehen, sondern ist als aktiver Protektor der
Grund- und Menschenrechte gefordert. Vor diesem Hintergrund einer
prinzipiellen Güterabwägung ist es durchaus
konsequent und
"verfassungspatriotisch" begründet, wenn ein großer
Teil der Bevölkerung grundrechtsverteidigende Eingriffe in die
Religionsfreiheit befürwortet und immerhin 40 Prozent auf die
Aussage "Um zu verhindern, dass es zu viele radikale,
gewaltbereite Moslems in Deutschland gibt, sollte man die
Ausübung
des islamischen Glaubens in Deutschland stark einschränken"
mit Zustimmung reagieren.
Bei diesem Einstellungsbild handelt es sich
nicht etwa
um ein "diffuses Gefühl der Bedrohung" oder gar um das
Ergebnis einer manipulativen Propaganda, sondern um eine sehr reale
und deshalb in ihren Grundzügen durchaus zutreffende und
objektiv begründete Urteilsbildung gegen den
dominanten
Mediendiskurs, die zum Teil durch konkrete Alltagserfahrungen
zusätzlich gestützt wird. Informierte man die
einheimische
Bevölkerung tatsächlich zusätzlich
über die
Grundinhalte des Koran, die Sunna des Propheten Mohammed und die
Scharia, dann würde auch noch die letzte Bastion der medialen
Legendenbildung geschliffen, nämlich dass Islam und Islamismus
durch eine chinesische Mauer von einander getrennt seien. Zwar ist
eine Gleichsetzung von 'Islam‘ und 'Islamismus‘
schon aus dem
Grunde unzutreffend, weil der Islam bereits als Glaubenssystem kein
homogenes Gebilde darstellt, sondern eine ausgeprägte
Binnendifferenzierung in Form unterschiedlicher Konfessionen,
Rechtsschulen und kulturell-regionaler Gestaltungen aufweist. Auch
gab es innerhalb der kulturhistorischen Entwicklung des Islam
progressive Tendenzen wie insbesondere den islamischen Rationalismus.
So wurde in den Lehren von Al-Farabi, Ibn Sina, Ibn Ruschd, Ibn
Khaldun u. a. die Dogmatik eines strikt theozentrischen Weltbildes
aufgebrochen und durch eine tendenziell rationalistisch-humanistische
Sichtweise ersetzt, die bereits Keime der Aufklärung in sich
trug.
Aber dennoch setzte sich schließlich in den innerislamischen
Kämpfen um Auslegungsdominanz und Normierungsmacht der
konservative Gesetzes-Islam als herrschende Glaubensinterpretation
durch. Und genau diese hegemoniale Interpretationsvariante des Islam
bildet die Anknüpfungsgrundlage für islamistische
Radikalisierungen und Zuspitzungen. D. h.: Nicht der Islam 'an
sich‘,
wohl aber seine dominante konservative Interpretationsvariante ist
die Quelle sowohl des Islamismus als auch der freiheitsfeindlichen
Alltagskultur und Sozialordnung der muslimischen Welt.
©
Hartmut Kraus, Osnabrück 2006
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