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Beiträge zur Geschichte  









Hartmut Krauss

Daniel J. Goldhagens eindimensionale Sicht auf "Hitlers willige Vollstrecker".

Eine subjektwissenschaftliche Kritik von links.

Angesichts der Fülle von Forschungsliteratur zur Nazizeit, in der die Subjektivität der Täter entweder ganz ausgeblendet, entwichtigt, verrätselt oder aber objektivistisch "abgeleitet" wird (Befehlszwang; Sanktionsangst; Konformitätsdruck etc.), ist es Daniel J. Goldhagen gelungen, mit seiner heiß umstritte nen Studie "Hitlers willige Vollstrecker" die mentale Beschaffenheit "ganz gewöhnlicher Deutscher" als überzeugte Akteure der nazistischen Judenvernichtung ins Licht gerückt zu haben. Daraus erklärt sich aber nicht unmittelbar die öffentliche Erregung, die sein Buch ausgelöst hat. Verantwortlich dafür dürfte vielmehr folgendes sein: Goldhagen präsentiert zum einen neues, erschütterndes Quellenmaterial, aus dem hervorgeht, daß "Durchschnittsdeutsche" als Funktionsträger in Polizeibataillonen, in Vernich tungslagern und während der Todesmärsche (am Ende des Krieges) Juden nicht nur bestialisch töteten, sondern dieses mörderische Treiben auch noch lustvoll und sadistisch vollzogen und obendrein darauf stolz waren. Dieser "für sich" schon entsetzliche Befund wird andererseits noch dadurch überboten, daß er "induktionslogisch" zur zentralen These verallgemeinert wird, "die Deutschen" seien Anhänger eines "eliminatorischen Antisemitismus" gewesen. Dieses tendenzielle Pauschalurteil, das Goldhagen über den gesamten Text verstreut beständig in seine Erörterungen einbaut, ist nun von seinen Kritikern als Vor wand benutzt worden, um eine diskreditierende Abwehrhaltung einzunehmen und vom eigentlichen Kern der Goldhagen-Kontroverse abzulenken. Bei dieser Debatte geht es nämlich im wesentlichen um die wis senschaftlich bislang unzureichend behandelte Frage nach dem subjektiven Verhältnis der deutschen Bevölkerung der 30er und 40er Jahre zum Nationalsozialismus. War das deutsche Volk nur verführter / manipulierter / verängstigter Helfer oder überzeugter (bewußt-willentlicher) Anhänger und Mit-Täter des Nazi-Regimes?

Goldhagen kommt das Verdienst zu, in kritischer Abhebung von konventionellen Erklärungsansätzen zunächst einmal den Subjektstatus der Vollstrecker der Nazibarbarei klar und eindeutig benannt zu haben: "Die Verfechter der bekannten Erklärungen sehen die Täter weder als bewußt Handelnde noch als sittliche Wesen. Sie tun so, als sei die Unmenschlichkeit der Taten nur ein Nebenaspekt und nicht das eigentliche Problem" (Goldhagen 1996, S.459). Desweiteren ist m.E. auch nicht ernsthaft zu bezweifeln, daß die überwiegende und ausschlaggebende Mehrheit der Deutschen sich mit Hitler und dem Nazi- Regime weitestgehend identifizierte, die propagierten innen- und außenpolitischen Ziele der Nazis unterstützte und von den grundlegenden Inhalten der Naziideologie, darin eingeschlossen das antisemitische Feindbild als wesentlicher Bestandteil, subjektiv überzeugt war. Allerdings ist Goldhagens ausschließlich auf den Antisemitismus fixierter und insofern monokausal und eindimensional ausgerichteter Ansatz unzureichend, um die subjektive Logik der faschistischen Barbarei in ihrer vielschichtigen Bewegungsdynamik und strukturellen Komplexität angemessen zu erfassen. Zumindest lassen sich folgende wesentlichen Ausblendungen anzuführen:

1) Die Verwirklichung der kriegerischen Eroberungs- und rassistisch-antisemitischen Auslöschungspolitik der Nazis setzte - als mehrheitsfähiges nationales Projekt - die repressiv-terroristische Formierung der deutschen Bevölkerung vermittels "exemplarischer" Ausschaltung des inneren Widerstandspotentials in Gestalt insbesondere der Arbeiterbewegung voraus. D.h. der oppositionelle Teil der Deutschen mußte zunächst multiinstrumentell gebändigt und aus dem Verkehr gezogen werden. Dieser Aspekt sowie der "eliminatorische Antimarxismus" der Nazis bleibt bei Goldhagen vollständig ausgeblendet.

2) Die antimarxistische "Reinigung" des deutschen Volkes (Verbot von KPD und SPD). schuf erst die Möglichkeit für die Verankerung der Naziideologie in allen Gesellschaftsektoren. Vor diesem Hintergrund bildete aber nicht der eliminatorische Antisemitismus die entscheidende Ausgangsprämisse bzw. primäre Motivationsquelle für die pronazistische Gefolgschaftsbereitschaft der deutschen Bevölkerungsmehrheit, sondern die mit dem Machtantritt der Nazis scheinbar gegebene Möglichkeit zur sinnhaften Einordnung in eine "auserwählte", rassisch-völkisch konstituierte Gemeinschaft mit einer verheißungsvollen Zukunft. (Tilgung der Schmach von Versailles; Erkämpfung des angestammten Platzes Deutschlands in der Welt; "Tausendjähriges Reich" etc.) D.h. die "intrinsische Motivation" bzw. Über zeugtheit der Anhänger und späteren Täter des Nazi-Regimes basierte nicht nur und nicht in erster Linie auf einem eindimensional wirksamen antisemitischen Haß, sondern auf einem Komplex zusammenwir kender pronazistischer Einstellungsmuster. Der subjektive Angelpunkt der Naziideologie war nicht etwa der Antisemitismus "an sich", sondern die "Einladung", sich als Mitglied der "Herrenrasse" zu fühlen, zu be(s)tätigen und zu bewähren und dabei gleichzeitig seine historisch gewachsenen und einsozialisierten (Un-)Tugenden (militaristische Härteprägung; Obrigkeitshörigkeit; rigide Pflicht- und Gehorsamsethik; chauvinistische, antidemokratische und antisemitische Grundeinstellung etc.) zu bewahren und "auszuleben".

Eben diese Einordnungsmöglichkeit in eine aufstrebende völkische Herrenrasse erschien vielen - vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Problemkonstellation und der überlieferten Dominanz reaktionärer Ideologien, Werte und Denkhaltungen - als Lösung der erfahrenen Lebenswidersprüche und bezog daraus ihre subjektive Sinnhaftigkeit. Die propagierte Leitorientierung war eindeutig und erfolgversprechend: Es galt als funktionales Glied der militaristisch-hierarchisch gestuften Herrenrasse für Führer, Volk und Vaterland seine Pflicht zu erfüllen, "den Feind" zu vernichten und auf keinen Fall die gemeinsame Sache zu verraten, zu verletzen oder zu mißachten.

3) "Der Jude" als multifunktionaler Feind (bzw. als personifizierter Dämon der "modernen" Herausforderungen) spielte in diesem Kontext der faschistischen Ideologie zwar eine zentrale, beliebig einsetzbare und synthetisierende Rolle, aber er kann weder von seinem siamesischen Zwilling, dem Antimarxismus/Antibolschewismus abgetrennt noch von der "positiv"-sinngebenden Grundlage (völkische Herrenrassenideologie) isoliert werden. Zudem erheischte die dialektische Identität der Herrenrasse die fortwährende (Re-)Konstruktion verschiedenartiger Sorten von "Untermenschen". Auch in dieser Perspektive "wäre es von Nutzen gewesen, die Fallstudie des Polizeibataillons durch den Verweis auf die regulären Armeesoldaten, die eine Vielzahl nichtjüdischer Russen, neben Polen, Serben, Griechen, Italienern und so weiter massakrierten, in einen Kontext zu stellen" (Bartov 1996, S.73).

4) Die antisemitisch-antibolschewistische Ausrichtung, die Nietzsches lüsternd schweifende "blonde Bestie" als Sinnbild der Herrenrasse im Nazi-Diskurs erfuhr, exekutierte ihre blutig-antihumanistische Wesenslogik im Prozeß der Formierung der deutschen Herrenrasse zur raubkriegerischen Schicksalsge meinschaft. Dabei lag die Tötung, Ermordung, Auslöschung der Feinde/Untermenschen im direkten ("logischen") Verweisungszusammenhang der Naziideologie - auch in ihrer subjektivierten Gestalt als Überzeugungssystem. D.h. - und hier ist Goldhagen gegenüber Browning entschieden recht zu geben - die Vollstrecker der nazistischen Mordaktionen handelten in erster Linie als überzeugte Tätersubjekte und nicht als von außen konditionierte Werkzeuge aufgrund von Gruppenzwang bzw. Konformitätsdruck. Allerdings war als Antriebsmoment nicht ein abstrakter/isolierter Antisemitismus wirksam, sondern die Identifikation mit der zur kriegerischen Schicksalsgemeinschaft transformierten Herrenrasse. Je nach individuellem Temperament, persönlicher Hemmschwelle, routinemäßiger Verrohung etc. ist bei der konkreten Durchführung der unmittelbaren Mordaktionen eine Variationsbreite zwischen fanatisch sadistischem, "pflichtgemäßem", "laschem" etc. Handlungsvollzug anzunehmen, ohne daß daraus kurzer hand auf eine unterschiedliche Überzeugungsstärke geschlossen werden könnte.

Indem Goldhagen die "persönliche Überzeugtheit" als zentrales Merkmal von Hitlers willigen Vollstreckern akzentuiert, trifft er einen wesentlichen Kern der subjektiven Logik der Nazibarbarei. Da er allerdings die Substanz dieser Überzeugtheit auf den "eliminatorischen Antisemitismus" reduziert, verfehlt er die komplexe Antriebsstruktur der Nazi-Täter und verharmlost sie auf diese Weise sogar.



© Hartmut Krauss, Osnabrück 1996



Anmerkungen:

1. In herkömmlichen ("manipulationstheoretischen") Erklärungsansätzen werden die in das nazistische Gesellschaftssystem eingebundenen Individuen als bloße Objekte von außen einwirkender Propaganda vorgestellt, d.h. als um ihre subjektive Sinnstruktur verkürzte Wesen angesehen. Die Übernahme faschistischer Ideologie wird demgemäß nicht als selbstgesteuerter aktiver Aneigungprozeß, sondern als "Einimpfen nazistischer Lehren", als Indoktrination oder als "Gehirnwäsche" erfaßt. In subjektwissen schaftlicher Perspektive gilt es demgegenüber vom "Standpunkt des inneren Beobachters" die autonome Motiviertheit/"Eigensinnigkeit" der vergesellschafteten Individuen zu berücksichtigen. Entsprechend ist deren Bewußtsein nicht als tabula rasa bzw. passive Projektionsfläche zu betrachten, sondern als selbstge setzlich reguliertes, auswählendes und bewertendes "Verarbeitungssystem". Nicht Propagandainhalte, Ideologeme, politische Losungen etc. "an sich" konstituieren subjektiv wirksame Überzeugungen, sondern nur solche, die für das Subjekt in bestimmten (konflikthaltigen) Lebenssituationen eine vermeintlich widerspruchslösende Wertigkeit besitzen, dessen Erfahrungen und Hoffnungen sinnvoll verknüpfen und sich im gesellschaftlich-praktischen Lebensvollzug als Orientierungsmittel bewähren. (Vgl. hierzu ausführlich Krauss 1988.)

2. Obwohl Goldhagen Otto Ohlendorf, Chef des Sicherheitsdienstes von 1939-45 und Leiter einer Einsatzgruppe zur "Feindsäuberung" des Hinterlandes an der russischen Front, an sieben Stellen erwähnt, geht er nicht einmal auf dessen eidesstattliche Erklärung über die Massenmorde an Juden und kommunistischen Funktionären in den besetzten Gebieten der Sowjetunion ein. Aus dieser Aussage kann nur eine quantitative, aber keine qualitative Differenz bei der Mordvollstreckung an Juden und Kommunisten ab geleitet werden:

"Himmler erklärte, daß ein wichtiger Teil unserer Aufgabe in der Beseitigung von Juden, Frauen, Männer und Kindern und kommunistischen Funktionären bestünde. Ich wurde etwa vier Wochen vorher über den Angriff auf Rußland benachrichtigt... Als die deutsche Armee in Rußland einmarschierte, war ich Führer der Einsatzgruppe D im südlichen Sektor, und im Laufe des Jahres, während dessen ich Führer der Einsatzgruppe D war, liquidierte sie ungefähr 90.000 Männer, Frauen und Kinder. Die Mehrzahl der Liquidierten waren Juden, aber es waren unter ihnen auch einige kommunistische Funktionäre... Ich habe den Bericht von Stahlecker...über Einsatzgruppe A gesehen, in welchem Stahlecker behauptet, daß seine Gruppe 135.000 Juden und Kommunisten in den ersten vier Monaten der Aktion getötet hat. Ich kannte Stahlecker persönlich, und ich bin der Ansicht, daß das Dokument authentisch ist..." (zit.n. Kühnl 1975, S.387ff.)

Browning (1996, S.236) faßt das 1943 in einem Sonderheft zur Rassenpolitik gezeichnete Feindbild der nazistischen "Schriftenreihe für die weltanschauliche Schulung der Ordnungspolizei" fol gendermaßen zusammen: "Die größte Gefahr, die einem gesunden Bewußtsein für die Notwendigkeit einer territorialen Expansion und der Reinhaltung der Rasse drohe, erwachse aus Lehren, die für die grundsätzliche Gleichheit aller Menschen eintreten. Die erste dieser Lehren sei das durch den Juden Paulus verbreitete Christentum, die zweite der aus der Französischen Revolution hervorgebrachte Liberalismus, den man als einen vom jüdisch beherrschten Freimaurertum angezettelten "Aufstand der rassisch Minderwertigen" zu betrachten habe. Die dritte und größte Gefahr sei aber der von dem Juden Karl Marx begründete Marxismus/Bolschewismus."

3. Die repressive Disziplinierung der "nichtüberzeugten" Teile der deutschen Bevölkerung ging freilich nicht reibungslos vonstatten. So hieß es in einem Gestapo-Lagebericht über die Ereignisse in Berlin im Januar 1936: "Viele Volksgenossen, die, ohne sich zum Nationalsozialismus zu bekennen, nach der Machtübernahme eine loyal abwartende Haltung gegenüber dem Dritten Reich einnahmen, haben inzwischen den Glauben an die Verwirklichung gerade der sozialistischen Punkte des Parteiprogramms verloren. Das Sinken des Ansehens der NSDAP in der Bevölkerung kann nicht mehr übersehen werden... Die offene und freudige Mitarbeit der Allgemeinheit bei der Bekämpfung des Kommunismus, wie sie bis ins Jahr 1935 hinein deutlich festgestellt werden konnte, hat erheblich nachgelassen. Von einer Immunität gegen das Gift des Marxismus kann in weiten Kreisen der Berliner Bevölkerung keine Rede mehr sein...

Allgemein kann zwar gesagt werden, daß der Kommunismus vor allem wegen der starken Bekämpfung, die er durch die Staatsorgane erfährt, und der damit verbundenen ständigen Aufreibung seiner Organisation und Festnahme seiner führenden Männer eine augenblickliche Gefahr für den Bestand des Staates nicht bedeutet. Es muß aber ernsthaft darauf hingewiesen werden, daß trotz aller Erfolge gegen den organisierten Kommunismus das Heer der durch kommunistische Ideen wieder oder neu Verseuchten im stetigen Wachsen begriffen ist..." (zit. n. Kühnl 1975, S.403f.)

4. Es dürfte zutreffen, daß die KPD das Ausmaß und die Tiefe der Verankerung antisemitischer Einstellungen innerhalb der deutschen Bevölkerung unterschätzte. Aber es ist wissenschaftlich unangemessen, wenn Goldhagen seine Einschätzung der KPD-Erklärung "Gegen die Schmach der Juden-Progrome" von Mitte November 1938 auf diese Feststellung reduziert. Immerhin wird in diesem Text nämlich die sozial demagogische Funktion des antisemitischen Stereotyps deutlich hervorgehoben: "Immer in der Vergangenheit hat die Reaktion, wenn sie ein Volk aufs Schlimmste ausplünderte und die Erbitterung des Volkes fürchtete, sich der schmutzigen Mittel der Judenhetze und der Progrome zum Zwecke der Ablen kung von den wahren Schuldigen am Volkselend bedient" (zit. n. Kühnl 1975, S.422). Auch der folgende Satz aus diesem Dokument dürfte Goldhagen nicht so recht ins Konzept passen: "Die Kommunistische Partei wendet sich an...alle anständigen und ehrbewußten Deutschen mit dem Appell: Helft unseren gequälten jüdischen Mitbürgern mit allen Mitteln! Isoliert mit einem Wall der eisigen Verachtung das Progromistengesindel von unserem Volke!" (ebenda).

5. Goldhagen übersieht völlig die konstitutive Bedeutung, die Nietzsche, ein erklärter Kritiker und Verächter des Antisemitismus, für die Fundamentierung der Naziideologie innehat.

6. Mitunter stößt man in der Literatur auf eine Verwechselung von physischer Hemmschwelle (Ekel) mit moralischem Skrupel. Demgegenüber scheint mir die Gleichzeitigkeit von physischem Ekel und morali scher Skrupellosigkeit wahrscheinlicher zu sein. In diesem Licht betrachtet wäre der von Browning reklamierte Gruppendruck/Konformitätszwang (in den Augen der Anderen nicht als Schwäch ling/Feigling erscheinen zu wollen) zwar als Faktor der subjektiven Überwindung physischer Hemmungen in Rechnung zu stellen; keinesfalls dürfte er aber ausreichend gewesen sein, eine auf ethischen Überzeu gungen basierende ("moralische") Tötungshemmung außer Kraft zu setzen. Dafür spricht auch die Begründung der meisten Beteiligungsverweigerer an Mordaktionen des Reserve-Polizeibataillons 101: "Sie behaupteten nicht, zum Töten 'zu gut', sondern 'zu schwach' zu sein. Auf diese Weise wurde die Haltung der Kameraden nicht in Frage gestellt und 'Härte' als überlegene Eigenschaft legitimiert und bestätigt" (Browning 1996, S.241).

Beteiligungsverweigerung aufgrund einer innerlichen Ablehnung der barbarisch-antihumanistischen "Gruppenmoral" der Bezugsgemeinschaft wäre zudem durch Gruppendruck/Konformitätszwang nicht wirkungsvoll "aufzubrechen bzw. sanktionierbar gewesen, da die Ablehnung/Verachtung durch eine Gruppe, die das Individuum seinerseits innerlich verachtet bzw. deren Wertekonsens es nicht teilt, weder eine Selbstwertkrise noch eine geistig-moralische Dissonanz auszulösen im Stande wäre. Überhaupt kann so etwas wie "Gruppendruck" bzw."Konformitätszwang" individuell nur dann wirksam werden, wenn zwei elementare Voraussetzungen erfüllt sind: 1) Ein relativ hoher Grad der Einheitlichkeit in der Wertorientierung der Gruppenmitglieder sowie 2) eine wirksame emotionale Identifikation mit der Gruppe.

Zur Kritik der traditionellen sozialpsychologischen Konzeption des Gruppendrucks sowie allgemein zur Grundlegung einer tätigkeitspsychologischen Theorie des Kollektivs vgl. ausführlich Petrowski 1983.


Literaturangaben:

Bartov, Omer: Ganz normale Monster. In: Schoeps, Julius H. (Hg.): Ein Volk von Mördern? Die Dokumentation zur Goldhagen-Kontroverse um die Rolle der Deutschen im Holocaust. Hamburg 1996, S.63- 80.

Browning, Christopher R.: Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die "Endlösung" in Polen. Reinbek bei Hamburg 1996.

Goldhagen, Daniel Jonah: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust. Berlin 1996.

Krauss, Hartmut: Der Prozeß der Überzeugungsbildung als persönlichkeitspsychologischer und pädagogischer Problemgegenstand. In: Studien zur Tätigkeitstheorie IV. Materialien zur 4. Arbeitstagung über die Tätigkeitstheorie A.N. Leontjews vom 12.-14.06.1987 in Marburg. Hrsg. v. G. Auernheimer u.a. Marburg 1988. S. 103-129.

Kühnl, Reinhard: Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten, Köln 1975.

Petrowski, Artur: Psychologische Theorie des Kollektivs. Berlin 1983.










 

GLASNOST, Berlin 1992 - 2019