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Beiträge zur Politik  









Kommentar zum Nahost-Krieg

Die mörderische Eskalation des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern, die der Weltöffentlichkeit tagtäglich neue Abscheulichkeiten präsentiert, ruft bei den nicht unmittelbar Involvierten vornehmlich zwei Reaktionsweisen hervor: Nachgerade an Naivität und Einfallslosigkeit nicht mehr zu überbietende 'Friedensappelle' und entsprechende 'Missionen' einerseits; emotionalistisch-hysterische Identifikationen und undistanziert-undifferenzierte Solidaritätsbekundungen mit einer der beiden Konfliktparteien andererseits. So, als könne man sich wie zwischen medial ausgelegter Handelsware entscheiden, ob Selbstmordattentate islamistisch verhetzter "Märtyrer" mit wahllosen unschuldigen Opfern oder martialisch vorrückende israelische Besatzungstruppen "schöner", "gerechter" oder verständnisheischender seien, verkennen die aufeinander eindreschenden "Solidaritätsparteien" den kardinalen Aspekt dieser Auseinandersetzung: Die palästinensischen Selbstmordattentäter sind die legitimatorischen Schergen des "Bulldozers" Scharon und der hinter ihm stehenden ultraorthodoxen Religionsparteien und militaristischen Siedlungsfundamentalisten. Scharon seinerseits ist der Steigbügelhalter und Hasslieferant der friedensunfähigen islamistischen Terrorgruppen. Diese militante Dauerkollision zwischen jüdisch-fundamentalistischen Israelis und islamisch-fundamentalistischen Palästinensern (und ihren Hintermännern in Syrien, Irak, Iran, Saudi-Arabien etc.), d.h. zwischen den mittlerweile dominierenden reaktionären Kerngruppen der sich befehdenden 'Völkerschaften', ist in eine neue 'heiße' Phase getreten. Längst ist dieser Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ein 'zwischenfundamentalistischer' Krieg geworden und liefert - neben dem etwa zeitgleichen Abschlachten zwischen Christen und Moslems in Nigeria oder zwischen Hindus und Moslems in Indien - einen Vorgeschmack auf die "neue Pest" des 21. Jahrhunderts - den sich interkontinental ausbreitenden und austobenden religiösen Massenwahn als regressiver Reflex auf einen sich anarchisch vollziehenden Globalisierungsprozeß. Gibt es ernsthaft jemanden, der sich angesichts dieser Sachlage eine Lösung seitens der USA unter dem imperialistisch-protestantischen Fundamentalisten George W. Bush verspricht?!


Unabdingbare Voraussetzung für eine Friedensregelung zwischen Israel und den Palästinensern wäre die wechselseitige Anerkennung des staatlichen Existenzrechts. Genau das aber wird von den fundamentalistischen Scharfmachern beider Seiten rigoros bestritten. Für die Islamisten von Hamas, Dschihad und Hisbollah ist das Territorium des israelischen Staates "waqf", d.h. ein unveräußerlicher Bestandteil der islamischen Gemeinde, also aller Generationen der Muslime bis zum Jüngsten Tag. Gemäß dieser totalitären Maximalforderung wird der Heilige Krieg zur Befreiung Palästinas als "göttliche Verpflichtung" ideologisiert und zur absoluten Norm erhoben. Für Kompromisse und Interessensausgleich ist hier kein Raum mehr zugelassen. Zudem sind in islamistischer Sicht Juden (und Christen) "Schutzbefohlene" minderen Rechts, denen keine gleichberechtigte Stellung in einem islamischen Staat zusteht. Kategorisch und unmissverständlich heißt es in der "Charta der Hamas": "Die Initiativen und sogenannten friedlichen Lösungen und internationalen Konferenzen zur Lösung des Palästinaproblems widersprechen dem Glaubensbekenntnis der Islamischen Widerstandsbewegung. Die Aufgabe irgendeines Teils von Palästina ist die Aufgabe eines Teils der Religion ... Das Palästinaproblem kann nur durch den Dschihad gelöst werden." Das erklärte Ziel ist folglich die Vernichtung Israels.

Die jüdischen Fundamentalisten betrachten Gesamtpalästina als von Gott in der Thora dem auserwählten Volk versprochenes Land. Entsprechend wird die aggressive Landnahme von Palästinensern bewohnter Gebiete als "göttliches Gesetz" beschworen. Die Besiedlung des "Landes Israel" wird als religiöses Ereignis verklärt, das von Gott bestimmt wurde und sich letztlich jeglicher menschlichen Kontrolle entzieht. Die in ihrem absolutistischen Geltungsanspruch und in ihrem Gotteswahn den Islamisten in nichts nachstehenden jüdischen Fundamentalisten fokussieren die 613 religiösen Gebote der Thora auf das für sie machtstrategisch entscheidende - nämlich das von Gott verheißene Land zu besiedeln und die Araber zu vertreiben. Für Kompromisse und verhandlungspolitischen Interessenausgleich ist auch in diesem fundamentalistischem Weltbild kein Platz.


Ohne die massive Zurückdrängung und schließliche "Zerbröselung" der fundamentalistischen 'Aktivgruppen' in beiden Lagern wird es keine Ansätze zu einer Friedensregelung geben. Jeder fragile Fortschritt würde sonst sofort mit Terror oder Ermordung friedensbereiter Politiker beantwortet. Wenn es nicht schleunigst gelingt, die islamistischen Märtyrer- und siedlungsfundamentalistischen Subkulturen auszutrocknen, wird der Konflikt noch weiter eskalieren. Es sind nicht 'die' Israelis oder 'die' Palästinenser, für die man hier und jetzt Partei zu ergreifen hätte, sondern aufzutreten ist gegen den irrationalistischen, durch religiöse Mythen und Kulte getragenen, fundamentalistischen Hass auf beiden Seiten.


Hartmut Krauss, 2002









 

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