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Beiträge zur Politik  








Die amerikanische Herrschaftskultur als Teil des Problems.

Kritische Anmerkungen zum amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf

Zwar ist auch in den USA der Grundsatz der Trennung von Staat und Religion als formales Prinzip in der Verfassung verankert. Doch die politische und soziokulturelle Landschaft der USA ist de facto in weiten Teilen nach wie vor durch hegemonialen Gotteswahnsinn, religiösen Fundamentalismus, missionarische Eiferei, militanten Antidarwinismus und apokalyptischen Irrationalismus gekennzeichnet. Während mehr als 50 Prozent aller Amerikaner Menschen ohne Gottesglauben ("Ungläubige") als "negativ" oder "höchst negativ" bewerten, halten 70 Prozent bei Kandidaten für das Amt des Präsidenten eine "starke Religiosität" für unabdingbar. 65 Prozent glauben an die Existenz Satans. "Nur 28 Prozent der Amerikaner glauben an die Evolution; 72 Prozent jedoch glauben an Engel. Das Ausmaß dieser Ignoranz, die sich sowohl im Kopf wie im Körper einer tapsigen Supermacht breit macht, hat sich zu einem Problem für die ganze Welt entwickelt" (Sam Harris: Das Ende des Glaubens. Religion, Terror und das Licht der Vernunft. Winterthur 2007, S.240). Weit verbreitet ist eine fundamentalistische Sexualmoral, der auch die sittenstrengen Islamisten in allen wesentlichen Punkten zustimmen würden (Verbot von vorehelichem Sex, Verherrlichung der traditionalistischen Geschlechterbeziehungen, Blockierung von Sexualaufklärung, Homophobie, Ablehnung/Verteufelung von Verhütungsmitteln, militante Bekämpfung von Abtreibung, realitätsferne Abstinenzpropaganda etc.). Hinzu kommt eine hysterische Dämonisierung der Evolutionstheorie als amerikanischer Beitrag zur aktuellen Fortsetzung der "Zerstörung der Vernunft".

Vor diesem - hier nur kurz anskizzierten - Hintergrund erscheint auch die bipolare Lagerbildung im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf als Alternative zwischen Übel 1 und Übel 2:

Die "Lichtgestalt" Barack Hussein Obama entpuppt sich bei näherer Betrachtung als pseudocharismatischer Blender, der als designierter Konkursverwalter der amerikanischen Schuldner- und Insolvenznation im grellen Licht der spätkapitalistischen Finanz- und Wirtschaftkrise bald wird bekennen müssen "No, we can not". Außenpolitisch könnten Obama die ihm nachgesagten Beziehungen zu Vertretern des amerikanischen Islamismus wie Mühlsteine um den Hals hängen und zu einer gefährlichen Handlungslähmung im Kampf gegen den internationalen Djihadismus führen. Die Aufdeckung eines Attentatsversuchs auf Obama durch zwei junge Neonazis, das Obama selbst wiederum mit einstudierter Attitüde herunterspielt, darf man getrost als Menetekel des zukünftigen Hasses des weißen fundamentalistisch-rassistischen Rechtsradikalismus auf den ersten farbigen Präsidenten der USA ansehen. Der militaristische Exhibitionist McCain wiederum, der seine Kriegsveteranenschaft über Gebühr zur Schau stellt, hat mit der korrupten Simplicissima Sarah Palin eine ebenso bigotte wie aufklärungsresistente Aktivistin der religiösen Rechten ins Präsidentschaftsboot geholt, die den Irakkrieg als "Plan Gottes" halluzinieren und Kontakte zu jenen verrückten Sekten pflegen soll, die für eine gewaltsame Rückkehr der Juden und Israels zum Christentum eintreten.

"Wo Eschatologie solcherart auf moderne Politik einwirken kann, sind die Gefahren religiösen Glaubens kaum mehr zu überschätzen. Millionen von Christen und Moslems richten ihr Leben heute nach prophetischen Traditionen aus, die sich nur dann erfüllen können, wenn Bäche von Blut aus Jerusalem strömen. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, wie Prophezeiungen von einem gegenseitigen Vernichtungskrieg, wenn sie erst einmal ernst genommen werden, zum Selbstläufer werden können" (ebenda, S.157f.).

In Anbetracht dieser fatalen Einbettung der politreligiösen amerikanischen Lagerbildung (überspitzt: Black Muslim Power contra weißen christlichen Fundamentalismus) ist hier folgendes nachdrücklich zu wiederholen: Angesichts der gewalttätigen Kollision zwischen dem fundamentalistisch inspirierten US-Kapitalismus und der islamistisch entzündeten muslimischen Herrschaftskultur rächt sich zunehmend die Verdrängung, der Verfall und die Desartikulation der religionskritisch-aufklärungshumanistischen Identitätsgrundlage des alten Europas. So neigen zahlreiche Europäer dazu, die totalitären Wesenszüge des Islamismus auszublenden oder wegzudeuten, um nur nicht an die eigene faschistische Vergangenheit erinnert zu werden. Sie sind auch nicht in der Lage, gegenüber der religiös-kapitalistischen Großmachtpolitik der USA sowie dem ausufernden Djihadismus eine säkular-humanistische Alternative in die Weltpolitik einzubringen. 'Appeasement'-Politik gegenüber islamistischen Bewegungen und Staaten (Iran), Geschäftemacherei mit orientalischen Despoten, Geheimdiplomatie mit Terrororganisationen und Schadenfreude in Anbetracht des us-amerikanischen Folterskandals sind nicht nur auf Dauer keine Lösung, sondern lebensverlängernder Teil des Problems.

In der leider durchaus nicht unberechtigten Hoffnung auf kritisch-emanzipatorischen Gedächtnisverlust in weiten Teilen der Bevölkerung wird in dieser Situation von konservativen Politikern und klerikalen Kräften das Christentum als europäische Basisidentität beschworen und für die Aufnahme des Gottesbezuges in die Präambel der EU-Verfassung Stimmung gemacht. Mit seiner kapitulatorischen Formel von der "postsäkularen Gesellschaft" hat der deutsche Vorzeige-Philosoph Habermas diesen Bestrebungen im Grunde seine Absolution erteilt. Wie nicht anders zu erwarten, fanden sich auch sofort eilfertige Jünger, die in grandioser Verkennung der globalen fundamentalistischen Faktenlage gegen den Laizismus agitierten und der Öffentlichkeit das schönfärberische Trugbild einer "posttraditionalen Religiosität" unterschieben wollten.

Anstatt die Zersetzung der kulturellen Moderne in Form von Marktfetischismus, Privatisierungswahn, Bürokratismus und konsumistischer Massenkultur kapitalismuskritisch zu analysieren und nicht der säkularen Werteordnung zuzuschreiben, propagieren manche degenerierten deutschen Feuilletonschreiber erneut einen verhängnisvollen Friedensschluß mit dem ungebändigten Religiösen. Dabei war und ist "postraditionale Religiosität" - wenn sie denn etwas anderes darstellen soll als dezentrierte bzw. laizisierte Privatreligion - nichts anderes als die Wiederentdeckung und kulturelle Reinstallierung des Religiösen als eine wesentliche Legitimationsquelle der zum Herrschaftssubjekt gewordenen Bourgeoisie, die ihr antifeudal-religionskritisches Revolutionskostüm abgestreift hat. Der "Priesterklasse" konnte und kann es nur recht sein, dass das traditionelle Bündnis zwischen Thron und Altar durch ein "posttraditionales" Arrangement zwischen Kapital und Kirche/Moschee ersetzt wurde und wird. Wohin diese herrschaftskulturelle Verschmelzung von Religion, Kapital und Regierungsadministration führt, kann man gerade anhand der USA ablesen.. Der Europa-Gedanke hat nur dann einen Sinn, wenn er säkular-humanistisch gewendet und im Rahmen des Aufklärungsdenkens entfaltet wird. Das Christentum bzw. die christliche Religion mit ihren integralen Schattenseiten wie Kreuzzüge, Inquisition, Hexenverfolgung, Religionskriege und totalitärem Normierungsmonopol steht für die prämoderne Herrschaftskultur des alten Europa. Die Wurzel des neuzeitlichen, modernen und zukunftsfähigen Europa ist hingegen das Ensemble jener Ideen und Praxen, die auf die Zurückdrängung und schließliche Überwindung der mittelalterlich-feudalen Herrschaftsstrukturen und die damit aufs engste verflochtene 'totale' Deutungs- und Normierungsmacht des Religiösen ausgerichtet sind. Kurz gesagt: die adäquate Identität Europas ist die kulturelle Moderne. Ihre emanzipatorischen Inhalte gilt es gegen die neototalitäre Wiederkehr des Religiösen zu reaktivieren und kulturpolitisch offensiv einzusetzen.

Demgegenüber ist es der nachhaltige Einfluss der christlich-fundamentalistischen Rechten auf die amerikanische Regierungspolitik, Öffentlichkeit und Gesetzgebung, der die USA in ihrer angemaßten Führungsrolle im Kampf für die Verteidigung und Universalisierung der kulturellen 'Moderne' delegitimiert. Gestützt auf eine massive Medienpräsenz und eine weit verzweigte propagandistische Tätigkeit wird dort Schritt für Schritt die Trennung von Religion und Politik hintertrieben, das Erziehungswesen gegenaufklärerisch indoktriniert (Kampf gegen die Evolutionstheorie, obligatorisches Schulgebet) und die öffentliche Moral im Sinne der antiliberalen Postulate der fundamentalistischen Ideologie gezielt unterwandert (militante Kampagne gegen Abtreibung, Frauenemanzipation, Homosexualität und Ehescheidung). Weder Obama noch McCain lassen erkennen, dass sie daran etwas ändern wollten/könnten.



Hartmut Krauss, Oktober 2008








 

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