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Hanna Behrend
„Auf der Suche nach der verlorenen Zukunft“ 1994 - 2003. Ein
Rückblick
Zu den von der Mainstream-Wissenschaft weitgehend ignorierten
Projekten, die von ostdeutschen WissenschaftlerInnen initiiert wurden,
welche nach der Wende aus den Universitäten und
Forschungsinstituten gedrängt wurden, gehört die
Schriftenreihe Auf der Suche nach der verlorenen Zukunft. Seit ihrer
Gründung 1995 sind 16 Bände erschienen (sh. Anhang I,
Auflistung der bisher erschienenen Bände ).
Vorgeschichte des Projekts
Die InitiatorInnen der Reihe kannten sich seit ihrer Zugehörigkeit
zum seit den 60er Jahren an der Anglistik der
Humboldt-Universität zu Berlin bestehenden Forschungsprojekt zur
Arbeiterliteratur Großbritanniens und Irlands und seit 1985
zu Werken feministischer Schriftstellerinnen aus englischsprachigen
Ländern, speziell aus ethnischen Minderheiten, sowie aus Afrika
und der Karibik, sowie mit Arbeiten zur feministischen Theorie. Der
Untergang der DDR, die auf das alte Regime folgende kurze demokratische
Wendeperiode und die schnelle Beendigung der demokratischen
Reformbemühungen mittels übergestülpter konservativer
Professoralverfassung und massenhafter Abwicklung von Personal und
Institutionen beendete auch das Projekt Arbeiterliteratur und
feministische Forschungen und veränderte die materielle und
mentale Verfassung der damit Beschäftigten.
Das Nach-Wende-Projekt Rasse, Klasse, Geschlecht war eine bereits
außerhalb des Instituts für Anglistik-Amerikanistik
angesiedelte autonome Forschung; unterstützt wurde sie lediglich
vom Zentrum für interdisziplinäre Frauenforschung (heute
Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien) an der
Humboldt-Universität, dem einzigen bis heute dort fortlebenden
feministischen Wendeprojekt und vom Gesellschaftswissenschaftlichen
Forum, e.V., einer ebenfalls von abgewickelten WissenschaftlerInnen
Anfang der 90er Jahre ins Leben gerufenen außeruniversitären
ForscherInnenvereinigung.
Das neue Projekt war ein ost-westdeutsches interdisziplinäres
Unternehmen. 1993 erschienen im Selbstverlag Aufarbeitung von
Projekterfahrungen und erste Erkundungen in theoretischem
Neuland, 1994 Studien zur feministischen Theorieentwicklung.
Gestützt auf die Erfahrungen mit diesen beiden Publikationen
entstand 1994 die vom trafo verlag dr. wolfgang weist betreute
Schriftenreihe mit dem Titel Auf der Suche nach der verlorenen Zukunft.
Die ersten vier Bände
Die ersten vier Bände, die von 1995 bis 1997 erschienen, griffen
thematisch verschiedene Seiten der Konzeption der Reihe auf. Der erste
Band, . Hanna Behrend/AnnelieseBraun/Hans Wagner: Emanzipation =
menschliche Selbstveränderung? zog Bilanz aus dem Scheitern des
Realsozialismus und versuchte, erste vorsichtige Schlussfolgerungen zu
ziehen. Die Beiträge behandelten Leistungen und Defizite
marxistischer und feministischer gesellschaftstheoretischer Positionen
(Hanna Behrend); Emanzipation im Kontext patriarchalischer und
Kapitalverhältnisse (Anneliese Braun) und menschliche
Selbstveränderungsmöglichkeiten im Prozess der globalen
Transformation (Hans Wagner).
Es gelang, den in Westfalen geborenen Sozial- und
Erziehungswissenschaftler, Herausgeber der Osnabrücker Zeitschrift
Hintergrund und Gründer des damals bestehenden Arbeitskreises
kritischer MarxistInnen, Hartmut Krauss, als Autor von Band II, Das
umkämpfte Subjekt. Widerspruchsverarbeitung im ‚modernen’
Kapitalismus, zu gewinnen. Er stellte sein Konzept von der „subjektiven
Widerspruchsverarbeitung“ vor, das von den Theoremen der
kulturhistorischen Schule von Wygotzki und Leontjew und der Kritischen
Psychologie von Klaus Holzkamps und Ute Osterkamps inspiriert war.
Die aus Hannover stammende Erlanger Soziologin,
Sozialpädagogin und Stadträtin Daniela Weber verfasste
Bd. III: Verfolgung – Vertreibung – Überleben: Frauen in den
Weltfluchtbewegungen, eine Übersichtsdarstellung der massenhaften,
durch Kriege, Revolten, Massaker, Armut und ethnischen Säuberungen
verursachte Binnenmigration.
Hintergrund und Initiator des damals bestehenden Arbeitskreises
kritischer MarxistInnen nach den beiden soziologischen Bänden
wurde 1997 mit Bd. IV Rückblick aus dem Jahr 2000 – Was haben
Gesellschaftsutopien uns gebracht? von Hanna Behrend mit Exkursen von
Isolde-Neubert-Köpsel und Stephan Lieske ein kulturhistorisches
Thema von ostdeutschen AutorInnen behandelt, die damit dem utopischen
Thema in der Reihe wieder zu seinem Recht verhalfen. Untersucht
wird, ob und in welcher Weise drei berühmte Gesellschaftsutopien
der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert - Edward Bellamys Ein
Rückblick aus dem Jahr 2000, William Morris' Kunde von Nirgendwo
und Charlotte Perkins Gilmans Herland - neben Vergänglichem
auch uneingelöste Zukunft transportieren.
Neubert-Köpsel behandelt die Bedeutung postmoderner Theorieaspekte
in der Utopiedebatte. Dabei weist sie nach, dass der Verzicht auf
allgemeine Gesellschaftsentwürfe durchaus nicht das Ende der
Utopie einläutet und dass auch postmoderne Einsichten Visionen von
einer besseren Welt transportieren können. Lieske, der sich auf
Ernst Blochs Utopie-Konzept stützt, befürchtet
hingegen, dass Utopie, die kein Ideal und kein Subjekt mehr hat, auch
keinen Wandel antizipieren kann.
Verschiedene Aspekte alternativer Lebensweise
1997 erschien der u.a. dank der unermüdlichen Werbetätigkeit
einer der Autorinnen sehr erfolgreiche Band V „Als ganzer Mensch
leben“. Lebensansprüche ostdeutscher Frauen. „Die Sehnsucht der
Frauen ‚als ganzer Mensch leben’ zu wollen“ ist das Motiv aller drei
Beiträge: Der erste Beitrag der Soziologin und Mathematikerin
Ursula Schröter bewertet Status, Rolle und Lebensansprüche
der Frauen in der DDR, die Germanistikemerita Eva Kaufmann, bekannt
u.a. durch ihre Veröffentlichungen zu Christa Wolf, Irmtraud
Morgner und Helga Königsdorf, analysiert Romane und
Erzählungen von DDR-Schriftstellerinnen und die
Theaterwissenschaftlerin Renate Ullrich stellt Zusammenhänge
zwischen Lebenswegen, Lebensweisen, Produktionsbedingungen und der
Gestaltung von Frauenbildern und Geschlechterverhältnissen
durch prominente Theaterfrauen her.
Geht es in Band V um die Selbstverwirklichung von Frauen als eine
Facette alternativen Lebens, so versteht der ebenfalls 1997 erschienene
Band VII, Wirtschaften für das ‚gemeine Eigene’. Handbuch zum
gemeinwesenorientierten Wirtschaften der auf der Konferenz in
Münstereifel als Autorin gewonnenen Kölner Politologin,
Sozialwissenschaftlerin und Feministin Carola Möller darunter
Leben und Arbeiten außerhalb marktwirtschaftlicher Zwänge.
Ko-Autorinnen von Carola Möller waren die westdeutsche Soziologin
Ulla Peters, die ostdeutsche Historikerin und Museumspädagogin
Brigitte Bleibaum, die ebenfalls ostdeutsche Philosophin und
Soziologieprofessorin Lilo Steitz und Alena Wagnerovà, die aus
Mähren stammende Publizistin und Biografin der Freundin Franz
Kafkas, Milena Jesenskà. Die Publikation behandelt
Tauschgruppen, Selbsthilfegruppen, Landbaugemeinschaften,
Gesundheitsberatungsgruppen und viele andere Formen des Wirtschaftens
für das „gemeine Eigene“.
Band VI, Rationalität zur Stunde Null. Mit Hannah Arendt auf dem
Weg ins 21. Jahrhundert aus der Feder des Politologen Roland W.
Schindler, der bereits mehrere Publikation über Hannah Arendt
veröffentlicht hatte und an der Universität Münster in
Lehre und Forschung tätig ist, erschien 1998. In einer
populärwissenschaftlichen Darstellung der politischen Theorie der
Philosophin weist der Autor die aktuelle Bedeutsamkeit des Gesamtwerks
für die soziologische und politische Diskussion nach, das die
Philosophin in fast einem halben Jahrhundert schuf.
Arbeit – ein Kernthema
In der Reihe wurden Alternativen zur neoliberalen Entwicklung der
Gesellschaft diskutiert. 1998 erschien Band VIII Arbeit ohne
Emanzipation und Emanzipation ohne Arbeit, von der ostdeutschen
Arbeitsökonomin Anneliese Braun zum Thema Transformation der
Arbeitsgesellschaft. Er enthält eine kritische Auseinandersetzung
mit den wichtigsten alternativen Vorstellungen zur Zukunft der Arbeit,
die damals zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit
vorgeschlagen wurden, vom zweiten Arbeitsmarkt bis zur
Subsistenzgesellschaft.
Band X, ein Sammelband zum Thema Die Arbeit als Menschenrecht im 21.
Jahrhundert. Beiträge zur Debatte über einen alternativen
Arbeitsbegriff, Berlin 1999, enthält Beiträge von zwei
westdeutschen Autorinnen, der wissenschaftlichen Referentin im
Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung Gisela Notz, die eine
feministische Kritik am „erweiterten Arbeitsbegriff“ vorlegt, und der
Politologin und Sozialwissenschaftlerin Carola Möller, die den
Begriff der Eigenarbeit untersucht. Die amerikanische Philosophin und
Politologin Danga Vileisis setzt sich mit dem Arbeitsbegriff von Marx
und Engels auseinander. Anneliese Braun behandelt das Thema der
sozialen Grundsicherung. Sie schildert die verschiedenen Modelle und
fordert, dass eine solche Grundsicherung „die unbezahlte
Reproduktionsarbeit anerkennen müsse, die vorwiegend von Frauen
geleistet wird“ und dass sie gewährleisten müsse, „dass
Frauen eigenständig ihre Existernz sichern“. Die Philosophin
und Sozialwissenschaftlerin Petra Drauschke diskutiert die
Zeitproblematik allein erziehender Frauen und die Diplomsoziologin und
Vorsitzende des Frauentechnikzentrums Berlin e.V. Michaela Richter
stellt Befindlichkeiten, Meinungen und Konflikte von Frauen vor. In
einem Anhang dokumentieren Brigitte Bleibaum und Lilo Steitz den
Meinungsstreit über die Zukunft der Arbeit.
Band XI, Ute Klammer & Sabine Plonz (Hrsg.) Menschenrechte auch
für Frauen?!, versteht Menschenrechte nicht nur als politische,
sondern auch umfassend als soziale Rechte. Daher enthält der Band,
den die Politologin Ute Klammer, Referatsleiterin am Wirtschafts- und
Sozialwissenschaftlichen Institut WSI in der
Hans-Böckler-Stiftung, Forschungsgebiet europäische
Sozialpolitik und speziell die Gerechtigkeitsaspekte der sozialen
Sicherung, und Sabine Plonz, Theologin und Pfarrerin, damals
Studienleiterin an der Evangelischen Akademie in Iserlohn (inzwischen
ist sie Direktorin der Evangelischen Akademie in Saarbrücken
im Saarland) herausgaben, im ersten Teil Beiträge über den
Kampf der Frauen um ihre Menschenrechte in der bürgerlichen
Demokratie, im zweiten Teil zum Thema „Arbeiten fürs Gemeinwesen –
eine Alternative zur Massenarbeitslosigkeit“. Ein dritter Teil ist
gewerkschaftlichen und kirchlichen Sichtweisen auf die Zukunft der
Arbeit gewidmet. Abschließend gibt es einen letzten Teil, „Wege
für Morgen finden: Gesellschaftliche Perspektiven“, in dem der
Zusammenhang von Arbeit, Tätigkeit und Menschenrechten
erläutert wird.
Lebensberichte: Spiegelbilder des 20. Jahrhunderts
Band IX, „Morgen beginne ich ein neues Leben“ – Mein Weg in die
Frauenbewegung von Gisela Gassen, Geschäftsführerin des
Landesfrauenrats, bietet LeserInnen einen Einblick in einige
Facetten der neuen Frauenbewegung der Bundesrepublik. Sie schildert den
Weg eines in einer traditionellen rheinischen Arbeiterfamilie
aufgewachsenen Adoptivkindes, das durch Auslandsaufenthalt und eine
neue Beziehung in die Politik gerät, schließlich zur
Frauenbewegung findet und sich mit feministischen Theorien
auseinandersetzt.
Der im Jahre 2000 erschienene Band XIII, Die Eleganz der Eseltreiber.
Tagebuch Januar 1991 bis Dezember 1993 von Elviera Thiedemann, einer
ehemals „staatsnahen“ ostdeutschen Grundschullehrerin für Kunst
und Musik aus Sachsen, zeichnet deren Weg in die Bundesrepublik nach.
Der Band beschreibt ihre Bemühung, die neuen Freiräume zu
nutzen und nicht auf der Opferseite der eskalierenden
Ausdifferenzierung der Gesellschaft zu landen.
Die neue Gestaltung der Reihe beginnt ebenfalls mit einem
biographischen Band, Margit Stolzenburg (Hrsg.) Biografien des 20.
Jahrhunderts. Elf europäische Frauen im Interview, der als Band
XII ebenfalls im Jahr 2000 erschien. Die elf Europäerinnen wurden
von sechs Interviewerinnen ost- und westdeutscher sowie kroatischer
Herkunft befragt. Aus den Berichten über das persönliches
Schicksal dieser in Frankreich, Ungarn, Finnland, Russland,
Großbritannien, Kroatien, in der Bundesrepublik und in der
ehemaligen DDR, in Portugal sowie den Niederlanden beheimateten Frauen
und einer aus Japan stammenden deutschen Migrantin, von denen
inzwischen zwei verstorben sind, entsteht ein Bild der
Selbstbefreiungswege von Frauen im Europa des 20. Jahrhunderts.
Der 2003 erschienene Band XV, Hanna Behrend/Gisela Notz (Hrsg.):
Über Hexen und andere auszumerzende Frauen enthält drei
historische und zwei biographische Beiträge. In dem einleitenden
Beitrag von Behrend wird am Beispiel der Hexenverfolgungen, deren
Aufarbeitung aus verschiedenen Sichtweisen, sowie von
Frauenverfolgungen in Deutschland von der NS-Zeit bis in die Tage des
Prozesses von Memmingen demonstriert, dass es dabei immer um die
Erhaltung patriarchaler politischer und wirtschaftlicher Macht geht und
dass die Mächtigen, wenn Widerstand ihnen wirklich gefährlich
zu werden droht, nicht vor Gewalttaten und Terror
zurückschrecken.. Der zweite historische Beitrag von Ingrid
Ahrendt-Schulte geht auf die Rechts- und Gerichtspraxis der frühen
Neuzeit ein, die zeigt, wie die existenz- und nahrungssichernden
Künste der Frauen in Hexenprozessen diabolisiert und
kriminalisiert werden. Christl Wickert setzt sich mit Widerstand und
Verfolgung von Frauen im Nationalsozialismus auseinander. Sie schildert
die eher bescheidene politische Teilnahme von Frauen vor der Zeit des
Nationalsozialismus und entwirft dann ein allgemeines Bild des
weiblichen Widerstands gegen das NS-Regime.
Die beiden biographischen Beiträge sind Berichte über das
Leben von zwei Frauen, ihren Beitrag zum antifaschistischen Widerstand,
ihre Verfolgung und ihre Nachkriegsgeschichte. Ingrid Stegherr
berichtet über die aus Bayern stammende Kommunistin Hanni
Weißensteiner. Aus einer ‚Mitläuferin’ der Naziherrschaft
gelangte die einfache Arbeiterin zum Widerstand im Umkreis der „Roten
Kapelle“. Nach dem Krieg versuchte sie vergeblich, weiter gegen
Faschismus und Militarismus zu kämpfen.
In ihrem Beitrag über die gläubige Jüdin,
überzeugte Sozialistin und Kämpferin für die Rechte der
Frauen Jeanette Wolff (1988 – 1976), die durch Konzentrations- und
Todeslager geschleppt wurde und noch in hohem Alter über die ihre
Erfahrungen im Nationalsozialismus berichtete, schildert Gisela Notz,
wie diese nach 1945 nach Deutschland zurückkehrte und erheblichen
Anteil am Wiederaufbau der SPD und eines neuen, demokratischen
Deutschlands hatte.
Zurück zur populärwissenschaftlichen Thematik
In Band XIV Hanna Behrend/Peter Döge Nachhaltigkeit als Politische
Ökologie – Eine Kontroverse über Natur, Technik und
Umweltpolitik diskutieren der Politologe Peter Döge, Jahrgang
1961, Gründer und Mitglied des geschäftsführenden
Vorstands des Berliner Instituts für anwendungsorientierte
Innovations- und Zukunftsforschung e.V. (IAIZ), arbeitet als Politik-
und Organisationsberater, Lehrbeauftragter an verschiedenen
Hochschulen, mit zahlreichen Veröffentlichungen zum
Verhältnis von Technik-Politik-Geschlecht sowie zur Männer-
und Geschlechterforschung, und die einer älteren Generation
zugehörige Herausgeberin, eine ostdeutsche Historikerin und
Literaturwissenschaftlerin mit einem ganz anderen Lebensweg das Thema
Nachhaltigkeit in Form eines fiktiven und sehr kontroversiellen
Briefwechsels.
Ein weiterer populärwissenschaftlicher Band, der Ende 2003
erscheinen wird, ist Band XVI, Hannah Lund: Die europäischen
Salons: Frauen wagen einen ersten Schritt in die Freiheit. Die Autorin
stellt die Ende des 18. Jahrhunderts aus Frankreich und England
gekommenen Salons vor, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts das gesellige
Leben in deutschen Städten mit prägten. Dort wagten Frauen
erstmals einen Schritt aus der Eingeschlossenheit im Hause der Eltern
oder des Ehegatten in die Öffentlichkeit hinaus, das sie zwar
nicht verließen, wohl aber familienfremden
Männern und Frauen zu Zusammenkünften öffneten.
In Vorbeitung für 2004 befindet sich Band XVII, Madeleine Porr:
Von Träumen und anderen Wirklichkeiten. Einblicke in das Leben
kubanischer Frauen.
Zwar werden in diesem Band Kubanerinnen im Interview zu Wort kommen,
wodurch der Band eher zum biographischen Genre zu gehören scheint,
die Autorin will aber nicht nur sie vorstellen, sondern ein
zeitgeschichtliches Buch über Kuba aus der Sicht von Frauen
vorlegen, das deren Rolle bei der Bewältigung der schwierigen Lage
des Landes verdeutlicht und das weder einseitig harsche Kritik
übt, noch unkritische Begeisterung zum Ausdruck bringt.
Bilanz und Ausblick
Obwohl auch männliche Autoren und sehr unterschiedlich
sozialisierte Autorinnen mit differenten Auffassungen zu Wort kamen,
ist das Besondere an den Bänden, dass sie insgesamt gesehen eine
ganz bestimmte vorwiegend, aber nicht ausschließlich weibliche
Stimme repräsentieren. Die Bände spiegeln Befindlichkeiten,
Lebensweise, Erfahrungen und theoretische Positionen einer Minderheit
wider, deren Rolle aber nicht unterschätzt werden sollte. Es sind
gebildete, kompetente, meist durch linke feministische
Zusammenhänge zu politischem oder kulturpolitischem Sachverstand
und Engagement gekommene Menschen, die an den aktuellen
wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen
Transformationsprozessen, Problemen und deren Lösungen
interessiert sind und die den Kampf um ein lebenswertes Leben nicht
aufgegeben haben. Die mit den ostdeutschen InitiatorInnen alsbald
kooperierenden Westdeutschen hatten Wesentliches mit ihnen gemein und
waren bereit, das Differente der anderen.Sozialisation und
Lebenserfahrung geschuldete, als gleichwertig mit den eigenen
Erfahrungen und Erkenntnissen zu akzeptieren. Deshalb gelang in der
Reihe die Integration der unterschiedlichen Gesichtspunkte ost- und
westdeutscher Frauen und Männer in einem gemeinsamen Projekt
besser als in vielen anderen ost-westdeutschen Vorhaben.
Weil in der Reihe die ostdeutschen in gleicher Weise wie die
westdeutschen AutorInnen ihre eigene Sozialisations- und
Lebenserfahrung unabhängig von jeder redaktionellen „Vorgabe“
einbringen konnten, wurde in der Zusammenarbeit Differenz als
Bereicherung erfahren, die Integration und Gemeinsamkeiten keineswegs
ausschloss. Sie alle sehen die Vergangenheit wie die Gegenwart und
Zukunft mit einem ganz spezifischen gesamtdeutschen feministischen
systemkritisch-interventionistischen Blick.
Anhang I
Auflistung der bisher erschienenen Bände nach Erscheinungsdatum
Band I:
Hanna Behrend/AnnelieseBraun/Hans Wagner: Emanzipation =
menschliche Selbstveränderung? Berlin 1995.
Band II:
Hartmut Krauss: Das umkämpfte Subjekt. Widerspruchsverarbeitung im
‚modernen’ Kapitalismus, Berlin 1996.
Band III:
Daniela Weber: Verfolgung – Vertreibung – Überleben: Frauen in den
Weltfluchtbewegungen, Berlin 1996.
Band IV:
Hanna Behrend: Rückblick aus dem Jahr 2000 – Was haben
Gesellschaftsutopien uns gebracht? mit Exkursen von
Isolde-Neubert-Köpsel und Stephan Lieske, Berlin 1997.
Band V:
Eva Kaufmann/Ursula Schröter/Renate Ullrich: „Als ganzer Mensch
leben“. Lebensansprüche ostdeutscher Frauen, Berlin 1997.
Band VI:
Roland W. Schindler: Rationalität zur Stunde Null. Mit Hannah
Arendt auf dem Weg ins 21. Jahrhundert, Berlin 1999.
Band VII:
Carola Möller/ Ulla Peters/ Brigitte Bleibaum/ Lilo Steitz/Alena
Wagnerovà: Wirtschaften für das ‚gemeine Eigene’. Handbuch
zum gemeinwesenorientierten Wirtschaften, Berlin1997.
Band VIII:
Anneliese Braun: Arbeit ohne Emanzipation und Emanzipation ohne Arbeit?
– Zur Notwendigkeit der Umsteuerung von Erwerbs- und
Reproduktionsarbeit, Berlin 1998.
Band IX:
Gisela Gassen: „Morgen beginne ich ein neues Leben“ Mein Weg in die
Frauenbewegung, Berlin 1999.
Band X:
Brigitte Bleibaum/Anneliese Braun/Petra Drauschke u.a.: Die Arbeit als
Menschenrecht im 21. Jahrhundert. Beiträge zur Debatte über
einen alternativen Arbeitsbegriff, Berlin 2000.
Band XI:
Ute Klammer/Sabine Plonz (Hrsg.); Menschenrechte auch für Frauen?,
Berlin 1999.
Band XII:
Margit Stolzenburg (Hrsg.): Biografien des 20. Jahrhunderts. Elf
europäische Frauen im Interview, Berlin 2001.
Band XIII:
Elviera Thiedemann: Die Eleganz der Eseltreiber. Tagebuch Januar 1991
bis Dezember 1993, Berlin 1999.
Band XIV:
Hanna Behrend/Peter Döge: Nachhaltigkeit als politische
Ökologie – Eine Kontroverse über Natur, Technik und
Umweltpolitik, Berlin 2001.
Band XV:
Hanna Behrend/Gisela Notz (Hrsg.): Über Hexen und andere
auszumerzende Frauen, Berlin 2003.
Band XVI:
Hannah Lund: Blaustrümpfe – Musen – Avangarde. Die Frauen der
europäischen Salons ausgangs des 18. Jahrhunderts, Berlin 2003.
In Vorbereitung:
Madeleine Porr: Kubanische Frauen (Arbeitstitel) , Berlin 2004 .
Anhang II
Aus einigen Rezensionen:
Zur gesamten Reihe „Auf der Suche
nach der verlorenen Zukunft" schreibt Hans Steiger
in: Neue Wege vom November 2001:
Eine Spur der Hoffnungen der kurzen stürmischen Zeit zwischen 1989
und 1990 ziehe sich bis heute in einer Schriftenreihe weiter, welche
die einstige Literaturdozentin und Mitinitiantin des damals
geschaffenen unabhängigen Frauenverbandes in Ostberlin herausgibt:
Hervorgegangen aus dem 1991 abgewickelten Projekt eines Kollektivs an
der Berliner Humboldt-Universität werden es bald zwanzig
Bände sein. „In der Mehrheit geschrieben von ostdeutschen
Akademikerinnen, die aus ihrer eigenen Erfahrung heraus Grundprobleme
unserer Zeit angehen wollen:
Der erste Band war eine kritische Sichtung des Erbes. Was von den
grossen Emanzipationsbewegungen, von Sozialismus und Feminismus, liess
sich bewahren? Ein thematisches Schwergewicht der Reihe ergab sich in
der Folge aus der ‚Notwendigkeit, Erwerbs- und Reproduktionsarbeit
umzuorientieren’ … Hier wurden Ansätze der feministischen
Oekonomie beschrieben, deren Verknüpfung mit anderen alternativen
Konzepten gesucht. Subsistenzperspektive, ökologisches
Wirtschaften sind Stichworte. … In der Männerwirtschaft dominieren
weiterhin Absichtserklärungen, die beklagte Talfahrt des
Arbeitsmarktes zu bremsen. Grenzen der Oekologie, aber auch die
Bedürfnisse der Menschen werden ignoriert. Vielleicht braucht es
für diese Wahrnehmung tatsächlich ‚die Lebenserfahrung und
Logik einer Frau’. … Frauen aus Ost- sowie Westdeutschland …vermitteln
einen Ueberblick über verschiedene Ansätze [alternativer
Arbeitsbegriffe] und sie dokumentieren in einem Anhang, wo auch
Männer zur Wort kommen, unterschiedliche Positionen aus der
Literatur. Auch die fundamentale Kritik an einer
’protestantisch-preussisch-marxistischen Arbeitszentriertheit’ wird
nicht ausgespart. In früheren Bänden wurde allgemeiner nach
Emanzipation heute gefragt oder speziell nach Lebensansprüchen
ostdeutscher Frauen, Frauen in der Weltfluchtbewegung. Funktionen
und Gefahren von Gesellschaftsutopien wurden thematisiert, eine Studie
… über die ‚Rationalität zur Stunde Null’ will ‚mit Hannah
Arendt in das 21. Jahrhundert’. … Zu Recht schien …das Thema
Nachhaltigkeit ‚für den Anspruch der Reihe unverzichtbar’….[Im]
1997 erschienenen … ’Rückblick aus dem Jahr 2000 - Was haben
Gesellschaftsutopien uns gebracht?’ … habe sich im 20. Jahrhundert ‚die
Dystopie als Antithese zur klassischen, fortschrittsgläubigen
Utopie’ etabliert. Schon mehr oder minder umfassenden Programmen
verschiedener Weltgipfel, etwa den Klimaschutz oder die Bekämpfung
der Armut betreffend, hafte Utopisches an. Oder aus Band 1 die
Feststellung …, dass die heutige Krise als eine ‚Krise des
industriellen Stoffwechselprozesses zwischen Mensch und Natur’ zu sehen
sei.… Das DDR-Debakel lehrt jedoch, dass die Angst, etwas
aufgeben zu müssen, die Angst vor dem Risiko, vor jeglichem
Alternativen, den Verlust des Ganzen nach sich zieht.“
Band IV, Hanna Behrend:
Rückblick aus dem Jahr 2000 – Was haben Gesellschaftsutopien uns
gebracht? mit Exkursen von Isolde-Neubert-Köpsel und Stephan
Lieske, Berlin 1997 bespricht Bernd-Peter Lange in der
englisch-deutschen Zeitschrift Hard Times 62/1998:
„Die drei Beiträge des Buchs … wollen utopische Impulse für
die Gegenwart retten und so dem verbreiteten Geschichtspessimismus und
der Lähmung entgegenwirken. … Alle drei… kreuzen sich im Versuch
einer Aktualisierung der marxistischen Utopietradition. Sie wird
nachträglich gegen den realsozialistischen Dogmatismus, gegen
stalinistische und andere Verhärtungen verteidigt, die seine
Rezeption in der DDR behindert haben. … Insgesamt liefert das Buch
wertvolle Anregungen auf einem Terrain, was nicht auf Dauer verloren zu
geben ist – trotz des derzeit eher utopiefernen Diskursrahmens der
internationalen Literaturwissenschaft. Der theoretisch am weitesten
auschreitende Ansatz ist hierin Neubert-Köpsels Versuch, utopische
Elemente in der postmodernen, vor allem feministischen Literaturkritik
zu entziffern. Insgesamt liefert das Buch wertvolle Anregungen auf
einem Terrain, was nicht auf Dauer verloren zu geben ist – trotz des
derzeit eher utopiefernen Diskursrahmens der internationalen
Literaturwissenschaft. Der Nutzen des Buches ist teilweise durch seinen
Fokus auf die realsozialistische Vergangenheitsbewältigung
beschränkt, durch seine Rückbesinnung auf die marxistische
positive Tradition der Utopierezeption sowie das Bemühen um ihre
Weiterentwicklung. Nostalgisch ist jedoch an ihm nur sein
melancholischer Schatten: Beklagt wird gerade das realhistorisch
Uneingelöste der marxistischen Bemühung um die Utopie,
bedauert wird das, was man nicht besaß, sondern, im
Rückblick, innerhalb des geltenden Denkens, gern hätte in
Besitz nehmen wollen. … Andere Leser lernen aus ihm, dass sich der
literarische wie soziale Utopismus heute nur durch angestrengte
Aktualisierungsarbeit diskutieren lässt, nicht durch das bequeme
Antreten eines historischen Erbes“ (18-20).
Band V, Eva Kaufmann/Ursula
Schröter/Renate Ullrich: „Als ganzer Mensch leben“.
Lebensansprüche ostdeutscher Frauen, Berlin 1997 wird von
der Rezensentin der Zeitschrift metis als „ein Muss für alle
feministisch engagierten westdeutschen Frauen, die über den
Tellerrand der Geschichte ihrer Frauenprojekte, -gruppen usw.
hinwegschauen wollen“ bezeichnet.
Birgit Dahlke in weibblick 2/1998, S.65 kommentiert: Scheinbar
rückständige Kulturmuster Ostdeutschlands … könnten sich
als zukunftsorientiert erweisen. Der These von der nachholenden
Modernisierung im Osten stellt [Schröter] die vom
‚Gleichstellungsvorsprung’ an die Seite“. Eva Kaufmanns Beitrag gehe
davonaus, „dass es in keinem anderen Land einen ‚vergleichsweise … so
nachhaltigen Vorstoß schreibender Frauen in die literarische
Szene gegeben’ hat wie in der DDR. … Die relative Unabhängigkeit
und Selbständigkeit der DDR-Frauen, ihr neues Selbstbewusstsein,
spiegelt sich in der Literatur in der Tatsache wider, dass Männer
nicht (mehr) die Nummer Eins, der Nabel der Welt sind. …Renate Ullrich
kommt in ihren Lebensentwürfen von Theaterfrauen zu der
Überzeugung, „keine der befragten …. wollte die DDR, so wie sie
gewesen war, wiederhaben … Keine wollte die Zukunft so haben, wie sie
sich nun in der Form der BRD zeigte. … Der Band besticht vor allem
durch seine genauen Recherchen, seine klare und verständliche
Sprache, das Engagement der Autorinnen für ihr Thema“.
Weniger Übereinstimmung mit.der Grundhaltung der Autorinnen
äußert die westdeutsche Sozialwissenschaftlerin Gisela
Medzeg in einer unveröffentlichten Besprechung. sie moniert, dass
„Frauenmeinungen und –ängste unberücksichtigt blieben, … dass
keiner der Autorinnen die Beziehungen von Frauen untereinander
eine eigenständige Betrachtung wert war. … Zu kurz kommen
auch die anderen Lebensformen außerhalb der Ehe und Familie, die
dem DDR-Staat verdächtig erschienen, und es fehlen die Frauen,
deren Lebensentwürfe und Utopien am privaten, gesellschaftlichen
und staatlichen Machtmissbrauch zerbrochen sind. So bleibt offen, ob in
den ‚ganzheitlichen Lebenserfahrungen’ (S.68) der DDR-Frauen nicht
neben eigenständiger Lebensplanung auch ein gehöriges
Maß an Anpassung an das Frauenbild der DDR-Machthaber steckt.“.
Band VI, Roland W. Schindler:
Rationalität zur Stunde Null. Mit Hannah Arendt auf dem Weg ins
21. Jahrhundert, Berlin 1999 rezensiert Rolf Weitkampf in
Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 2/99, S..141f.:
„Es gelingt dem Autor …, einige der kritischern Einwände gegen
einzelne Puunkte [des Arendtschen Werks] mit neuen Lesarten
auszuräumen. … Da ist zunächst Schindlers Aufarbeitung von
Arendts umstrittener Reportage über den Eichmann.-Prozess in
Jerusalem zu nennen. In einer einfühlsamen Interpretation des
Textes macht Schindler klar, dass die berüchtigte These Arendts
von der ‚Banalität des Bösen’ nicht auf eine Trivialisierung
der Schuld der deutschen Täter und eine unangemessene Belastung
der jüdischen Funktionäre ausgerichtet ist. … Das zweite
Beispiel ist … Arendts Ktritik an der Französischen Revolution.
Diese wird zumeist so aufgenommen, dass Arendt im Einfluss der sozialen
Frage in der Französischen Revolution den Grund für den
Umschwung zum Terror benannt habe. Dagegen macht Schindler klar, dass
erst das aus der Unerfahrenheit im Umgang mit politischer Macht bei den
politischen Akteuren, wie etwa Robespierre und St. Jüst,
hervorgegangene Desinteresse für die Unterschiede in den
Staatsformen, ob Demokratie oder Republik, den Weg in die
terroristische Diktatur der Jakobiner ermöglicht hat. Auf diese
Weise erhellt der Autor die Vielschichtigkeit der Arendtschen Kritik an
der Französischen Revolution, die sich nicht einseitig auf den
Aspekt der Dominanz des Sozialen zurückführen lässt“.
Band VIII, Anneliese Braun: Arbeit
ohne Emanzipation und Emanzipation ohne Arbeit? – Zur Notwendigkeit der
Umsteuerung von Erwerbs- und Reproduktionsarbeit, Berlin 1998, bespricht Manfred Behrend in in
Widersprüche. Zeitschrift für sozialistische Politik im
Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich, Jahresband des
Sozialistischen Büros 1999 im Dezember 1999, S.185-188.
„Sie macht Vorschläge, … allmählich einen Zustand
herbeizuführen, in dem sich die ungeheure
Produktivitätssteigerung der Arbeit, die vor allem durch enormen
Aufwand an konstantem Kapital erreicht wurde, für die Mehrheit der
Menschen segensreich auswirkt. … Kapitalistische Vermarktung sei
für die Produktion notwendiger Lebensmittel inzwischen
überflüssig. Ihre Ausdehnung auf die ganze Welt habe bereits
Lebensgrundlagen irreversibel zerstört. Eine Umorientierung auf
die ‚notwendige Produktionszeit’ müsse erstritten werden. Mit dem
Boykott so genannten Erlebniskonsums, mit der Zunahme der
Frauenerwerbstätigkeit bei gleichzeitiger Reduktion der
Hausarbeit, mit einer Umsteuerung der Forschung auf lebenserhaltende
Ziele und mit den Aktivitäten von Bürgerinitiativen zur
Erhaltung der natürlichen Umwelt sei der Streit schon im Gange“
(161).
Zu Band X, Brigitte
Bleibaum/Anneliese Braun/Petra Drauschke u.a.: Die Arbeit als
Menschenrecht im 21. Jahrhundert. Beiträge zur Debatte über
einen alternativen Arbeitsbegriff, Berlin 2000 äußert
sich die Soziologin Gisela Medzeg in einer unveröffentlichten
Rezension enttäuscht darüber, „dass weibliche
Lebenspläne nach Wende und Wiedervereinigung wertlos geworden
sind, … in einer zu allgemeinen Kritik an kapitalistisch-patriarchalen
Verhältnissen stecken“ bleibt. Es fehle „eine fassbare Anregung,
die die Leserinnen in ihre Arbeit … mitnehmen könnten. … [Die]
Forderung nach einer Grundsicherung. die auf Gleichheit in der
notwendigen Produktion des Lebens beruht (82), bleibt für die
konkrete politische Debatte zu abstrakt. Insgesamt setzen sich die
Autorinnen zu wenig mit den negativen Seiten der Erwerbsarbeit
auseinander. Sie stellen nicht die Frage, inwieweit zunehmende
Gleichberechtighung die Anpassung der weißen Frauen an
kapitalistisch-patriarchale Strukturen erzwingt und damit auch Verlust
ihrer Autonomie, ihrer Widerständigkeit und ihrer Solidarität
mit Frauen anderer Herkunft und Kultur bedeuten kann. Sie sparen das
Thema menschliche Beziehungen in der Erwerbsarbeit aus, obwohl doch die
Frage nach den Arbeitsbeziehungen Ansatz für politische
Forderungen werden könnte“.
In ihrer Besprechung in Beiträge zur Geschichte der
Arbeiterbewegung (BzG) 1/2000 138f. nennt Anneliese Braun als Anliegen
des Buchs: „Als unteilbar und universell deklarierte Menschenrechte …
aus weiblicher Sicht einer Prüfung und Korrektur“ zu unterziehen,
weshalb es notwendig sei, „’die große Utopie der Menschenrechte’
mit praktisch anstehenden Fragen der Schaffung von
Erwerbsmöglichkeiten und –bedingungen zu verknüpfen“ (12).
Deshalb würden die „strukturell bedingt blinden Flecken der
Menschenrechte“ im Familienbereich und die „angebliche
Geschlechtsneutralität des Rechts“ entlarvt“. Der gerechteste Weg
zu weniger fremdbestimmter Erwerbsarbeit bestehe darin, dass ‚erst
einmal alle sicher und existenzsichernd über sie verfügen’
(103;178) … Ein künstlich geschaffener Niedriglohnsektor wird …
strikt abgelehnt. Offen bleibt, wie durch diese … Wege
Arbeitsplätze für alle entstehen sollen. … Um politische,
wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte zu verbinden,
wären patriarchatskritische Ansätze zu tatsächlich
universellen Menschenrechtsforderungen weiterzuführen. Damit ruft
das Buch eine ganze Reihe von Fragen hervor, die weiterer Diskussion
und auch Forschung bedürfen. Wäre es … emanzipierend und
überhaupt realisierbar, im Interesse einer eigenständigen
Existenzsicherung unentgeltlich geleistete Arbeit in Erwerbsarbeit
umzuwandeln? Würden damit universelle Menschrechte faktisch in
solche des Marktes verwandelt? Sind also neue Entwicklungen nur dann
‚gesellschaftsfähig’, wenn sie sich vermarkten lassen? Dass es
auch andere Vorstellungen gibt, wird marginalisiert“ Da die
Beiträge „neuralgische Punkte getroffen haben“ sei das Buch
Interessierten aus „feministischen, gewerkschaftlichen, kirchlichen,
bürgerschaftlichen u.a. Basiszusammenhängen sowie
Studierenden zu empfehlen“.
Band XIV, Hanna Behrend/Peter
Döge: Nachhaltigkeit als politische Ökologie – Eine
Kontroverse über Natur, Technik und Umweltpolitik, Berlin 2000
wird auf der Homepage des Gesellschaftswissenschaftlichen Forums von
Anneliese Braun besprochen:
„Nachhaltigkeit als politische Ökologie wird in einem fiktiven
Briefwechsel aus der Sicht west- und ostdeutscher Erfahrungen
diskutiert. Ausgehend von den ‚gesellschaftlichen
Naturverhältnissen’ werden die Nachhaltigkeitsdebatte anhand der
Kapitalismus-, Industrialismus- und Technikkritik sowie die Suche nach
‚alternativer Technik’ (u.a. am Beispiel der Aussagen von Lewis
Mumford, Otto Ullrich, Ivan Illich, Ernst Friedrich Schumacher, Robert
Jungk) im Verhältnis zum ‚patriarchal-kapitalistischen
Gesellschaftssystem’ analysiert. Peter Döge betont dabei die
Geschlechtsblindheit der ‚Industrialismuskritik’, die dadurch Anschluss
gewinne an eine inzwischen ‚technokratisch-ökonomistisch verengte’
Nachhaltigkeitsdebatte. Die heutige Umweltpolitik sieht er folgerichtig
verkürzt auf eine abgespeckte Version der ökologischen
Steuerreform.
Das Problem ‚gesellschaftlicher Naturverhältnisse’ behandeln die
AutorInnen faktisch als ‚fordistische Naturverhältnisse’,
geprägt durch eine ‚fordistische Form der Naturnutzung’, aus denen
die Umweltkrisen resultieren. Offen bleibt dabei weitgehend der
Einfluss ‚postfordistischer’ Entwicklungen auf die
Umweltverhältnisse, fallen doch gerade die Mitte der 60er Jahre,
in denen sich – wie die AutorInnen illustrativ darstellen – ein
Bewusstsein von den Umweltkrisen herausbildete, zusammen mit dem
Beginnen der ‚postfordistischen Ära’. Zu fragen ist allerdings, ob
die Thesen von ‚fordistischen Naturverhältnissen’ überhaupt
geeignet sind, Umweltkrisen zu erklären und darüber hinaus
alternative Möglichkeiten zu erkunden. Auch wenn Döge z.B.
‚familiäre Reproduktionsbereiche’, darunter die ‚fordistische Form
des Wohnens’ in den ‚Fordismus’ einbezieht – in Anlehnung an Burkhard
Lutz u.a. -. ist das in doppelter Weise in Zweifel zu ziehen:
‚Fordistische“’ Begriffserklärungen sind auf die unmittelbare
Reproduktion des Lebens nicht adäquat anwendbar. Hanna Behrend
stellt deshalb auch fest, dass es nicht gegen ‚Industrialismus’ gehen
könne, sondern gegen den patriarchalen Kapitalismus. Des Weiteren
setzte die Vermarktung dieser Bereiche, welche in gewisser Weise in der
von Döge und anderen angesprochenen Richtung wirkt, im
Großen und Ganzen erst nach der Mitte der 60er Jahre des 20.
Jahrhunderts ein. ‚Fordismus’ spielt denn auch im späteren Text
z.B. für die Diskussion von Alternativen kaum noch eine Rolle,
jedenfalls nicht als Begriff. ‚Neue Techniken’, insbesondere die
Informationstechnik werden als solche gewertet, die vielen der
Anforderungen an eine ‚alternative Technologie’ zu entsprechen
scheinen, aber auch entgegengesetzte Wirkungen aufweisen. Hier wird der
Ausgangspunkt ‚gesellschaftlicher Naturverhältnisse’ ganz
augenscheinlich nicht durchgehalten.
Informativ und fassbar ist die Geschichte vornehmlich der westdeutschen
Ökologiebewegung dargestellt. Sehr deutlich werden dabei die
Veränderungen in der Umweltpolitik (besonders die faktischen
Einschnitte in den 90er Jahren) und deren Verschiebungen zugunsten der
Wirksamkeit von Marktmechanismen. Das schliesst ein, ost- und
westdeutsche Sichten und Differenzen in diesen Fragen fruchtbar zu
machen, was durchaus noch nicht zu den Selbstverständlichkeiten
gehört. Nicht zuletzt gelingt das auch deshalb, weil beide
AutorInnen einen ‚grundlegenden Umbau unserer
patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft’ als unverzichtbar ansehen.
Behrend und Döge ergänzen sich in ihren Positionen besonders
in der Auseinandersetzung mit der Nachhaltigkeitsdebatte. In einer
ganzen Reihe von Fragen vertreten sie dabei akzentuierte und auch
grundsätzlich unterschiedliche Positionen, was sich als sehr
anregend erweist. Während sich Behrend z.B. für eine
(wirtschaftliche) Wachstumsperspektive und nachholende
Industrialisierung ausspricht, setzt sich Döge konsequent für
eine Wachstumsbegrenzung (Nullwachstum) ein. Leider bleiben
entsprechende Umweltdiskurse in der DDR fast ausgespart (u.a. die
Arbeiten von Hans Roos). Schließlich werden Schlussfolgerungen
zur Nachhaltigkeitspolitik abgeleitet, leider vergleichsweise kurz
gehalten. Offen bleibt z.B., welche methodologischen Neuzugänge
zum Problem erforderlich, denkbar und möglich wären. Das
betrifft z.B. das Zusammenwirken der Umweltkrisen mit anderen
Krisenerscheinungen, wie etwa auf dem Arbeitsmarkt, hinsichtlich
partieller Auflösungsprozesse patriarchaler Beziehungen oder der
tendenziell totalen Vermarktung in Bereichen der unmittelbaren
Reproduktion des Lebens. Obwohl Widerstandspotentiale pluralistisch
gesehen und damit auf neue Potenzen aufmerksam gemacht werden, fallen
die AutorInnen immer wieder auf einen faktisch
ressortmäßigen Ansatz zurück. ‚Politische
Ökologie’, nach Peter Döge basierend auf ‚Diversität’
und ‚Selbstbestimmung’, erweist sich noch als wenig konsistent und es
steht ihre Verbindung mit Erfordernissen der Erhaltung von
Lebensgrundlagen in ihrer Ganzheit aus. Das gilt z.B. für die
‚Industrialismuskritik’ und wird auch bei der Diskussion zur
‚Neutralität von Technik’ und zu den (industriellen)
Wachstumsperspektiven deutlich. Müsste auf die Komplexität
der Verhältnisse nicht deutlicher hingewiesen werden – auch
deshalb, weil in ihrer politischen Handhabung sicherlich ein wichtiger
Schritt hin zu Lösungen liegt -, ohne das Buch unlesbar zu machen?
Allerdings hätten einige Passagen durchaus noch eine weitere und
vor allem eindeutigere Ausargumentation vertragen. Nicht ‚auf den Punkt
gebracht’ wird z.B. die Rolle der ‚Wirtschaft’ in der etablierten
Umweltpolitik. Auch hinsichtlich der Rolle des ‚Marktes’ wird
vergleichsweise verschwommen argumentiert. Zwar diskutieren die
AutorInnen ausführlich und different über Typen und
Perspektiven des wirtschaftlichen Wachstums jedoch bleiben deren
Wechselbeziehungen zu Marktmechanismen – und damit zu deren
Möglichkeiten und Grenzen in einer ‚Politischen Ökologie’ –
unberücksichtigt.
Besonders hervorzuheben ist der fast durchgehende Versuch,
feministische Konzepte zur ökologischen Nachhaltigkeit zu
integrieren. Faktisch werden Aktivitäten der feministischen und
Frauenbewegungen allerdings mehr als deus ex machina behandelt. Es
bleibt offen, wie sie sich wiederum mit weiteren Teilaktivitäten
pluralistisch vernetzen sowie welche Probleme dabei zu lösen
wären. Die Sicht auf Erfordernissse emanzipatorischer Politik ist
für die LeserInnen mindestens genau so wichtig wie die fundierten
und interessanten, ja oft geradezu brillant und ‚mit Biss’dargestellten
historischen Abläufe. Zur Wahl des Korrespondenzstils kann nur
beglückwünscht werden; er lockert auf und weckt das
Interesse, weiter zu lesen. Also rundum zu empfehlen“.


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