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Beiträge zur Politik  









Offener Brief an die Damen und Herren Unterzeichner des Aufrufs 17. Juni – Orte des Erinnerns



Sehr geehrte Damen und Herren,

es ist zweifelsfrei legitim, diejenigen zu ehren, die im Kampf um Gerechtigkeit und Freiheit ihr Leben eingesetzt haben. In Ihrem Aufruf fordern Sie dazu auf, Straßen und Plätze nach den  "herausragenden Männern und Frauen des Volksaufstandes von 1953" zu benennen. Leider stellen Sie in Ihrem Aufruf keinen der zwanzig wegen ihrer Beteiligung an den Streiks und Demonstrationen am 17. Juni 1953 von der sowjetischen Armee oder den DDR Behörden erschossenen bzw. hingerichteten Personen vor, noch weniger die von Ihnen mit 50 bis 125 geschätzten weiteren Toten. Genannt, aber auch nicht vorgestellt wird lediglich der bereits in Jena geehrte Alfred Diener. So erfahren wir leider nicht, welcher Taten oder Leistungen wegen diese Ehrungen erfolgen sollen.

Von den reichlich vorhandenen Möglichkeiten, nach Kurfürsten,, preussischen Königen,   Hohenzollernprinzen oder solchen Steigbügelhaltern des NS-Regimes wie Generalfeldmarschall von Hindenburg und anderen nicht gerade ihres Engagements für Freiheit und Demokratie in die Geschichte eingegangenen Persönlichkeiten benannten Straßen die Namen von Helden des 17. Juni 1953 zu geben, wollen Sie offenbar nicht Gebrauch machen.  Das wäre auch ganz entgegengesetzt zur bisherigen Umbenennungspraxis. Für diese scheint eher das folgende Beispiel charakteristisch zu sein: Vor einigen Jahren erhielt die nach dem für die Sache die spanische Republik gefallenen Arthur Becker benannte längere Straße des Berliner Bezirks Prenzlauer Berg wieder ihren früheren Namen Kniprodestraße. Damit wurde der Hochmeister des Deutschen Ordens Winfried von Kniprode gewürdigt, dessen Verdienst in seinem Beitrag zur brutalen Kolonisierung des slawischen Ostens liegt. Mit solchen Taten für Freiheit und Demokratie konnte der Antifaschist Arthur Becker natürlich nicht konkurrieren.

Sie schlagen vor, für die Ehrung der von Ihnen bisher nicht vorgestellten WiderstandskämpferInnen Straßen in den neuen Bundesländern umzubenennen, die nach "Begriffen der SED-Propaganda" oder nach "führenden Vertretern des Kommunismus und der SED" benannt wurden. Aus dem Postleitzahlenverzeichnis von 1993 geht aber hervor, dass es bereits damals zumindest in Ost-Berlin, Leipzig, Halle, Jena und Weimar Straßennamen nach den genannten "Begriffen der SED-Propaganda" nicht mehr gibt. (Eine "Einheit" gibt es in Berlin nur in Reinickendorf).

Im dieser Auflage des Postleitzahlenverzeichnisses gab es allerdings vereinzelt immer noch ein paar Straßen, die nach dem von den Nazis ermordeten Ernst-Thälmann oder nach Heinrich Rau benannt worden waren, der 1942 von den Sowjets an die Gestapo ausgeliefert und von da an bis 1945 im berüchtigten Gestapogefängnis in der niemals zur Umbenennung vorgeschlagenen Prinz-Albrecht-Straße und im KZ Mauthausen festgehalten wurde. Wenn diese nicht bereits umbenannt sind, kämen sie für Ihre Aktion in Frage. Da Sie unter die "führenden Vertreter des Kommunismus und der SED"  auch den Schauspieler und Intendant Hans Rodenberg, den Schriftsteller Louis Fürnberg und den Musikwissenschaftler Ernst-Hermann Meyer zählen, werden Sie zwar auch kaum noch nach diesen Personen genannte Straßen finden, da und dort jedoch könnten Sie in den neuen Bundesländern auf nach anderen antifaschistischen KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen genannte Straßen treffen. Zu diesen Männern und Frauen, die in der DDR ihre Heimat sahen und von denen einige nach ihrem Tode mit einem Straßennamen geehrt wurden,  gehören  Anna Seghers, Hanns Eisler, Hans Otto, Erich Weinert u.a.m.. Auf diese Weise würden Sie einen Beitrag dazu leisten, die Erinnerung an einen nicht unerheblichen Teil des deutschen Widerstands gegen das NS-Regime auszulöschen.

Hanna Behrend, Berlin 2002










 

GLASNOST, Berlin 1992 - 2019