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Beiträge zur Geschichte  









Hanna Behrend

Feministische Gegenöffentlichkeit im "Realsozialismus"


Theoretische Prämissen


Im derzeit in Arbeit befindlichen Band 5 des von W.F. Haug herausgegebenen Historisch-Kritischen Wörterbuch des Marxismus gibt es zu Gegenöffentlichkeit einen Entwurf von Christoph Spehr. Seine Einsichten beruhen auf marxistischen, bestimmten theoretischen Überlegungen der Cultural Studies1, sowie feministischen poststrukturalistischen Positionen. Als theoretische Ausgangsposition für die Darstellung und Bewertung konkreter Prozesse bei der Bildung von Gegenöffentlichkeit scheinen mir seine folgenden Feststellungen produktiv.

Gegenöffentlichkeit ist nach Spehr "ein Ort von Auseinandersetzungs- und Verhandlungsprozessen, die in weitgehend bewusste, anerkannte und durchgesetzte Vorstellungen gesellschaftlicher Veränderung münden". Sie entsteht, wo Menschen ihre Anliegen in der herrschenden, dominanten Interessen dienenden Öffentlichkeit nicht oder nicht frei äußern können bzw. mit ihren Äußerungen ohne Einfluss bleiben. Öffentlichkeit sei ganz allgemein "ein Prozess, in dem eine soziale Kooperation (eine Gruppe, ein Produktionszusammenhang, eine Bewegung, Arbeits- oder Lebensgemeinschaft, Gesellschaft) durch Kommunikation Normalität und Identität konstituiert, verhandelt und verändert, sich über Regeln, Rollen, Handlungsmöglichkeiten und Perspektiven vergewissert. Zu diesem Prozess gehören Akteure, Medien und Orte; er besteht in Information und Interpretation, Repräsentation und Artikulation". Auch eine dominante, ausgrenzende Öffentlichkeit sei interaktiv und könne "nie das gesamte, stets in Bewegung befindliche System von Öffentlichkeiten vollständig kontrollieren oder selbst produzieren".

Die amerikanische Feministin Nancy Fraser schrieb: "Feministische Gegenöffentlichkeit ist ein Angriff auf die patriarchale Deutungsmacht über die Grenzen zwischen Öffentlich und Privat. Sie ziele auf die Verschiebung und Veränderung dieser Grenze, aber nicht notwendig auf ihre völlige Aufhebung2".

Ich teile Spehrs Vorstellung von multiplen Öffentlichkeiten, die ein ineinander übergehendes Geflecht von herrschenden und Gegenöffentlichkeiten bilden. Ihr Einfluss lässt sich keineswegs linear aus ihrer dominanten Position bzw. aus ihrem Status als Gegenöffentlichkeit ableiten und ich halte Frasers Hinweis auf Gegenöffentlichkeiten, die Grenzen öffentlicher Wahrnehmung verschieben, diese aber nicht unbedingt aufheben, ebenfalls für sinnvoll.

Der Begriff Gegenöffentlichkeit ist in der Bundesrepublik Deutschland Ende der 60er und in den frühen 70er Jahren in der Debatte um eine alternative Medienkultur aufgekommen. In den 90er Jahren sei der Begriff "einer kritischen Überprüfung und Relativierung unterzogen" (Spehr) worden. Die alte Dichotomie von kommerziell/nichtkommerziell, etabliert/autonom u.ä.m. sei fallengelassen worden, da sie über die kritische Wirkung von Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit nichts aussage. Ich gehe davon aus, dass der entscheidende Faktor, der vor allem in der zweiten Hälfte der 90er Jahre dazu führte, dass größere Teile der linken Öffentlichkeit damit begannen, auf Erkenntnisse der Cultural Studies zurückzugreifen und solche Dichotomien zu überwinden, der weltweite Zusammenbruch des "Realsozialismus" war. Er forderte zum radikalen Überdenken gesellschaftstheoretischer Positionen und politischer Strategien, die mit dem gescheiterten Gesellschaftsmodell verbunden waren, unabweislich heraus und trug dazu bei, die bisher die emanzipatorische Gesellschaftskritik bestimmende relativ statischen Dichotomien zugunsten von transitären, multiplen, pluralistischen Vorstellungen zu untergraben.


Gegenöffentlichkeit aus der Sicht einer Zeitzeugin


Im folgenden will ich versuchen, die Vielschichtigkeit und Ambivalenz von Gegenöffentlichkeit zu demonstrieren und in einem begrenzten historischen und sozialen Umfeld zu zeigen, dass eine einfache Gegenüberstellung von dominanter und Gegenöffentlichkeit an der Realität vorbeigeht und die Wirkung öffentlichen Wirkens nicht erklären kann. Ich werde dies am Beispiel von Bemühungen vorstellen, an denen ich persönlich beteiligt war und mittels der in die herrschende patriarchal-realsozialistische Öffentlichkeit durch feministische und frauenbewegte Aktivitäten eingegriffen wurde. Das vorgestellte Material stellt keinen Beleg für offene Konfrontation mit dem staatlichen System dar. Es handelt sich daher auch nicht um Aktivitäten, die ins Visier repressiver Staatsorgane gelangten, die jedoch dennoch eine Intervention in die Deutungsmacht der patriarchal-realsozialistischen Herrschaft darstellen, indem sie den Herrschaftsdiskurs zu verschieben und verändern suchten, aber nicht notwendig seine völlige Aufhebung ansteuerten. Es behandelt somit nur einen begrenzten Ausschnitt der Gegenöffentlichkeiten unter den damaligen Verhältnissen. Die hier vorgestellten Texte, Aktivitäten und Bewegungen zeigen die Ambivalenz von Öffentlichkeit/Gegenöffentlichkeit besonders deutlich, weil auch die herrschaftsstabilisierende Funktion beider sichtbar wird. Auch diese Formen der Gegenöffentlichkeit gehören gleichwohl, wie ich meine, zu den häufigsten Formen gesellschaftspolitischer Intervention. In allen Gesellschaftssystemen vollziehen sich zahlreiche verschiedenartige, unspektakuläre, geringfügige, wenig beachtete Aktivitäten, die aber alle in der einen oder anderen Weise quer zu den Machtinteressen der Herrschenden stehen, und früher oder später in weitgehend bewusste, anerkannte und durchgesetzte Vorstellungen gesellschaftlicher Veränderung, in widerständige Aktionen und Bewegungen münden können.

Ich greife dabei auf vielfältige Erfahrungen zurück, die ich als Hochschullehrerin an der Humboldt-Universität zu Berlin gemacht habe und benutze Auszüge aus Zeitzeugnissen wie Interviews, Korrespondenz, Berichte, Beiträge zu Konferenzen, einschlägige Publikationen u.ä.m. aus den letzten Jahren der Existenz der DDR, aus einer Zeit, als die Machtstrukturen in der DDR zunächst noch relativ intakt waren und der Repressionsapparat funktionstüchtig, die Akzeptanz des Regimes jedoch auch unter dem antikapitalistisch orientierten Teil der Öffentlichkeit3 dahinschwand ( Ende der 70er/zweite Hälfte der 80er Jahre).

Feminismus wurde offiziell als eine "kleinbürgerliche Ideologie" verteufelt, die für Frauen in der DDR keine Bedeutung habe, weil dort die Gleichberechtigung der Geschlechter längst verwirklicht sei. Die These von Friedrich Engels4,


"... dass die Befreiung der Frau, ihre Gleichstellung mit dem Manne, eine Unmöglichkeit ist und bleibt, solange die Frau von der gesellschaftlichen produktiven Arbeit ausgeschlossen und auf die häusliche Privatarbeit beschränkt bleibt" (158)5,


sowie die marxistische Auffassung vom Primat des Ausbeutungsverhältnisses einer (Haupt-)-Klasse durch die andere (Haupt-)Klasse, das auf der Aneignung des von der einen Klasse geschaffenen Mehrwerts durch die andere, die Produktionsmittel besitzende Klasse beruht, war die Grundlage der Frauenpolitik in der DDR.

So stellte die DDR Geschlechtergleichstellung durch rechtliche, soziale und wirtschaftliche Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Mutterschaft, aber nicht von Elternschaft und Berufstätigkeit her. Die Frauen blieben weiterhin verantwortlich für den unbezahlten Bereich der Reproduktionsarbeit, wenngleich sie, insbesondere bei der Versorgung der Kinder durch preiswerte Kindereinrichtungen, bezahlte Freistellung zur Pflege kranker Kinder u.v.a.m. durch den Staat unterstützt wurden.


"...die 'Frauenfrage' war ein Nebenaspekt der als im wesentlichen gelöst angesehenen 'sozialen Frage'. Die in die Geschlechterverhältnisse strukturell 'eingeschriebene' Hierarchie von Mann und Frau war kein Aspekt, der in den theoretischen Konzepten ... einen wichtigen und eigenständigen Platz hatte. Die Frage, ob die - durchaus konstatierte - Benachteiligung von Frauen ihre Ursachen in den Strukturen, in sozialökonomischen, politischen und kulturellen Verhältnissen des Staatssozialismus hat, war ausgeklammert und die Dimension von Geschlechterverhältnissen als konkrete, alltägliche Erscheinungsform von Herrschafts- und Machtverhältnissen verschiedener Art fehlte. ... Die Situation von Frauen schien aus dieser Sicht 'verbesserungsbedürftig', aber nicht grundlegend kritik- und veränderungsbedürftig. Frauen wurden nicht als Subjekte, sondern primär unter funktionalem Gesichtspunkt betrachtet: als Arbeitskräfte, unter bevölkerungspolitischen Aspekten, als stabilisierender Faktor für Ehe und Familie. Die Tatsache einer ausgeprägten geschlechterspezifischen Arbeitsteilung in Beruf und Familie sowie einer ungebrochenen Verantwortung der Frauen für die unbezahlte Reproduktionsarbeit, wurde linear aus ökonomischen Bedingungen hergeleitet, genauer: aus der unreflektierten Akzeptanz sogenannter 'objektiver Erfordernisse'"6 (2f).


Um öffentlich wahrgenommen zu werden musste von der Legitimität der "Verbesserung der Lage der Frau", nicht von einem strukturellen Defekt ausgegangen werden. Daher sah Kritik an der Frauenpolitik z.B. der zunehmend frauendiskriminierenden beruflichen Orientierung in der DDR, wie sie in Form von Leserbriefen möglich war, so aus:

Aus Zeitzeugnissen zur Debatte um Formen beruflicher Frauen- bzw. Mädchendiskriminierung


"Mit ihrer Berufsbildbeilage tragen Sie zur Verfestigung des überkommenen Rollenverständnisses bei. ... Da wird, zur Einstimmung auf S.7 ein ganzseitiger, eindrucksvoller, mit einem Bild zusätzlich attraktiv gemachter Artikel über die (selbstverständlich rein männliche Familienhierarchie der E.s gegeben. Der 'Familienclan' hat – dem Artikel nach – weder eine Mutter noch Töchter/Schwestern/Freundinnen/Ehefrauen, bzw. sie gehören offenbar nicht zur Familie. Arbeiten sie nicht, gibt es sie nicht oder arbeiten sie nur nicht im [genannten Betrieb]? ... Hätte man nicht ..., auch weibliche Lehrlinge für den Beruf des Werkzeugmachers, der nun nicht mehr 'ungeliebt (weil anstrengend)' ist und sich daher auch für Mädchen eignet, ... werben [müssen], weil man bekanntlich dort werben muß, wo alte Traditionen abzubauen sind? ... Auf den Seiten 8-10 ... gibt es in den Kästen eine Eintragung 'Für Mädchen nicht geeignet', aber keine ... Hinweise im Text darauf, daß sich Mädchen etwa in den Berufen des Klempners, Installateurs, Schmieds, Facharbeiters für städtischen Nahverkehr etc. gut bewährt haben und diese Berufe gern ausüben. ... Das einzige Mädchen, das überhaupt ... vorkommt, ist die zukünftige Backwarenfacharbeiterin Manuela K. und die begründet ihre Berufswahl ... damit, dass 'sie schon zu Hause gern gebacken und Rezepte ausprobiert hat'". (Aus einem Leserbrief vom 31.3.1989)


"Das zeigt einmal mehr, dass die politische und juristische Gleichberechtigung unserer Frauen das eine, die tatsächlichen Chancen zur Wahrnehmung dieser Möglichkeiten im Alltagsleben nach wie vor das andere sein muß. Es ist nach wie vor so, dass Mädchen bis zum Schulabschluß bzw. Studium gleich gute, oft sogar bessere Leistungen erreichen als Jungs. Danach kommt aber die Liebe, die Ehe, die Kinder, damit verbunden Pflichten in der Familie, die eindeutig dazu führen, dass (beispielsweise des Babyjahrs7 wegen) danach dann doch das hergebrachte Rollenverhalten einsetzt – die Mutter, nicht der Vater trägt die Hauptlast. Und so sind dann die jungen Männer oft erfolgreicher im Start in das Berufsleben, sie besetzen dann zum Beispiel die Leitungsfunktionen eher". (Der stellv. Chefredakteur einer Tageszeitung am16.10.1987 in Beantwortung eines kritischen Leserbriefs)


"Die Beilage [Ihrer] Zeitung vom. 11.07.89 ergab folgendes Bild über die Verteilung von Lehrstellen in den Ausbildungsberufen zwischen den Geschlechtern: 59% der für Mädchen angebotenen Lehrstellen betrafen zwei Typen von Tätigkeiten: Bürotätigkeiten ... 30%; Handel/Gastronomie ... 29%. Dieser Gruppe der traditionellen Frauenberufe ... standen ganze 17,9% technische Lehrstellen ... (darunter die traditionelle Tätigkeit der technischen Zeichnerin – 4,2%) gegenüber. Das restliche knappe Viertel der Lehrstellen für Mädchen verteilt sich überwiegend ebenfalls auf traditionelle Frauenberufe (Postfacharbeiterin, Bekleidungsfacharbeiterin, Modistin, Kosmetikerin, Friseuse u.a.). ... Eine Betrachtung der letzten zehn Jahre dieser Beilage fördert zutage, dass sich dieser Trend verstärkt hat. ... Die vorwiegend auf männliche Bewerber orientierten Berufe sind ganz allgemein die besser bezahlten, die auch häufig höhere Aufstiegschancen bieten. ... Immer seltener werden Frauen ermutigt, zukunftsträchtige technische Berufe zu ergreifen oder sich weiterzuqualifizieren. ... auch haben die Betriebe ihrer Partner wenig Verständnis, wenn diese einen Teil der häuslichen Pflichten übernehmen und damit für außerhalb der Arbeitszeit liegende [betriebliche] Verpflichtungen nicht verfügbar sind. So schrumpft allmählich die Motivation junger Männer, sich an diesen Pflichten zu beteiligen. ... in zunehmendem Maße wird diese Situation als 'natürlich', bestenfalls als derzeit nicht veränderbar hingestellt und aus einer m.E. Schein-'Not' eine Tugend gemacht. So werden immer häufiger in der Presse und in anderen Medien der Aufstieg junger aufstrebender Männer gezeigt, ohne ein Wort darüber zu verlieren, daß ihr berufliches Fortkommen nur möglich ist, weil ihre Frau zurücksteckt, die Kinder allein übernimmt und alle anderen Dinge des täglichen Lebens erledigt." (Aus einem Leserbrief vom Juli 1989)


"... nach wie vor ist das Interesse von Mädchen an Technik-Berufen nicht sehr stark, selbst wenn sie sie ergreifen, ist die Fluktuation (meist in 'weibliche' Berufe) sehr groß. Daran ändern auch Frauenförderungspläne wenig, die ... von Frauen nicht selten ... als diskriminierend empfunden werden. ... Auch Ihre Feststellung, dass Frauenberufe schlechter bezahlt werden, stimmt in vielen 'klassischen' Berufen nicht mehr ... Der springende Punkt scheint mir zu sein, dass es viele objektive Kriterien gibt, die Frauen hindern und die durch administrative Maßnahmen kaum aus der Welt zu schaffen sind – schlechte Dienstleistungen und Versorgungslücken; der unerlässlich hohe Arbeitsaufwand für Leitungstätigkeiten und wissenschaftliche Arbeiten; die psychische Situation von Kindern; der generell zu hohe Arbeitsaufwand, der verkürzte Arbeitszeiten von Frauen und Männern nicht gestattet."

(Aus der Antwort der Leserbriefredakteurin vom 9.August 1989, in der sie begründet, warum sie den Beitrag "in dieser Fassung ... nicht veröffentlichen möchte".)


In den offiziellen Medien, in den Antworten auf Leserbriefe oder in öffentlichen Aussprachen wurde die berufliche und damit finanzielle Frauen- und Mädchendiskriminierung naturalisiert und damit aus der Verantwortung der Politik in die der Betroffenen geschoben.

Zeitzeugnisse zu Erscheinungen des Antifeminismus an DDR-Hochschulen


Die höheren Bildungs- und Forschungseinrichtungen in der DDR, insbesondere in den Sozial-, Kunst- und Geisteswissenschaften, ließen sich nicht völlig von der kulturgeschichtlichen Entwicklung in der übrigen Welt abschotten. Die neuen Erkenntnisse feministischer Wissenschaftlerinnen demonstrierten u.a., dass die Frauendiskriminierung ein Ergebnis der patriarchalen Strukturen ist und kein "natürlicher", den Frauen selbst anzulastender Zustand. Einer kleinen, aber zunehmenden Zahl von DDR-Akademikerinnen und einer noch kleineren Schar von Akademikern wurde klar, dass das keineswegs nur für die kapitalistische Welt zutraf. Im letzten Jahrzehnt der DDR musste der ideologische Frontalangriff auf den Feminismus von etwas subtileren Formen der Ablehnung weichen:


"Das Gespräch [über ein feministisches Dissertationsthema] brachte folgende ablehnende Argumente ein: Das zu sehr landeskundlich orientierte Thema passe nicht in die ... Forschungslinie, es sei zu umfangreich, auch hätten sie [der Doktorvater und weitere Institutsmitarbeiter] dazu nichts gelesen, weil diese Art Literatur nur eine Randerscheinung darstelle und ohnehin wohl eher einem Völkerkundler angemessen sei." (Brief der Promovendin an mich vom 20.2.1988.) "Nach meinem Vortrag entspann sich eine ... Diskussion über den konkreten Hintergrund der Arbeit. Da Marx, Engels und Bebel zur Frauenfrage nun wirklich schon genug gesagt hätten und unsere Auffassungen dazu also feststünden, sei die Beschäftigung mit 'race, class and gender' unnütz. Die Frage sei mit 'class' bereits entschieden. Ich sollte mich daher auf die Analyse einiger Romane konzentrieren und an ihnen die dargestellte Emanzipation der Frau untersuchen – ohne theoretische Abhandlungen über den für eine solche Dissertation ohnehin zu umfangreichen Feminismus zu schreiben. ... [Es] solle von vornherein vermieden werden, Literatur mit Begriffen wie 'ethnisch' und 'feministisch' abzuwerten, die dann wie störende Etiketten den Blick auf den Romancier versperrten". (Brief der Promovendin an mich vom 2.6.88)


Institutionelle Duldung eines feministischen Projekts


"....Aus den Reihen der letztgenannten [der ethnischen Minderheiten in Großbritannien] stammen die schwarzen Schriftstellerinnen, die jetzt auch in Großbritannien und nicht nur in den USA ihre ethnischen Anliegen, ihren Kampf gegen Rassismus, für eine multiethnische Gesellschaft und für den Weltfrieden künstlerisch gestalten. Da diese Gruppe das ungelernte Proletariat in GB mitrepräsentiert, entsteht hier eine neue britische Arbeiterliteratur, die es vorher nicht gegeben hat. In den Publikationen dieser Verlage wird das Bild des Widerstands gegen Sozialabbau und Friedensgefährdung stets mit dem Widerstand gegen die Unterdrückung der Frau verknüpft und insofern es sich durchwegs um Schriftstellerinnen handelt werden die bedeutsamen Themen stets aus der Sicht der Sozialerfahrung und mit der Schreibweise der Frauen gestaltet. ... Interessanterweise hat diese Thematik bei den Studenten und Nachwuchskräften viel Bereitschaft zur Mitarbeit ausgelöst.". (Vortragsmanuskript Mai 1988)


"Frauenliteratur und feministische Theorie" wurde als ein Forschungsprojekt am Bereich Anglistik der Humboldt-Universität zu Berlin zugelassen, gehörte aber nicht zu den vom Ministerium für Volksbildung und/oder vom Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen geförderten Projekten. Es wurde im Rahmen der sogenannten wahlweise/obligatorischen Ausbildung (w/o A) bearbeitet, einer Lehrveranstaltung, die es Lehrkräften und StudentInnen ermöglichte, in einem selbstgewählten Forschungsvorhaben zu kooperieren. Die Leitung dieser w/o Ausbildung lag in der Regel in den Händen eines Hochschullehrers/einer Hochschullehrerin, jedoch keineswegs immer in den Händen der Ordinarien.

In diesem Projekt erarbeiteten StudentInnen ihre Diplomarbeiten (diese entsprachen etwa einer Magisterarbeit) und, was unüblich war, auch Postgraduierte ihre Dissertationen und Habilschriften zu Themen, die Teil des Forschungsvorhabens "Frauenliteratur und feministische Theorie" waren. TeilnehmerInnen aus dem Lehrkörper haben die Ergebnisse der Forschungen stets in ihre übrigen Lehrveranstaltungen integriert und gegebenenfalls auch in von ihnen freiwillig geleistete Lehrerweiterbildungskurse eingebracht, die von den Schulbehörden in den Ferien organisiert wurden. Auch auf in- und ausländischen Konferenzen traten Projektteilnehmerinnen, darunter auch Studentinnen mit Beiträgen aus ihrer Arbeit auf.

Aus dem Jahresforschungsbericht der Anglistik an der Humboldt-Universität zu Berlin von 1988

"... Für diese Periode wird das Projektkollektiv sich mit dem Anschlußprojekt Frauenliteratur beschäftigen. Dabei geht es um die moderne englische Literatur, die unter dem Einfluß der Frauenbewegung entstanden ist und als ein bedeutender Teil der Literatur des antiimperialistischen und antikapitalistischen Widerstands gewertet werden kann".


Aus dem Jahresforschungsbericht für 1989

"... Unser Ansehen bei Kollegen im In- und Ausland hängt zweifellos damit zusammen, dass wir einen speziellen Beitrag zu dem heute in aller Welt viel diskutierten Thema der künstlerischen und wissenschaftlichen Literatur von Frauen unter dem Einfluß der modernen Frauen- und ethnischen Befreiungsbewegung leisten. Wir sehen dieses Thema unter dem Aspekt des Widerstands gegen Unterdrückung und Diskriminierung. ... wir [sehen] 'Frauen'-Literatur als Teil einer allgemeinen Widerstands- und Emanzipationsliteratur und somit in einem Verhältnis der Kontinuität zu unseren bisherigen Untersuchungen. ...

Es existiert ein Forschungszirkel ... . Darüber hinaus wurde ein 'Sonnabendclub' ins Leben gerufen, zu dem sich bei Vf. regelmäßig Studenten, ehemalige Studenten, wissenschaftliche Mitarbeiter, Lehrer, u.a. treffen ... Die Zwanglosigkeit und Freimütigkeit des Gesprächs vereinigt die Erfahrungen von Generationen in unterschiedlichen Lebensbereichen beim Ringen um wissenschaftliche Standpunkte beider Bewertung kulturpolitischer und künstlerischer Prozesse. Nicht zu unterschätzen ist die persönlichkeitsbildende Potenz dieser Zusammenkünfte in Bezug auf Lebensweise(n). ... Von besonderer Bedeutung für die Einheit von Lehre und Forschung erweisen sich die Lehrveranstaltungen' ... in die die neuesten Ergebnisse unmittelbar Eingang finden. ...".


Auch wenn solche quer zur offiziellen Frauenpolitik stehenden Projekte die Kontinuität zu früheren Vorhaben betonten, die die Obrigkeit akzeptabel gefunden hatte, war es erst in den letzten Jahren der DDR möglich, dass sie einen solchen Grad innerbetrieblicher Öffentlichkeit erlangen konnten. Das war hauptsächlich drei Faktoren geschuldet: (1) Staat und SED-Parteiführung waren kein monolithischer Block entschlossen und imstande, jede widerständige Regung sofort niederzuschlagen. Innerhalb des hierarchisch aufgebauten Staats- und Parteiapparates gab es häufig Konkurrenzkämpfe, persönliche Animositäten, Kompetenz- und Zuständigkeitsprobleme, die dazu führten, dass eine Instanz nicht immer wusste, was die andere, ebenfalls zuständige angeordnet hatte. Dies bot trotz zentralistischer Führung und repressiver Durchsetzung der von oben verordneten "Linie" autonomen und subversiven Aktivitäten Raum, zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich viel. (2) Die Anglistik-Amerikanistik wurde von den Behörden als weniger politisch relevant angesehen als etwa die Germanistik oder Slawistik, weil die StudentInnen vor allem für das Lehramt ausgebildet und Englisch und Französisch an den allgemeinbildenden Schulen nur als zweite Fremdsprache neben Russisch gelehrt wurden. (3) Das politische Klima an der Anglistik-Amerikanistik in Berlin und an einigen anderen DDR-Bildungseinrichtungen zeichnete sich seit den 70er Jahren durch große Aufgeschlossenheit gegenüber neuen theoretischen Einsichten aus, darunter auch feministischen. Bestimmte Aktivitäten wurden verwässert oder gar nicht "nach oben" gemeldet.

Vernetzung an feministischen Fragestellungen interessierter Forscherinnen


Nicht institutionell eingebunden war die im folgenden dokumentierte Vernetzung unter Kolleginnen verschiedener Universitäten und Disziplinen, die Verbindung einzelner Projektteilnehmerinnen zu Feministinnen an ausländischen Universitäten und Hochschulen, in unserem Fall meist zu Anglistinnen und Amerikanistinnen. Auch der "Sonnabendklub" war eine private, in meiner Wohnung stattfindende relativ regelmäßige Zusammenkunft, an der neben Studentinnen und Lehrkräften, auch Lehrerinnen und in anderen Berufen tätige Frauen

teilnahmen. Einladungen, am Projekt teilzunehmen, wurden fast nie zurückgewiesen:


" ... möchte ich Sie gerne fragen, ob Sie an einer Zusammenarbeit im Rahmen unseres Nachfolgeprojekts ... interessiert wären. Es geht dabei um die Erforschung der modernen Literatur, bzw. der Aufarbeitung relevanten Erbes unter dem Einfluß der modernen Frauenbewegung. Dabei wollen wir auch die Literatur schwarzer, asiatischer und anderer ethnischer Gruppen von Frauen studieren. ... Sollten Sie interessiert sein, würde ich Ihnen unsere ersten konzeptionellen Überlegungen zuschicken..." (Brief an eine Anglistin an einer anderen DDR-Universität vom 08.03.88)


" ... Ich bin sehr interessiert ... Ich versuche, eine B [Habilarbeit] aus dem Thema zu machen, möchte mich auf das 20. Jahrhundert konzentrieren und habe ab August auch eventuell eine Doktorandin ... zum Frauenroman. ... Ich freue mich auf die gemeinsame Arbeit." (Antwort vom 21.03.88)


" ... Mein Eindruck ist, dass die neuere und sehr faszinierende Literatur bei uns unbekannt und ein wenig suspekt ist. ...". (Brief derselben Doktorandin vom 25.03.88)


" ... Ich ... würde mir liebend gern ... vor allem die Schriften zur feminist theory [ausborgen]. ... Unsere zukünftige Aspirantin [Promotionsstipendiatin] hat sich nun auch entschieden, ... zur Frauenliteratur zu arbeiten. Das Thema würde ich auch gern mit Ihnen abstimmen ...". (Brief derselben vom 13.04.88)


" ... Wie schön, dass in R., im Unterschied zu L. und P., die Kollegen und Hochschullehrer Ihnen keine Steine in den Weg legen und über Thema sowie Zusammenarbeit mit uns nicht die Hände entsetzt über dem Kopf zusammenschlagen". (Brief an diese vom 25.04.88)


" ... Mit den Kolleginnen, die das Frauen-Literatur-Projekt beginnen, würde ich mich gern zu einer Beratung ... zusammenfinden." (Brief einer anderen Kollegin vom Dez.1988)


Die informelle führte zur offiziellen Vernetzung in Gestalt von Kooperationsvereinbarungen, die von leitenden WissenschaftlerInnen der Einrichtungen unterzeichnet wurden und dann ihr von dieser genehmigtes Eigenleben führen durften.


".... I. N. [Berliner Habildoktorandin] und ich sind sehr einverstanden, mit Ihrem Projekt eine Kooperationsvereinbarung einzugehen und gemeinsame wissenschaftliche Veranstaltungen, Material- und Informationsaustausch zu organisieren und Kontakte gemeinsam zu nutzen." (Brief an die o.g. Doktorandin vom 03.10.88)


"… Ich würde vorschlagen, daß wir pro Jahr für das Thema 'Frauenliteratur' eine theoretische Veranstaltung planen … Anfang April in ich zu einer Tagung nach Hamburg eingeladen (Frauen und Weiblichkeit im kulturellen und literarischen Prozeß). Zu diesen Ergebnissen ... würde ich dann gern in unserem ... Forschungskreis sprechen" (Antwort vom 23.09.88)


" ... Über ein Zustandekommen einer Kooperation mit der Germanistik in Berlin, mit H.Sch., freue ich mich sehr, da ich sie auf der Konferenz in Hamburg schätzen lernte" (Brief einer anderen Anglistin vom 15.08.89).


In der Diskussion tauchten immer wieder Argumente auf, die die strukturelle Benachteiligung von Frauen als "natürlich" und als freie Wahl der Frauen ansahen, die sie unabhängig von den gesellschaftlichen "Sachzwängen" treffen.

" ... man kann nicht 'die Frauen' unter einen Hut bringen. Man muß sich die Mühe machen zu differenzieren. Nicht jede will Mann und Kind/Kinder, nicht jede will sich qualifizieren, und wenn ich die naive Darstellung von Frau ... in ... lese, in dem die Berufswahl der Mädchen weitgehend von den Eltern/Müttern und Kindergärtnerinnen abhängt, bin ich gebremst: von Hause aus Ökonom, 10 Jahre als Auslandsmarktforscher tätig, habe ich mit alten und neuen Moralvorstellungen nur im Sinn, sie ökonomisch zu hinterfragen. ... J.S. Mill ... ist da hervorragend. ..." (Brief einer Ökonomin, die Mitglied des "Sonnabendklubs" war, vom 12.11.88)


" ... Selbstverständlich gibt es 'die Frauen' ebenso wenig wie 'die Männer', aber eine Genderproblematik gibt es, deren Bewältigung mit der ökonomischen Sicherstellung der Frauen im Beruf und in der Kinderaufzucht beginnt, aber ... dort leider nicht endet. Politische Aktivität, sozialer Wandel und ökonomische Fortschrittsbewältigung ist doch ein komplexerer Prozeß als ich und viele andere es sich in den '40er und 50'er Jahren vorgestellt haben, als wir meinten, der Sozialismus würde die Frauenfrage im Vorbeigehen und ohne unser spezielles Zutun lösen. ... Natürlich haben Sie ganz recht, dass es unter den Frauen auch nicht wenige gibt, die sich mit ihrem eigenen Aufstieg, wie viele Männer auch, nur noch für die Erhaltung ihrer persönlichen Macht und Vorteile interessieren. Meinen Sie nicht, dass das zumindestens zu einem Teil an heutigen Leitungsstrukturen, an der allgemeinen politischen und ideologischen Reife u.v.a.m. liegen könnte?" (Antwort vom 15.12.88).


Die Kooperationsvereinbarung zwischen den Anglistik-Bereichen der beiden Universitäten zum Thema Britische und amerikanische feministische Literatur aller Genres und feministische Literaturtheorie wurde im November 1988 unterzeichnet. Geplant waren zwei Habilarbeiten, sechs Dissertationen und 15 Diplomarbeiten zu feministischen Themen. Ein erheblicher Teil dieser Vorhaben konnte bis zur Wende realisiert werden.


Die spezifische gesellschaftliche Situation der hier entstandenen Gegenöffentlichkeit


Die oben vorgestellten Textauszüge reflektieren eine in den letzten Jahren der DDR, ganz besonders seit 1985 (der Periode der von der DDR-Führung abgelehnten Perestrojkapolitik Gorbatschows) relativ verbreiteten Facette von Gegenöffentlichkeit. In der einen oder anderen Weise begannen sich in dieser Zeit vor allem fachlich qualifizierte und akademisch ausgebildete jüngere Frauen zunehmend kritisch zur Frauenpolitik und der ihr zugrunde liegenden Ideologie zu äußern.


"Es waren Frauen, die die erklärten Ziele der sozialistischen Politik, z.B. die 'Einheit von wissenschaftlich-technischen und sozialem Fortschritt', die 'allseitig entwickelte Persönlichkeit', 'die immer bessere Befriedigung der materiellen und kulturellen Lebensbedürfnisse' u.a.m. zunehmend verständnislos mit der Realität verglichen."8(26).


Eine wesentliche Rolle als Vermittlerinnen dieser entstehenden feministischen Gegenöffentlichkeit spielten Schriftstellerinnen und Künstlerinnen. Die Germanistin Eva Kaufmann schreibt:


"In den 70er Jahren betrachteten nicht wenige Autorinnen die realen Verhältnisse der DDR polemisch, weil sie zunehmend zu der Überzeugung gekommen waren, dass der Emanzipationsprozeß bei allem, was die Gleichberechtigungspolitik positiv gebracht hatte, kritisch bilanziert und energisch weitergetrieben werden müsste. Das war die Basis für Entwürfe eigenständiger alternativer Lebensgestaltung. In den 80ern verstärkten sich die Bedenken, ob die ursprünglichen Zukunftsvorstellungen zu realisieren wären, wenn auf dem praktizierten Weg der Gesellschaftsentwicklung wie bisher weitergegangen würde"9 (87f).


Bücher von Christa Wolf, Irmtraud Morgner, den früh verstorbenen Brigitte Reimann und Maxie Wander, von Helga Königsdorf, Helga Schubert, Helga Schütz, Gerti Tetzner und vielen anderen beförderten die kritische Wahrnehmungsfähigkeit großer Teile der weiblichen Leserschaft aller Schichten, ihre eigene Stellung in der Gesellschaft betreffend. Theaterstücke und Filme wie die Bühnenfassung von Brigitte Reimanns Roman "Franziska Linkerhand" oder der Film "Die Legende von Paul und Paula" und zahlreiche weitere Theater- oder Kinoereignisse wurden in Betrieben und Familien viel diskutiert und im Sinne kritischer Gegenwartsbetrachtungen ausgewertet.

In die Medien, die Tagespresse, in Rundfunk und Fernsehen, also in die offizielle, jeder Person zugängliche Öffentlichkeit, gelangte diese Kritik an der Frauen- und damit exemplarisch an der Politik der DDR im allgemeinen allenfalls in sehr verhüllter Form. Aber auch die dominante Öffentlichkeit konnte "nie das gesamte, stets in Bewegung befindliche System von Öffentlichkeiten vollständig kontrollieren oder selbst produzieren" (Spehr); so konnte die Fachpresse gelegentlich als Medium dieser Gegenöffentlichkeit genutzt werden. Das System sah eine strenge Hierarchie bei der Zuteilung von Herrschaftswissen vor und daher war die Zensur bei diesen, von einer nur relativ kleinen Schicht der Bevölkerung genutzten Medien weniger rigide. So konnte die Soziologin Hildegard Maria Nickel ihren Aufsatz "Geschlechtersozialisation und Arbeitsteilung. Zur Kultur von Geschlechterunterschieden" in 4/1988 der germanistischen und kulturwissenschaftlichen Zeitschrift "Weimarer Beiträge" veröffentlichen, in dem sie kritisch darauf verwies, dass die Möglichkeiten,


"auf den ganzen Prozeß Einfluß zu nehmen und zwar im Sinne ... der Realisierung sozialen und kulturellen Fortschritts für beide Geschlechter" (590f) nicht ausreichend genutzt würden. Es gäbe "in unseren Erziehungs- und Bildungseinrichtungen bisher keine Erziehungsstrategien, die auf eine bewusste Aufhebung traditioneller Geschlechterverhältnisse abzielen" (ebda.).


Selbst in der SED-Zeitschrift für Theorie und Praxis des wissenschaftlichen Sozialismus, allerdings erst in der letzten Ausgabe (Einheit 12/89) war zu lesen:


"'Ohne jede Beschönigung muß festgestellt werden, dass wir in der Frauenpolitik dem Erfordernis nicht oder nur unzureichend Rechnung getragen haben, den Bedürfnissen und Ansprüchen der jungen Frauengenerationen ... gerecht zu werden" (Kuhrig 1989:1137)"10.


Charakteristisch für die Tabuisierung von kritischen Äußerungen zu Aspekten der offiziellen Politik in der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Medien, war es, dass ich 1989 beim offiziellen Schulbuchverlag der DDR in ein Lehrbuch für StudentInnen der Anglistik-Amerikanistik zwar diverse Texte britischer und US-amerikanischer Feministinnen aufnehmen, den oben zitierten Aufsatz von Frau Nickel jedoch nicht einmal als Übersetzungsübung ins Englische verwenden konnte.

Die Realität wurde zunehmend vielschichtiger: Demonstrationen und offenen Widerstand ahndeten die Behörden auch in den letzten Jahren der DDR mit repressiven Mitteln, auch die Observation suspekter BürgerInnen durch die Staatssicherheit nahm keineswegs ab. Aktivitäten, die jedoch nicht verboten, aber, weil mit der offiziellen politischen Zielstellung inkompatibel, eindeutig unerwünscht waren, blieben häufig von den Hütern der "Linie" unverfolgt. Sie konnten sich vielfach nicht mehr durchsetzen und viele Aktivitäten blieben "oben" auch unbemerkt, weil sie auf unteren und mittleren Ebenen geduldet oder ihnen sogar mit Sympathie begegnet wurde. So entstanden ständig neue multiple Gegenöffentlichkeiten – darunter auch rechtskonservative bis neofaschistische. Mehrheitlich wollte die Gegenöffentlichkeit jedoch damals einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz, eine Formulierung, die im Prager Frühling entstanden war. Unter diesen demokratisch-humanistisch-ökologisch- pazifistisch-christlich-sozialistischen Gegenöffentlichkeiten spielten sozialistisch-feministische Vorstellungen unter qualifizierten und akademisch ausgebildeten Frauen eine wachsende Rolle. Diese Vorstellungen waren auch durch die neue westdeutsche, in den hier vorgelegten Zeitzeugnissen jedoch besonders durch die feministische anglo-amerikanische "second wave-" Frauenbewegung befruchtet worden.


Gegenöffentlichkeit als Ort der Auseinandersetzung und Persönlichkeitsbildung


Bei all diesen künstlerischen und wissenschaftlichen feministischen Artikulationen ging es den Akteurinnen damals keineswegs um eine Abkehr von den ursprünglichen emanzipatorischen Zukunftsvorstellungen, sondern von dem praktizierten Weg der Gesellschaftsentwicklung, die immer weniger Chance bot, jene Zukunftsvorstellungen von sozial, wirtschaftlich und politisch gleichgestellten Geschlechtern, von Individuen, denen eigenständige Lebensgestaltung ermöglicht wird, zu realisieren. Christa Wolf hat diesen, dem hierarchischen und repressiven "realsozialistischen" System geschuldeten emanzipatorischen Substanzverlust besonders eindrucksvoll in einem Gespräch mit der Germanistin Therese Hörnigk zwischen Juni 1987 und Oktober 1988 zum Ausdruck gebracht:


"Als wir 15, 16 waren, mussten wir uns unter dem niederschmetternden Eindruck der ganzen Wahrheit über den deutschen Faschismus von denen abstoßen, die in diesen zwölf Jahren nach unserer Meinung durch Dabeisein, Mitmachen, Schweigen schuldig geworden waren. ... Uns wurde dann ein verlockendes Angebot gemacht: Ihr könnt, hieß es, eure mögliche, noch nicht verwirklichte Teilhabe an dieser nationalen Schuld loswerden oder abtragen, indem ihr aktiv am Aufbau der neuen Gesellschaft teilnehmt, die das genaue Gegenteil, die einzige radikale Alternative zum verbrecherischen System des Nationalsozialismus darstellt. Und an die Stelle des monströsen Wahnsystems ... trat ein Denkmodell mit dem Anspruch, die Widersprüche der Realität nicht zu verleugnen und zu verzerren, sondern adäquat widerzuspiegeln. ... Wir damals Jungen waren zu lange in Vater-Sohn-, Mutter-Tochter-Beziehungen eingebunden, die es uns schwer machten, mündig zu werden. ...viele meiner Generation ... ließen es bei den alten beengenden, aber auch bequemen Bindungen, anstatt im Prozess der eigenen Reifung auch diese Beziehung [zu den alten antifaschistischen Widerstandskämpfern- H.B.] noch einmal in Frage zu stellen, sie von innen her neu zu formieren, mit einem neuen Verständnis auch für die Widersprüche, Konflikte der ältren Generation, für ihre Fehler, für die Gründe für die Fehler ihres Versagens in bestimmten Punkten"(29f). 11


Immer tiefer wurde die Kluft zwischen Ideal und Anspruch einerseits und repressiver Realität andererseits. 1977 schreibt Christa Wolf:


"Durch viele Anzeichen ... kündigt sich nämlich bei uns ein Ungenügen vieler Frauen an: Was sie erreicht haben und selbstverständlich nutzen, reicht ihnen nicht mehr aus. Nicht mehr, was sie haben, fragen sie zuerst, sondern: wer sie sind. Sie fühlen, ... wie sie sich in den Institutionen plötzlich nicht mehr bewegen können; ... Frauen, die durch ihre Auseinandersetzung mit realen und belangvollen Erfahrungen gereift, signalisieren einen radikalen Anspruch: als ganzer Mensch zu leben, von allen Sinnen und Fähigkeiten Gebrauch machen zu können. ... Mit Frauenförderungsplänen, mit Krippenplätzen und Kindergeld allein kann sie [die Gesellschaft- H.B.] ihm nicht mehr begegnen"12 (288-290).


Ohne Frage haben die hier geschilderten und ähnliche Aktivitäten, die in verschiedensten Zusammenhängen weitaus häufiger stattfanden als gemeinhin angenommen wird, auch insofern zur Aufrechterhaltung des moribunden politischen Systems beigetragen, als die Akteurinnen dieses ihren eigenen Fraueninteressen entsprechend modifizieren und allenfalls reformieren wollten und keineswegs im Sinne hatten, es zu beseitigen. Dennoch boten sie zugleich einer keineswegs geringen Anzahl von Frauen die Möglichkeit, sich eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, die ihnen als Ort von Auseinandersetzung und Verhandlung über das Thema Feminismus dienen konnte und den das System ihnen in der Öffentlichkeit verweigerte. Ohne diese Gegenöffentlichkeit wäre in der Zeit der Wende im Herbst 1989 wohl kaum eine so große Zahl von meist jüngeren Frauen geradezu explosionsartig an die ihnen nunmehr frei zur Verfügung stehende Öffentlichkeit getreten, hätte sich organisiert und versucht, ihre Reform- und Transformationsvorschläge zu realisieren.

Die Wende und danach


Ein nicht unbeträchtlicher Teil der damals engagierten Frauen hatte bereits vor der Wende ihrer Unzufriedenheit in der einen oder anderen Form Ausdruck verliehen, im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit wie oben dokumentiert oder außerhalb etwa unter dem Dach der Kirche oder in anderen Zusammenhängen. Die dabei gewonnenen Erfahrungen brachten sie in die zahlreichen frauenpolitischen, organisatorischen und theoretischen Nach-Wende-Projekte ein. So entstanden zwischen Ende Oktober und Ende Dezember 1989 der Unabhängige Frauenverband, die zwar kurzlebige13, aber in ihrer Blütezeit äußerst aktive unabhängige ostdeutsche feministische Organisation, die in den wenigen Monaten der "samtenen Revolution" in allen Teilen der DDR riesigen Zulauf hatte. Unter ihrem Dach gründeten die verschiedenen Frauengruppen und -initiativen Frauenzentren, -cafés, -häuser, sie stellten Abgeordnete, Frauenbeauftragte, wirkten an den "Runden Tischen"14 mit, usw.. An der Humboldt-Universität entstand das Zentrum für interdisziplinäre Frauenforschung, ZiF, das bereits in der ersten Nummer seines Bulletins im Juni 1990 ein Sachregister zu mehr oder weniger feministisch orientierten Forschungsarbeiten, die vor der Wende entstanden waren, von ForscherInnen aus allen Disziplinen veröffentlichte. Auch die bisher einzig zugelassene Frauenorganisation, der Demokratische Frauenbund, reformierte und öffnete sich feministischem Gedankengut.

Aus Gründen, die an dieser Stelle nicht erörtert werden können, war die Zeit eines allgemeinen demokratischen Aufbruchs, als dessen sehr aktiver Teil die neue unabhängige ostdeutsche Frauenbewegung wirkte, nicht mehr als ein kurzer historischer Augenblick. Während die Mitfrauen des UFV noch Reformpapiere ausarbeiteten, wurden Betriebskindergärten geschlossen, die sozialen Leistungen abgebaut und Frauenarbeitsplätze in riesigem Ausmaß vernichtet. Bereits vor der Vereinigung, mit der Währungseinheit am 1. Juli 1990 begann dann auch der Niedergang der unabhängigen demokratischen Bürgerbewegungen, unter ihnen des UFV.

Die Form feministischer Gegenöffentlichkeit in der DDR hatte ihre durch die Spezifik der gesellschaftlichen Situation bedingten Eigenarten. Als das System kollabierte, schien es eine sehr kurze Zeit lang, als bedürfe es überhaupt keiner Gegenöffentlichkeit mehr, die Öffentlichkeit schien all den vielfältigen Interessen in der Bevölkerung gleichermaßen zugänglich. Wenn dieser Eindruck nicht sogar von Anfang an trog, so war er jedenfalls äußerst transitär. Ganz schnell gab es wieder eine Öffentlichkeit, die Herrschaftswissen selektierte und den multiplen Gegenöffentlichkeiten ihren Platz an der Peripherie zuwies. Damit ist aber auch die hier beschriebene Gegenöffentlichkeit nicht verschwunden. Als ein wichtiger Teil der Persönlichkeitsstruktur der AktivistInnen, der ihnen das Bewusstsein vermittelte, Subjekt und nicht Objekt der Geschichte zu sein, lebt sie fort und äußert sich an anderen Orten, zu anderen Themen und in anderen Zusammenhängen. Auch im heutigen Deutschland gibt es, von den etablierten Medien ignoriert, wesentlich mehr Orte systemalternativer Gegenöffentlichkeit, an denen AkteurInnen sich entwickeln und eine neue soziale Kooperationen sich konstituieren, die mit anderen verhandeln und sich und diese verändern.



© Hanna Behrend, Berlin 2002



1Cultural Studies waren ein sowohl politisches als pädagogisches Reformprojekt, das aus den theoretischen Aufsätzen von politisch engagierten, in der Erwachsenenbildung tätigen britischen Geistes- und Sozialwissenschaftlern hervorging. 1963 wurde der aus Arbeiterkreisen in Leeds stammende Literaturwissenschaftler Richard Hoggart an die Universität Birmingham auf eine Englisch-Professur berufen, wo er 1964 das Centre for Contemporary Cultural Studies, das CCCS, gründete, das die institutionelle Basis der Cultural Studies in Großbritannien wurde.

2Nancy Fraser: Sex, Lies, and the Public Sphere. Reflections on the Confirmation of Clarence Thomas, in Joan B. Landes (Hrsg.): Feminism, the Public and the Private, Oxford und New York 1998.

3Der Opposition in der DDR ging es bis Anfang 1990 in ihrer Mehrheit um "die Entwicklung von Demokratie und Sozialismus". Von Anbeginn gehörten auch führende Mitglieder der SED, der regierenden Partei, zu denjenigen, die einen Sozialismus einforderten, der Demokratie und Menschenrechte einschloss (Rudolf Herrnstadt, Wolfgang Harich, Robert Havemann u.a.m.) Dazu kamen "Zehntausende einfacher Mitglieder und FunktionärInnen der Partei, die aus unterschiedlichen Gründen und zu unterschiedlichen Zeiten gegen die Parteiführung aufbegehrten. Sie standen meist allein, hatten vom kapitalistischen Teil Deutschlands keine Hilfe zu erwarten und wurden häufig für ihr Vorgehen schwer bestraft. Angetrieben durch den permanenten Widerspruch zwischen sozialistischem Ideal und marxistischer Weltanschauung einerseits, der politischen Realität einer bürokratischen Diktatur andererseits, fanden sich in der SED immer wieder neue StreiterInnen für oppositionelle Ziele" (Manfred Behrend: "Ostdeutsche Parteien und Bewegungen vor und nach der 'Wende' von 1989" in Hanna Behrend (Hrsg.): Die Abwicklung der DDR. Wende und deutsche Vereinigung von innen gesehen, ISP Köln 1996, S.59) Aber selbst die im September 1989 gegründete rechtsstehende oppositionelle Gruppe "Demokratischer Aufbruch" (DA) bekundete noch am 24. Oktober 1989 durch ihre Vertreter, die Pfarrer Reiner Eppelmann (inzwischen CDU) und Friedrich Schorlemmer (inzwischen SPD), dass es ihnen "um die Entwicklung von Demokratie und Sozialismus in unserem Land" gehe (ebda., 62).

4Friedrich Engels, Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates, MEW 21, Berlin 1962

5Engels selbst hat die Gleichstellung der Geschlechter allerdings als "Wiedereinführung des ganzen weiblichen Geschlechts in die öffentliche Industrie" und gleichzeitig als "Beseitigung der Eigenschaft der Einzelfamilie als wirtschaftliche Einheit der Familie" verstanden. Daraus schlussfolgert Sabine Nathan in "Ansätze zu einer Enthierarchisierung der Begriffe Klasse und Geschlecht in Friedrich Engels' Werk 'Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats'", in Gesellschaftswissenschaftliches Forum: Rasse, Klasse, Geschlecht, Berlin1993, die Implikation dieser Feststellung, die Engels allerdings nicht formuliert, [sei] die Öffentlichmachung der Funktion der Familie. Dies kommt den Positionen des marxistischen Feminismus sehr viel näher als die Feststellung, die Gleichberechtigung von Frauen sei allein über ihre Wiedereingliederung in die öffentliche Industrie zu erreichen" (19).

6Irene Dölling, Situation und Perspektiven von Frauenforschung in der DDR, in ZiF (Zentrum für interdisziplinäre Frauenforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin) Bulletin 1/Juni1990

7Babyjahr: in der DDR bezahlter Mütterurlaub von einem Jahr beim ersten, eineinhalb Jahren beim zweiten Kind und weiteren Kindern.

8Ursula Schröter: Die DDR-Frau und der Sozialismus – und was daraus geworden ist in Eva Kaufmann/Ursula Schröter/Renate Ullrich:"Als ganzer Mensch leben". Lebensansprüche ostdeutscher Frauen, Bd.5 Hanna Behrend (Hrsg.): "Auf der Suche nach der verlorenen Zukunft", trafoverlag Berlin 1997

9Eva Kaufmann: Erzählend die Welt anschauen – die kleine wie die große in Eva Kaufmann/Ursula Schröter/Renate Ullrich:"Als ganzer Mensch leben", a.a.O.

10zitiert nach Ursula Schröter: Die DDR-Frau und der Sozialismus – und was daraus geworden ist in Eva Kaufmann/Ursula Schröter/Renate Ullrich:"Als ganzer Mensch leben", a.a.O. Prof. Herta Kuhrig war Leiterin der Frauenforschung an der Akademie der Wissenschaften.

11Christa Wolf, Reden im Herbst, Aufbau Verlag Berlin Weimar 1990

12Christa Wolf, Fortgesetzter Versuch. Aufsätze, Gespräche, Essays, Reclam Leipzig 1980

13Es gelang nicht, aus hoffnungsvollen Anfängen eine gesamtdeutsche Organisation oder wenigstens dauerhaft erfolgreiche Kooperationen zwischen dem UFV und westdeutschen Frauenorganisationen herzustellen. Der Frauenstreik von 1994 war die letzte gemeinsame gesamtdeutsche Aktivität, an der der UFV Anteil hatte. Als das Jahrhundert zu Ende ging (1998) hörte der UFV als überregionale feministische Organisation auf zu existieren und auch die letzte von ihm inspirierte Frauenzeitschrift "Weibblick" gibt es nur noch im Internet. Nur noch regional bestehen einige Verbände fort.

14Informelle Beratungen der Exekutive mit RepräsentantInnen aller politischen Parteien und Gruppierungen auf allen Ebenen.










 

GLASNOST, Berlin 1992 - 2019