Der Feind steht rechts der Elbe
Schleswig-Holstein zeigt: Die NPD ist keine Partei der Unterschichten,
sondern eine Ostpartei. Die Rechten sind dabei, der PDS dort den Rang
abzulaufen, wo man sich als betrogene Gemeinschaft fühlt. Die
Auseinandersetzung mit dieser Mentalität ist überfällig
- in Ost und West
VON ROBIN ALEXANDER
Ein Gerücht ist nicht totzukriegen: Der Erfolg der NPD hänge
mit sozialen Problemen zusammen. Die These wird in einer klassischen
und in einer modernen Variante angeboten. Klassisch: Die hohe
Arbeitslosigkeit ist schuld. Zuletzt argumentierte so
Edmund Stoiber, der die erfolglose Arbeitsmarktpolitik von
Rot-Grün für die Wahlerfolge der NPD verantwortlich machte.
Die modernere Variante dieser These verwendet neuere
soziologische Erkenntnisse. Statt des Millionenheers der
Arbeitslosen wird nun ein neues Subproletariat als potenziell
rechtsextrem ausgemacht: der deutsche "White Trash", der vom
Sozialstaat materiell ruhig gestellt wird, aber von Bildungschancen und
Lebensstilen der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen bleibt. Die bei
McDonald's speisen, ihre Freizeit vor dem Fernseher
verbringen und ihre Kinder Zigaretten holen schicken statt in die
Jugendkunstschule: Warum sollen die nicht auch NPD wählen? Wer arm
ist, wählt Nazis? Ob in seiner klassischen oder in seiner modernen
Variante, es läuft auf die Unterstellung hinaus: Wer arm ist,
wählt Nazis. Dabei ist die Vorstellung, der Erfolg der NPD sei mit
bestimmten sozialen Verwerfungen erklärbar, ganz
irrig. Dass die Arbeitslosenzahl die historische 5-Millionen-Marke
überschritt, hat der NPD nicht genutzt. Sie ging vielmehr bei der
anschließenden Landtagswahl in Schleswig-Holstein unter - obwohl
die Partei stark in den Medien war und sich mit der
Visaaffäre ein Anti-Ausländer-Thema geradezu aufdrängte.
Man wende nicht ein, im Norden sei die Welt noch in Ordnung. An der
Küste gibt es Massenarbeitslosigkeit und in Kiel und
Neumünster kriselnde Quartiere. Nein, die NPD hat hier keine Rolle
gespielt und sie wird auch bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen
am 22. Mai keine Rolle spielen. Obwohl im Ruhrgebiet mit
Arbeitslosigkeit und niedergehenden Großstädten soziale
Verwerfungen von ostdeutschen Dimensionen schon lange gegeben sind.
Parallelgesellschaft Ost
Was für das Kreuz in der Wahlkabine gilt, gilt noch stärker
für die Präsenz auf der Straße: In den
subproletarischen Milieus von Berlin, Hamburg, Köln
und Duisburg gibt es Nazi-Alltagskultur nur in verschwindenden Spuren.
Das liegt schon daran, dass die deutsche Unterschicht heute kaum mehr
deutschstämmig ist. Skinheads können in ostdeutschen
Plattenbauvierteln (in denen in Berlin mit die höchsten
Durchschnittseinkommen der Stadt verdient werden) national befreite
Zonen errichten. Nicht aber in Berliner Problemkiezen, in
Duisburg-Marxloh oder Köln-Mülheim.
Rechtsradikalismus ist in Deutschland kein Problem der
vielen sozial marginalisierten Randgruppen, sondern der
größten deutschen Parallelgesellschaft: des ostdeutschen
Mainstream. Es gibt eine Scheu der westdeutsch dominierten Medien und
der westdeutsch dominierten Parteien, das Offensichtliche
auszusprechen: Der Neonazismus ist heute vor allem ein
Ostphänomen und erklärt sich nicht sozial, sondern kulturell.
Denn der trübe Teich, in dem die NPD fischt, speist sich aus zwei
Quellen, die es so nur in den fünf neuen Ländern gibt:
erstens die nicht aufgearbeitete Vergangenheit zweier totalitärer
Systeme. Zweitens - und darum soll es hier gehen - das im Gegensatz zur
staatlichen Vereinigung missglückte Zusammenwachsen der
Gesellschaften. Das hat im Osten eine eigene Mentalität entstehen
lassen, die an westdeutsche Gefühlslagen kaum
Anschluss findet. Die NPD hat das früher gemerkt als andere.
Und Konsequenzen gezogen: Die Neonazis haben ihr Programm
quasi verostet. Der Antikommunismus - früher ein wesentliches
Element und Bindeglied zur nichtradikalen Rechten - ist verschwunden.
Stattdessen setzt die NPD jetzt auf einen neuen Mix aus
Fremdenfeindlichkeit und Alimentierungsfantasien: Sozialismus nur
für Deutsche.
Sozialismus nur für Deutsche
Warum ist die NPD mit diesem Wahn so erfolgreich? Weil sie damit
vorpolitische Vorstellungen anspricht, die weit über ihre
Kernklientel hinaus im Osten verbreitet sind. Die Vorstellung, einer
Schicksalsgemeinschaft anzugehören, der Unrecht geschieht. Diese
seltsame Opfermentalität hat eine Geschichte. Die
Mehrheit der DDR-Bürger nahm ihrem Sozialismus schon vor 1989 vor
allem übel, dass er nicht die Konsummöglichkeiten bot, die
das Westfernsehen präsentierte. Das Vormundschaftliche
der Diktatur war weit weniger verhasst als ihre Mangelwirtschaft.
Die Wiedervereinigung war letztlich das Versprechen, den
Konsum zu bekommen, ohne die Sicherungen aufgeben zu müssen.
Daraus ist bekanntlich nichts geworden. Die Bundesrepublik kann ihren
eigenen Gründungsmythos, das Wirtschaftswunder, auch mit noch so
viel Anschubfinanzierung im Beitrittsgebiet nicht
wiederholen. In den Neunzigerjahren wurden die, die nach Mallorca
wollten, deshalb in den Sozialsystemen geparkt. Und
beklagen dort den Lauf der Welt, die sich gegen sie
verschworen habe. An dieses diffuse Gefühl schließt die NPD
an. Der Durchbruch gelang ihr nicht zufällig im
vergangenen Jahr. Damals ging Rot-Grün an die Reform der
Sozialsysteme und erntete im Osten einen Sturm der Entrüstung.
Niemand hatte diesen vorausgesehen und kaum jemand konnte ihn
erklären.
Hartz IV war im Westen nur eine neue Sozialkürzung. Im Osten war
Hartz IV der endgültige Bruch des Wiedervereinigungsversprechens.
Ein Versprechen ans Kollektiv, das im legendären Kohl-Wort
gebündelt ist: Keinem wird es schlechter gehen. Die Botschaft von
Hartz IV ist das glatte Gegenteil: Es liegt jetzt am Einzelnen - und
die Bedingungen sind schlecht. Und genau hier setzt die NPD an. Unter
dem Druck der Reform des Sozialstaats radikalisiert sich die spezifisch
ostdeutsche Gefühlslage: als Gemeinschaft betrogen worden zu sein.
Konkurrenz für die PDS
Dazu kommt, dass die PDS dieses Gefühl nicht mehr vollständig
absorbieren kann. Denn die PDS spricht die Ostdeutschen zwar
ebenfalls als benachteiligte Schicksalsgemeinschaft an, wird aber nicht
mehr konkurrenzlos als deren Organ empfunden. Denn
längst wird die ehemalige SED - immerhin Mitglied zweier
Landesregierungen - als Teil des westdeutschen Systems identifiziert.
Die NPD nicht.
Ist das nicht ein Hohn? Die NPD stammt historisch aus Westdeutschland.
Ihre Führung ist westdeutsch. Wie kann sie als Ostpartei
durchgehen? Sie muss gar nicht authentisch ostdeutsch sein, um von der
ostdeutschen Stimmung zu leben. Und nicht jeder, der sich seit der
Wende benachteiligt fühlt, hasst Ausländer. Aber
unter den vielen, die sich als Opfer fühlen, gibt es leider
zu viele, die ihre Minderwertigkeitsgefühle an Minderheiten
abreagieren. Genau das ist die gefährliche Akzentverschiebung von
der Ostpartei PDS zur Ostpartei NPD: Die PDS nährt das
enttäuschte Wir-Gefühl und die Ressentiments der
Ossis, aber sie kanalisiert es auch, indem sie es auf Staat und Kapital
lenkt - nicht Ausländer, Homosexuelle, Drogensüchtige und
Punks. Westdeutsche Medien und Parteien sollten daher weniger aggressiv
mit der PDS umgehen. Denn sie ist die schärfste Konkurrentin der
NPD. Betreiben beide doch das gleiche Geschäft - wenn auch mit
anderem Ziel. Sind weitere Erfolge der NPD in Ostdeutschland zu
erwarten? Leider ja: Mit der nächsten Stufe der Reformpolitik -
von allen Parteien für nach der Bundestagswahl geplant - droht
auch der Nährboden für die Rechten im Osten zu wachsen. Denn
hier wird jeder weitere Rückzug des Staates als Verrat und
Kränkung aufgefasst werden.
Die Ignoranz des Westens
Muss denn der unumgängliche Umbau der Republik im Osten die
Neonazis stärken? Nicht zwangsläufig. Hier kommt die
Mitverantwortung der westdeutschen Mehrheitsgesellschaft ins Spiel:
Denn die Ursachen für die fehlende Akzeptanz der Reformpolitik in
Ostdeutschland liegen nicht nur dort. Die rot-grüne
Bundesregierung, die ja den Umbau der Republik betreibt und
begründet, hat wie die 68er-Generation, aus der sie stammt, nie
ein emotionales Verhältnis zu diesem Teil Deutschlands
aufgebaut. Wenn die Schröder-Fischer-Regierung an emotionale
Bedürfnisse im Osten anknüpfte, dann an dumpfe Starker-Mann-
und Vater-Staat-Vorstellungen, wie bei Schröders Auftritten in der
Elbflut.
Angela Merkel hat naturgemäß ein feineres Sensorium für
die emotionalen Bedürfnisse der Ostdeutschen. Aber hätte sie
als ostdeutsche CDU-Kanzlerin auch ein feineres Instrumentarium an
Gesten und Zeichen, um den Osten beim Umbau Deutschlands mitzunehmen?
Kann sie die ostdeutsche Mentalität aufbrechen, die am Ende den
Neonazis nutzt? Bisher hat Merkel das nicht erkennen lassen.
Im Gegenteil: Ihr Rückzug auf den Patriotismus als Antrieb
für Reformen offenbart vielmehr, dass auch ihr kein
Wertezusammenhang der Deutschen aus Ost und West einfällt
außer eben dem allerschlichtesten: Deutsche zu sein.
Darauf ist allerdings auch die NPD schon gekommen.
taz Nr.
7598 vom 23.2.2005, Seite 13, 256 Zeilen (TAZ-Bericht), ROBIN ALEXANDER