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Beiträge zur Theorie  










Wolfram Bücker

Kontroverse ?

"Es hat niemals einen Widerspruch zwischen Wissenschaft und Glauben gegeben."

Planet der Affen

Ende letzten Jahres erschien als Text Nr. 10 im konkret Verlag "Vorwärts und vergessen? - Ein Streit um Marx, Lenin, Ulbricht und die verzweifelte Aktualität des Kommunismus" von Sahra Wagenknecht und Jürgen Elsässer mit dem fetten Aufdruck: "kontroverse ". Soviel vorab: Eine kontroverse Diskussion sucht mensch in dem Buch vergebens. Beide KontrahentInnen haben genügend Raum, ihre Standpunkte ohne wirklichen Bezug zueinander darzulegen. Wer hier neue Einsichten linker VordenkerInnen erwartete, wird enttäuscht. Selbst der unaufmerksame Leser der "jungen Welt" konnte alle Argumente - größtenteils sogar wörtlich - über die Jahre in derselben lesen. Also alles in allem absolut nichts Neues.

Interessant an diesem Buch ist, was es verspricht und nicht, was es hält. Zwei linke Promis, jede/r ExponentIn einer radikalen linken Strömung, versuchen im Disput ihren Beitrag zur Klärung uns alle drängelnder Fragen gemeinsam zu leisten. Auf der einen Seite ein libertärer, (west-)deutscher, antideutscher, revolutionärer Selbstdenker, dem das, was er zu sagen hat, auch noch flüssig von der Hand zu gehen scheint, und auf der anderen eine dogmatische, (ost-)deutsche, nationalkommunistische Nachdenkerin, die nicht gefallen will, aber mit einer ordentlichen Portion Sendungsbewußtsein à la PDS ständig on air ist - vielleicht neben Gysi die einzige fleischgewordene Ostidentität in der mediengeilen PDS mit mediengerechter "Ausstrahlung".

Wagenknecht ...

Neben der gemeinsamen Partei und ihrem professionellem Auftreten verbindet Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht die Behauptung: Trotz aller Einschränkungen sei der "Reale Sozialismus" Realität gewordener Sozialismus. Während der eine diesem als Schreckgespenst abschwört, um weiterhin im "Neuen Deutschland" anzukommen, möchte die andere diese Vergangenheit mit allerhand Schönfärbereien als leuchtende Zukunft über die derzeitige kapitalistische Rückrunde retten.

Daß beide nie belegen, was sie als Prämisse annehmen, sei dem Anwalt und Volksredner Gysi verziehen, doch wer diese, wie Sahra Wagenknecht, als positive Perspektive verkaufen will, sollte sie auch belegen können. Den "realen Sozialismus" - wie der stalinsche "Sozialismus in einem Land" gegen Ende hieß - grob als Kasernensozialismus, Staatskapitalismus, halbasiatischen Weg zum Sozialismus, Industrie-Feudalismus oder neutral als nachholende Gesellschafts-Formation zu klassifizieren, erscheint hier als Sakrileg. Wie in jener gewesenen Gesellschaftsordnung des "realen Sozialismus" das Wollen, das Sich-Bekennen über gesellschaftliches wie privates Schicksal entscheiden sollte, so reicht in der von dieser geprägten Ideologie ein Bekenntnis, wenn Belege gefragt sind.

Wie wenig das alles mit Marxismus zu tun hat, zeigt das Geschichtsbild Sahra Wagenknechts. Da machen Männer munter Geschichte, daß es jedem Nachkriegsgeschichtslehrer mit Notabitur eine Freude wäre. Es hätte ökonomisch mit der DDR Ende der Achtziger noch alles gut enden können, wenn Ulbricht sich mit dem NÖS (Neues Ökonomisches System) und seinem Arsenal voller "Ökonomischer Hebel" gegen Honecker Ende der Sechziger hätte durchsetzen können. Ja, ja, der Erich. Von wegen der Egon. Aber letzten Endes sei die DDR nicht aus ökonomischen, sondern "außerökonomischen" Gründen von der Bildfläche verschwunden. Denn sowas Schönes wie die DDR scheitert natürlich nur durch Verrat, durch subjektives Versagen oder einfach durch Weicheier ganz ganz oben beim Generalsekretät und Staatsratsvorsitzenden, wenn nicht gar die Spitze selbst ein solches war.

So wenig wie angeblich die DDR an ihrer Realität zugrunde ging, genau soviel Einfluß soll eben diese Realität noch heute auf die kapitalistische Welt haben. Durch den Wegfall der sogenannten "System"-konkurrenz der guten Onkels im Osten hätten die bösen im Westen jetzt ihre Hände frei, alle sozialen und politischen Errungenschaften aufzuweichen oder gar zu zerstören (dann ja wohl auch die, die es im Osten nie gab). Neben all diesen Highlights der realsozialistischen Verkündung darf natürlich ein Bekenntnis nicht fehlen: Lenin ist der Größte der Unseren. Lenins Theorie bleibe nach wie vor aktuell. Aber was bleibt an ihr aktuell: die Imperialismusanalyse? - die Partei als Avantgarde des Proletariats? - der "Demokratische Zentralismus" in eben dieser Partei? - Nein! Über diese Begriffswelt wird kein Wort verloren, als sei nicht die Vergötzung dieser Doktrin Teil des bisherigen Scheiterns der KommunistInnen.

Nein, es kommt besser: seine brillante Hegelrezeption gewähre ihm einen festen Platz vor Lukács und Bloch. Keine Religion ohne eine Ahnengalerie ihrer größten Propheten. Pech für die Frankfurter Schule (F.a.M., nicht F./Oder), deren Hegelrezeption "eher peinlich" ausfiele.

Die Leistungen der wahren Führer sind spezifiziert - was dem einen seine "ökonomischen Hebel" sind, ist dem anderen sein Hegel - die Verräter entlarvt, die Zukunft ist nicht nur bekannt, sondern schon einmal erlebt worden (ohne Drogen oder Zeitmaschinen). Was noch fehlt, sind die Zukunftsträger, die aber, da die Partei in so einem desolaten Zustand ist, wieder einmal als "desorientierte Masse" in Erscheinung treten. Brav leninistisch weiß die Partei, wo es lang geht, wenn sie nur auf Linie bleibt und Verräter bekämpft. Dieser Masse gehört die Wirklichkeit erklärt. Bleibt die Partei stur auf Kurs, und hören die Massen aufmerksam zu, dann wird alles gut.

Wenn der realsozialistische Mensch belehrt und angeleitet sein will und nicht zur eigenen Überzeugung und Selbstorganisation in der Lage ist, muß auch der präsozialistische geführt werden. In solch einer Konstellation von Menschen als Herde und Hirte geht es immer, wenn es um die Wurst geht, ausschließlich um die Macht im Staate. Deshalb möchte Sahra Wagenknecht auch nicht gänzlich auf den so verpönten Parlamentarismus verzichten, wenn auch nur als Tribüne. Wie mensch sonst noch die Macht erlangen kann, darüber schweigt sie mit dem Verfassungsschutz im Nacken lieber. Auch bei ihr erscheint - wie bei ihren reformistischen WidersacherInnen - Politik als Wahlakt aller bzw. als Profession einzelner. Parlamentarismus und StellvertreterInnendemokratie als historische Errungenschaft werden für alle Ewigkeit anerkannt und nicht als aktuell reaktionär bekämpft. Kein Wort über den Sozialismus als klassenlose Gesellschaft, sondern nur die Forderung nach dem Ersetzen einer asozialen Herrschaftsmethode durch eine sozialere. Staat als Übergangsgesellschaft wird (wieder) zum Selbstzweck - Staat als Ausgangspunkt, Staat als Betätigungsfeld und Übervater und schließlich wieder ein Staat - natürlich ein ganz anderer - als Ziel, als Erfüllung aller Hoffnungen.

... / Elsässer

Jürgen Elsässer ist ganz und gar nicht von solchem Etatismus geprägt, kennt nicht nur ParteikommunistInnen, schätzt die AnarchistInnen, zieht Ché Guevara Walter Ulbricht vor, verachtet die ReformistInnen, versteht nicht nur was von ost- sondern auch von westeuropäischer Geschichte, schwärmt vom "psychedelischen Bolschewismus", schämt sich nicht der Frankfurter Schule und ist zu jedem Irrtum bereit, wenn es der Wahrheit, dem Kommunismus dient. Mit anderen Worten, der richtige Lesestoff für unerschütterliche Westlinke.

Er weist nicht nur die Sozialdemokratisierung der PDS, sondern auch ihre "Rep-tilisierung" nach. Dem wohl nur hinzufügen wäre, daß beide Tendenzen in der Arbeiterbewegung Tradition haben (siehe Geschichte der SPD, aber auch oder gerade der KPD).

Er fordert zu recht die Trennung der revolutionären Linken von der reformistischen, indem er brillant den Nachweis über den reaktionären Charakter des Reformismus (exemplarisch anhand der PDS) gerade unter den aktuellen politischen und ökonomischen Beding ungen führt. Nur ist das leider nicht besonders neu. Verteilt er auch nicht ganz so olle Kamellen und kommt als junge-Welt-Redakteur ganz schön hip daher, so gelingt ihm doch der große Wurf nicht. Auch er beschwört die Wiederholung vergangener und gescheiterter Revolutionsmodelle.

Die autoritären Standpunkte vermeintlich revolutionärer Linker gehören ebenso kritisiert und bekämpft wie die der ReformistInnen - Taktgefühl gegenüber CoautorInnen hin oder her.

Wenn mensch über die "verzweifelte Aktualität des Kommunismus" "streiten" möchte, reicht es aktuell nicht aus, die Linke nur in eine reformistische und eine revolutionäre zu teilen, sondern mensch muß endlich auch zu einer Diffenzierung in autoritär und libertär bereit sein.

Vielleicht ist dieses Buch deshalb nicht gelungen, weil beide Strömungen sich nichts mehr zu sagen haben. Nur radikal gegen Kapitalismus und diesen Staat zu sein, reicht als Gemeinsamkeit nicht. Das sind auch noch ganz andere. Wer sich nichts mehr zu sagen hat, sollte es sein lassen - jeder weitere Versuch ist Quälkram.

PS: Wer zur Bewältigung der Realität unbedingt KlassikerInnen braucht, sollte sich mit Originalquellen befassen und nicht mit Nachbildungen in wilhelminischem Outfit abgeben.

© Wolfram Bücker, Berlin









 

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