Start

Beiträge zur Theorie  










Martin Blumentritt

Zu K. R. Poppers "Kritischen Rationalismus" - Teil 5

Popper hat die Absicht den Positivismus zu ueberwinden, dass das letztendlich nicht gelingt, laesst sich vor auch an seiner Psychologismuskritik zeigen, die den "logischen Positivismus" allerdings nur partiell trifft.

Es verschlingen sich bei Popper in der Positivismuskritik drei Momente, das syntaktische(logizistische), das praktische und das psychologistische. Das wird an der folgenden Passage deutlich.

"Waehrend wir uns vom _Konventionalismus_ durch die Auffassung unterscheiden, dass es _nicht allgemeine, sondern singulaere Saetze_ sind, ueber die wir Festsetzungen machen, so liegt der Gegensatz zwischen uns und dem _Positivismus_ in unserer Auffassung, dass die Entscheidungen ueber die Basissaetze nicht durch unsere Erlebnisse 'begruendet' werden, sondern, logisch betrachtet, _willkuerliche Festsetzungen_ sind (psychologisch betrachtet, zweckmaessige Reaktionen).

Diesen Gegensatz zwischen einer _Begruendung_ und einer (methodisch geregelten) Beschlussfassung wollen wir an dem Beispiel des (...) Schwurgerichtsverfahrens verdeutlichen.

Der _Wahrspruch_ der Geschworenen [und aehnlich auch der des Experimentators] ist eine Antwort auf Tatsachenfragen (quid facti?), die ihnen in moeglichst scharfer Formulierung vorgelegt werden muessen. _Was_ gefragt, wie die Frage gestellt wird, haengt dabei weitgehend von der 'Rechtslage', dem Strafrechtssystem ab [das hier einem Theoriensystem entspricht]. Durch den Beschluss der Geschworenen wird eine Behauptung ueber einen konkreten Vorgang aufgestellt, gewissermassen ein Basissatz. Der Beschluss hat die Bedeutung, dass aus ihm, gemeinsam mit den allgemeinen Saetzen des Systems (des Strafrechts) gewisse Folgerungen deduziert werden koennen; anders ausgedrueckt: Der Beschluss bildet die Basis fuer die _Anwendung_ des Systems, der Wahrspruch spielt die Rolle eines 'wahren Satzes'. Dass der Satz aber nicht 'wahr' sein muss, weil er von den Geschworenen zum Beschluss erhoben wurde, ist klar; das wird ja auch durch die Bestimmung anerkannt, dass ein solcher 'Wahrspruch' aufgehoben, revidiert werden kann."(Logik der Forschung S.74)

Der Vergleich hat allerdings einen Mangel (nicht nur den, dass man vor Gericht auch nur ein Urteil bekommt, nicht unbedingt Gerechtigkeit), die Regeln, die Popper vor allem meint, sind die des Strafprozessrechtes, das keine Strafrechtsnormen oder Wahrheitsregeln beinhaltet und auch keine methodologischen Regeln zur Wahrheitsfindung. Es geht nicht um Wahrheit, sondern um die Gesetzmaessigkeit der Verhandlung. Verstoesst man gegen die Regeln, dann verliert das Urteil die Rechtskraft, trotz Schuld des Angeklagten.

Kant hatte die Verhoerpraktiken und Methoden der Wahrheitsfindung des Richters zum Bildspender fuer seine juristische Metaphorik hinsichtlich des Erkenntnisprozesses im Auge, Popper mehr die Verfahrensregeln, die zu einem Beschluss, die durch aus subjektiv sein koennen, fuehren, der ueber den Angeklagten befindet. Zweifel bei der Ermittlung von Tatsachen sind allerdings in einem richtigen Gerichtsverfahren schon identisch mit der Suspension eines Beschlusses zuungunsten des Angeklagten(in dubio pro reo). Es muss in jedem Fall aber ein Beschluss herbeigefuehrt werden. Das moechte Popper analogisieren, das begruendete Urteil des Richters grenzt er aus.

"Im Gegensatz zum 'Wahrspruch' der Geschworenen muss das _Urteil_ des Richters gerechtfertigt, _begruendet_ werden; er muss es aus den anderen Saetzen - den Systemsaetzen in Verbindung mit dem Wahrspruch als 'Randbedinung' - logisch ableiten. [Seine Gruende koennen daher auch logisch angegriffen werden] Der Beschluss hingegen kann nur darauf geprueft werden, ob er _regelrecht_ zustande gekommen ist (also formal, nicht inhaltlich; inhaltliche Rechtfertigungen von Beschluessen nennt man bezeichnenderweise "Motivenberichte", nicht Begruendungen."(a.a.O. S.75)

Hier wird deutlich, warum er diese analogische Metapher nimmt. Es geht in der Analogie darum, dass "Entscheidungen ueber die Basissaetze nicht durch unsere Erlebnisse 'begruendet' werden, sondern, logisch betrachtet, _willkuerliche Festsetzungen_ sind."(a.a.O. 74)

Poppers Identifizierung von Induktion mit Induktionsschluessen von Einzelnen zum Allgemeinen, die er triftig ablehnt, weil sie Vorurteilen die Bahn brechen wuerden, hindert ihn daran, nach anderen Begruendungen zu suchen, wie sie in der negativen Mataphysik Kants angelegt sind. Gerade im Gerichtsverfahren spielen wissenschaftlich kontrollierte Verfahren der Ermittlung empirischer Fakten eine grosse Rolle. Indizien und Zeugenaussagen haben einen geringeren Verlaesslichkeitsgrad. Daher werden sie einer genauen Pruefung unterzogen, die durchaus auf ein Widerstandsmoment in der Sache selbst aus sind, durch die ein induktives Moment hineinkommt, allerdings nicht im Sinne eines Induktionsschlusses.

Poppers Kampfgegner ist zwar die psychologistische Erkenntnistheorie, die er den Positivisten vorhaelt, wobei er zum einen (1) der subjektiven Gewissheit anlaesslich von Wahrnehmungen die Faehigkeit abspricht, Wahrnehmungssaetze zu begruenden, weil sich Saetze nur durch Saetze begruenden lassen (darauf lief allerdings schon Neuraths Argumentation hinaus, da greift eine Positivismuskritik zu kurz), zum anderen (2) geht jeder Wahrnehmungsatz ueber das Gegebene hinaus, Basissaetze sind Hypothesen. Diese beiden Argumentationstraenge sind auch ineinander verwoben.

Hier geht es nicht darum die Antithesen zu widerlegen, sie werden auch von einer Kritischen Theorie geteilt. Es kommt auf das Wie an, wie das gerechtfertigt wird und was daraus erschlossen werden soll.

In ersten Argumentationstrang lehnt er Evidenzerlebnisse als die Annahme von Basissaetzen ab: "Erlebnisse...koennen einen Basis_satz_ ebenso begruenden wie ein Faustschlag"(Logik der Forschung S.71), daraus schliesst er, das sie auf "willkuerlicher Festsetzung" beruhen. Allerdings ist das gar keine Psychologismuskritik, sondern erkenntnistheorietisch irrelevant, da nur von der Unmoeglichkeit logischer Rechtfertigung die Rede ist (syntaktischer Dezisionismus), man koenne keine logischen Ableitung des Basissatzes aus Erlebnissen vollziehen. Da die logischen Positivisten das allerdings nicht glaubten, ist das allerdings auch keine Kritik, die trifft. Dies waere das oben erwaehnte syntaktische Moment der Kritik.

Das zweite Argument stuetzt sich ebenfalls auf der Ablehnung ausserlogischer Rechtfertigungsgruende fuer die Annahme von Protokollsaetzen. Die Basissaetze gehen ueber die unmittelbare Erfahrung hinaus, daher lassen sie sich nicht durch Evidenzerlebnisse begruenden, woraus wieder folgt, dass sie durch Beschluss anerkannt werden. Hier geht er ueber das Formallogische, Syntaktische hinaus zum Praktischen:

"Wir koennen, aehnlich wie der Konventionalismus sagen: die Auszeichnung der jeweils bevorzugten Theorie ist Sache des praktischen Handelns. Aber dieses praktische Handeln ist fuer uns _Anwendung_ der Theorie und Festsetzung der Basissaetze im Zusammenhang mit dieser Anwendung, waehrend fuer den Konventionalismus eher aesthetische Motive massgebend sind."(a.a.O. S.74) und: "Die Festsetzung der Basissaetze erfolgt anlaesslich einer _Anwendung_ der Theorie und ist Teil einer Anwendung, durch die wir die Theorie _erproben_; wie die Anwendung ueberhaupt, so ist die Festsetzung ein durch theoretische Ueberlegungen geleitetes praktisches Handeln"a.a.O. S.71)

Allerdings sind damit auch nicht die Basissaetze als Festsetzungen legitimiert, weil der Psychologismus untriftig ist. Die praktisch orientierten Beschluesse hinsichtlich von Basissaetzen sind unabhaengig vom erkenntnislogischen Status der Basissaetze. Letztlich endet Popper selber in einem Psychologismus: "Wenn wir ein Ergebnis erzielen wollen, bleibt uns also nichts anderes uebrig, als uns an irgendeiner Stelle fuer vorlaeufig befriedigt zu erklaeren"(Logik der Forschung S. 69)

Wellmer sagt ueber die 3 Bedeutungsschichten in Poppers dezisionistischen Vokabular:

"Es ist Popper, wie ich meine, nur durch eine abwechselnde Inanspruchnahme und Suspendierung dieser drei Bedeutungsschichten gelungen, seine Kritik am Psychologismus mit seinen durchaus problematischen Thesen zum Universalienproblem in einer, wie es auf den ersten Blick scheint: schwer angreifbaren, konventionalistischen Loesung des Basisproblems zu vereinigen...Popper verficht gleichsam unter dem Schutz der trivialen Wahrheit, dass Saetze nur aus Saetzen und nicht aus Aussersprachlichen sich ableiten lassen, einen erkenntnistheoretischen Aktivismus, der in vieler Hinsicht fragwuerdiger, widerspruchsvoller und 'psychologistischer' ist als der Psychologismus, den er den Logischen Positivisten vorwirft."(Wellmer; Methodologie als Erkenntnistheorie. Zur Wissenschaftslehre Poppers, S 153)

Es stellt sich ja die Frage, wenn die Basissaetze auf einer Entscheidung beruhen, wie sie zustande kommen, wann abgebrochen wird und ob da nicht die Wahrnehmungserlebnisse nicht hineinkommen. Das gibt Popper ja explizit zu:

"Und was schliesslich die psychologistische Basis betrifft, so ist es sicher richtig, dass der Beschluss, einen Basissatz anzuerkennen, sich mit ihm zu begnuegen, mit Erlebnissen zusammenhaengt - etwa mit Wahrnehmungserlebnissen; aber der Basissatz wird durch diese Erlebnisse nicht begruendet; Erlebnisse koennen Entschluesse _motivieren_, aber sie koennen einen Basissatz ebensowenig begruenden wie ein Faustschlag auf den Tisch."(Logik der Forschung S. 71)

Suspendiert wird dann doch eine Ueberpruefung von Hypothesen, in die ja in Wahrheit ein Widerstandsmoment in Bezug auf den Gegenstand an sich mit eingeht, ein Moment von Induktion, dass nicht als Induktionsschluss interpretiert werden kann. Es wird ja kontrolliert, intersubjektiv reproduzierbar, also ewig wiederholbar, auf die Natur eingewirkt, nicht bloss subjektive Erlebnisse verallgemeinert. Stattdessen verfaellt Popper einem Dogmatismus, den er in verharmlosender Weise ja auch zugibt:

"Die Basissaetze, bei denen wir jeweils stehenbleiben, bei denen wir befriedigt erklaeren, die wir als hinreichend geprueft anerkennen - sie haben wohl den Charakter von Dogmen, als sie ihrerseits nicht weiter begruendet werden koennen."(a.a.O S.70)

Da verfaellt Popper eine Dezisionismus, der nicht befriedigen kann. Er muss ja auch eingestehen, dass, die weitere Nachpruefung die Dogmen wieder in Frage stellen koennen. Aber das Prinzip selber stellt er nicht Frage und das Nachpruefen selber fuehrt in die "schlechte Unendlichkeit" des unendlichen Degress:

"Wohl ist dabei die Kette der Deduktion grundsaetzlich unendlich, aber dieser 'unendliche Degress" ist unbedenklich, weil durch ihn nach unserer Theorie keine Saetze bewiesen werden sollen und koennen."(ebenda)

Der definite Degress ist aber Schein. Ein Basissatz koennte dann nur wahr sein, wenn alle aus ihm deduzierbaren Prognosen wahr waeren. Die lassen sich indes nicht angeben. Dann kennt man aber nicht einmal die negativen Wahrheitsbedingungen eines Basissatzes, man weiss dann nicht mal wie man ihn falsifizieren koennte oder mit welchen Erfahrungen er vertraeglich/unvertraeglich waere. Dann ist man in der Tat zu willkuerlichen Entschluessen genoetigt.

Popper reduziert also letztlich Erkenntnistheorie auf Methodologie und der Unterschied zum logischen Positivismus wird von ihm selbst faktisch revoziert. Erfahrung, nicht mal eine Falsifizierung ist moeglich, kann gar nicht mehr stattfinden, das ist die implizite Konsequenz. Das ist noch genauer zu zeigen. Man wird dann allerdings die richtigen Einsichten Poppers nur retten koennen, wenn man ueber Popper hinausgeht. Das ist an dem Punkt moeglich, wo die schon erwaehnte Pruefungspraxis thematisiert wird:

"Die Festsetzung von Basissaetzen erfolgt anlaesslich einer _Anwendung_ der Theorie und ist ein Teil dieser Anwendung, durch die wir die Theorie erproben; wie die Anwendung ueberhaupt, so ist die Festsetzung ein durch theoretische Ueberlegungen geleitetes planmaessiges Handeln."(Logik der Forschung S. 71)

Allerdings ist bei Popper eine Reduktion auf Intersubjektivitaet der Fall: "Sollte eines Tages zwischen wissenschaftlichen Beobachtern ueber Basissaetze keine Einigung zu erzielen sein, so waere das bedeuten, dass die Sprache als intersubjektives Verstaendigungsmittel versagt. Durch ein solche Sprachverwirrung waere die Taetigkeit des Forschers ad absurdum gefuehrt."(Logik der Forschung S. 70)

Habermas hat den Dezisionismus durch eine Diskurstheorie der Wahrheit ueberwinden wollen, durch den Versuch normativer Begruendung in einer antezipierten idealisierten Sprechsituation als einer herrschaftsfreien Sprechsituation. Da machte er trotz berechtigter Kritik an Popper zu viele Zugestaendnisse und blendete die Frage aus, wie denn der konsensstiftende Begriff sich begruendet. Ueber das Vorliegen einer Einigung, die einer herrschaftsfreien Situation, kann ja nicht selber noch einmal bloss intersubjektiv entschieden werden, es bedarf eines fundamentum in re, einer Fundierung in der Sache selbst, die allerdings - da ist Popper rechtzugeben - nicht im Sinne eines Induktionsschlusses erfolgen kann, dann fiele man hinter die Kritik Humes an Locke zurueck.

Die Konventionalitaet der Basissaetze, die allenfalls mit motivierenden Erfahrungen, ist problematisch. Das sieht auch Popper: Das Wort 'Basis' hat ...einen ironischen Beiklang: _die Basis schwankt_" (a.a.O.76)

Er redet vom einem Sumpfland, ueber dem sich die Konstruktion der Theorien der Wissenschaft erheben. Wer laesst sich dazu ueberreden in so einem Haus zu wohnen?

Woran hapert es? Popper differenziert nicht hinreichend zwischen dem hypothetischen Charakter von Basissaetzen und generellen Gesetzeshypothesen. Die wahrheitsfunktionelle Beziehung zwischen generellen Gesetzesaussagen und daraus ableitbaren Prognosen macht den hypothetischen Charakter der generellen Hypothesen aus. Die Verifikation einer Hypothese wuerde hier bedeuten die Verifikation aller ableitbaren bedingten Prognosen. Das waere die "Schlechte Unendlichkeit" der Ueberpruefung, denn die Prognosen sind unendlich.

Der hypothetische Charakter von Basissaetzen deutet aber hin auf ein erkenntnistheoretisches Problem, dass sie auf Methodologisches oder Logisches nicht reduzieren laesst. Basissaetze behaupten nur ein Erfuelltsein der Wahrheitsbedingungen. Popper setzt allerdings physikalische Objekt unproblematisiert voraus, indem zwischen der Allgemeinheit von Objektbegriffen und der von Gesetzeshypothesen unterschlagen wird. Es ist dann ploetzlich kein Unterschied mehr, ob man mit einer Theorie einen Basissatz ueberprueft oder mit einem Basissatz eine Theorie. Die Ableitungsbeziehung, die sich zwischen Basissaetzen herstellen laesst steht in keinem notwendigen Zusammenhang, dass Basissaetze jede unmittelbare Erfahrung transzendieren. Dass man aus Basissaetzen Prognosen herleiten kann ist nicht identisch damit die abgeleiteten Basissaetze durch kuenftige Beobachtungen zu ueberpruefen. Entweder muesste Popper nun die Verifizierbarkeit Voraussetzen oder aber die Erkenntnistheorie ist nicht zureichend, weil sie nur einen logischen Begruendungszusammenhang betrifft. Die Wahrnehmungsurteile lassen sich nicht auf den Satzcharakter reduzieren, auf die sprachliche Vermittlung. Jedes Wahrnehmungsurteil intendiert mehr als bloss das Wahrgenommene. Zwar ist es richtig, dass eine vollstaendige Verifikation eines Basissatzes nie moeglich waere, das waere die Ueberpruefung einer "schlechten Unendlichkeit"(Hegel). Die unendliche Ueberpruefbarkeit ist aber ebenso sinnlos. Es geht ja gar nicht um isolierte, eindeutige Einzelurteile, dem keine Erfahrung entspricht. Die Konsequenz ist, dass Popper an der Moeglichkeit von Erfahrung selber zweifeln muss. Diese laesst sich allerdings im Zweifel korrigieren und ueberpruefen. Eine prinzipiell unendliche Nachpruefbarkeit ist schlechte Fiktion. Den Anfordernissen genuegen nur generelle Saetze. Popper bleibt also einer heimlichen positivistischen Ontologie verhaftet, die er schliesslich ja auch als Glaubensakt zugestehen muss. Das positivistische Sinnkriterium faellt und metaphysische Saetze verlieren bei Popper das generelle Sinnlosigkeitsverdikt. Dies wird zum einen _heuristisch_ begruendet, damit dass metaphysische Theorien die Wissenschaft foerderten, wobei er vor allem die Kosmologien im Auge hat, zum anderen ein methodologisch-kritizistisch. Popper liefert keine Theorie zur Erzeugung wahrer Theorem, sondern nur ein Organon der Kritik, ein Instrument, diese zu ueberpruefen. Daher muss er alles zulassen, auch Metaphysik, sie muss aber einer Ueberpruefung standhalten, was aber nicht geht, wenn sie dem gerade entgegengesetzt ist. Sie muss dann geglaubt werden. Er geht ja sogar so weit zu sagen: "Das alles zeigt nicht nur, dass ein gewisses Mass an Dogmatismus sogar in der Wissenschaft fruchtbar ist, sondern auch, dass die Falsifizierbarkeit oder Pruefbarkeit logisch gesehen nicht als ein sehr strenges Kriterium gelten kann. Spaeter habe ich in der Logik der Forschung dieses Problem ausfuehrlich behandelt. Ich fuehrte Grade der Pruefbarkeit ein."(Ausgangspunkte 53) Und wenig spaeter ist ja auch davon die Rede, dass "die metaphysischen Theorien von rein existentiellen Charakter" seien. "Sie sind nicht falsifizierbar."

Er fuehrt also Grade der Falsifizierbarkeit ein:

"(1) Ein Satz x heisst 'in hoeheren Grade falsifizierbar' oder 'besser pruefbar' als der Satz y (in Zeichen: Fsb(x)>Bsb(y)), wenn die Klasse der Falsifikationsmoeglichkeiten von x die Falsifikationsmoeglichkeiten von y als _echte Teilklasse_ enthaelt. (2) Sind die Klassen der Falsifikationsmoeglichkeiten zweier Saetze x und y umfangsgleich, so haben beide denselben Falsifizierbarkeitsgrad (Fsb(x)=Bsb(y)) (3) Enthaelt von den Klassen der Falsifikationsmoeglichkeiten zweier Saetze x und y keine Klasse die andere als Teilklasse, so ist der Falsifierbarkeitsgrad der beiden Saetze 'inkomensurabel'" (Logik der Forschung S. 80)

Dabei ist der _empirische Gehalt_ definiert als die Klasse der Falsifikationsmoeglichkeiten und der _logische Gehalt_ als die Menge aller ableitbaren nicht-tautologischen Saetze. (a.a.O. 84) Nun koennte man die Unterscheidung allgemeiner von weniger allgemeiner Theorien, die anhand des prognostischen Gehalts erfolgen soll, kritisieren. Die Falltheorie Galileis ist z.B. nicht so einfach aus der Gravitationstheorie Newtons abzuleiten, sondern bedarf Zusatzannahmen(eine bestimmte Interpretation des fallenden Koerpers und der Erde als Massen eines Systems), so dass man nicht von einer Implikationsbeziehung reden duerfte.

Nun will Popper das Ziel der Logischen Positivisten, gut bestaetigte Theorien zu generieren, auch nicht preisgeben und fuehrt unterschiedliche "Bewaehrungsgrade" ein. Hier stellt sich jetzt die Frage nach der Theoriendynamik und des wissenschaftlichen Fortschritts.


© Martin Blumentritt, Hamburg 1995

Fortsetzung - Teil 6


Unser Buchtipp:












 

GLASNOST, Berlin 1992 - 2019